2 Ni 68/11 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 68/11 (EP) (Aktenzeichen)
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IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
25. Juli 2013 …
In der Patentnichtigkeitssache BPatG 253 08.05
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betreffend das europäische Patent 0 739 521 (DE 695 23 567)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2013 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Sredl, der Richter Merzbach, Dipl.-Phys. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Maile, Dipl.-Phys. Dr. rer. nat Schwengelbeck und des Richters k. A. Dipl.-Ing. Altvater für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 0 739 521 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervenientin trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 14. November 1995 unter Inanspruchnahme einer US-Priorität (US 340 084) vom 14. November 1994 in englischer Sprache angemeldeten und mit Datum 31. Oktober 2001 veröffentlichten europäischen Patents EP 0 739 521 B1 mit der Bezeichnung „Method of splitting handwritten input“, welches vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 695 23 567 mit der deutschen Bezeichnung „Verfahren zur Handschrift-Eingangsaufteilung" geführt wird.
Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung 2 Patentansprüche. Der erteilte unabhängige Patentanspruche 1 lautet in der englischen Originalfassung:
„A method for facilitating recognition of handwritten input, comprising the steps of: receiving: electronics data comprising a series of data points that correspond to an original handwritten input of continuous segments and recognized words that correspond to said original handwritten input of continuous segments evaluated together: displaying the recognized words; receiving user selection input comprising a split instruction: automatically determining a split position generating discrete continuous segments Sx and Sy on either side of said split position; receiving recognized words that correspond to each of discrete continuous segments Sx and Sy evaluated separately; and displaying said recognized words that correspond to discrete continuous segments Sx and Sy.”
sowie in deutscher Übersetzung
„Ein Verfahren zur Erleichterung der Erkennung handschriftlicher Eingaben, das die folgenden Schritte aufweist: Empfang elektronischer Daten, die eine Folge von Datenpunkten aufweisen, die einer ursprünglich handschriftlichen Eingabe aus kontinuierlichen Segmenten entsprechen, und erkannte Wörter, die der ursprünglich handschriftlichen Eingabe aus kontinuierlichen Segmenten entsprechen, die zusammen evaluiert wurden; Anzeige der erkannten Wörter; Empfang einer Anwenderauswahleingabe, die eine Aufteilungsanweisung aufweist; und bei Empfang der Aufteilungsanweisung automatische Bestimmung einer Aufteilungsposition und Erzeugung einzelner kontinuierlicher Segmente Sx und Sy auf beiden Seiten der Aufteilungsposition; Empfang erkannter Wörter, die jedem der einzelnen kontinuierlichen Segmente Sx und Sy, die getrennt evaluiert wurden; und Anzeige der erkannten Wörter, die jedem der einzelnen kontinuierlichen Segmente Sx und Sy entsprechen.“
Der hiervon abhängige Anspruch 2 lautet im englischen Original:
„A method for facilitating recognition of handwritten input according to claim 1, the method further comprising the steps of: Parsing the series of data points into a series of strokes generating a map of the largest value for each of the values of the smalles gaps of each stroke as compared to every other stroke; wherein upon generating a value greater than zero splitting said one or more continuous segments at a split stroke number Tx, said split stroke number having the largest value of said maps among the total number of strokes; generating at least one discrete continuous segment Sx incorporating the strokes from the first stroke TO to the split stroke number Tx; and generating at least one discrete continuous segment Sy incorporating the strokes from a first stroke equal to split stroke number plus one, Tx+1, to a final stroke equal to Tend.”
bzw. in der deutschen Übersetzung
„Ein Verfahren zur Erleichterung der Erkennung handschriftlicher Eingaben nach Anspruch 1, und das Verfahren weiter die folgenden Schritte aufweist: Zergliedern der Folge von Datenpunkten in eine Folge von Schreibzügen und Erzeugung einer Karte des größten Wertes für jeden der Werte der kleinsten Lücken eines jeden Schreibzuges im Vergleich mit jedem anderen Schreibzug; wobei bei Erzeugung eines Wertes größer Null dieser eine oder mehrere kontinuierliche Segmente bei einer Aufteilungsschreibzugnummer Tx aufgeteilt werden, und die Aufteilungsschreibzugnummer den größten Wert der Karten unter der gesamten Anzahl von Schreibzügen hat; Erzeugung von wenigstens einem einzelnen kontinuierlichen Segment Sx, das die Schreibzüge von einem ersten Schreibzug bis zur Aufteilungsschreibzugnummer Tx verkörpert; und Erzeugung von wenigstens einem einzelnen kontinuierlichen Segment Sy, das die Schreibzüge von einem ersten Schreibzug, welcher der Aufteilungsschreibzugnummer plus Eins entspricht, Tx+1, bis zu einem letzten Schreibzug, der Tende entspricht, verkörpert.“
Die Klägerin macht geltend, dass der Gegenstand des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht hinausgehe, Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ i. v. m. Art. II § 6 (1) Nr. 3 IntPatÜG. Die Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Form habe nur einen einzigen Anspruch umfasst. Während des Prü- fungsverfahrens seien wesentliche Teile des ursprünglichen Anspruchs 1 gestrichen worden, und es sei ein Anspruch 2 formuliert worden, der diese, aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 gestrichenen Merkmale, weitgehend umfasse. Der Anspruch 1 in seiner erteilten, breiten Fassung, sei allerdings ursprünglich weder im allgemeinen Teil der Beschreibung noch in den Ausführungsbeispielen offenbart worden, insbesondere sei den eingereichten Unterlagen an keiner Stelle zu entnehmen, dass die Merkmale, die während des Erteilungsverfahrens aus Anspruch 1 gestrichen worden seien, nicht wesentlich oder erforderlich für die vermeintliche Erfindung seien.
Darüber hinaus enthalte der erteilte Anspruch 1 Merkmale, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbart seien. Der Begriff „automatically“, der in dem Merkmal „automatically determining a split position“ enthalten sei, werde an keiner Stelle der ursprünglich eingereichten Unterlagen, weder in der Beschreibung noch in den Ansprüchen, erwähnt.
Ferner offenbare das Europäische Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Art. 138 Abs. 1 lt. b EPÜ i. V. m. Art. II § 6 (1) Nr. 2. IntPatÜG).
Der Gegenstand des Streitpatents sei zudem auch nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ).
Dazu verweist die Klägerin auf folgende Druckschriften aus dem Prüfungsverfahren
(E1) US 4 680 804 - entspricht Dokument (NK5) (E2) US 4 764 972 (E3) US 5 001 765 (E4) US 5 287 415
(E5) US 5 321 768 - entspricht Dokument (NK4) (E6) US 5 481 625 (E7) US 4 718 102 (E8) US 4 998 626 (E9) US 5 005 205 (E10) US 5 315 667 (E11) US 5 452 371 und (E12) Pattern Recognition, Rome, November 14-17, 1988, Vol. 2, No. 1988 sowie weiter auf die von ihr im Nichtigkeitsverfahren neu genannten Druckschriften
(NK1) (NK1-a) (NK1-b) (NK2) (NK3) (NK4) (NK5) (NK6) und
(NK6-a)
JP 04-336688, veröffentlicht am 24. November 1992 Beglaubigte deutsche Übersetzung der Fig. 2 des Dokuments NK1 in deutscher Übersetzung US 5 216 725, veröffentlicht am 1. Juni 1993 US 5 231 698, veröffentlicht am 27. Juni 1993 US 5 321 768, veröffentlicht am 14. Juni 1994 US 4 680 804, veröffentlicht am 14. Juli 1987 Isolating Individual Handwritten Characters; e.G. Leedham P.D. Friday; IEE Colloquium on Character Recognition and Application; veröffentlicht am 2. Oktober 1989 Veröffentlichungsnachweis zu Dokument NK6 und trägt sinngemäß vor, dass der Streitpatentgegenstand aus der NK1 (i. V. m. der eingereichten beglaubigten deutschen Übersetzung NK1-b) bzw. der NK3 neuheitsschädlich vorbekannt sei.
Darüber hinaus sei dem Fachmann der Gegenstand des Anspruchs 2 aus der Kombination der Druckschriften NK1 und NK2 bzw. NK3 in Kombination mit dem Wissen des Fachmanns bzw. der Kombination der Druckschriften NK3 und NK2 nahegelegt.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent EP 0 739 521 B1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Nebenintervenientin, die dem Verfahren mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2011 auf Seite der Klägerin beigetreten ist, schließt sich dem Antrag der Klägerin an.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise hat die Beklagte das Streitpatent zunächst auf Grundlage eines als Anlage B2 zum Schriftsatz vom 27. Februar 2013 eingereichten Hilfsantrages (Bl. 247 – 248 d. A.) verteidigt. In der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2013 hat sie einen neuen Hilfsantrag vorgelegt, der den mit Schriftsatz vom 27. Februar 2013 vorgelegten Hilfsantrag ersetzt.
Hilfsweise beantragt die Beklagte, dem Streitpatent die Fassung des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrages neuer Fassung zu geben.
Danach verteidigt die Beklagte das Streitpatent beschränkt auf Grundlage eines geänderten Patentanspruchs 1.
Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags lautet (mit markierten Änderungen gegenüber Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung):
„A method for facilitating recognition of handwritten input, whereas the handwritten input is alphanumeric, the writing axis is horizontal and the writing direction ist left to the right, comprising the steps of:
a) receiving: (i) electronics data comprising a series of data points that correspond to an original handwritten input of continuous segments and (ii) recognized words that correspond to said original handwritten input of continuous segments evaluated together:
b) displaying the entire original handwritten input together with displaying recognized words in close juxtaposition to each other; c) receiving user selection input comprising a split instruction:
d) automatically determining a split position generating discrete continuous segments Sx and Sy on either side of said split position; e) receiving recognized words that correspond to each of discrete continuous segments Sx and Sy evaluated separately; and f) displaying said recognized words that correspond to discrete continuous segments Sx and Sy; and g) displaying the entire handwritten input in accordance with the split recognized words in close juxtaposition to the recognized words that correspond to discretz continiuos segments sx und sy.”
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie hält den Gegenstand des Streitpatents für schutzfähig, jedenfalls in der Fassung des Hilfsantrags. Sie hält den Gegenstand des Streitpatents für ursprünglich offenbart, ausführbar und patentfähig, denn zum einen seien dessen Merkmale den ursprünglichen Anmeldeunterlagen unmittelbar und eindeutig zu entnehmen und zum anderen offenbare das Streitpatent die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Zudem seien die Gegenstände der Ansprüche 1 und neu und beruhten auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig. Auch die erfolgte Nebenintervention ist gemäß § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. §§ 66 ff. ZPO zulässig. Die Nebenintervenientin hat das erforderliche rechtliche Interesse am Beitritt auf Klägerseite dargetan, indem sie darauf hingewiesen hat, dass sie in einem Verfahren vor dem Landgericht München (Az.: 7 O 238/11) aus dem Streitpatent als Verletzungsbeklagte in Anspruch genommen wird. Ein rechtliches Interesse am Beitritt auf Klägerseite hat, wer selbst aus dem Streitpatent im Wege einer Verletztungsklage in Anspruch genommen wird (vgl. Busse-Keukenschrijver, Patentgesetz, 7. Aufl., § 81 Rdnr. 116).
I.
Die Klage, mit der neben dem Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ) auch die Nichtigkeitsgründe der unzureichenden Offenbarung sowie der unzulässigen Erweiterung (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1 lit. b und c) EPÜ) geltend gemacht werden, ist auch begründet, denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung liegt der Widerrufsgrund einer unzulässigen Erweiterung vor, da die Gegenstände der Patentansprüche nach Haupt- und Hilfsantrag über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen. Die Frage der Ausführbarkeit und der Neuheit oder erfinderischen Tätigkeit der Gegenstände der geltenden Patentansprüche kann daher dahinstehen (vgl. BGH GRUR 1991, 120, 121 li. Sp. Abs. 3 - „Elastische Bandage“).
II.
1. Der in der mündlichen Verhandlungen von der Beklagten vorgelegte Hilfsantrag war nicht als verspätet zurückzuweisen.
Die durch das 2009 in Kraft getretene Patentrechtsmodernisierungsgesetz (PatRModG) erfolgte Neufassung des § 83 PatG und die damit in das Nichtigkeitsverfahren eingeführten Präklusionsregeln sehen zwar grundsätzlich die Möglichkeit vor, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Hierfür ist es aber stets erforderlich, dass dieser Vortrag tatsächliche oder rechtliche Fragen aufkommen lässt, die in der mündlichen Verhandlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klären sind (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 315). Kann das an sich verspätete Vorbringen dagegen noch ohne Weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden, ohne dass es zu einer Verfahrensverzögerung kommt, liegen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor. So liegt der Fall hier. Der der nach dem nunmehr geltenden Hilfsantrag beanspruchte Gegenstand enthält nur geringfügige, sich aus der Erörterung des Sach- und Streitstandes in der mündlichen Verhandlung ergebende Korrekturen gegenüber dem innerhalb der im qualifizierten Hinweis vom 8. November 2012 gesetzten und bis zum 28. Februar 2012 verlängerten Frist zur Stellungnahme nach § 83 Abs. 2 PatG Hilfsantrag (Bl. 247 – 248 d. A.) eingereichten Hilfsantrag gemäß Anlage B2 zum Schriftsatz vom 27. Februar 2013. Zudem war das Streitpatent auch in der beschränkt verteidigten Anspruchsfassung nach dem Hilfsantrag, zu dem die Klägerin ohne Rüge der Verspätung sachlich Stellung genommen hat, aus den nachfolgend noch im Einzelnen dargelegten Gründen für nichtig zu erklären, so dass die Berücksichtigung des Hilfsantrags von vornherein nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen konnte.
2. Ausweislich der erteilten Beschreibung bezieht sich das Streitpatent im Allgemeinen auf Erkennung von Handschrift, und im Besonderen auf Auswahleingabe und Edition von einzelnen kontinuierlichen Segnenten handschriftlicher Eingaben.
a) Ein Beispiel für die derzeitige Anwendung von maschineller Erkennung menschlicher Handschrift findet sich bei den so genannten „Personal Digital Assistants" oder anderen Arten von stiftbasierten Computergeräten. Typischerweise haben diese Arten von Produkten berührungsempfindliche Bildschirme, auf die ein Anwender Handschrift legen kann. Diese Geräte funktionieren dann so, dass sie die handschriftlichen Eingaben digitalisieren, wie etwa alphanumerische Eingaben, und danach verarbeiten sie die Eingaben mit dem Versuch, den Informationsgehalt der Handschrift zu erkennen.
Ein erhebliches Problem mit der maschinellen Erkennung menschlicher Handschrift ist die Fähigkeit, das Ende einer Eingabe und den Anfang der nächsten Eingabe zu erkennen, beispielsweise in der Lokalisierung des Endes eines handschriftlich eingegebenen Segmentes, Wortes oder einer alphanumerischen Eingabe, abgegrenzt vom Anfang des nachfolgend handschriftlich eingegebenen Segmentes, Wortes oder einer alphanumerischer Eingabe. Eine schlechte Erkennung handschriftlicher Eingaben führt zu einer schlechten, ungenauen Interpretation de Informationsgehaltes der handschriftlichen Eingaben.
Die maschinelle Erkennung handschriftlicher Eingaben könnte dabei beim bekannten Stand der Technik fälschlicherweise ein oder mehr Segmente der handschriftlichen Eingabe zu einem Segment zusammenführen und diese als ein einziges einzelnes Segment erkennen. Alternativ könnte ein Anwender das Bedürfnis verspüren, ein oder mehrere handschriftlich eingegebene Segmente aufzuteilen, nachdem solche Segmente als ein einziges einzelnes handschriftlich eingegebenes Segment eingegeben wurden.
b) Von diesem Stand der Technik ausgehend ist es Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren zur Handschrifterkennung anzugeben, welches es einem Anwender oder einem Eingabegerät erlaubt, eine Eingabeeditionsanweisungsauswahl einzugeben, die dem Anwender oder dem Eingabegerät erlaubt, ein oder mehrere kontinuierliche Segmente aufzuteilen, um ein oder mehrere einzelne kontinuierliche Segmente für Erkennung und Anzeige zu bilden, wodurch eine genauere Interpretation des Informationsgehaltes der handschriftlichen Eingaben bereitgestellt wird.
3. Diese Aufgabe wird durch das Verfahren des erteilten Anspruchs 1 gelöst, der in deutscher Übersetzung und mit einer Merkmalsgliederung versehen gemäß Streitpatent folgendermaßen lautet:
„Ein Verfahren zur Erleichterung der Erkennung handschriftlicher Eingaben, das die folgenden Schritte aufweist:
a) Empfang (i) elektronischer Daten, die eine Folge von Datenpunkten aufweisen, die einer ursprünglich handschriftlichen Eingabe aus kontinuierlichen Segmenten entsprechen,
und (ii) erkannte Wörter, die der ursprünglich handschriftlichen Eingabe aus kontinuierlichen Segmenten entsprechen, die zusammen evaluiert wurden; b) Anzeige der erkannten Wörter; c) Empfang einer Anwenderauswahleingabe, die eine Aufteilungsanweisung aufweist; und d) bei Empfang der Aufteilungsanweisung automatische Bestimmung einer Aufteilungsposition und Erzeugung einzelner kontinuierlicher Segmente Sx und Sy auf beiden Seiten der Aufteilungsposition; e) Empfang erkannter Wörter, die jedem der einzelnen kontinuierlichen Segmente Sx und Sy, die getrennt evaluiert wurden; und Anzeige der erkannten Wörter, die jedem der einzelnen kontinuierlichen Segmente Sx und Sy entsprechen.“
Der hiervon abhängige Anspruch 2 lautet in der deutschen Übersetzung (mit angefügten Gliederungspunkten):
„Ein Verfahren zur Erleichterung der Erkennung handschriftlicher Eingaben nach Anspruch 1, und das Verfahren weiter die folgenden Schritte aufweist:
g) Zergliedern der Folge von Datenpunkten in eine Folge von Schreibzügen und Erzeugung einer Karte des größten Wertes für jeden der Werte der kleinsten Lücken eines jeden Schreibzuges im Vergleich mit jedem manderen Schreibzug; wobei h) bei Erzeugung eines Wertes größer Null dieser eine oder mehrere kontinuierliche Segmente bei einer Aufteilungsschreibzugnummer Tx aufgeteilt werden, und die Aufteilungsschreibzugnummer den größten Wert der Karten unter der gesamten Anzahl von Schreibzügen hat; i) Erzeugung von wenigstens einem einzelnen kontinuierlichen Segment Sx, das die Schreibzüge von einem ersten Schreibzug bis zur Aufteilungsschreibzugnummer Tx verkörpert; und j) Erzeugung von wenigstens einem einzelnen kontinuierlichen Segment Sy, das die Schreibzüge von einem ersten Schreibzug, welcher der Aufteilungsschreibzugnummer plus Eins entspricht, Tx+1, bis zu einem letzten Schreibzug, der Tende entspricht, verkörpert.“
4. Als zuständiger Fachmann ist ein berufserfahrener, in der Entwicklung von Schrifterkennungssystemen bewanderter Diplom-Informatiker mit Hochschulabschluss anzusehen III.
Die Gegenstände der geltenden Ansprüche nach Hauptantrag bzw. nach Hilfsantrag gehen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).
1. In den beiden verteidigten Fassungen des Anspruchs 1 nach Hauptantrag bzw. Hilfsantrag wird die automatische Bestimmung einer Aufteilungsposition be- ansprucht (vgl. jeweils das Merkmal d)). Eine automatische Bestimmung einer Aufteilungsposition ist den ursprünglichen Unterlagen jedoch nicht zu entnehmen.
So offenbaren die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen dem Fachmann lediglich, dass eine Aufteilungsposition bei kontinuierlichen Segmenten auf der Basis einer Eingabe („selection input“) eines Benutzers („user“) vorgenommen werden kann, wodurch ein Zergliedern ermöglicht wird („continous segments S1, S2, and S3 are parsed“; vgl. Ursprungsanmeldung WO 96/15507, S. 6, Z. 35, bis S. 7, Z. 11). Entgegen der von der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung, dass ein Zergliedern bzw. „Parsing“ als manueller Vorgang für den Fachmann nicht sinnvoll erscheine und vielmehr eine automatische Bestimmung der Aufteilungsposition bzw. „split position“ allein sinnvoll sei, lässt der in der Ursprungsanmeldung offenbarte Schritt eines Zergliederns gerade offen, wie dieser Schritt zu erfolgen hat. Beispielsweise kann dies auch über eine erneute Abfrage, verbunden mit einer erneuten Eingabe in Form eines iterativen Zergliederungsverfahrens erfolgen, so dass – unabhängig von der Frage einer möglichen Patentverletzung durch diese Ausgestaltung – die angegebene Textstelle nicht zwingend ein auch automatisches Bestimmen einer Aufteilungsposition offenbart (vgl. hierzu auch BGH GRUR 2009, S. 382, 1. und 2. Leitsatz – „Olanzapin“). Eine automatische Bestimmung einer Aufteilungsposition ist den ursprünglichen Anmeldeunterlagen des Streitpatents damit nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend zu entnehmen. Der Fachmann muss in diesem Zusammenhang vielmehr eine weitergehende nicht selbstverständliche Erkenntnis dem ursprünglichen Inhalt der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen hinzufügen. Dies begründet jedoch den Tatbestand einer unzulässigen Erweiterung (vgl. BGH GRUR 2010, 509 „Hubgliedertor I“ und BGH GRUR 2010, 910 „Fälschungssicheres Dokument“).
Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass die Patentinhaberin selbst noch im Prüfungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt mit Schriftsatz vom 5. Januar 2001 Bedenken dahingehend geäußert hat (Bl. 54 VA), dass die von der Prüfungsstelle vorgeschlagene – und nachfolgend im Rahmen der Patenterteilung beibehaltene – Formulierung „automatically determining a split position“ mit dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht übereinstimme.
Insofern liegt mit dem nachträglich aufgenommenen Merkmal einer automatischen Bestimmung einer Aufteilungsposition sowohl beim Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag wie auch bei dem entsprechenden Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag eine unzulässige Erweiterung der Ursprungsoffenbarung vor. Die beiden Ansprüche 1 nach Haupt- und Hilfsantrag sind somit nicht zulässig.
2. Mit den nicht zulässigen Ansprüchen 1 nach Hauptantrag bzw. Hilfsantrag fallen auch die auf diese Ansprüche jeweils rückbezogenen abhängigen Ansprüche 2, da deren Gegenstände durch den Rückbezug ebenfalls zwangsläufig eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung aufweisen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Sredl zugleich für Herrn Ri. Maile, der wegen Abordnung an das DPMA an der Unterschrift gehindert ist.
Merzbach Maile Dr. Schwengelbeck Altvater prö