XI ZR 32/24
BUNDESGERICHTSHOF XI ZR 32/24 BESCHLUSS vom 11. Februar 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:110225BXIZR32.24.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, den Richter Dr. Grüneberg, die Richterin Dr. Derstadt, den Richter Dr. Sturm und die Richterin Ettl am 11. Februar 2025 beschlossen: Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. Januar 2024 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 158.728,44 €.
Gründe: I.
Die Klägerin verlangt von der beklagten Sparkasse die Rückzahlung einer von ihr im Zuge einer vorzeitigen Darlehensablösung geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung.
Die Parteien schlossen am 7. August 2002 zwecks Finanzierung eines Grundstückserwerbs der Klägerin ein grundpfandrechtlich gesichertes Darlehen über 900.000 €. Im Juli 2015 verkaufte die Klägerin das finanzierte Objekt vor Ablauf der bis zum 30. Juli 2022 vereinbarten Festzinsbindung, wobei der Kaufpreis von 1,8 Mio. € als Sicherheit zugunsten der Beklagten auf einem Treuhandkonto eines Notars hinterlegt wurde. Aufgrund dessen erteilte die Beklagte die Löschungsbewilligung bezüglich der Grundschuld auf dem verkauften Objekt.
Für die Löschung der Grundschuld verlangte sie neben der Rückzahlung des Darlehens eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 158.728,44 €. Mit E-Mail vom 28. September 2019 äußerte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Wunsch, das Darlehen für die Finanzierung einer anderen Immobilie zu verwenden. Die Klägerin suchte in der Folgezeit nach einem Ersatzobjekt, um einen Sicherheitentausch durchzuführen. Ein erstes in Betracht gezogenes Objekt wurde von der Beklagten wegen eines zu geringen Beleihungswerts abgelehnt. Im Oktober 2015 überwies der Notar auf Anweisung der Beklagten aus dem bei ihm hinterlegten Verkaufserlös die Darlehensvaluta und die verlangte Vorfälligkeitsentschädigung an die Beklagte. Für eine weitere von der Klägerin im September avisierte Immobilie "M.
, F. " holte die Beklagte ein Wertgutachten ein, das einen Marktwert von 1,37 Mio. € und einen Beleihungswert von 894.000 € auswies. Insoweit hatte ein Mitarbeiter der Beklagten gegenüber der Klägerin noch die Übersendung weiterer Unterlagen erbeten. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 teilte Rechtsanwalt D.
unter Vollmachtsvorlage der Beklagten mit, dass ihn die Klägerin mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt habe. Am 26. Oktober 2015 fand ein Telefongespräch zwischen Rechtsanwalt D.
und einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin B.
, statt, dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Mit Schreiben vom 19. November 2015, das die Beklagte nur an die Klägerin gerichtet hatte und dessen Zugang die Klägerin bestreitet, forderte die Beklagte die Klägerin auf, bis zum 15. Dezember 2015 eine gleichwertige Grundschuld für das Darlehen vorzulegen, andernfalls das Darlehen endgültig abgerechnet werde. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 forderte Rechtsanwalt D. die Beklagte auf, dem Sicherheitentausch entsprechend der telefonischen Vereinbarung vom 26. Oktober 2015 zuzustimmen und dies schriftlich zu bestätigen; ferner teilte er mit, dass ein Erwerb des avisierten Grundstücks infolge einer zwischenzeitlichen Veräußerung an einen Dritten gescheitert und der Klägerin dadurch ein erheblicher Schaden entstanden sei. Daraufhin übersandte die Beklagte dem Rechtsanwalt das Schreiben vom 19. November 2015.
Mit der Klage verlangt die Klägerin die Rückzahlung der von der Beklagten vereinnahmten Vorfälligkeitsentschädigung nebst Zinsen und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Sie hat behauptet, die Beklagte habe bei dem Telefonat am 26. Oktober 2015 einem Sicherheitentausch auf die Immobilie "M. , F. " zugestimmt. Unabhängig davon hätte die Beklagte dem Sicherheitentausch auch zustimmen müssen, weil die Sicherheiten gleichwertig seien und der Beklagten hierdurch kein Nachteil entstanden wäre.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen D.
und B.
feststehe, dass die Beklagte im Oktober 2015 mit der Klägerin einen Sicherheitentausch vereinbart habe. Selbst wenn die Parteien einen Sicherheitentausch nicht vereinbart hätten, wäre die Beklagte zur Zustimmung zum Sicherheitentausch verpflichtet gewesen, weil das avisierte neue Objekt einen höheren Marktwert als das alte Objekt aufgewiesen habe. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nach einer erneuten Vernehmung der Zeugin B. die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Zeugin B.
ebenfalls glaubwürdig und ihre Aussage ebenso glaubhaft sei wie die Aussage des in erster Instanz vernommenen Zeugen D.
. Aufgrund dessen sei die Klägerin für ihre Behauptung, die Zeugin B. habe einem Sicherheitentausch zugestimmt, beweisfällig geblieben.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO i.V.m. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267, 274; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; Senatsbeschluss vom 19. März 2019 - XI ZR 9/18, NJW 2019, 2080 Rn. 11 mwN).
2. Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig das Vorbringen der Klägerin zu einer (nebenvertraglichen) Verpflichtung der Beklagten, einem Sicherheitenaustausch zuzustimmen, unberücksichtigt gelassen.
a) Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin zwar bei der Schilderung des Inhalts des erstinstanzlichen Urteils erwähnt. Da es sich dabei um eine eigenständige Begründung des Landgerichts für die Verurteilung der Beklagten gehandelt hat, hätte es dieses Vorbringen aber auch bescheiden müssen. Insoweit hat die Beklagte in der Berufungsbegründung ausdrücklich die Ausführungen des Landgerichts zur Gleichwertigkeit der Ersatzsicherheit angegriffen, während die Klägerin in der Berufungserwiderung an ihrer Auffassung festgehalten hat, dass sie auch im Fall einer fehlenden vertraglichen Vereinbarung jedenfalls einen Anspruch auf Austausch der Sicherheiten gehabt habe. Mit diesem zentralen Vorbringen hat sich das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht befasst. Aufgrund dessen muss davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen hat.
b) Dieser Verfahrensverstoß kann erheblich sein.
aa) Nach § 490 Abs. 2 BGB kann der Darlehensnehmer einen Darlehensvertrag, bei dem der Sollzinssatz gebunden und das Darlehen durch ein Grundpfandrecht gesichert ist, vorzeitig kündigen, wenn seine berechtigten Interessen dies gebieten und seit dem vollständigen Empfang des Darlehens sechs Monate abgelaufen sind. Ein solches Interesse liegt insbesondere vor, wenn der Darlehensnehmer ein Bedürfnis nach einer anderweitigen Verwertung der zur Sicherung des Darlehens beliehenen Sache hat. In einem solchen Fall hat der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber zwar grundsätzlich denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung entsteht (Vorfälligkeitsentschädigung). Nach der Rechtsprechung des Senats bedeutet das aber nicht, dass nicht auch eine erheblich weniger weitreichende Modifizierung des Vertragsinhalts in Betracht kommt, wenn die Veräußerung des belasteten Grundstücks eine Ablösung des Kredits nicht erfordert, sondern dem berechtigten Interesse des Darlehensnehmers an der von ihm gewünschten Verwertung des belasteten Grundstücks schon mit einem bloßen Austausch des vereinbarten Sicherungsmittels bei sonst unverändert fortbestehendem Darlehensvertrag gedient und der Austausch der realkreditgebenden Bank mangels eines schutzwürdigen Eigeninteresses zuzumuten ist. Letzteres ist der Fall, wenn eine vom Darlehensnehmer als Ersatz angebotene Grundschuld das Risiko der realkreditgebenden Bank genauso gut abdeckt wie die im Darlehensvertrag vereinbarte und der Bank alsdann eingeräumte Grundschuld, der Darlehensnehmer bereit und in der Lage ist, alle mit dem Sicherheitenaustausch verbundenen Kosten zu tragen und die Bank auch nicht befürchten muss, etwa bei der Verwaltung oder der Verwertung der Ersatzsicherheit irgendwelche Nachteile zu erleiden (Senatsurteil vom 3. Februar 2004 - XI ZR 398/02, BGHZ 158, 11, 15).
bb) Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Das Landgericht hat dies bejaht, während das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat.
Soweit die Beklagte in der Beschwerdeerwiderung einwendet, sie habe im Fall eines fehlgeschlagenen Zugangs ihres Schreibens vom 19. November jedenfalls schuldlos davon ausgehen können, dass sich die Klägerin auf das Angebot nicht habe einlassen wollen, trifft dies nicht zu, weil die Beklagte aufgrund des Schreibens von Rechtsanwalt D.
vom 14. Dezember 2015,
an den das Schreiben vom 19. November 2015 zuvor nicht gerichtet worden war,
noch vor Ablauf der gesetzten Frist Zweifel an dem Zugang dieses Schreibens haben musste. Erheblich ist allerdings das Vorbringen der Beklagten, eine Grundschuld auf dem von der Klägerin avisierten Grundstück "M.
" sei nicht möglich gewesen, weil ein solcher Erwerb sich mit Blick auf die Finanzierung des Kaufpreises noch gar nicht konkretisiert gehabt habe, sondern bloßer "Wunsch" der Klägerin gewesen sei.
Ellenberger Sturm Grüneberg Derstadt Ettl Vorinstanzen: LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 12.04.2022 - 2-21 O 16/19 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 26.01.2024 - 1 U 116/22 -