Paragraphen in III ZR 202/20
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Häufigkeit | Paragraph | |
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5 | 826 | BGB |
2 | 103 | GG |
2 | 544 | ZPO |
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BUNDESGERICHTSHOF III ZR 202/20 BESCHLUSS vom 25. November 2021 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2021:251121BIIIZR202.20.0 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2021 durch die Richter Dr. Remmert, Reiter, Dr. Kessen, Dr. Herr und Liepin beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main - 10. Zivilsenat - vom 31. Juli 2020 zugelassen.
Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klageantrag zu 1 in Höhe von 28.615,48 € nebst Zinsen seit dem 25. Januar 2019 und die Klageanträge zu 2 bis 4 insgesamt abgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Gründe:
I. 1 Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 6. November 2015 von einem Autohaus einen im April 2012 erstzugelassenen Audi A6 Avant 3,0 TDI S-Tronic quattro (180 kW bzw. 245 PS) zum Preis von 36.500 € (Laufleistung: 78.371 km). Bis zum 23. Juli 2020 legte er mit dem Fahrzeug 48.674 Kilometer zurück.
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter V6-Dieselmotor verbaut, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob es sich um einen Motor des Typs EA 896 Generation 2 oder EA 897 handelt. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Das Fahrzeug ist werkseitig mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet. Bei geringeren Außentemperaturen wird die Abgasreinigung von der Motorsteuerung zurückgefahren.
Der Kläger hat geltend gemacht, das Thermofenster stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 1, 2 VO (EG) Nr. 715/2007 dar. Das Fahrzeug verfüge über eine weitere Abschalteinrichtung, die neben der Außentemperatur verschiedene Parameter ermittle, um die Funktion des Emissionskontrollsystems zu beeinflussen. Dadurch werde bewirkt, dass die für den Fahrzeugtyp geltenden Abgasgrenzwerte ausschließlich unter den Testbedingungen für die EG-Typgenehmigung eingehalten würden. Im normalen Straßenbetrieb wende die Motorsteuerung einen Modus an, bei dem die Komponenten der Abgasreinigungsanlage (weitestgehend) abgeschaltet seien. Gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) seien weder das Vorhandensein noch die Funktionsweise der Abschalteinrichtungen im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens offengelegt worden. Wäre er, der Kläger, über die Abschalteinrichtungen aufgeklärt worden, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Die Entscheidung des Vorstands der Beklagten, das gesetzwidrige Abgasverhalten aus Gründen der Kostenminimierung und Gewinnmaximierung zu verschleiern und sich dadurch die Typgenehmigung für die betroffenen Fahrzeuge zu erschleichen, sei sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB.
Das Landgericht hat die zuletzt auf Zahlung von 30.158,30 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 4.170,04 € und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger die begehrte Zug-um-Zug-Zahlung (Klageantrag zu 1) auf 28.615,48 € nebst Zinsen verringert und den Rechtsstreit hinsichtlich des Differenzbetrags einseitig für erledigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, wobei er unter Weiterverfolgung seines Klagebegehrens hinsichtlich des Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erfüllenden Hauptsachebetrags in Höhe von 28.615,48 € nur noch Verzugszinsen seit dem 25. Januar 2019 verlangt (Klageantrag zu 1).
II.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Hinsichtlich der Implementierung eines Thermofensters habe die Beklagte substantiiert dargelegt, dass dieses nicht der Manipulation oder der Erschleichung der EG-Typgenehmigung, sondern der Optimierung der Abgasrückführungsrate sowohl im Prüfbetrieb als auch im realen Fahrbetrieb diene. Angesichts dieser Einlassung fehle es an einer ausreichenden Darlegung durch den Kläger. Zur Bejahung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB genüge nicht die unstreitige Tatsache, dass das Fahrzeug ein Thermofenster aufweise. Habe der Fahrzeughersteller die Prüfer weder durch den Einsatz einer Prüfstanderkennungssoftware getäuscht noch gegenüber der Genehmigungsbehörde eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 verschwiegen und erteile die Behörde die EG-Typgenehmigung, scheide eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB aus. Daraus folge, dass - so auch im vorliegenden Fall - der Klagevortrag, der Fahrzeughersteller habe eine objektiv rechtswidrige temperaturabhängige Abschalteinrichtung (Thermofenster) eingebaut, zur schlüssigen Darlegung deliktischen Handelns nicht ausreichen könne. Die Frage, ob es sich bei einem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, sei im Hinblick auf die Ausnahmebestimmung in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007 umstritten (Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall, sicherer Betrieb des Fahrzeugs). Angesichts der nicht eindeutigen Rechtslage sei die Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstelle, jedenfalls nicht unvertretbar. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass das KBA keinen Rückruf angeordnet habe. Das Handeln der Beklagten könne daher nicht als besonders verwerflich, sondern allenfalls als fahrlässig angesehen werden.
Zwar könnte bei Verwendung einer Abschaltsoftware (Prüfstanderkennung) ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB gegeben sein (Hinweis auf BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 13 ff). Jedoch sei nicht festzustellen, dass in dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug eine solche Software vorhanden sei. Nach dem Klägervortrag ermittle das streitgegenständliche Fahrzeug neben dem Thermofenster weitere Parameter, anhand derer erkannt werde, ob es sich in dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befinde. Die Beklagte bestreite nicht ausdrücklich, dass das Motorsteuerungsgerät erkenne, ob nur die Antriebsachse rotiere, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad betrage sowie Radio und Multimedia-Einheit ausgeschaltet seien. Sie bestreite aber, dass eine höhere Abgasrückführung nur für den Rollenprüfstand stattfinde. Der Vortrag des Klägers genüge nicht den Anforderungen. Er hätte darlegen müssen, dass die behauptete Prüfstanderkennung auch bei dem Fahrzeugtyp, dem sein Audi A6 entspreche, bei der Prüfung für die Erteilung der Typgenehmigung vorgelegen habe. Das gelte vor allem für den Motor. Die Behauptung des Klägers, sein Fahrzeug sei mit einem Motor des Typs EA 897 ausgestattet, habe die Beklagte bestritten und vorgetragen, dass ein Motor des Typs EA 896 Generation 2 eingebaut sei. Der Kläger habe diesbezüglich keinen Beweis angeboten. Die Beklagte habe nicht vortragen müssen, dass zwischen den beiden Motortypen Unterschiede in der Bauweise beziehungsweise der Programmierung der Motorsteuerung bestünden. Soweit der Kläger Messwerte der Deutschen Umwelthilfe vorlege, wonach ein Audi A6 3.0 TDI Euro 5 den Grenzwert für den NOx-Ausstoß um den Faktor 9,7 überschritten habe, beziehe sich dies auf die Auswirkungen des Thermofensters, da der Wert bei einer Außentemperatur während der Messungen zwischen 0 und 5 Grad Celsius ermittelt worden sei.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat in dem tenorierten Umfang Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Klägers rechtsfehlerhaft überspannt, soweit dieser die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstanderkennungssoftware behauptet hat, und infolgedessen verfahrensfehlerhaft den insoweit angetretenen Sachverständigenbeweis nicht erhoben. Darüber hinaus hat es die Beweisangebote des Klägers zu seiner Behauptung, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei ein Motor des Typs EA 897 verbaut, übergangen. Es hat somit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in mehrfacher Hinsicht verletzt. Die Nichtberücksichtigung erheblicher Beweisangebote stellt einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 4; siehe auch OLG Köln, Urteil vom 12. März 2020 - 3 U 55/19, juris Rn. 27; jew. m. zahlr. wN).
1. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist schlüssig und als Prozessstoff erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muss anhand des Parteivortrags beurteilen können, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Dabei ist die Angabe näherer Einzelheiten nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 11. April 2013 - III ZR 80/12, juris Rn. 41; Beschluss vom 28. Mai 2015 - III ZR 318/14, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 25. September 2018 - VI ZR 234/17, VersR 2019, 568 Rn. 8; vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 11 und vom 28. Januar 2020 aaO Rn. 7 ff).
Eine Behauptung ist allerdings dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts "willkürlich aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist. Dies gilt grundsätzlich auch in den Fällen, in denen die darlegungs- und beweispflichtige Partei hinsichtlich der aufzuklärenden Umstände selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und mangels eigener Sachkunde und weiterer zumutbarer Erkenntnismöglichkeiten letztlich auf Vermutungen angewiesen ist. Sie muss jedenfalls ausreichend greifbare Umstände anführen, auf die sie die Beweisbehauptung stützt. In den "Dieselfällen" bedeutet dies, dass der Erwerber eines möglicherweise betroffenen Fahrzeugs greifbare Anhaltspunkte anführen muss, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Erwerber eines möglicherweise von dem "Dieselskandal" betroffenen Fahrzeugs mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Motors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung regelmäßig keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann und letztlich auf Vermutungen angewiesen ist, die er nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält und auf ausreichend greifbare Gesichtspunkte stützen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 aaO Rn. 8 ff; OLG Köln aaO Rn. 36). Dass das KBA bezüglich des konkreten Fahrzeugtyps bereits eine Rückrufaktion angeordnet hat, ist nicht Voraussetzung (BGH aaO Rn. 13; siehe auch BGH, Beschluss vom 13. April 2021 - VI ZR 493/19, WM 2021, 988 Rn. 7 ff: Es genügt der Vortrag, die Volkswagen AG habe öffentlich zugegeben, dass der Motor EA 189 eine illegale Abschalteinrichtung besitze, und das KBA habe eine aktuelle Überprüfung eingeleitet, weil es davon ausgehe, dass dieser Motor in das konkrete Fahrzeug eingebaut worden sei).
2. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nicht beachtet, soweit es den Vortrag des Klägers zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstanderkennungssoftware als unzureichend angesehen hat. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht bereits deshalb gegeben sind, weil die Beklagte den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Auf greifbare Anhaltspunkte gestützte weitere Umstände, die es rechtfertigen könnten, das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen auch insoweit als besonders verwerflich zu qualifizieren, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
a) Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers unstreitig durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei geringeren Außentemperaturen reduziert (und möglicherweise ganz abgeschaltet) wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinnen erstrebt hat, für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. nur Senat, Urteil vom 23. September 2021 - III ZR 200/21, WM 2021, 2153 Rn. 21 ff; BGH, Urteile vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 13 und vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, WM 2021, 2108 Rn. 16; Beschlüsse vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19 und vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28).
Dafür fehlen vorliegend greifbare Anhaltspunkte. Die Beschwerde zeigt weder vom Berufungsgericht festgestellten noch von diesem übergangenen entscheidungserheblichen Sachvortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers auf, dem für ein solches Vorstellungsbild und Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen sind. Entgegen der Auffassung der Beschwerde genügt es nicht, lediglich zu behaupten, die Beklagte habe die entsprechende Software bewusst in die Motorsteuerung eingebaut, um die Typgenehmigung zu Unrecht zu erhalten; sie habe gewusst, dass die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht erfüllt gewesen seien. Sie habe das KBA - auch durch Nichtangabe der näheren Parameter der Abgasrückführung - über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht. Aus dem Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission "Volkswagen" vom April 2016 ergibt sich, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet wurden. Begründet wurde dies mit dem Erfordernis des Motorschutzes, wobei diese Frage vor allem die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007 betraf. Dementsprechend haben sowohl das KBA als auch das zuständige Fachministerium den Einsatz eines Thermofensters, bei dem die Hersteller die Abgasreinigung temperaturabhängig zurückfahren, jedenfalls dann nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wenn die Einrichtung notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 31). Im Hinblick auf diese nicht eindeutige Rechtslage können allein aus dem Einsatz eines Thermofensters keine Anhaltspunkte dafür hergeleitet, dass die für die Beklagte handelnden Personen dies als illegal angesehen und gebilligt haben. Eine möglicherweise fahrlässige Verkennung der Rechtslage durch die Beklagte genügt jedenfalls für die Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens nicht. Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters ("nähere AGR-Parameter") gegenüber dem KBA folgen entgegen der Auffassung der Beschwerde keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein agierten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn dem KBA war die Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz bekannt. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens des Fahrzeugs - gegebenenfalls nach weiteren Rückfragen beim Hersteller - ohne weiteres in der Lage (vgl. BGH aaO Rn. 26). Nach alledem fehlen im vorliegenden Fall greifbare Anhaltspunkte für eine bewusste Täuschung des KBA.
b) Das Berufungsgericht hat jedoch den klägerischen Vortrag zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstanderkennungssoftware unzutreffend als nicht ausreichend gewertet und deshalb verfahrensfehlerhaft die angebotenen Beweise nicht erhoben, insbesondere das beantragte Sachverständigengutachten nicht eingeholt.
Der Kläger hat bereits in der Klageschrift vorgetragen, dass das erworbene Fahrzeug unter anderem über eine Prüfstanderkennung verfüge und die Motorsteuerungssoftware so programmiert sei, dass sie auf dem Prüfstand die Abgasrückführung aktiviere, während im praktischen Fahrbetrieb die Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten würden. Der in den Vorinstanzen gehaltene Klägervortrag enthält auch greifbare Anhaltspunkte, die den Verdacht begründen, das Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung (Prüfstanderkennung) auf. Nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt, dass die Motorsteuerungssoftware erkennen kann, ob nur die Antriebsachse rotiert, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad beträgt und Radio sowie Multimedia-Einheit ausgeschaltet sind. Darüber hinaus hat der Kläger Messwerte der Deutschen Umwelthilfe vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass das getestete Fahrzeug - ein Audi A6 3.0 TDI Euro 5 mit 150 kW - den Grenzwert für den NOx-Ausstoß im realen Fahrbetrieb um den Faktor 9,7 überschreitet. Der Beschwerde ist zuzugeben, dass der Kläger jedenfalls in der Gesamtbetrachtung der vorgenannten Umstände zureichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, dass das streitgegenständliche Fahrzeug möglicherweise über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüf- standerkennungssoftware verfügt. Dem steht nicht entgegen, dass er zur Bauweise und Programmierung des nach seiner bestrittenen Behauptung verbauten Motors des Typs EA 897 keine näheren Angaben gemacht hat. Dazu war er mangels Sachkunde ersichtlich nicht in der Lage. Es genügte, dass er für die Verwendung dieses Motortyps zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten unter anderem aus dem Bereich der Motorenentwicklung als Zeugen benannt hat (Schriftsatz vom 28. Mai 2020, S. 29 f = GA II 334 f). Dies hat das Berufungsgericht offenkundig übersehen.
Remmert Reiter Kessen Herr Liepin Vorinstanzen: LG Limburg, Entscheidung vom 15.07.2019 - 2 O 26/19 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 31.07.2020 - 10 U 163/19 -
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5 | 826 | BGB |
2 | 103 | GG |
2 | 544 | ZPO |
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