VIa ZR 183/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 183/23 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 30. April 2024 Neumayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:300424UVIAZR183.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 12. April 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 31. Januar 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 9.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb im Dezember 2016 einen Neuwagen des Typs Audi A5 3.0 TDI mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 897 (Euro 6) mit Thermofenster und SCR-Katalysator. Er verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe: 3 Die uneingeschränkt zugelassene (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023
- VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg.
I. 4 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: 5 Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB seien nicht hinreichend dargelegt. Es fehle konkreter und nachvollziehbarer Vortrag des Klägers, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verknüpft mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ergeben könne. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, weil diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien. Zudem sei ein mindestens fahrlässiger Verstoß der Beklagten nicht feststellbar und der vom Kläger behauptete Minderwert des Fahrzeugs weder ersichtlich noch schlüssig dargetan.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens, der sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht ohne Verletzung des § 287 Abs. 1 ZPO verneinen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 41 f., 71 ff.), gegeben, noch hat es tragfähige Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen (zum Verschulden vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 58 bis 70).
III.
Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Rensen Möhring Vogt-Beheim Götz Vorinstanzen: LG Ingolstadt, Entscheidung vom 24.06.2022 - 83 O 2388/21 Die OLG München, Entscheidung vom 31.01.2023 - 5 U 4442/22 -