AK 82/24
BUNDESGERICHTSHOF AK 82/24 BESCHLUSS vom 16. Oktober 2024 in dem Strafverfahren gegen alias:
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ECLI:DE:BGH:2024:161024BAK82.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers am 16. Oktober 2024 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.
Gründe:
I. 1 Der Angeklagte ist am 2. April 2024 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. März 2024 (OGs 35/24) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. 2 Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich im Zeitraum von Juli 2012 bis Mitte 2015 in der syrischen Region Deir ez-Zor in zwei Fällen als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland - der „Katibat Abu Bakr al-Siddiq“ (KABaS) und dem „Islamischen Staat“ (IS) - beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit jeweils insbesondere darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB),
Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1, § 53 StGB.
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat wegen dieses Tatvorwurfs unter dem 19. Juli 2024 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Am 13. September 2024 hat der Staatsschutzsenat das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Der Beginn der Hauptverhandlung ist für den 31. Oktober 2024 vorgesehen.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Gegenstand des besonderen Haftprüfungsverfahrens ist der in dem vollzogenen Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts enthaltene Tatvorwurf. Ob darüber hinaus die in der Anklageschrift aufgenommene Erweiterung des dem Angeklagten angelasteten Sachverhalts dahin, er habe Mitte 2015 Deir ez-Zor verlassen und sich nach Aleppo begeben, wo er bis Ende 2016 dem IS als Kämpfer zur Verfügung gestanden habe und für diesen als Verwaltungskraft tätig gewesen sei, von der Haftprüfung umfasst ist (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2020 - AK 17/20 Rn. 4, vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, juris Rn. 8 f. mwN; vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22), kann dahinstehen. Der im Haftbefehl umschriebene Vorwurf trägt bereits für sich betrachtet die Fortdauer der Untersuchungshaft.
2. Der Angeklagte ist der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ kam es in Syrien zunehmend zu Demonstrationen der Zivilbevölkerung gegen die syrische Regierung, welche repressiv und gewaltsam gegen Oppositionelle, Demonstranten und Regimekritiker vorging. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand. Zu den Hauptakteuren der Aufständischen in Syrien zählte die im Juli 2011 als loser Dachverband für die Widerstandsgruppen entstandene Freie Syrische Armee (FSA), die kein ausgeprägtes ideologisches Profil besaß. Der bewaffnete Aufstand erfasste Anfang 2012 schließlich weite Teile des Landes und weitete sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg aus. In dem Konflikt bekämpften sich die syrischen Streitkräfte, unterstützt durch militärisch aufgerüstete Sicherheitskräfte und Milizen, einerseits und quasi-militärisch organisierte, mit Kriegswaffen ausgestattete Rebellengruppen andererseits. Auch in der Region Deir ez-Zor kam es zu vielfachen (quasi-)militärischen Auseinandersetzungen, die den vom syrischen Regime kontrollierten Militärflughafen von Deir ez-Zor umfassten.
Der FSA gelang es hierbei nicht, die zentrale Kontrolle über die einzelnen Widerstandgruppierungen zu übernehmen. In der Region Deir ez-Zor bildeten sich verschiedene eigenständige Organisationen, die sich an dem bewaffneten Kampf gegen das syrische Regime beteiligten, hierunter die „Katibat Abu Bakr al-Siddiq“ (KABaS), deren offizielles Gründungsdatum mit dem 29. Mai 2012 angegeben wird.
Die KABaS war, wie verschiedene weitere in Syrien an den dortigen Kampfhandlungen beteiligten Gruppierungen, als Bataillon nach dem ersten der sogenannten vier rechtgeleiteten Kalifen „Abu Bakr“ benannt, der den Beinamen
„al Siddiq“ (der Aufrichtige) trägt. Am 29. Mai 2012 bekannte sich die Organisation, die aus ehemaligen Offizieren und Soldaten der syrischen Armee bestand, in einem im Internet veröffentlichten Video zur FSA und zum Militärrat der Revolutionäre von Deir ez-Zor. Bei dem genannten Militärrat handelte sich es um ein koordinierendes Gremium, dem mehrere bewaffnete regimefeindliche Gruppierungen angehörten, die zur FSA zählten. Sie hatten unterschiedliche, teils nationalistische, teils islamistische, Ausrichtungen. Zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr 2012 schloss sich die KABaS der ebenfalls zum Militärrat von Deir ez-Zor gehörenden „Liwa al-Fath“ an. Diese war ein Bündnis verschiedener kleinerer Gruppen, die nach ihrem Namen und Auftreten vorwiegend islamistisch geprägt waren und von denen einige als Erkennungszeichen die vom IS verwendete schwarze Fahne mit dem Prophetensiegel nutzten.
Das Ziel der KABaS war der gewaltsame Sturz der syrischen Regierung. Ihre Mitglieder waren hierbei islamistisch ausgerichtet. Wie der Organisationsname, die verwendeten Logos, die Parolen und Slogans ihrer Kämpfer zeigen, nahm der Islam sunnitischer Prägung als identitätsstiftendes Merkmal für die Angehörigen der Gruppierung einen hohen Stellenwert ein. Nach dem Selbstverständnis der Organisation waren ihre Kämpfer „Mujahidin“ (Kämpfer im Sinne des bewaffneten Dschihad). Sie kooperierte zudem ihrerseits mit Gruppierungen islamistischer Ausrichtung. Anführer der KABaS war zunächst der frühere Oberleutnant Hamam Turki Ramadan, ab Anfang 2014 Hain Issa al-Hamadi und nach dessen Tod Maad Al Matar.
Das Bataillon verfügte über Mitglieder im mindestens zweistelligen Bereich, die als Kämpfer auf mehrere nach lokalen „Märtyrern“ benannte, jeweils von einem „Oberleutnant“ befehligte Kompanien aufgeteilt waren. Ausgestattet waren die Kämpfer mit Sturmgewehren, Maschinengewehren, Mörsern und vereinzelt mit schweren Waffen, hierunter ein Schützenpanzer.
Die KABaS agierte regional, vor allem in der zu der Provinz Deir ez-Zor gehörenden Umgebung von Mu Hassan, aus der ein Großteil der Kämpfer stammte. Neben den bewaffneten Auseinandersetzungen um den Militärflughafen war sie an Kämpfen im Bereich des Ölfeldes von Al-Taim und der Erstürmung des Zentralgefängnisses von al-Mayadin beteiligt. Hierbei setzte die Gruppierung zum Kampf gegen die syrische Regierung auch Sprengsätze ein, um eine möglichst große Anzahl von Gegnern zu töten.
Im Juni 2014 kam es in der Region um Mu Hassan/Deir ez-Zor zu einer Machtübernahme durch den „Islamischen Staat“ (IS), welche die Auflösung der KABaS zur Folge hatte. Den Mitgliedern der Gruppierung verblieb allein die Wahl, die Waffen niederzulegen, das Gebiet zu verlassen oder sich dem IS anzuschließen.
bb) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.
Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS alBaghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seitdem ernannte die Organisation mehrere Nachfolger, die ebenfalls getötet wurden.
Dem Anführer des IS unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging er Massaker an Zivilisten und Terroranschläge außerhalb seines Machtbereichs. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.
Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz - sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.
Inzwischen agiert der IS ferner außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und ist für fortwährende terroristische Aktivitäten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai (ISPS), West- und Zentralafrika (ISPW und ISPZ) sowie in der von ihm sogenannten Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan (ISPK) verantwortlich.
cc) Der Angeklagte schloss sich ab Juli 2012 der KABaS und ab der Machtübernahme im Juni 2014 dem IS an. Für beide Gruppierungen wurde er aktiv tätig und trug auf diese Weise dazu bei, im Tatzeitraum ihre jeweilige Herrschaft in der Provinz Deir ez-Zor zu sichern.
(1) Der Angeklagte war für die KABaS als Kämpfer und Scharfschütze tätig. Er nahm - bewaffnet mit einem Maschinengewehr BKC, einer Kalaschnikow oder einem Schnellfeuergewehr FN FAL - in dem Zeitraum von Dezember 2012 bis April 2013 mindestens an vier Gefechten um den zu dieser Zeit mit Waffengewalt umkämpften Militärflughafen Deir ez-Zor teil. Zudem fungierte er als „rechte Hand“ des Anführers Hamam Turki Ramadan und repräsentierte hierbei die Organisation in den sozialen Medien, um weitere Personen für den Kampf und den Anschluss an die KABaS zu gewinnen.
(2) Nach der Machtübernahme des IS schloss sich der Angeklagte diesem an und leistete den Treueeid. Er agierte in der Folgezeit in der Region Mu Hassan/Deir ez-Zor als „rechte Hand“ des örtlichen IS-Verantwortlichen und „Emirs“.
In dieser Funktion verhandelte er insbesondere für den IS in Bezug auf den von diesem gesuchten sowie später festgehaltenen S. mit dessen Familie über eine Zahlung, verkaufte für den IS Gasflaschen an die Bevölkerung und trug damit zur Finanzierung der Organisation bei.
b) Der dringende Tatverdacht folgt zu den Organisationen der KABaS und des IS und ihrer Rolle im syrischen Bürgerkrieg, speziell in der Provinz Deir ezZor, aus islamwissenschaftlichen Gutachten sowie verschiedenen polizeilichen Vermerken und Ermittlungsberichten. Hinzu kommen insbesondere für die KABaS Erkenntnisse aufgrund von Aussagen aus der Provinz Deir ez-Zor stammender Zeugen und von Videoaufnahmen, die zudem Gegenstand der sachverständigen Beurteilung gewesen sind.
Die Erkenntnisse zu der Eingliederung des Angeklagten erst in die Organisation der KABaS und anschließend in diejenige des IS sowie seinen dort jeweils entfalteten Tätigkeiten gründen zunächst maßgeblich auf den Angaben eines Zeugen, der den Angeklagten als IS-Kämpfer und vormaligen Angehörigen der KABaS namentlich benannte, zu diesem Bildmaterial zur Verfügung stellte und ihn schließlich nach dessen Einreise in die Bundesrepublik im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage wiedererkannte. Die Angaben werden gestützt durch die im Rahmen der Strukturermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse, hierbei insbesondere die Angaben weiterer Zeugen, eine auf der Festplatte eines Zeugen aufgefundene Mitgliederliste der KABaS, ausgewertetes Bild- und Videomaterial sowie zu der Frage der Identifizierung des Angeklagten eingeholte Sachverständigengutachten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl und die Anklageschrift Bezug genommen.
c) In rechtlicher Hinsicht ist der Angeklagte danach der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 53 StGB dringend verdächtig.
aa) Die KABaS ist - ebenso wie der IS - auf Grundlage des nach dem gegenwärtigen Beweisstand maßgeblichen Sachverhalts als eine terroristische Vereinigung sowohl im Sinne des § 129a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 129 Abs. 2 StGB nF als auch nach den zuvor von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen zu bewerten. Die für eine Vereinigung nach § 129 Abs. 2 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung erforderlichen Tatbestandsmerkmale in organisatorischer, personeller, zeitlicher und interessenbezogener Hinsicht (s. allgemein BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 19) liegen danach ebenso vor wie die nach der früheren Rechtsprechung maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 23 ff.).
Die KABaS verfügte über einen festen Mitgliederstamm im mindestens zweistelligen Bereich, wies klare Organisations- und Befehlsstrukturen auf und war auf längere Dauer zur von den Mitgliedern anerkannten Verfolgung des übergeordneten Interesses in Gestalt des islamistisch motivierten gewaltsamen Umsturzes der syrischen Regierung angelegt.
Auch ist nach dem vorläufigen Beweisergebnis davon auszugehen, dass es sich bei der KABaS um eine eigenständige Vereinigung und nicht etwa um einen unselbständigen Flügel der FSA handelt. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass sich die Rebellengruppierung zwar nominell zur FSA bekannte, es sich den sachverständigen Feststellungen zufolge bei Letzterer jedoch nicht um eine strukturierte und geführte Armee, sondern allenfalls um einen losen Dachverband handelte.
Angesichts der Zweckrichtung der Organisation, die syrische Regierung durch den gegen ihre Streit- und Sicherheitskräfte gerichteten Einsatz von Waffen, insbesondere auch Sprengsätzen, gewaltsam zu stürzen, ist sie jedenfalls auf die Begehung von Mord und Totschlag ausgerichtet. Diese von ihr bezweckten und ausgeführten Taten sind nicht allgemein gerechtfertigt (vgl. zu den Voraussetzungen eines Kombattantenprivilegs etwa BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 89 f. mwN; Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 265/13, BGHR StGB § 129b Rechtswidrigkeit 1 Rn. 15 ff.).
bb) Der Angeklagte beteiligte sich hochwahrscheinlich - in unverjährter Zeit - an beiden Vereinigungen jeweils als Mitglied, da er sich nach derzeitigem Sachstand einvernehmlich in diese eingliederte und sie durch seine Teilnahme an den bewaffneten Kampfhandlungen der KABaS bzw. als „rechte Hand“ erst des Anführers dieser Organisation und später des örtlichen IS-Verantwortlichen sowie durch seine propagandistischen Auftritte in den sozialen Medien für die KABaS und den Verkauf von Gasflaschen für den IS von innen heraus förderte. Die von der Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 StGB für eine Beteiligung als Mitglied geforderte Teilnahme am Verbandsleben (vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 123 mwN; s. nunmehr BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 20; Beschluss vom 21. April 2022 - AK 18/22, juris Rn. 6 mwN) ist in Ansehung des jeweiligen Tätigkeitsbereichs des Angeklagten ebenfalls anzunehmen.
cc) Die Beteiligungshandlungen des Angeklagten als Mitglied zweier unterschiedlicher Vereinigungen sind als realkonkurrierend zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2021 - AK 13/21, juris Rn. 25 mwN; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 169).
dd) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der Taten des Angeklagten liegt sowohl hinsichtlich der KABaS als auch des IS vor.
ee) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB. Der Anschluss an eine terroristische Organisation ist nach Art. 1 und 3 des syrischen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012 in Syrien mit Strafe bedroht (s. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2023 - StB 73/23, juris Rn. 47; vom 9. März 2022 - AK 6/22, juris Rn. 42 mwN).
3. Es besteht weiterhin aus den in dem Haftbefehl dargelegten Erwägungen gegen den Angeklagten der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 f.) - derjenige der Schwerkriminalität. Für den Angeklagten ist angesichts der hochwahrscheinlichen Mitgliedschaft in zwei terroristischen Vereinigungen und der konkreten Beteiligungshandlungen mit Blick auf die hieraus resultierende erhebliche Straferwartung ein hoher Fluchtanreiz gegeben. Wesentliche fluchthindernde Gesichtspunkte stehen dem nicht gegenüber. Vielmehr leben die Ehefrau und die Kinder des Angeklagten in der Türkei; dieser selbst ist nach eigenen Angaben der türkischen Sprache mächtig und verfügt zudem hochwahrscheinlich noch über Kontakte zum IS.
Unter den gegebenen Umständen ist der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO (analog) erreichbar.
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.
Angesichts des komplexen, zwei terroristische Vereinigungen und mehrere Jahre umfassenden Tatgeschehens in Syrien haben die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen ein Urteil noch nicht zugelassen.
Das Ermittlungsverfahren ist durchgehend mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Es ist bereits Anklage erhoben worden. Das Oberlandesgericht hat der Sache nach Eingang der Anklage durchgängig zügig Fortgang gegeben. Es hat das Hauptverfahren eröffnet und die Termine der ab dem 31. Oktober 2024 beginnenden Hauptverhandlung anberaumt. Hierbei sind bis Ende Juni 2025 40 Hauptverhandlungstage bestimmt. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass das Verfahren weiterhin eine intensive Förderung erfahren wird.
5. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Berg Anstötz