XIII ZB 122/19
BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 122/19 BESCHLUSS vom 24. März 2020 in der Überstellungshaftsache ECLI:DE:BGH:2020:240320BXIIIZB122.19.0
2 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2020 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Prof. Dr. SchmidtRäntsch, die Richter Prof. Dr. Kirchhoff und Dr. Tolkmitt sowie die Richterin Dr. Linder beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 23. August 2019 wird verworfen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdeinstanz werden dem Land Hessen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000,00 €.
Gründe:
I. Der Betroffene reiste über Bulgarien nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Er sollte nach Bulgarien überstellt werden, da er dort ebenfalls einen Asylantrag gestellt hatte. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen am 13. Juli 2019 durch einstweilige Anordnung Sicherungshaft bis 19. Juli 2019 und durch Beschluss vom 18. Juli 2019 Sicherungshaft bis 30. Juli 2019 angeordnet. Mit Beschluss vom 29. Juli 2019 hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde die Siche-
3 rungshaft bis 8. September 2019 verlängert. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht am 23. August 2019 den Beschluss des Amtsgerichts vom 29. Juli 2019 aufgehoben, den Antrag der beteiligten Behörde vom 29. Juli 2019 auf Verlängerung der Haft abgelehnt und festgestellt, dass die seit dem 13. Juli 2019 angeordnete Haft rechtswidrig gewesen sei. Mit der vom Beschwerdegericht nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde hat die beteiligte Behörde am 13. September 2019 beantragt, den Beschluss des Landgerichts aufzuheben und festzustellen, dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2019 rechtmäßig Abschiebungshaft bis 30. Juli 2019 angeordnet und diese mit Beschluss vom 29. Juli 2019 rechtmäßig bis zum 8. September 2019 verlängert habe.
II. Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat die Haftanordnung durch das Amtsgericht als rechtswidrig angesehen, da die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Überstellungsfrist um 18 Monate durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Januar 2019 nicht vorgelegen hätten. Zudem sei ein notwendiges Einvernehmen der Staatsanwaltschaft erst am 1. August 2019 erteilt worden und dazu dem Betroffenen kein rechtliches Gehör gewährt worden.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft.
a) Die begehrte Überprüfung der Feststellung der Rechtswidrigkeit der bisherigen Haft wäre zwar grundsätzlich möglich, aber nach § 70 Abs. 1 und 2 FamFG nur bei Zulassung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2016 - V ZB 106/15, juris Rn. 3 und vom 29. Juni 2017 - V ZB 64/17, Asylmagazin 2018, 101 [Ls.] = juris Rn. 4). Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde in seinem Beschluss vom 23. August 2019 nicht zugelassen.
4 Ein Ausspruch über die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 1 FamFG findet sich weder im Tenor noch in den Gründen der Entscheidung des Beschwerdegerichts. Zwar wird in der vom Beschwerdegericht unterschriebenen Rechtsmittelbelehrung ausgeführt, dass gegen den Beschluss die Rechtsbeschwerde statthaft sei. Diese Rechtsmittelbelehrung dient aber allein der Information der Beteiligten über bestehende Rechtsmittel. Eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde kann daraus nicht entnommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2019 - XII ZB 554/18, FamRZ 2019, 725; Beschluss vom 13. März 2014 - IX ZB 48/13, WM 2014, 711).
b) Die angestrebte Überprüfung der Entscheidung über die Aufhebung der Haft hat sich vor Einlegung des Rechtsmittels erledigt. In einer solchen Situation kann ein Rechtsbeschwerdeverfahren durch die beteiligte Behörde nicht mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG fortgesetzt werden.
aa) Eine Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG zwar auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, soweit sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden Beschluss richtet. Eine solche Ablehnung liegt vor, wenn das Beschwerdegericht - wie im Streitfall - die von dem Amtsgericht angeordnete Haft zur Sicherung einer Abschiebung aufhebt.
bb) Bei Eingang der Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde am 13. September 2019 hatte sich die Hauptsache jedoch bereits erledigt, da die Haftanordnung des Amtsgerichts, die das Beschwerdegericht aufgehoben hat, nur bis 8. September 2019 beantragt und vom Amtsgericht angeordnet worden war. Entsprechend hat die beteiligte Behörde im Rechtsbeschwerdeverfahren den Antrag gestellt, neben der Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts
5 festzustellen, dass das Amtsgericht die Abschiebungshaft rechtmäßig angeordnet und bis 8. September 2019 rechtmäßig verlängert habe.
cc) Die beteiligte Behörde kann das Rechtsbeschwerdeverfahren jedoch nicht mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG durchführen, da ihr das in der Vorschrift geforderte berechtigte Interesse an der Feststellung fehlt, dass sie die Entscheidung in ihren Rechten verletzt hat. Daran hat sich durch die Einführung von § 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG mit Gesetz vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) nichts geändert (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2017 - V ZB 84/17, FGPrax 2017, 231 Rn. 7 mwN).
(1) Gegenstand der analog § 62 Abs. 1 FamFG zu treffenden Feststellung ist nicht die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung, sondern die aus dieser Entscheidung folgende Verletzung des Rechtsbeschwerdeführers in seinen Rechten (vgl. BGH, FGPrax 2017, 231 Rn. 8).
(2) Eine solche Verletzung in eigenen Rechten kann sich insbesondere aus einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff ergeben. Zwar könnte sich die beteiligte Behörde grundsätzlich auf die Verletzung der grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (gesetzlicher Richter) und Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör) berufen, die auch der Behörde zukommen (BGH, FGPrax 2017, 231 Rn. 8 mwN); allerdings stützt die beteiligte Behörde ihren Antrag nicht auf die Verletzung dieser Rechte.
3. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 84, 430 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
6 Im Hinblick auf den Kostenerstattungsanspruch des Betroffenen gegen das Land Hessen hat sich sein Verfahrenskostenhilfeantrag erledigt.
Meier-Beck Tolkmitt Schmidt-Räntsch Linder Kirchhoff Vorinstanzen: AG Darmstadt, Entscheidung vom 29.07.2019 - 271 XIV 261/19 und 271 XIV 277/19 LG Darmstadt, Entscheidung vom 23.08.2019 - 21 T 33/19 -