VIa ZR 706/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 706/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:120825UVIAZR706.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. August 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen, die Richter Dr. Ostwaldt, Dr. Tausch und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. April 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Juli 2016 von einem Dritten einen gebrauchten Mercedes-Benz GLE 250d 4MATIC, der mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
Die Klägerin hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden begehrt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Hinsichtlich der von der Klägerin gerügten Einrichtungen könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht festgestellt werden. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe ebenfalls nicht, weil die Vorschriften nicht dem Schutz von Individualinteressen dienten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Tausch Brenneisen Pastohr Ostwaldt Vorinstanzen: LG Bielefeld, Entscheidung vom 29.01.2021 - 4 O 23/20 OLG Hamm, Entscheidung vom 13.04.2022 - I-3 U 52/21 - Verkündet am: 12. August 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle