VIa ZR 407/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 407/23 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:040225UVIAZR407.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring und Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht
- hinsichtlich der landgerichtlichen Verurteilung zu 1 in Höhe eines Betrags von 30.715,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, höchstens jedoch von 4 % jährlich hieraus seit 26. Juli 2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des in der Verurteilung zu 1 näher bezeichneten Fahrzeugs
- hinsichtlich der landgerichtlichen Verurteilung zu 2, 3 und 4 sowie
- hinsichtlich des Antrags auf Feststellung der Erledigung bezüglich weiterer 654,36 €
betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zu seinem Nachteil erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb im Juni 2013 einen gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug arbeitet die Abgasrückführung unter anderem temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert (sogenanntes Thermofenster). Außerdem ist die Funktion einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) implementiert.
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, dem Kläger den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie Deliktszinsen zu erstatten Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs (Tenor zu 1). Es hat außerdem den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt (Tenor zu 2), die Beklagte zur Zahlung beziehungsweise Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt (Tenor zu 3) und schließlich festgestellt, dass der Rechtsstreit in Höhe von 108,67 € erledigt ist (Tenor zu 4). Auf die Berufung der Beklagten und nach Rücknahme der Klage hinsichtlich der Deliktszinsen sowie der einseitigen Erledigungserklärung in Höhe von weiteren 654,36 € hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils nach Maßgabe der zuletzt in der Berufungsinstanz gestellten Anträge an.
Entscheidungsgründe:
Die auf deliktische Ansprüche beschränkte und insoweit uneingeschränkt zugelassene (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f. mwN) Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Dabei könne in rechtlicher Hinsicht offenbleiben, ob es sich bei der unstreitig temperaturgesteuerten Abgasrückführung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Bezogen auf das sogenannte Thermofenster sei weder ein Täuschungsvorsatz von Repräsentanten der Beklagten noch ein Irrtum auf Seiten des Kraftfahrt-Bundesamts im EGTypgenehmigungsverfahren ersichtlich. Auch aus einem Rückruf wegen der KSR ergäbe sich ohne zusätzliche Umstände kein tatsächlicher Anhaltspunkt für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere bereits daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien. II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Vogt-Beheim Messing F. Schmidt Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 31.10.2019 - 7 O 242/19 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 28.02.2023 - 16a U 397/19 - VIa ZR 407/23 Verkündet am: 4. Februar 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle