VIa ZR 1198/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1198/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 14. Mai 2024 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR1198.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich eines Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs zu zahlenden Betrags von 13.044,69 € und eines für erledigt erklärten Betrags von 1.584,52 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. März 2021, hinsichtlich der Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie hinsichtlich der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten betreffend die deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zu dessen Nachteil erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers gegen das vorbezeichnete Urteil mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 21. Januar 2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 19. April 2022 als unzulässig verworfen wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 3. Februar 2021 bis zum 8. März 2021 gerichtet hat.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte am 19. Dezember 2015 von der Beklagten zum Preis von 29.890 € einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die durch den Einsatz einer Kühlung die Erwärmung des Motoröls verzögert.
Der Kläger hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten der kaufrechtlichen Gewährleistung und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat in erster Instanz zuletzt die Zahlung von 14.629,21 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 15.260,79 €) nebst Verzugszinsen seit dem 3. Februar 2021 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsnettokosten begehrt. Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen dem Zahlungsantrag - auf der Grundlage regressiv berechneter Nutzungsvorteile von 24.856,69 € - in Höhe eines Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlenden Betrags von 5.033,31 € nebst Prozesszinsen seit dem 9. März 2021 stattgegeben und den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er auf der Grundlage einer linearen Berechnung der Nutzungsvorteile zuletzt die Zahlung weiterer 8.011,38 € nebst Verzugszinsen seit dem 3. Februar 2021 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs begehrt, den Zahlungsantrag in Höhe eines zunächst zusätzlich verlangten weiteren Betrags von 1.584,52 € nebst Verzugszinsen einseitig für erledigt erklärt und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsbruttokosten verlangt hat, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
Mit seiner vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsbegehren weiter, soweit er diese auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat weitgehend Erfolg.
A.
Die Berufung des Klägers war, was der Senat als Prozessfortsetzungsvoraussetzung von Amts wegen zu beachten hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2023 - VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 318/22, juris Rn. 6; Urteil vom 6. Februar 2024 - VIa ZR 368/22, juris Rn. 6), unzulässig, soweit sie die Abweisung des Antrags auf Zahlung von Zinsen für die Zeit vom 3. Februar 2021 bis zum 8. März 2021 angegriffen hat. Insoweit genügt die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 oder 3 ZPO. Das Landgericht hat angenommen, dem Kläger stünden lediglich Prozesszinsen zu, weil ein Verzug der Beklagten vor Klageerhebung nicht ersichtlich sei. Gegen diese die Verneinung eines Zinsanspruchs vor Rechtshängigkeit tragende Erwägung hat der Kläger in der Berufungsbegründung keine Einwendungen erhoben.
B.
In der Sache ist die Beurteilung des Berufungsgerichts von Rechtsfehlern beeinflusst.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch nicht zu. Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Der Kläger habe keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Ausgestaltung - unterstellter - unzulässiger Abschalteinrichtungen in Form des Thermofensters oder der KSR aufgezeigt oder sonstige Umstände angeführt, die den Schluss auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zuließen. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere bereits daran, dass die Vorschriften der EG-FGV nicht den Schutz des individuellen Interesses bezweckten, kein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben, und nicht dazu dienten, in diesem Fall dem Erwerber des Fahrzeugs bei fahrlässigem Verhalten des Herstellers einen Schadensersatzanspruch zu verschaffen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Krüger Wille Liepin Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 21.01.2022 - 17 O 126/21 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 26.07.2022 - 24 U 391/22 -