3 StR 159/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 159/24 BESCHLUSS vom 11. Juni 2024 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:110624B3STR159.24.1 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 11. Juni 2024 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 einstimmig StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 7. November 2023 im gesamten Fall 4 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit Besitz von Schusswaffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Nach den vom Landgericht zu Fall 4 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen lagerte der Angeklagte in einem Wohnzimmerschrank 273 Gramm Amphetamin mit rund 5 Gramm Amphetaminbase. In einem anderen Zimmer seiner Wohnung hatte er eine Aufzuchtanlage für acht Cannabispflanzen eingerichtet. Dort befanden sich noch vier Pflanzen, nachdem er wenige Tage zuvor andere bereits abgeerntet hatte; deren Blütenstände trocknete er in einem gesonderten Zelt. Insgesamt handelte es sich um über ein Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 141 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). Der Angeklagte beabsichtigte, jeweils 90 Prozent des Amphetamins und Marihuanas gewinnbringend zu veräußern, um seinen Drogenkonsum und Lebensunterhalt zu finanzieren. Mit den restlichen Mengen wollte er seinen Konsum decken.
Zudem bewahrte der Angeklagte im Wohnzimmer, etwa zwei Meter vom Schrank entfernt, eine Pistole nebst mit einer Patrone bestücktem Magazin auf. Die Waffe war grundsätzlich funktionsfähig, zeigte aber bei einem Drittel später vorgenommener Schussversuche Störungen, so dass kein Schuss abgegeben werden konnte und vor einem Nachladen die nicht gezündete Patrone aus dem Magazin entfernt werden musste. Ferner lagerte der Angeklagte in einem - möglicherweise nur mittels einer Tritterhöhung erreichbaren - Küchenoberschrank eine Signalpistole sowie eine ungeladene Flinte. Hierbei handelte es sich um eine ehemalige Salutwaffe, die nachträglich in eine scharfe Schusswaffe verändert worden war.
2. Der den Fall 4 betreffende Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - hinsichtlich des Umgangs mit Amphetamin und Marihuana - sowie in Tatmehrheit dazu wegen Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit Besitz von Schusswaffen hat keinen Bestand. Zum einen ist nach Urteilsverkündung das Cannabisgesetz vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) mit Wirkung vom 1. April 2024 in Kraft getreten; zum anderen erschließt sich die konkurrenzrechtliche Bewertung aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht.
a) Nach diesen Feststellungen kommt in Betracht, dass der Angeklagte des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln beziehungsweise Cannabis schuldig ist und daher die Waffendelikte mit Verstößen gegen das Betäubungsmittel- oder Konsumcannabisgesetz in Tateinheit, nicht in Tatmehrheit stehen.
aa) Ein Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines sonstigen Gegenstandes im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist gegeben, wenn der Täter den Gegenstand in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in seiner Nähe hat, dass er sich dieses jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 445/20, NStZ 2022, 303 Rn. 25 mwN). Der Qualifikationstatbestand setzt zudem voraus, dass der Täter den bei der Tat mit sich geführten Gegenstand, wenn es sich bei diesem nicht um eine Schusswaffe handelt, zur Verletzung von Personen bestimmt hat. Dies ist vom Tatgericht grundsätzlich näher festzustellen und zu begründen, soweit es sich nicht um eine Waffe im technischen Sinne oder eine gekorene Waffe (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG) handelt (s. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 445/20, aaO Rn. 26 f.).
Diese Grundsätze gelten ebenso für das an § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG angelehnte Tatbestandsmerkmal des Führens einer Schusswaffe oder eines zur Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstandes nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG (vgl. BT-Drucks. 20/8704 S. 132; BGH, Beschluss vom 29. April 2024 - 6 StR 132/24, juris Rn. 7). Die nicht geringe Menge Cannabis, auf die sich die Tat nach § 34 Abs. 4 KCanG beziehen muss, ist ab einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC gegeben (vgl. Beschluss vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24 mwN).
Liegt ein bewaffnetes Handeltreiben vor, so stehen damit einhergehende Waffendelikte grundsätzlich in einem funktionellen Zusammenhang und mithin in Tateinheit dazu (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2020 - 1 StR 242/19, StV 2021, 427 Rn. 7; Beschluss vom 24. November 2021 - 2 StR 288/21, StV 2022, 577 Rn. 7).
bb) Daran gemessen ist den Urteilsgründen ein bewaffnetes Handeltreiben in objektiver Hinsicht zu entnehmen. Bei der Pistole, die der Angeklagte rund zwei Meter von dem Wohnzimmerschrank mit Amphetamin entfernt und von den Cannabispflanzen in wenigen Sekunden erreichbar lagerte, handelt es sich um eine grundsätzlich funktionsfähige Schusswaffe im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG. Dass diese gewisse Funktionsstörungen bei mindestens einem Drittel der Schussvorgänge zeigte, ändert an der waffenrechtlichen Einordnung und der Erfüllung des Qualifikationstatbestandes nichts. Insbesondere fehlt es nicht an einer Gefährlichkeit der Pistole, weil es weiter in Betracht kommt, dass sich ein Schuss löst, und dies letztlich vom Zufall abhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1998 - 2 StR 167/98, NJW 1998, 2915, 2916). Da sich ein Magazin mit einer Patrone bei der Waffe befand, war sie auch einsatzbereit.
b) Die hier in Rede stehende Strafbarkeit des Umgangs mit Marihuana ergibt sich nunmehr grundsätzlich aus §§ 34, 2, 1 Nr. 4 und 8 KCanG. Welches Recht für den vor der Gesetzesänderung abgeschlossenen Sachverhalt gemäß § 354a StPO maßgeblich ist, richtet sich danach, ob die bei der Tat oder die nunmehr geltende Rechtslage milder im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist. Dazu ist zu prüfen, welches Gesetz anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt. Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt, etwa ein gesetzlich geregelter besonders oder minder schwerer Fall angenommen wird, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist (s. etwa BGH, Beschluss vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24 mwN).
Für eine etwaige Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) oder mit Cannabis (§ 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG) kommt es darauf an, inwieweit sich die Tat konkret jeweils als ein minder schwerer Fall darstellt; denn die Strafrahmen nach § 34 Abs. 4 KCanG sind gegenüber § 30a BtMG nur insofern günstiger, als die Regelungen für den jeweiligen Qualifikationstatbestand und die minder schweren Fälle direkt verglichen werden. Falls das Tatgericht aber nach den Umständen lediglich einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG, nicht aber nach § 34 Abs. 4 KCanG für gegeben hielte, wäre die Anwendung des § 30a Abs. 3 BtMG milder.
Sofern der Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens nicht vorliegt, ist ein Handeltreiben mit Cannabis - selbst unter Berücksichtigung eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 KCanG - gegenüber einem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a BtMG) für den Angeklagten vorteilhafter. Zu dem Handeltreiben treten hinsichtlich der für den Eigenkonsum bestimmten Menge je nach dem anwendbaren Recht der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) oder der Anbau von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 KCanG) und - bezogen auf das Amphetamin - der Besitz von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG) in Tateinheit hinzu. Daneben sind tatmehrheitlich die - untereinander in Tateinheit stehenden - Waffendelikte verwirklicht.
c) Danach bedarf der unter Fall 4 festgestellte Lebenssachverhalt erneuter tatgerichtlicher Entscheidung. Eine Schuldspruchänderung durch den Senat scheidet mangels näherer Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens und angesichts der vom Tatgericht vorzunehmenden Bewertung möglicher Strafrahmenverschiebungen aus.
3. Die Aufhebung der Verurteilungen unter Fall 4 mitsamt den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) führt zum Wegfall der entsprechenden Einzelstrafen und entzieht somit der Gesamtstrafe die Grundlage. Davon unberührt bleibt die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; denn sie wird bereits durch die verbleibende Straftat getragen.
Sollte das neue Tatgericht lediglich wegen einer einheitlichen Tat unter Fall 4 verurteilen, gebietet das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO), dass die neu festzusetzende Einzelstrafe die Summe der beiden bisherigen nicht überschreitet und die Gesamtstrafe nicht höher ausfällt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 2002 - 1 StR 313/02, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; vom 17. August 2023 - 2 StR 200/23, juris Rn. 16).
4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Berg Paul Hohoff Anstötz RiBGH Dr. Voigt befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben.
Berg Vorinstanz: Landgericht Mainz, 07.11.2023 - 5 KLs 3300 Js 25826/22