Paragraphen in 9 W (pat) 13/15
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BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 13/15 Verkündet am 4. Juli 2018 …
BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2006 002 776.0 …
ECLI:DE:BPatG:2018:040718B9Wpat13.15.0
…
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Hilber und der Richter Paetzold, Dr.-Ing. Geier und Dipl.-Ing. Körtge beschlossen:
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B60T des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. April 2015 aufgehoben und ein Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:
- Patentansprüche 1 bis 7, gemäß neuem Hilfsantrag 1 vom 4. Juli 2018, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2018,
- Beschreibung, Seiten 1 und 2 mit Änderungen vom 4. Juli 2018, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2018, übrige Seiten 3 bis 9 wie ursprüngliche Unterlagen,
- Zeichnungen Figuren 1 bis 3 gemäß ursprünglich eingereichten Unterlagen.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe I.
Die Prüfungsstelle für Klasse B60T des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung die am 20. Januar 2006 eingereichte Patentanmeldung 10 2006 002 776.0 der B… Aktiengesellschaft, P…ring in M… (Patentanmelderin zu 1) und der B1… GmbH, B1…-Platz in G… (Patentanmelderin zu 2), mit der Bezeichnung
„Verfahren zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs“,
auf Basis der mit Schriftsatz vom 1. August 2012 eingereichten Patentansprüche 1 bis 10, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am 7. August 2012, am 16. April 2015 nach Anhörung, zu der für die Patentanmelderinnen niemand erschienen war, durch einen verkündeten Beschluss zurückgewiesen. Laut Beschlussbegründung vom 17. April 2015, die am 22. April 2015 zugestellt worden ist, sei ein derartiges Verfahren nicht neu gegenüber der Druckschrift E1: DE 10 2005 014 801 A1.
Im Rahmen des Prüfungsverfahrens ermittelte die Prüfungsstelle für Klasse B60T des Deutschen Patent- und Markenamts darüber hinaus noch folgende Druckschriften:
E2: DE 103 22 125 A1, E3: DE 10 2005 015 062 A1, sowie E4: DE 10 2005 045 998 A1.
Ferner ist in der ursprünglich eingereichten Beschreibung die Druckschrift E5: DE 199 50 028 A1 genannt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der zwei Patentanmelderinnen, deren damaliger gemeinsamer Vertreter „namens und im Auftrag der B1… GmbH und der B… Aktiengesellschaft“ am 6. Mai 2015 per Fax das Beschwerdeschreiben vom gleichen Tage an das DPMA gesandt und gleichzeitig per SEPA-Lastschriftverfahren mit Einzahlungsliste 110 die Gebührenzahlung für die Beschwerde vorgenommen hat. In diesem Formblatt über Angaben zum Verwendungszweck des Mandats hat der Vertreter u. a. eingetragen: „… Gebührennummer 401 300 … 200 € …Beschwerdeverfahren … Summe 200,00 €“. Entsprechend dem angegebenen Gesamtbetrag hat das DPMA per Lastschrift 200,00 Euro abgebucht.
Die Beschwerdebegründung hat dieser Vertreter mit Schriftsatz vom 5. Juni 2015 eingereicht.
Mit einem Hinweisschreiben des Senates vom 4. Juli 2017, zugestellt am 7. Juli 2017, und einem Hinweisschreiben des rechtskundigen Mitglieds vom 26. Oktober 2017, zugestellt am 2. November 2017, hat der Senat auf die Problematik der nur einfach entrichteten Beschwerdegebühr bei gleichzeitig zwei Patentanmelderinnen ausgeführt. Daraufhin hat der 9. Senat des Bundespatentgerichts nach Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Sitzung vom 13. Dezember 2017 beschlossen, dass die Beschwerde der Patentanmelderin zu 1 wirksam erhoben ist, während die Beschwerde der Patentanmelderin zu 2 als nicht wirksam eingelegt gilt.
In der Verhandlung vom 4. Juli 2018 beantragt die Beschwerdeführerin zuletzt,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B60T des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. April 2015 aufzuheben und ein Patent mit den folgenden Unterlagen zu erteilen: Patenansprüche 1 bis 10 sowie Beschreibung und Figuren 1 bis 3, eingereicht mit den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hilfsweise:
- Patentansprüche 1 bis 7, gemäß neuem Hilfsantrag 1 vom 4. Juli 2018, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2018,
- Beschreibung Seiten 1 und 2 mit Änderungen, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2018, übrige Seiten 3 bis 9 wie ursprüngliche Unterlagen,
- Zeichnungen Figuren 1 bis 3 gemäß ursprünglich eingereichten Unterlagen.
Der ursprünglich eingereichte Patentanspruch 1 (Hauptantrag) lautet:
1. Verfahren zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs, bei dem das Erreichen eines Stillstands des Fahrzeugs überwacht wird, bei dem nach der Erkennung eines Stillstands fahrerunabhängig eine Bremskraft auf mindestens ein Rad des Fahrzeugs ausgeübt wird (11), bei dem die Erfüllung einer Lösebedingung überwacht wird (12), bei dem die Ausübung der Bremskraft nach der Erkennung einer Lösebedingung beendet wird (13), und bei dem im gebremsten Zustand des Fahrzeugs ein Rutschtest durchgeführt wird (21), dadurch gekennzeichnet, dass während der Durchführung des Rutschtests überwacht wird (31), ob ein Indikator vorliegt, dass das Fahrzeug wieder angefahren werden soll, und dass der Rutschtest beendet wird (32), wenn das Vorliegen des Indikators erkannt wird.
Hieran schließen sich rückbezogen die ursprünglichen Patentansprüche 2 bis 6 an.
Die ursprünglichen Patentansprüche 7 bis 10 lauten:
7. Computerprogramm, dadurch gekennzeichnet, dass es zur Anwendung in einem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6 programmiert ist. 8. Elektrisches Speichermedium, dadurch gekennzeichnet, dass auf ihm ein Computerprogramm zur Anwendung in einem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6 abgespeichert ist. 9. Steuergerät für eine Bremsanlage eines Fahrzeugs, dadurch gekennzeichnet, dass es zur Anwendung in einem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6 hergerichtet ist. 10. Fahrzeug, insbesondere ein von einer Brennkraftmaschine angetriebenes Fahrzeug, mit einer Bremsanlage und mit einem Steuergerät zum Betreiben der Bremsanlage, dadurch gekennzeichnet, dass das Steuergerät zur Anwendung in einem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6 hergerichtet ist.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
1. Verfahren zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs, bei dem das Erreichen eines Stillstands des Fahrzeugs überwacht wird, bei dem nach der Erkennung eines Stillstands fahrerunabhängig eine Bremskraft auf mindestens ein Rad des Fahrzeugs ausgeübt wird (11), bei dem die Erfüllung einer Lösebedingung überwacht wird (12), bei dem die Ausübung der Bremskraft nach der Erkennung einer Lösebedingung beendet wird (13), und bei dem im gebremsten Zustand des Fahrzeugs ein Rutschtest durchgeführt wird (21), wobei während des Rutschtests die Bremskraft bei mindestens einem Rad derart verringert wird, dass das Rad drehbar ist, wobei während der Durchführung des Rutschtests überwacht wird (31), ob ein Indikator vorliegt, dass das Fahrzeug wieder angefahren werden soll, wobei der Rutschtest beendet wird (32), wenn das Vorliegen des Indikators erkannt wird, wobei zwischen der Beendigung des Rutschtests und der Beendigung der Ausübung der Bremskraft ein Zeitraum liegt und in diesem Zeitraum diejenige Bremskraft, die zur Durchführung des Rutschtests vermindert worden ist, wieder erhöht wird, so dass die Bremskräfte aller Räder wieder etwa gleich sind.
Hieran schließen sich rückbezogen die Patentansprüche 2 bis 5 gemäß Hilfsantrag 1 an, wobei die Patentansprüche 2 bis 4 gemäß Hilfsantrag 1 den ursprünglichen Patentansprüchen 2 bis 4 entsprechen und Patentanspruch 5 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
5. Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche, wobei die Bremskraft während des Rutschtests bei mindestens einem anderen Rad erhöht wird, und wobei in dem Zeitraum diejenige Bremskraft, die zur Durchführung des Rutschtests erhöht worden ist, wieder vermindert wird, so dass die Bremskräfte aller Räder wieder etwa gleich sind.
Die Patentansprüche 6 und 7 gemäß Hilfsantrag 1 entsprechen den ursprünglichen Patentansprüchen 9 und 10 mit angepassten Rückbezügen.
Wegen des Wortlauts der jeweils geltenden Unteransprüche, der angepassten Beschreibung sowie zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die statthafte Beschwerde der Patentanmelderin zu 1 und der damit einzigen Beschwerdeführerin ist auch sonst formgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg durch Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Erteilung mit den im Beschlusstenor angegebenen Unterlagen.
2. Die Erfindung betrifft laut dem Titel der Patentanmeldung ein Verfahren zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs.
Im Stand der Technik seien unter der Bezeichnung "Anfahrassistent" oder "Hillholder" Verfahren bekannt, mit deren Hilfe das Festhalten eines Fahrzeugs in einer Position und damit die Verhinderung eines Zurückrollens oder Anrollens des Fahrzeugs erreicht werde. Diese Verfahren griffen dabei auf bekannte hydraulische oder pneumatische Bremsanlagen zurück, die elektronisch steuer- oder regelbar seien.
Aus der Druckschrift E5 gehe ein Verfahren zur Steuerung eines Fahrzeugs hervor, bei dem bei einem erkannten Stillstand des Fahrzeugs die Bremskraft an wenigstens einem Rad gehalten werde, und zwar unabhängig vom Ausmaß der Betätigung des Bremspedals durch den Fahrer, und bei dem die Bremskraft bei Vorliegen einer Lösebedingung wieder abgebaut werde. Ein derartiges Verfahren werde als Hillholder-Funktion bezeichnet.
Weiterhin sei aus der Druckschrift E5 ein sogenannter Rutschtest bekannt. Bei einem derartigen Rutschtest werde während der Durchführung der HillholderFunktion die Bremskraft an zumindest einem Rad des Fahrzeugs auf etwa Null abgebaut, so dass dieses Rad an sich freilaufend sei. Liege kein Rutschen des Fahrzeugs vor, so bleibe das Rad im Wesentlichen in Ruhe. Rutsche das Fahrzeug jedoch beispielsweise aufgrund einer vereisten und ggf. geneigten Fahrbahn,
so habe dies zur Folge, dass das vorgenannte Rad sich zu drehen beginne. Überschreitet die Drehzahl des Rades eine vorgegebene Schwelle, so werde auf ein Rutschen des Fahrzeugs geschlossen. Vorzugsweise werde in diesem Fall die Hillholder-Funktion beendet. Bei dem beschriebenen Rutschtest könne zusätzlich vorgesehen sein, dass die Bremskraft an einem anderen Rad erhöht wird, um auf diese Weise die Verminderung der Bremskraft an dem erläuterten einen Rad auszugleichen.
Der erläuterte Rutschtest führe jedoch dazu, dass die auf die Räder des Fahrzeugs einwirkenden Bremskräfte unterschiedlich seien. So sei die Bremskraft an zumindest einem Rad etwa Null, während die Bremskraft an einem oder mehreren anderen Rädern ungleich Null sei. Zusätzlich könne die Bremskraft an einem anderen Rad auch erhöht sein.
Wolle der Fahrer des Fahrzeugs während der Durchführung des Rutschtests wieder aus dem Stillstand anfahren, so werde die Bremskraft in dem oder den Rädern des Fahrzeugs aufgrund der erkannten Lösebedingung abgebaut. Aufgrund der unterschiedlichen Bremskräfte könne es dabei jedoch zu einem Ruckeln des Fahrzeugs beim Anfahren kommen. Ebenfalls sei es möglich, dass das Fahrzeug aufgrund der hohen oder unterschiedlichen Bremskräfte gegen ein noch gebremstes Rad anfahre. Dies stelle ersichtlich eine Minderung des Fahrkomforts dar (vgl. ursprünglich eingereichte Seiten 1 und 2 der Beschreibung).
Daher sei es Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs zu schaffen, mit dem ein gleichbleibend hoher Fahrkomfort auch im Zusammenhang mit einem Rutschtest erreichbar ist (vgl. ursprüngliche Seite 2, Zeilen 23 bis 25, der Beschreibung).
3. Als Fachmann wird bei der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik sowie dem Verständnis des Anmeldegegenstandes von einem Durchschnittsfachmann ausgegangen, der als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik ausgebildet ist und der über mehrere Jahre Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung der Steuerung von Bremsanlagen verfügt.
4. Hauptantrag – Patentansprüche wie ursprünglich eingereicht Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung ist nicht neu gegenüber der Druckschrift E1. Er ist daher nicht gewährbar.
Einer Beurteilung der weiteren geltenden Patentansprüche bedarf es in der Folge nicht, da mit dem nicht gewährbaren Patentanspruch 1 dem Antrag als Ganzes nicht stattgegeben werden kann (vgl. BGH GRUR 1997, 120ff. – elektrisches Speicherheizgerät).
4.1 Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 – X ZR 117/11 –, BGHZ 194, 107–120, BPatGE 53, 299–300, Polymerschaum).
Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale des ursprünglichen Patentanspruchs 1 dazu nachstehend in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben.
V0 Verfahren zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs, V1 bei dem das Erreichen eines Stillstands des Fahrzeugs überwacht wird,
V2 bei dem nach der Erkennung eines Stillstands fahrerunabhängig eine Bremskraft auf mindestens ein Rad des Fahrzeugs ausgeübt wird,
V3 bei dem die Erfüllung einer Lösebedingung überwacht wird,
V4 bei dem die Ausübung der Bremskraft nach der Erkennung einer Lösebedingung beendet wird, und V5 bei dem im gebremsten Zustand des Fahrzeugs ein Rutschtest durchgeführt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass V5.1 während der Durchführung des Rutschtests überwacht wird, ob ein Indikator vorliegt, dass das Fahrzeug wieder angefahren werden soll,
V5.2 und dass der Rutschtest beendet wird, wenn das Vorliegen des Indikators erkannt wird.
Der vorstehend definierte Fachmann entnimmt diesem Patentanspruch ein Verfahren, das zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs geeignet ist. Das Verfahren charakterisiert sich im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 durch folgende fünf Verfahrensschritte Schritt V1 Das Erreichen eines Stillstandes des Fahrzeugs wird überwacht.
Schritt V2 Nach der Erkennung, dass ein Stillstand des Fahrzeugs vorliegt, wird fahrerunabhängig eine Bremskraft auf mindestens ein Rad des Fahrzeugs ausgeübt. Diese Bremskraft wirkt unmittelbar auf das eine Rad; sie ist mit dem in der Patentanmeldung wiederholt auch angeführten Bremsdruck gleichzusetzen. Das Fahrzeug befindet sich somit in einem gebremsten Zustand. Eine hierfür in der Beschreibungseinleitung als Beispiel genannte Hillholder-Funktion wäre somit nun aktiv.
Schritt V3 Die Erfüllung einer Lösebedingung des gebremsten Zustandes wird überwacht.
Schritt V4 Bei Erkennung, dass eine solche Lösebedingung vorliegt, wird die Ausübung der Bremskraft, welche in Schritt V2 angelegt wurde, beendet. Die beispielsweise genannte Hillholder-Funktion würde somit wieder deaktiviert.
Schritt V5: Während sich das Fahrzeug in dem durch Schritt V2 ausgelöstem gebremsten Zustand befindet, wird ein Rutschtest durchgeführt.
Unter einem solchen Rutschtest ist dabei jedes Verfahren zu subsumieren, mittels dessen erkannt werden kann, ob das Fahrzeug sich trotz seines gebremsten Zustandes nicht im Stillstand gegenüber dem Boden befindet, sondern sich vielmehr gegenüber diesem bewegt.
Soweit die Beschwerdeführerin ausführt, dass der in Schritt V5 beanspruchte Rutschtest hier bereits auf einen Rutschtest einzuschränken sei, wie er in Zusammenhang mit den Ausführungen zu der Druckschrift E5 in der Beschreibungseinleitung der Patentanmeldung erläutert ist, kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Denn so wie ein Ausführungsbeispiel regelmäßig keine einschränkende Auslegung eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs erlaubt (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 2004 – X ZR 255/04, Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung), trifft dies auch nicht auf einen in der Beschreibungseinleitung genannten Stand der Technik zu. Darüber hinaus ist diese konkrete Einschränkung Inhalt des auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteranspruchs 5. Unteransprüche können regelmäßig den Gegenstand des Hauptanspruchs allerdings nicht einengen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 – X ZR 114/13, Wärmetauscher).
Gemäß Schritt V5.1 wird während der Durchführung des Rutschtests in Schritt V5 überwacht, ob ein Indikator vorliegt, der angibt, dass das Fahrzeug wieder angefahren werden soll. Dies kann zum einen durch den Wunsch des Fahrers bedingt sein, wobei hierzu mögliche Indikatoren in Weiterbildungen des Verfahrens nach den geltenden Unteransprüchen 2 und 3 aufgeführt sind, oder aber auch durch einen fahrzeugeigenen Indikator veranlasst sein.
Wird ein solcher Indikator erkannt, wird in Schritt V5.2 der Rutschtest beendet.
Ein darüber hinaus vorgesehenes mögliches Angleichen von Bremskräften vor der Beendigung der Hillholder-Funktion, das vom beanspruchten Verfahren jedoch nicht zwingend mitumfasst ist, erfolgt dabei erst nach Beendigung des Rutschtests (vgl. Seite 3, Zeilen 14 bis 17, der ursprünglichen Beschreibung).
4.2 Das in dem ursprünglichen Patentanspruch 1 aufgeführte Verfahren ist jedoch durch die zwar nachveröffentlichte, aufgrund ihres früheren Anmeldedatums aber ältere Druckschrift E1 im Sinne des § 3 (2) PatG vollständig vorweggenommen.
So offenbart die Druckschrift E1 ein Verfahren zur Steuerung einer Bremsanlage eines Kraftfahrzeugs (Titel). Sie stellt sich dabei gemäß Absatz [0005] die Aufgabe eine Rutscherkennung bei Verfahren, wie sie in Absatz [0003] genannt sind, zu verbessern. Dabei handelt es sich um Verfahren zum Betreiben eines Bremssystems, mittels dem das Festhalten und die Verhinderung des Anrollens des Fahrzeugs bewerkstelligt werden kann, sogenannten Hillholdern. Bei all diesen Funktionen wird beispielsweise durch Betätigung eines Bremspedals oder einer Feststellbremse oder über damit in Verbindung stehende Schaltelemente bzw. auch sonstige Betätigungselemente eine Aktivierung der Funktion, also das Anlegen einer Bremskraft durchgeführt, während eine Deaktivierung über die gleichen oder auch andere Hilfsmittel erfolgt (vgl. Absatz [0003]).
Letztere Verfahren entsprechen somit einem Verfahren mit den Schritten V0 bis V4, wie sie in dem ursprünglichen Patentanspruch 1 beansprucht werden, von denen ausgehend sich die Druckschrift E1 die Aufgabe stellt, eine Rutscherkennung anzugeben, die im gebremsten Zustand des Fahrzeugs durchgeführt wird.
Bei dieser Rutscherkennung oder Rutscherkennungsroutine, wie in Absatz [0044] bezeichnet, wird in einem Ausführungsbeispiel zumindest zeitweise der Bremsdruck an wenigstens einem Rad vollständig abgebaut, während die anderen drei Räder des Fahrzeugs mit Bremsdruck beaufschlagt bleiben. Sollte das Fahrzeug rutschen, würde in diesem Fall das nicht gebremste Rad rollen, was durch eine Steuereinheit mittels Sensoren zur Erfassung der Raddrehzahlen erkannt wird. Da es sich bei dem in der Druckschrift E1 betrachteten Fahrzeug jedoch ferner um ein Allradfahrzeug handelt, dessen Räder im Allradbetrieb über einen Antriebsstrang miteinander gekoppelt sind, ist dort vor Beginn des Rutschtests zusätzlich vorgesehen, eine entsprechende Kopplungseinheit in dem Antriebsstrang zu öffnen bzw. sicherzustellen, dass diese geöffnet ist, damit das zu überprüfende Rad auch vom Antriebsstrang entkoppelt ist und somit frei rollen kann (vgl. Absatz [0034]).
Der Zustand für die Rutscherkennung kann für eine begrenzte oder unbegrenzte Zeitdauer während der Bremsdruck-Haltezeit hergestellt werden (vgl. Absatz [0037]), wobei nach Ablauf einer vorgegebenen Zeitdauer die Ansteuerung der Kopplungseinheit noch während der Bremskraft-Haltezeit derart vorgenommen wird, dass der Allradantrieb wieder eingeschaltet ist, um schließlich beim Losfahren dem Fahrer maximale Traktion zu bieten (vgl. Absatz [0038]).
Sowohl im Fall der Rutscherkennung für einen begrenzten Zeitraum wie auch im Fall der Rutscherkennung für einen unbegrenzten Zeitraum ist darüber hinaus vorgesehen, dass die Kopplungseinheit wieder geschlossen und die Rutscherkennung beendet wird, sobald ein definiertes Ereignis stattfindet, das auf den Wunsch des Fahrers zum baldigen Losfahren schließen lässt (vgl. Absatz [0039]).
Diese Vorgehensweise ist auch in dem in Figur 2 schematisch dargestellten und in den Absätzen [0042 bis 0044] beschriebenen Zeitverläufen erläutert. Zum Zeitpunkt t3 liegt ein Indikator vor, der angibt, dass der Fahrer das Fahrzeug wieder anfahren möchte – hier ermittelt anhand eines Signals e eines Fahrpedalschalters.
Figur 2 der Druckschrift E1 Unmittelbar darauf wird das Anforderungssignal c zum Öffnen und Schließen der Kopplungseinheit deaktiviert, mit der Folge dass die Kopplungseinheit geschlossen und die Rutscherkennung nicht fortgesetzt wird, denn diese – wie explizit in Absatz [0044] beschrieben – bleibt hier aktiv, bis ein Signal auf ein Ereignis hinweist, das auf den Wunsch des Fahrers zum baldigen Losfahren schließen lässt. Ein Weiterführen der Rutscherkennung über diesen Zeitpunkt hinaus ist technisch auch nicht mehr möglich, denn mit Schließen der Kopplungseinheit ist das entsprechende vorher frei drehende Rad wieder an den Antriebsstrang gekoppelt und kann sich somit nicht mehr frei drehen (vgl. auch Absatz [0009]).
Die in der Druckschrift E1 beschriebene und oben erläuterte Rutscherkennung entspricht somit einem Rutschtest im Sinne der vorstehenden Auslegung der Merkmale V5, V5.1 und V5.2, so dass in der Folge durch die Druckschrift E1 auch diese Verfahrensschritte vorbekannt sind.
Nach alledem konnte der Hauptantrag keinen Erfolg haben.
5. Hilfsantrag 1 In der Fassung des Hilfsantrags 1 erweisen sich die gewerblich anwendbaren Gegenstände der unabhängigen Patentansprüche 1, 6 und 7 als gewährbar, denn diese sind in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart, sowie weder vorbekannt noch durch den Stand der Technik nahegelegt. Dies gilt ebenso für die Weiterbildungen nach den jeweiligen auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüchen 2 bis 5.
5.1 Patentanspruch 1
5.1.1 Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 nachstehend wiederum in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben, wobei Änderungen gegenüber dem Patentanspruch 1 in der ursprünglichen Fassung unterstrichen sind.
V0 Verfahren zum Betreiben einer Bremsanlage eines Fahrzeugs, V1 bei dem das Erreichen eines Stillstands des Fahrzeugs überwacht wird, V2 bei dem nach der Erkennung eines Stillstands fahrerunabhängig eine Bremskraft auf mindestens ein Rad des Fahrzeugs ausgeübt wird,
V3 bei dem die Erfüllung einer Lösebedingung überwacht wird,
V4 bei dem die Ausübung der Bremskraft nach der Erkennung einer Lösebedingung beendet wird, und V5 bei dem im gebremsten Zustand des Fahrzeugs ein Rutschtest durchgeführt wird,
V5a wobei während des Rutschtests die Bremskraft bei mindestens einem Rad derart verringert wird, dass das Rad drehbar ist,
V5.1 wobei während der Durchführung des Rutschtests überwacht wird, ob ein Indikator vorliegt, dass das Fahrzeug wieder angefahren werden soll,
V5.2 wobei der Rutschtest beendet wird, wenn das Vorliegen des Indikators erkannt wird,
V6 wobei zwischen der Beendigung des Rutschtests und der Beendigung der Ausübung der Bremskraft ein Zeitraum liegt und in diesem Zeitraum diejenige Bremskraft, die zur Durchführung des Rutschtests vermindert worden ist, wieder erhöht wird, so dass die Bremskräfte aller Räder wieder etwa gleich sind.
Der Fachmann entnimmt diesem Patentanspruch 1 ein Verfahren, das gegenüber dem Verfahren, welches in dem Patentanspruch 1 in der ursprünglichen Fassung beansprucht ist, durch die Schritte V5a und V6 konkretisiert ist. So wird zum einen während des Rutschtests die Bremskraft bei mindestens einem Rad derart verringert, dass das Rad drehbar ist (vgl. Merkmal V5a). Zum anderen wird diese Bremskraft nach Beendigung des Rutschtests unter der Prämisse der Merkmale V5.1 und V5.2, aber noch vor Beendigung der Ausübung der Bremskraft nach dem Verfahrensschritt V4 wieder erhöht, so dass die Bremskräfte aller vom Verfahren betroffener Räder wieder etwa gleich sind.
5.1.2 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist zulässig, denn das in diesem beanspruchte Verfahren ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart. So ergeben sich die gegenüber dem ursprünglichen Patentanspruch 1 neu aufgenommenen Merkmale auch in deren Kombination unmittelbar aus der ursprünglichen Beschreibung, Seite 3, Zeilen 10 bis 22, sowie aus dem ursprünglichen Patentanspruch 5.
5.1.3 Patentfähigkeit a) Das Verfahren nach diesem eingeschränkten Patentanspruch 1 ist von der Druckschrift E1 nicht mehr vollständig vorweggenommen. Zwar ist ihr zu entnehmen, dass bei der durchgeführten Rutscherkennung die Bremskraft an einem Rad soweit vermindert wird, dass das Rad drehbar ist, während die anderen Räder während der Rutscherkennung mit Bremskraft beaufschlagt bleiben (vgl. Absatz [0034]). Somit ist aus der Druckschrift E1 auch der Schritt V5a des beanspruchten Verfahrens vorbekannt.
Darüber hinaus führt Absatz [0034] aus, dass das frei rollende Rad nach Beendigung des Rutschtests wieder mit Bremsdruck beaufschlagt werden kann. Dieses bezieht sich explizit aber nur auf ein Ausführungsbeispiel, bei dem die Rutscherkennung für eine vorgegebene Zeitdauer erfolgt, nicht jedoch auf jenes offenbarte Ausführungsbeispiel, bei dem die Rutscherkennung bis zum Auftreten eines bestimmten Ereignisses, wie beispielsweise einem Anfahrwunsch, fortgesetzt wird. Darüber hinaus folgt aus dem dort offenbarten allgemeinen Beaufschlagen mit Bremsdruck nicht zwingend und unmittelbar ein Angleichen der Bremskraft, wie dies in Merkmal V6 beansprucht ist.
Das in dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Verfahren ist daher neu gegenüber der Druckschrift E1. Da es sich bei der Druckschrift E1 um eine nachveröffentliche Schrift handelt, ist diese bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.
b) Da das Merkmal V6 unter der Prämisse der Merkmale V5.1 und V5.2 auch nicht durch die nachveröffentlichten Druckschriften E3 und E4 und die vorveröffentlichten Druckschriften E2 und E5 vorbekannt ist, ist das in Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Verfahren auch gegenüber diesen Druckschriften neu.
c) Vor diesem Hintergrund war die spezielle Art des beanspruchten Verfahrens auch durch die Kenntnis bzw. die Kombination der Druckschriften E2 mit E5 des in Betracht gezogenen Standes der Technik am Anmeldetag nicht zu erreichen. Da es sich nach Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens des Durchschnittsfachmannes nicht ohne weiteres ergibt, beruht das in dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Verfahren auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5.1.4 Mithin ist das in dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Verfahren patentfähig.
5.2 Mit ihm sind es auch die Verfahren gemäß den Unteransprüchen 2 bis 5, die ursprünglich offenbarte und zweckmäßige Weiterbildungen des Verfahrens nach dem Patentanspruch 1 betreffen.
5.3 Vorgenanntes gilt analog auch für den auf ein Steuergerät für eine Bremsanlage eines Fahrzeugs gerichteten Patentanspruch 6 gemäß Hilfsantrag 1, wobei das Steuergerät rückbezogen zur Anwendung in einem zuvor beanspruchten Verfahren hergerichtet ist, sowie für den auf ein Fahrzeug gerichteten Patentanspruch 7 gemäß Hilfsantrag 1, welches unter anderem ein Steuergerät beinhaltet, das rückbezogen zur Anwendung in einem zuvor beanspruchten Verfahren hergerichtet ist.
5.4 Die vorgenommenen Änderungen der geltenden Beschreibungsunterlagen betreffen Anpassungen an die nun beanspruchten Gegenstände gemäß des Hilfsantrages 1 im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung.
Derartige Änderungen sind ohne weiteres zuzulassen.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn sie auf einen der nachfolgenden Gründe gestützt wird, nämlich dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Hilber Paetzold Dr. Geier Körtge Fa
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