1 Ni 10/19 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 10/19 (EP) (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL An Verkündungs Statt zugestellt an Vertreter der Klägerin am 4. März 2019 Vertreter der Beklagten am 5. März 2019
…
In der Patentnichtigkeitssache …
ECLI:DE:BPatG:2019:050319U1Ni10.19EP.0 betreffend das europäische Patent 2 292 860 (DE 50 2010 013 173)
hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 26. Februar 2019 durch die Präsidentin Schmidt sowie die Richterin Grote-Bittner, den Richter Dr.-Ing. Großmann, den Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr.-Ing. Geier und den Richter Dipl.-Ing. Körtge für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 292 860 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Mit ihrer am 5. November 2018 eingereichten Klage begehrt die Klägerin die Nichtigerklärung des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 292 860, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 50 2010 013 173 geführt wird und dessen Erteilung u. a. mit dem Bestimmungsland Bundesrepublik Deutschland am 15. Februar 2017 veröffentlicht worden ist. Das am 11. Juni 2010 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 14. Juli 2009 der deutschen Patentanmeldung 10 2009 033 935 angemeldete Streitpatent trägt die Bezeichnung „Wohndachfenster mit Abdeckblech“.
Das Streitpatent, das vollumfänglich angegriffen wird, umfasst in seiner erteilten Fassung 11 Ansprüche mit einem Hauptanspruch 1 und 10 auf diesen unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüchen. Der Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lautet:
„Wohndachfenster (1) mit einem eine Glasscheibe (3) aufweisenden Flügel (2), der mindestens einen von einem Abdeckblech (5) übergriffenen Rahmenschenkel (4) aufweist, wobei das Abdeckblech (5) einen winkelförmigen Seitenrandbereich (9) aufweist, der über einen auf die Glasscheibe (3) zulaufenden Schenkel (10) verfügt, der eine mit Abstand zur Glasscheibe (3) liegende, ein freies Ende des Abdeckblechs (5) bildende Randkante (11) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass das Abdeckblech (5) benachbart zu seinem Seitenrandbereich (9) eine in Richtung auf die Glasscheibe (3) weisende Abtropfsicke (12) aufweist.“
und wird vom Senat (entsprechend der Merkmalsgliederung der Klägerin) wie folgt gegliedert:
1.1 Wohndachfenster (1) mit einem eine Glasscheibe (3) aufweisenden Flügel (2),
1.2 der mindestens einen von einem Abdeckblech (5) übergriffenen Rahmenschenkel (4) aufweist,
1.3 wobei das Abdeckblech (5) einen winkelförmigen Seitenrandbereich (9) aufweist,
1.4 der über einen auf die Glasscheibe (3) zulaufenden Schenkel (10) verfügt,
1.5 der eine mit Abstand zur Glasscheibe (3) liegende, ein freies Ende des Abdeckblechs (5) bildende Randkante (11) aufweist,
1.6 das Abdeckblech (5) weist benachbart zu seinem Seitenrandbereich (9) eine in Richtung auf die Glasscheibe (3) weisende Abtropfsicke (12) auf.
Wegen des Wortlauts der übrigen erteilten Ansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Das Produkt Wohndachfenster Roto Designo R8 NE der Beklagten wurde auf der Messe Bau 2009, die zwischen dem 12. Januar 2009 und 17. Januar 2009 in München stattfand, vorgestellt und nach der Messe wurden entsprechende Prospekte und Preislisten dieses Produkts an Kunden versandt. Die Klägerin selbst erwarb von der H… GmbH & Co KG zwei Wohndachfenster des Typs Roto Designo R8 NE und des Typs Roto Designo R6 NE Tronic der Beklagten, die ihr am 29. April 2009 geliefert und am 30. April 2009 in Rechnung gestellt wurden.
Die Klägerin, gegen die die Beklagte vor dem Landgericht Mannheim am 30. Juli 2018 Verletzungsklage aus dem Streitpatent erhoben hat, macht den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbG) geltend und verweist zur Stützung ihres Vortrags auf die folgenden Druckschriften:
NK1 Roto Designo R8 NE/R6 NE Preisliste 2009 NK2 Schreiben der R… GmbH vom 23.3.2009 NK3 Rechnung der H… GmbH & Co KG vom 30.4.2009 NK4 Schreiben der R… GmbH vom 18.2.2009 an Kunden NK5 Auszug aus „Gebäude Energieberater“, Februar 2009 NK6 Auszug aus der Zeitschrift „baustofftechnik“, 2/2009, Seite 14 sowie auf mehrere Abbildungen der Wohndachfenster Roto Designo R8/R6 in der Klageschrift.
Nach Auffassung der Klägerin ist der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 11 des Streitpatents wegen offenkundiger Vorbenutzung im Hinblick auf die vor dem 14. Juli 2009 der Öffentlichkeit auf einer Messe präsentierten sowie hergestellten und vertriebenen Wohndachfenster des Typs Roto Designo R8 NE und des Typs Roto Designo R6 NE Tronic, die sämtliche im Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen Merkmale offenbarten, neuheitsschädlich vorweggenommen und beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Dem Gegenstand des Anspruchs 5 fehle es im Hinblick auf die Druckschrift NK1 an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit. In der NK1 sei bereits offenbart, dass die Randleiste an dem Rahmenschenkel befestigt ist. Eine solche Befestigung dadurch umzusetzen, dass Randleiste und Rahmenschenkel einstückig miteinander ausgebildet werden, sei eine von mehreren für den Fachmann naheliegenden Optionen.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 2 292 860 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 25. Januar 2019 erklärt, dass sie nicht beabsichtigt, der Nichtigkeitsklage entgegenzutreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe Die Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nach Artikel II § 6 Absatz 1 Satz 1 IntPatÜG, Artikel 138 Absatz 1 lit. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54, 56 EPÜ geltend gemacht wird, ist zulässig. Sie ist auch begründet. Denn das Streitpatent erweist sich wegen mangelnder Patentfähigkeit als nicht rechtsbeständig und war daher für nichtig zu erklären.
I.
Die Entscheidung hierüber konnte gemäß § 82 Abs. 2 PatG ohne mündliche Verhandlung ergehen, denn die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen konnten als erwiesen angesehen werden, nachdem die Beklagte erklärt hat, der Nichtigkeitsklage nicht entgegenzutreten. Sie hat damit der Klage nicht widersprochen (vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Auflage, § 82, Rn. 9).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ist, wie die Klägerin nachgewiesen hat, offenkundig vorbenutzt und damit mangels Neuheit nicht patentfähig. Die geltend gemachte Vorbenutzung ist durch den unstreitig bereits im März 2009 versandten Prospekt „Roto Designo R8 NE/R6 NE Preisliste 2009“ (NK1) sowie den weiteren unstrittigen Vortrag der Klägerin, dass das Produkt Roto Designo R8 NE der Beklagten auf der Messe Bau im Januar 2009 vorgestellt und die Klägerin von einem Drittunternehmen im April 2009 die Produkte der Beklagten Roto Designo R8 NE und Roto Designo R6 NE Tronic bezogen hat, nachgewiesen.
Die Anlage NK1 zeigt unter Kapitel „Technik & Planung“ (Seite 32ff.) Wohndachfenster mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents. Insbesondere sind auf den Seiten 36 bis 43 Schnitte durch Rahmenschenkel dargestellt, die auf den Seiten 37 bis 42 als „Schnitt B-B“ bezeichnet werden. Bezug genommen wird vor allem auf die Darstellung auf Seite 38, auf der der dargestellte Schnitt B-B weitgehend mit der Figur 2 der Patentschrift übereinstimmt. Die Darstellung zeigt ein Wohndachfenster mit einem eine Glasscheibe aufweisenden Flügel (Merkmal 1.1), der einen Rahmenschenkel aufweist, der von einem Abdeckblech übergriffen ist (Merkmal 1.2). Das Abdeckblech weist einen winkelförmigen Seitenrandbereich auf (Merkmal 1.3), der über einen auf die Glasscheibe zulaufenden Schenkel verfügt (Merkmal 1.4), der eine mit Abstand zur Glasscheibe liegende, ein freies Ende des Abdeckblechs bildende Randkante aufweist (Merkmal 1.5). Gut zu erkennen ist in dem Schnitt auch, dass das Abdeckblech benachbart zu seinem Seitenrandbereich derart geknickt ist, dass eine in Richtung auf die Glasscheibe weisende Sicke ausgebildet ist. Es ist offensichtlich, dass Wasser, das unter das Abdeckblech gelangt ist und an der Unterseite des Abdeckblechs entlang läuft, an dieser Sicke abtropfen würde. Die Sicke bildet also eine Abtropfsicke gemäß Merkmal 1.6 des Streitpatents.
Die in der NK1 gezeigten Wohndachfenster sind unstreitig vor dem Anmeldetag der Prioritätsanmeldung, dem 14. Juli 2009, durch die Präsentation auf der Messe Bau im Januar 2009, den Versand des Prospektes mit Preisen „Gültig ab 01.04.2009“ gemäß Anlage NK2 ab März 2009 sowie den Vertrieb der Wohndachfenster Roto Designo R8 NE/Roto Designo R6 NE Tronic im April 2009 gemäß der Anlage NK3, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
Da die Unteransprüche nur naheliegende Ausgestaltungen des Wohndachfensters nach Anspruch 1 enthalten, sind auch sie nicht rechtsbeständig.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Für eine Kostenentscheidung nach § 93 ZPO ist kein Raum, nachdem die Beklagte der Klägerin durch den von ihr angestrengten Verletzungsprozesses aus dem Streitpatent Anlass zur Erhebung der Nichtigkeitsklage hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
III.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber innerhalb eines Monats nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung, durch einen in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt als Bevollmächtigen schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, einzulegen.
Schmidt Grote-Bittner Dr. Großmann Dr. Geier Körtge Fa