XII ZB 450/23
BUNDESGERICHTSHOF XII ZB 450/23 Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein BESCHLUSS vom 22. Januar 2025 in der Familiensache ZPO §§ 51 Abs. 2, 53, 85 Abs. 2, 233 D Einem Verfahrensbeteiligten ist ein Verschulden seines Betreuers gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 51 Abs. 2 ZPO nur dann zuzurechnen, wenn der Betreuer in das Verfahren eingetreten ist und es für den Beteiligten als dessen gesetzlicher Vertreter (fort)führt (Fortführung von BGH Beschlüsse vom 23. Oktober 2019 - I ZB 60/18 - FamRZ 2020, 441 und vom 3. Januar 2020 - AnwZ (Brfg) 26/19 - juris).
BGH, Beschluss vom 22. Januar 2025 - XII ZB 450/23 - OLG Hamm AG Dortmund ECLI:DE:BGH:2025:220125BXIIZB450.23.0 Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel beschlossen:
Der Antragsgegnerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§§ 113 Abs. 1, 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 ZPO). Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 9. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Dezember 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: bis 5.000 €
Gründe: A.
Die Antragsgegnerin begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde.
Die im September 2005 geborene Antragstellerin, die nach der Trennung und Scheidung ihrer Eltern seit Anfang 2020 im Haushalt ihres Vaters lebt, ist die Tochter der Antragsgegnerin. Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet, ab dem 1. Dezember 2020 an die Antragstellerin Kindesunterhalt iHv 100 % des Mindestunterhalts entsprechend der jeweiligen Altersstufe abzüglich staatlichen Kindergeldes gemäß § 1612 b Abs. 1 BGB zu zahlen. Gegen den Beschluss, der ihren erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten am 8. September 2022 zugestellt worden ist, hat die Antragsgegnerin durch ihre zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten mit einem am 14. November 2022 beim Oberlandesgericht und am 17. November 2022 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, diese kurz begründet und zugleich beantragt, ihr in die abgelaufenen Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags hat sie ausgeführt, laut Mitteilung ihrer erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten hätten diese den Beschluss an sie, die Antragsgegnerin, sowie an ihren mit Beschluss vom 14. Juni 2022 bestellten Betreuer weitergeleitet. Ihr, der Antragsgegnerin, sei keine Abschrift des Beschlusses zugegangen. Erst am 28. Oktober 2022 habe ihr jetziger Ehemann eine Textnachricht vom Kindesvater erhalten, in welcher der Kindesvater auf den Beschluss eingegangen sei. Eine Nachfrage unter anderem am 7. November 2022 beim Betreuer, der eine Postumleitung auf sich eingerichtet habe, habe ergeben, dass dieser nach Eingang des Beschlusses nichts veranlasst habe, da er nach eigenen Angaben vordringliche Haftsachen habe erledigen müssen und den Beschluss darüber vergessen habe.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.
B.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
I.
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 111 Nr. 8, 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Auch wenn die Beschwerde der Antragsgegnerin noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den isolierten, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2024 - XII ZB 573/23 FamRZ 2024, 1703 Rn. 5 mwN). Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung die Verfahrensgrundrechte der Antragsgegnerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip), wonach es den Gerichten verboten ist, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2024 - XII ZB 255/24 - juris Rn. 6 mwN), sowie auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Antragsgegnerin könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, weil sie nicht ohne ihr Verschulden an der Fristwahrung verhindert gewesen sei. Es liege bereits keine Verhinderung vor. Eine solche scheide aus, soweit eine Fristversäumung in Kenntnis und mit Billigung oder zumindest Inkaufnahme der damit bewirkten Folgen verwirklicht werde. Vorliegend hätten sowohl der Betreuer als auch die erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin trotz Kenntnis der - aufgrund zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung auch erkennbaren - laufenden Rechtsmittelfrist von der Veranlassung der Beschwerdeeinlegung Abstand genommen. Das Verhalten ihrer Verfahrensbevollmächtigten und ihres Betreuers müsse sich die Antragsgegnerin zurechnen lassen.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Das Beschwerdegericht hat allerdings zutreffend die gemäß §§ 63 Abs. 1, Abs. 3, 113 Abs. 1 FamFG iVm § 222 Abs. 2 ZPO am 10. Oktober 2022, einem Montag, ablaufende Frist zur Einlegung der Beschwerde als versäumt angesehen. Des Weiteren ist die Beschwerde nicht innerhalb der gemäß § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG am 8. November 2022 ablaufenden Frist begründet worden. Hiergegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
b) Die Rechtsbeschwerde macht dagegen mit Recht geltend, dass sich mit den Erwägungen des Beschwerdegerichts die Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht begründen lässt.
aa) Nach §§ 113 Abs. 1, 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde einzuhalten. Das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten und seines gesetzlichen Vertreters ist, wie das Beschwerdegericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ausführt, dem Beteiligten zuzurechnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 85 Abs. 2, 51 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2024 - XII ZB 411/23 - juris Rn. 16 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Wiedereinsetzungsantrag die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumung beruht. Besteht nach diesen von dem Beteiligten glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten beziehungsweise seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (Senatsbeschluss vom 31. Juli 2024 - XII ZB 573/23 - FamRZ 2024, 1703 Rn. 9 mwN).
bb) Die Antragsgegnerin war nach ihrem im Rechtsbeschwerdeverfahren als wahr zu unterstellenden Vorbringen aufgrund der Unkenntnis von der erstinstanzlichen Entscheidung an der rechtzeitigen Einlegung und Begründung der Beschwerde verhindert.
(1) Danach lässt sich schon eine - ihr nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende - schuldhafte Verletzung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht feststellen.
(a) Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts gehört es, im Rahmen des ihm Zumutbaren dafür zu sorgen, dass seine Mitteilungen den Mandanten zuverlässig und rechtzeitig erreichen. Bezüglich einer instanzabschließenden Entscheidung hat der Verfahrensbevollmächtigte seinen Mandanten unter Übersendung der Entscheidung darüber zu unterrichten, ob, in welchem Zeitraum, in welcher Weise und bei welchem Gericht gegen eine solche Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Dies hat so rechtzeitig - zweckmäßigerweise sofort nach Eingang der Entscheidung - zu erfolgen, dass der Beteiligte den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels auch unter Berücksichtigung einer ausreichenden Überlegungsfrist noch innerhalb der Rechtsmittelfrist erteilen kann (vgl. BGH Beschlüsse vom 20. Oktober 2020 - VIII ZA 15/20 - juris Rn. 16 mwN und vom 18. Juli 2017 - VI ZR 52/16 - NJW-RR 2017, 1210 Rn. 12 mwN).
(b) Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin haben ihre erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten noch am Tag der Zustellung - und damit rechtzeitig - den amtsgerichtlichen Beschluss an sie und ihren Betreuer unter Hinweis auf die laufenden Rechtsmittelfristen weitergeleitet. Dies beinhaltete eine ausreichende Unterrichtung. Einer gesonderten Nachfrage bei der Antragsgegnerin, ob sie den Beschluss erhalten habe, bedurfte es nicht, sodass die Verfahrensbevollmächtigten kein Verschulden traf.
(2) Die Rechtsbeschwerde rügt auch zu Recht, dass der Antragsgegnerin ein Verschulden ihres Betreuers nicht nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 51 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden kann.
Nach § 51 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters dem Verschulden der Partei gleich. Die Zurechnung des Verschuldens eines Betreuers setzt jedoch voraus, dass dieser als gesetzlicher Vertreter im Verfahren auftritt und dieses für den Vertretenen (fort-)führt (vgl. BGH Beschlüsse vom 23. Oktober 2019 - I ZB 60/18 - FamRZ 2020, 441 Rn. 44 mwN und vom 3. Januar 2020 - AnwZ (Brfg) 26/19 - juris Rn. 3). Denn ein Betreuter wird gemäß § 53 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung bzw. im Falle einer Ausschließlichkeitserklärung gemäß § 53 Abs. 2 ZPO in der ab dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung nur dann einer prozessunfähigen Person gleichgestellt, wenn er im Verfahren durch seinen Betreuer, dessen Aufgabenkreis die Verfahrensführung des Betroffenen in der jeweiligen Angelegenheit umfassen muss (vgl. OLG Hamm Urteil vom 10. August 2022 - 11 U 197/21 - juris Rn. 7 mwN), vertreten wird.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Antragsgegnerin wurde im Unterhaltsverfahren nicht durch ihren im Juni 2022 und damit erst im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens bestellten Betreuer vertreten. Denn es ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass der Betreuer in das Verfahren eingetreten ist und es für die Antragsgegnerin als deren gesetzlicher Vertreter fortgeführt hat. Der Betreuer hat sich insbesondere nicht durch die Stellung von Anträgen oder durch inhaltliche Stellungnahmen aktiv am Verfahren beteiligt (vgl. BGH Beschluss vom 3. Januar 2020 - AnwZ (Brfg) 26/19 - juris Rn. 3; BSG FamRZ 2013, 1801 Rn. 3). Soweit er die Antragsgegnerin im Verfahren unter anderem durch seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unterstützt hat, genügt dies allein für die Übernahme der Verfahrensführung nicht (vgl. Gottwald FamRZ 2022, 331 mwN; Bienwald BtPrax 2018, 184 mwN).
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat in Bezug auf § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO darauf hin, dass die in der Beschwerdeschrift enthaltenen Ausführungen den Begründungserfordernissen nach § 117 Abs. 1 ZPO (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. August 2024 - XII ZB 386/23 - FamRZ 2024,
Rn. 11 und vom 5. Dezember 2018 - XII ZB 418/18 - FamRZ 2019, 378 Rn. 7 f. mwN) genügen dürften.
Guhling Krüger Klinkhammer Recknagel Botur Vorinstanzen: AG Dortmund, Entscheidung vom 30.08.2022 - 105 F 3414/20 OLG Hamm, Entscheidung vom 12.12.2022 - II-9 UF 155/22 -