5 StR 688/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 688/24 BESCHLUSS vom 12. August 2025 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:120825B5STR688.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. August 2025 gemäß § 349 Abs. 1 und 2 sowie entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 26. März 2024 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte des Mordes schuldig ist. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Die Revisionen der Nebenkläger gegen das genannte Urteil werden als unzulässig verworfen. Jeder Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Körperverletzung mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision führt – dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – zur Änderung des Schuldspruchs auf Mord. Die gegen das Urteil gerichteten Revisionen der Nebenkläger erweisen sich hingegen als unzulässig.
1. Die mit der Sachrüge und Verfahrensrügen geführte Revision des Angeklagten hat keinen Rechtsfehler zu seinen Lasten ergeben (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts). Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte allerdings wegen Mordes schuldig gemacht.
a) Das Schwurgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seine geschiedene Ehefrau H. M. töten wollte. Nach wiederholten Gewalttätigkeiten hatte sich diese vom Angeklagten getrennt und war mit den gemeinsamen Kindern in ein Frauenhaus gegangen; ihr wurde das alleinige Sorgerecht zugesprochen. Gegen behördlichen Rat kehrte sie zum Angeklagten zurück, der ihr einen Sinneswandel und einen Wunsch nach Versöhnung und Fortsetzung der Ehe vorgespiegelt hatte. Tatsächlich hasste er sie und wollte sie unter Vortäuschen einer gemeinsamen Auswanderung aus Rache töten; er fühlte sich durch ihren langen Aufenthalt im Frauenhaus und den Sorgerechtsverlust gedemütigt. Sein Vater übte zudem Druck auf ihn aus, H. M. „aus dem Weg zu schaffen“.
4 Kurz vor einer gemeinsamen längeren Autofahrt von A.
Richtung Polen kaufte der Angeklagte am Nachmittag des 19. November 2021 einen Spaten und eine Hacke, um die Leiche seiner geschiedenen Ehefrau nach der Tat vergraben zu können. Er wollte H. M. auf der Fahrt oder spätestens in Polen töten. In der Nacht zum 20. November 2021 fuhren beide mit einem VW Passat,
in dem er Hacke und Spaten versteckt hatte, von A.
Richtung B. . Weil das vollgepackte Fahrzeug Kühlwasser verlor, tauschte der Angeklagte den Wagen mit einem ihm auf einem Großparkplatz in F.
von seinem Bruder einige Stunden zuvor bereitgestellten anderen Fahrzeug der Marke Suzuki. Entweder hatte der mutmaßlich in die Pläne des Angeklagten eingeweihte Bruder dort zwei Küchenmesser mit Klingenlängen von 12,5 und 20 cm deponiert oder der Angeklagte führte diese bereits versteckt mit sich.
Während des Umladens des im Passat verstauten Gepäcks in den Suzuki wurde H. M. misstrauisch und erkannte die drohende Gefahr. Der Angeklagte entschloss sich gegen 4.30 Uhr, sie vor Ort zu töten. Er saß dabei auf dem Fahrersitz des Suzuki, sie saß angeschnallt auf dem Beifahrersitz. Der Angeklagte stach mit Vernichtungswillen mit dem kleineren der beiden Messer in kurzer Zeit zahlreiche Male auf Kopf, Hals, Rücken und Schulter von H. M. ein. Aufgrund des sogleich eintretenden erheblichen Blutverlustes ging er davon aus, ihr lebensgefährliche Verletzungen zugefügt zu haben. Weil er aufgrund der exponierten Lage des auch nachts frequentierten Parkplatzes in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern seine Entdeckung fürchtete, floh er mit der verletzten Geschädigten im Suzuki. Ihr gelang es, während der Fahrt auf die Rücksitzbank zu klettern, wo sie ihre stark blutenden Wunden zu stillen versuchte.
Auf der Autobahn A 7 hielt der Angeklagte das Fahrzeug aufgrund eines unvorhergesehenen Verhaltens der Geschädigten, das ihn in (Entdeckungs-) Gefahr brachte, auf dem Standstreifen an. Er stieg aus, ging zur auf der Beifahrerseite gelegenen hinteren Tür, öffnete diese und stach wiederum auf H. M. ein. Dabei versetzte er ihr mindestens zwei weitere Stiche, einen bis zum rechten Ohr reichenden Kopfschwartendurchstich und einen in den oberen Rückenbereich geführten Stich, der die Lunge verletzte. Insgesamt erlitt H. M. durch die beiden Angriffe über 40 Stich- und Schnittverletzungen, darunter elf Stichverletzungen am Kopf, eine Stichverletzung an der Halsvorderseite und vierzehn Stichverletzungen der Nacken-, oberen Rücken- und Schulterregion, von denen eine die Brusthöhle eröffnete und den rechten Lungenlappen verletzte. Schon hieran wäre sie ohne ärztliche Versorgung verstorben.
Der verletzten und stark blutenden Geschädigten gelang es in ihrer Verzweiflung und Panik, über einen Kindersitz zu klettern und das Fahrzeug durch die hintere Fahrzeugtür auf der Fahrerseite zu verlassen. In Todesangst rannte sie panisch auf die Fahrbahn. Dort wurde sie auf der Mitte der rechten Fahrbahn frontal von einem etwa 80 bis 90 km/h fahrenden LKW erfasst, überrollt und auf den Standstreifen geschleudert. Sie starb sogleich an den dadurch verursachten schwersten Verletzungen. Der nicht ermittelte LKW-Fahrer, bei dem unklar ist, ob er den Zusammenstoß bemerkt hatte, setzte seine Fahrt fort. Ein solches Verhalten der Geschädigten hatte der Angeklagte nicht für möglich gehalten; dass er sie regelrecht auf die Straße hetzte, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Es war für ihn allerdings vorhersehbar, dass er die Geschädigte durch seinen erneuten Messerangriff zu der hochriskanten Fluchtreaktion aus dem am Autobahnrand stehenden Fahrzeug veranlassen könnte.
Dem Angeklagten gelang es anschließend nicht mehr, das Fahrzeug zu starten und zu fliehen, auch weil der Zündschlüssel verbogen war; die Batterie entleerte sich durch die wiederholten Startversuche. Er konsumierte in den nächsten 45 bis 50 Minuten Bier, Kokain und Pregabalin, während mehrere Fahrzeuge am Tatort vorbeifuhren, ohne anzuhalten. Erst kurz nach 6 Uhr hielt eine Zeugin an, die dem Angeklagten in Annahme eines Unfalls zu Hilfe eilen wollte, von ihm aber mit einem Messer bedroht wurde. Von der Polizei wurde der blutverschmierte Angeklagte kurze Zeit später am Tatort festgenommen, die Tatwaffe in unmittelbarer Nähe aufgefunden.
b) Dieses Geschehen hat das Schwurgericht als versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen (§§ 211, 22 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) und mit Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) gewertet. Ein vollendeter Mord liege nicht vor, weil der Angeklagte das konkret zum Tode führende Geschehen – Überfahren durch einen LKW – tatsächlich nicht vorhergesehen habe; ihm sei es darauf angekommen, die Geschädigte durch weitere Messerstiche zu töten. Der Geschehensablauf sei aber objektiv wie subjektiv vorhersehbar gewesen.
Die Strafe gegen den voll schuldfähig handelnden Angeklagten hat das Schwurgericht dem Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB entnommen. Eine Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB hat es insbesondere deshalb abgelehnt, weil der Tod der Geschädigten kausal auf den Angriff des Angeklagten zurückgehe und er sie bereits lebensgefährlich verletzt habe, als sie vor ihm auf die Autobahn geflüchtet sei.
c) Aus den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen ergibt sich, dass sich der Angeklagte entgegen der Auffassung des Schwurgerichts eines vollendeten Mordes schuldig gemacht hat.
aa) Er hat durch sein Verhalten den Tod von H. M. verursacht, denn ohne seine Messerangriffe wäre sie nicht auf die Fahrbahn geflüchtet und dort tödlich verunglückt. Dieser Ursachenzusammenhang wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sie auf eigene Initiative aus dem Fahrzeug auf die Fahrbahn geflüchtet ist und todesursächlich letztlich das Überfahren durch den LKW-Fahrer war.
(1) Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Ein Ursachenzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Demgegenüber verliert eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht, wenn außer ihr noch andere Ereignisse zur Herbeiführung des Erfolges beitragen. Ob die weitere Ursache durch das Opfer, einen Dritten oder den Täter selbst gesetzt wird, ist dabei ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2021 – 3 StR 394/20 mwN).
(2) Nach diesen Maßstäben war das Überfahren durch den LKW Folge des Handelns des Angeklagten. Denn diese neue Ursachenreihe setzte unmittelbar an das von Tötungsabsicht getragene rechtswidrige Verhalten des Angeklagten an und baute auf diesem auf. Die ursprüngliche Bedingung war damit nicht beseitigt, sondern wirkte fort (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 – 3 StR 463/07 Rn. 21).
(3) Um eine diesen Zusammenhang etwa durchbrechende bewusste eigenverantwortliche Selbstgefährdung handelte es sich bei der panikartigen Flucht der schwer verletzten Geschädigten auf die Autobahn nicht (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 8. September 1993 – 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322). Denn nur durch das Verlassen des Fahrzeugs in diese Richtung konnte sie weiteren Angriffen des von der anderen Seite mit Vernichtungswillen gegen sie agierenden Angeklagten entgehen.
bb) Der Todeserfolg war auch vom Vorsatz des Angeklagten erfasst. Durch die im Auto geführten Messerstiche wollte er sein Opfer töten. Dass H. M. nicht hierdurch, sondern durch einen Unfall mit einem LKW zu Tode kommt, stellt sich nach den Feststellungen des Schwurgerichts lediglich als unwesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf dar.
(1) Eine Divergenz zwischen dem eingetretenen und dem vom Täter gedachten Geschehensablauf ist für die rechtliche Bewertung regelmäßig dann unbeachtlich, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 4. März 2021 – 5 StR 509/20, NStZ 2022, 224; vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141, 146 jeweils mwN).
(2) Diese Voraussetzungen hat das Landgericht festgestellt: Es war für den Angeklagten vorhersehbar, dass seine erneuten Messerangriffe im Wagen zu einer Fluchtreaktion von H. M. führen und sie hierdurch angesichts des Standorts des Wagens auf die befahrene Autobahn geraten würde. H. M. s panische Flucht vor den tödlichen Messerstichen hielt sich im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren. Angesichts der vom Schwurgericht festgestellten Tatumstände, die es auch seiner Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung zugrunde gelegt hat, ist eine andere Bewertung der Tat durch die dargelegte Abweichung im Kausalverlauf nicht gerechtfertigt.
cc) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2022 – 5 StR 479/22, NStZ 2023, 231 mwN). Er ist demnach eines vollendeten Mordes nach § 211 StGB schuldig. Die tateinheitlich verwirklichten Körperverletzungsdelikte treten hinter diesen Schuldspruch zurück. Die Rechtsfolge, die das Schwurgericht verhängt hat, hat es bereits dem Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB entnommen.
d) Der Senat stellt den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst um. Er ist hieran nicht durch das Verschlechterungsverbot gehindert, weil sich dieses nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nur auf die Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat, nicht aber auf den Schuldspruch bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 8 f. mwN). Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil dem Angeklagten schon mit der Anklageschrift ein vollendeter Mord vorgeworfen wurde.
2. Die jeweils lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründeten Revisionen der Nebenkläger erweisen sich mangels Angabe eines zulässigen Angriffsziels als unzulässig.
Nach § 400 Abs. 1 StPO kann ein Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Die Begründung seiner Revision muss daher erkennen lassen, dass er mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt, also einen bisher unterbliebenen Schuldspruch des Angeklagten (auch) wegen einer Straftat, welche die Berechtigung zum Anschluss an das Verfahren begründet; wird eine derartige Präzisierung bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht vorgenommen, ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2023 – 5 StR 546/23 mwN).
Cirener Mosbacher Köhler von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Flensburg, 26.03.2024 - I Ks 106 Js 27046/21