Paragraphen in X ZR 80/22
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
9 | 651 | BGB |
1 | 267 | AEUV |
1 | 128 | ZPO |
1 | 563 | ZPO |
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1 | 267 | AEUV |
9 | 651 | BGB |
1 | 128 | ZPO |
1 | 563 | ZPO |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES X ZR 80/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 28. Januar 2025 Wetzel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR80.22.0 Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis 2. Januar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, die Richter Hoffmann und Dr. Deichfuß und die Richterinnen Dr. Marx und Dr. von Pückler für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. Juni 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung einer Anzahlung für eine Pauschalreise. Die Beklagte begehrt widerklagend die Zahlung einer Stornierungsgebühr.
Im August 2019 buchte der Kläger für sich und seine Ehefrau bei der Beklagten eine Pauschalreise "Unterwegs an der Costa de la Luz 2020", die vom 21. Oktober bis 4. November 2020 stattfinden und 2.398 Euro kosten sollte. Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.
Mit E-Mail vom 20. August 2020 erklärten der Kläger und seine Ehefrau den Rücktritt von der Reise. Die Beklagte stellte dem Kläger unter Einbehalt der Anzahlung eine restliche Stornierungsgebühr in Höhe von 274,50 Euro in Rechnung.
Die Beklagte sagte die Reise später ab. Dem Begehren des Klägers nach Erstattung der Anzahlung kam sie nicht nach.
Das Amtsgericht hat die Beklagte, soweit für die Revisionsinstanz von Interesse, zur Zahlung von 325 Euro nebst Zinsen verurteilt und ihre auf Zahlung von 274,50 Euro gerichtete Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Das Amtsgericht habe dem Kläger zu Recht einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung zugesprochen und der Beklagten einen die Klageforderung übersteigenden Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung abgesprochen. Die Beklagte könne gegenüber dem Kläger keinen Entschädigungsanspruch geltend machen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung sämtlicher internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
Der Kläger schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet.
2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten und mit der Widerklage geltend machen könnte, nicht ausgeschlossen werden.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2023 - X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom 14. November 2023 - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom 23. Januar 2024 - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom 23. April 2024 - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Juni 2023 - C-407/21, RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom 29. Februar 2024 - C-584/22 RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im Oktober/November 2020.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (EuGH, Urteil vom 29. Februar 2024 - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat der Gerichtshof damit nicht nur über die Frage entschieden, ob der Reisende in der genannten Konstellation zum Rücktritt berechtigt ist. Der Gerichtshof hat sich vielmehr mit der Frage befasst, ob der Reisende berechtigt ist, ohne Zahlung einer Gebühr vom Vertrag zurückzutreten, und entschieden, dass nach dem Rücktritt eingetretene Ereignisse weder zum Wegfall noch zur Begründung eines solchen Rechts führen dürfen (EuGH, Urteil vom 29. Februar 2024 - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 35 - Kiwi Tours).
III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts des Klägers konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Bei diesen Feststellungen wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (BGH, Urteil vom 30. August 2022 - X ZR 66/21, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom 23. Januar 2024 - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2024 - X ZR 79/22, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen (BGH, Beschluss vom 30. August 2022 - X ZR 3/22 Rn. 22).
IV. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.
Wie oben bereits aufgezeigt wurde, hat der Gerichtshof die für die Entscheidung des Streitfalls erheblichen Fragen zur Auslegung von Art. 12 der Richtlinie (EU) 2015/2302 bereits beantwortet. Die gilt auch für die Frage, ob ein Entschädigungsanspruch davon abhängt, dass die Reise tatsächlich durchgeführt wird.
Bacher Hoffmann Deichfuß Marx von Pückler Vorinstanzen: AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 08.02.2022 - 383 C 447/20 (43) LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 23.06.2022 - 2-24 S 47/22 -
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