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IV ZR 127/22

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 127/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 19. Juli 2023 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2023:190723UIVZR127.22.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 2. Juni 2023 für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten und unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Rechtsmittel werden das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 25. März 2022 teilweise aufgehoben und das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 29. September 2021 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen Dr. med. A M S und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer … bis zum

31. März 2021 unwirksam sind:

a) im Tarif S H

(7 ) für Dr. med.

AM S die Beitragsanpassung zum

1. Januar 2012 in Höhe von 22,66 €; b) im Tarif A H

(7 ) für Dr. med.

dent. W S die Beitragsanpassung zum

1. Januar 2012 in Höhe von 18,42 €.

2. Es wird festgestellt, dass Dr. med. A M S

nicht zur Tragung des jeweiligen Erhöhungsbetrages aus den folgenden Erhöhungen des Monatsbeitrags in den nachfolgenden Zeiträumen verpflichtet war:

a) im Tarif S H

(7 ) für Dr. med.

AM S aus der Beitragsanpassung zum

1. Januar 2012 in Höhe von 22,66 € vom 1. Januar 2017 bis zum 31. März 2021; b) im Tarif A H

(7 ) für Dr. med.

dent. W S aus der Beitragsanpassung zum 1. Januar 2012 in Höhe von 18,42 € vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2017.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.263,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2021 zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vom 1. Januar 2017 bis zum 4. Januar 2021 aus den Prämienanteilen gezogen hat, die auf die unter 2. aufgeführten Beitragserhöhungen in den dort genannten Zeiträumen gezahlt worden sind.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 91 % und die Beklagte zu 9 %. Die Kosten des Berufungsrechtsstreits tragen der Kläger zu 96 % und die Beklagte zu 4 %.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 77 % und die Beklagte zu 23 %.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 6.000 € festgesetzt.

In Abänderung der Streitwertfestsetzung der Vorinstanzen wird der Streitwert des Verfahrens erster und zweiter Instanz auf bis 35.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

2 Die Ehefrau des Klägers Dr. A M S hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten, in der der Kläger sowie An -M S und J S mitversichert sind. Dem Versicherungsvertrag liegen für die Tarife 7 (Dr. A M S ) sowie 7 und 7

(An -M S ) Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten-Gruppenversicherung (Teil I - Allgemeine Bedingungen - Gruppenversicherung B

) (im Folgenden: AVB B

)

zugrunde, die folgende Regelung enthalten:

"§ 30 Unter welchen Voraussetzungen können Beitrag, Selbstbeteiligung und ein vereinbarter Risikozuschlag angepasst werden?

(1) Voraussetzungen Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich unsere Leistungen z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleichen wir zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Sterbewahrscheinlichkeiten für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]

(2) Absehen von einer Beitragsanpassung Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch uns und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist. […]"

3 Den Tarifen 7 und 7 (Dr. A M S und Kläger)

lag eine im Wesentlichen übereinstimmende Regelung in § 8b Teil I der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskostenund Krankenhaustagegeld-Gruppenversicherung (Teil I - Allgemeine Versicherungsbedingungen B1

) (im Folgenden: AVB B1

) zugrunde.

Die Beklagte teilte unter anderem folgende Beitragserhöhungen mit:

- zum 1. Januar 2012 für Dr. A M S im Tarif S H (7 ) um 22,66 € und für den Kläger im Tarif A H

(7 ) um 18,42 €

- zum 1. Januar 2015 für den Kläger im Tarif 7 um 13,30 €

- zum 1. Januar 2016 für den Kläger im Tarif 7 um 19,98 €

- zum 1. Januar 2017 für Dr. A um 7,13 €

M S im Tarif 7

- zum 1. Januar 2019 für Dr. A M S im Tarif 7 um 22,47 €, für den Kläger im Tarif 7 um 15,07 € und für An -M S im Tarif 7 um 0,90 €

- zum 1. Januar 2020 für Dr. A M S im Tarif 7 um 19,85 € und im Tarif 7 um 18,86 € und für An -M S im Tarif 7 um 0,61 €

Die Ehefrau des Klägers trat sämtliche Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis wegen unwirksamer Beitragserhöhungen an ihn ab. Soweit für die Revision noch von Interesse hat der Kläger mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 17.509,58 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, herauszugeben und zu verzinsen hat. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und "die Klägerseite" nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2.793,69 € nebst Zinsen seit dem 5. Januar 2021 verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind - die Beitragserhöhungen zum

1. Januar 2012 aber nur bis zum 31. März 2021 - und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war, allerdings hinsichtlich der Beitragsanpassungen für Dr. A M S im Tarif 7 zum 1. Januar 2012 nur vom 1. Januar 2017 bis zum 31. März und im Tarif 7 zum 1. Januar 2019 nur bis zum 31. März 2019, für den Kläger im Tarif 7 zum 1. Januar 2012, 1. Januar 2015 und 1. Januar nur vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 sowie für An - M S im Tarif 7 zum 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2019.

Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vom 1. Januar 2017 bis zum

4. Januar 2021 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die genannten Beitragserhöhungen gezahlt hat. Mit der Berufung hat die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung mit Ausnahme der Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen zum 1. Januar 2012 und der fehlenden Verpflichtung zur Zahlung der Erhöhungsbeträge daraus weiterverfolgt. Der Kläger hat seine zunächst eingelegte Berufung zurückgenommen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung wie in der Berufungsinstanz weiter.

Entscheidungsgründe: 8 Die Revision hat überwiegend Erfolg.

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Erhöhungen zum

1. Januar 2015, 1. Januar 2016, 1. Januar 2017, 1. Januar 2019 und 1. Januar 2020 unwirksam seien. Da die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei diesen Beitragsanpassungen über 5 %,

aber unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wären diese nur dann wirksam, wenn sie auf der Grundlage von § 30 AVB B bzw. § 8b AVB B1 wirksam hätten erfolgen können. Beide Regelungen seien unwirksam. Nach dem eindeutigen Wortlaut werde dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Dies widerspreche der gesetzlichen Regelung. Unabhängig davon räumten § 8b Abs. 1 AVB B1 bzw. § 30 AVB B dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige. Aus der Unwirksamkeit dieser Erhöhungen sowie zweier weiterer zum 1. Januar folge die Verpflichtung zur Rückzahlung von Beiträgen in Höhe von insgesamt 2.793,69 € nebst Zinsen sowie zur Herausgabe der hieraus im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 4. Januar 2021 gezogenen Nutzungen.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die genannten Prämienerhöhungen mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.

a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom

22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich § 30 Abs. 2 AVB B und § 8b Teil I Abs. 2 AVB B1 entspricht, unwirksam (vgl. Senatsurteil vom

22. Juni 2022 aaO Rn. 31 f.), aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 - und ebenso von Absatz 1 der hier zugrundeliegenden Klauseln - unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 33 ff.).

13 b) Auch § 30 Abs. 1 Satz 4 AVB B und § 8b Teil I Abs. 1 Satz 4 AVB B1 weichen nicht entgegen § 208 Satz 1 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers von der gesetzlichen Regelung in

§ 203 Abs. 2 VVG ab. § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG erlaubt die Festsetzung eines zusätzlichen Schwellenwerts

- neben der gesetzlichen 10 % - Grenze - in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, bei dessen Überschreitung durch den Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen der Versicherer zu einer Prämienanpassung berechtigt, aber noch nicht verpflichtet wird (vgl. auch OLG Karlsruhe VersR 2023, 768 [juris Rn. 66]; OLG Dresden VersR 2023, 717 [juris Rn. 14]; OLG Zweibrücken, Beschluss vom

21. November 2022 - 1 U 55/22, juris Rn. 5; OLG Hamburg VersR 2022, 565 [juris Rn. 110]; Haase-Uhländer in Bach/Moser, PKV 6. Aufl. § 8b MB/KK Rn. 39; Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 203 Rn. 23a; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 203 Rn. 12; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 808; BeckOK-VAG/Franz/ Frey, § 155 Rn. 48 [Stand: 1. Juni 2023]; a.A. OLG Köln, Urteil vom 4. März 2022 - 20 U 106/21, juris Rn. 46; Klimke in Boetius/Schäfer/ Rogler, Rechtshandbuch Private Krankenversicherung § 31 Rn. 97; BeckOK-VVG/Gramse, § 203 Rn. 23a [Stand: 1. Mai 2023]; Brand in Brand/Baroch Castellvi, VAG § 155 Rn. 26).

aa) § 203 Abs. 2 VVG berechtigt den Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage zur Neufestsetzung der Prämie und verweist dafür in Satz 4 auf § 155 VAG in Verbindung mit der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV). § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG legt dazu den gesetzlichen Schwellenwert von 10 % fest, bei dessen Überschreitung durch eine Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen der Versicherer alle Prämien des betreffenden Tarifs zu überprüfen und bei einer nicht nur vorübergehenden Abweichung anzupassen hat. Der Wortlaut der Vorschrift lässt dabei noch unterschiedliche Deutungen zu, da er dem Versicherer die Möglichkeit eröffnet, in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einen geringeren Prozentsatz als 10 % vorzusehen, ohne eindeutig festzulegen, ob dieser den gesetzlichen Schwellenwert - mit der damit verbundenen Verpflichtung zur Prämienanpassung - ersetzen muss oder auch neben diesen treten darf.

bb) Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG jedoch als Öffnungsklausel wirken, die den Versicherer berechtigt,

bereits unterhalb der Schwelle zur zwingenden Prämienanpassung eine Überprüfung und Neukalkulation der Prämien vorzunehmen, ohne ihn insoweit zu verpflichten. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass die Versicherungsunternehmen - zur Vermeidung großer Prämiensprünge - in den Versicherungsbedingungen einen geringeren Schwellenwert mit der Maßgabe festlegen können, dass sie berechtigt sind, bereits beim Überschreiten dieses geringeren Wertes die Prämien zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen (vgl. BT-Drucks. 12/6959, S. 62 zur Vorgängerregelung in § 12b VAG a.F.). Der Gesetzgeber wollte damit das zuvor in den Prämienanpassungsklauseln geregelte und als bewährt angesehene Verfahren im Kern beibehalten (vgl. aaO). Dieses frühere Verfahren sah aber in den - aufsichtsrechtlich genehmigten - Tarifbedingungen bereits vor, dass alle Tarifbeiträge überprüft und ggf. angepasst werden müssen, wenn die Gegenüberstellung von erforderlichen und kalkulierten Versicherungsleistungen eine Veränderung von mehr als 10 % ergibt, während diese bei einer Änderung von mehr als 5 % (nur) angepasst werden können (vgl. § 8c Abs. 1 Tarifbedingungen 1976; zitiert nach MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 754).

cc) Dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung entspricht auch den versicherungsaufsichtsrechtlichen Normen im Übrigen. So geht § 17 Abs. 1 Satz 2 KVAV ebenfalls von der Möglichkeit aus, dass der in den Versicherungsbedingungen festgelegte Prozentsatz überschritten, jedoch von einer Neukalkulation abgesehen wird.

c) Die Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen. Unangemessen ist die Benachteiligung, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (Senatsurteil vom 26. Januar 2022 - IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344 Rn. 43). So liegt es hier nicht.

Die Klausel erlaubt unter den dort genannten Voraussetzungen eine Anpassung der Prämien, d.h. sowohl eine Erhöhung als auch eine Senkung, ohne den Versicherer insoweit dazu zu verpflichten. Dieses Prämienanpassungsrecht des Versicherers soll aber vorrangig die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge gewährleisten (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 2018 - IV ZR 255/17, BGHZ 220, 297 Rn. 44; vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 326 [juris Rn. 8]). In diesem Sinne dient die Berechtigung zur Prämienanpassung nicht der Durchsetzung eigener Interessen des Versicherers zu Lasten des Versicherungsnehmers, sondern auch den Belangen der Versichertengemeinschaft. Die Berechtigung zur Vornahme von Prämienanpassungen bereits unterhalb der gesetzlichen Höchstschwelle für die Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen soll gerade zu stetigen Anpassungen führen, um große Prämiensprünge zu vermeiden (vgl. BTDrucks. 12/6959, S. 62).

Die Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln in anderen Vertragstypen (vgl. BGH, Urteile vom 31. Juli 2013 - VIII ZR 162/09, BGHZ 198, 111 Rn. 39 ff.; vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257 Rn. 18 ff.) ist hier nicht übertragbar. Die Klausel sieht kein einseitiges Recht des Versicherers vor, Kostensteigerungen oder Zinsentwicklungen "nach billigem Ermessen" an den Versicherungsnehmer weiterzugeben. Das Prämienanpassungsrecht des Versicherers und die Erteilung der Zustimmung durch den Treuhänder unterliegen nicht dem weiten Maßstab des billigen Ermessens, sondern den durch die genannten Rechtsvorschriften geregelten, ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen Vorgaben (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 328 [juris Rn. 13]). § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 VAG und ergänzende Prämienanpassungsklauseln wie die hier zugrundeliegenden beschränken die Möglichkeit des Versicherers, für ihn ungünstige Veränderungen der Rechnungsgrundlagen nach § 2 KVAV durch Prämienanpassungen auszugleichen. Nur bei zwei dieser Rechnungsgrundlagen - den Versicherungsleistungen und den Sterbewahrscheinlichkeiten kann eine Abweichung der tatsächlichen von den kalkulierten Werten zum auslösenden Faktor einer Prämienanpassung werden, da der Gesetzgeber Veränderungen der weiteren Rechnungsgrundlagen, bei denen seiner Ansicht nach Veränderungen im Wesentlichen auf einer Unternehmensentscheidung beruhen, nicht zum Anlass einer Neukalkulation werden lassen wollte (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 113). Erst wenn es - ausgelöst durch einen dieser Faktoren - überhaupt zu einer Neukalkulation kommt, werden dabei alle Rechnungsgrundlagen berücksichtigt. Nach dem aufsichtsrechtlich geregelten Prämienanpassungsverfahren führen daher Kostensteigerungen auch nicht unmittelbar zu Prämiensteigerungen oder Kostensenkungen zu Prämiensenkungen. Eine Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen nach oben oder unten kann bei der Neukalkulation anhand aller Rechnungsgrundlagen jeweils zu einer Anpassung der Prämie nach oben oder unten führen (vgl. Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 203 Rn. 23b; HK-VVG/Marko, 4. Aufl. § 203 Rn. 7). Die dem Versicherer durch die Klausel eröffnete Möglichkeit, bereits früher ein Prämienanpassungsverfahren durchzuführen, ist daher in beide Richtungen offen.

2. Der Rückzahlungsanspruch beschränkt sich daher auf die Prämienanteile, die auf die Erhöhungen zum 1. Januar 2012 für den Kläger im Tarif 7 vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 in Höhe von

221,04 € (12 Monate x 18,42 €) und für Dr. A M S im Tarif 7 vom 1. Januar 2017 bis 14. Oktober 2020 in Höhe von 1.042,36 €

(22,66 € x 46 Monate), d.h. insgesamt in Höhe von 1.263,40 € gezahlt wurden. Obgleich der Zahlungsanspruch in vollem Umfang Gegenstand der Revision ist, ist die Nichtzahlungspflicht für diese Beitragserhöhungen im landgerichtlichen Urteil rechtskräftig festgestellt worden und daher für den Rückzahlungsanspruch zugrunde zu legen; dass laut Tenor des landgerichtlichen Urteils der Kläger - den ohnehin keine Beitragspflicht trifft, da er nicht Versicherungsnehmer ist - zur Zahlung nicht verpflichtet sein soll,

ist als Nichtzahlungspflicht der Versicherungsnehmerin auszulegen. Der Betrag ist - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.

3. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Herausgabepflicht der Beklagten auf die Nutzungen beschränkt, die vom 1. Januar 2017 bis zum 4. Januar 2021 gezogen wurden; für diesen Zeitraum wurden weder Zinsen zugesprochen noch ist der Herausgabeanspruch verjährt. Die Zahlungszeiträume, bezüglich derer gezogene Nutzungen herauszugeben sind, folgen der rechtskräftig festgestellten Nichtzahlungspflicht für die Beitragserhöhungen zum 1. Januar 2012.

III. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für das Verfahren der Vorinstanzen beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanzen: LG Köln, Entscheidung vom 29.09.2021 - 23 O 387/20 OLG Köln, Entscheidung vom 25.03.2022 - 20 U 195/21 -

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Paragraphen in IV ZR 127/22

Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit Paragraph
4 30 AVB
4 155 VAG
4 203 VVG
2 8 AVB
2 307 BGB
1 63 GKG
1 12 VAG
1 208 VVG

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