StB 16/25
BUNDESGERICHTSHOF StB 16/25 BESCHLUSS vom 15. Mai 2025 in dem Strafverfahren gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer auf besonders schwere Straftaten gerichteten kriminellen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:150525BSTB16.25.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeschuldigten und seiner Verteidiger am 15. Mai 2025 gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 311 StPO beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 9. April 2025 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Vor dem 8. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg ist gegen den Angeschuldigten und drei Mitangeschuldigte ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer auf besonders schwere Straftaten gerichteten kriminellen Vereinigung und weiterer Delikte anhängig (8 St 1/25). Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens ist der Beginn der Hauptverhandlung am 26. Mai 2025 mit 19 vorsorglich abgestimmten Terminen bis zum 16. Oktober 2025 vorgesehen.
Dem Angeschuldigten wurde mit Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 21. August 2024 (2 BGs 646/24) Rechtsanwalt A.
aus K. als Pflichtverteidiger bestellt. Zudem mandatierte der Angeschuldigte Rechtsanwalt Dr. H. aus H.
als Wahlverteidiger. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs lehnte einen von Rechtsanwalt Dr. H. gestellten Antrag, ihn als weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen, durch Beschluss vom 11. November 2024 (2 BGs 1045/24) ab.
Am 26. März 2025 beantragte Rechtsanwalt Dr. H. gegenüber dem Oberlandesgericht erneut seine Beiordnung. Diesen Antrag lehnte die Senatsvorsitzende durch Beschluss vom 9. April 2025 ab. Dagegen wendet sich der Angeschuldigte mit der „Beschwerde“, die er, nachdem der Generalbundesanwalt die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt hatte, ergänzend begründet hat.
II.
Das ausdrücklich für den – allein beschwerdeberechtigten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2022 – StB 5/22, StraFo 2022, 285; vom 19. Februar 2025 – StB 4/25 u.a., juris Rn. 4) – Angeschuldigten eingelegte Rechtsmittel ist, wie Rechtsanwalt A. nunmehr klargestellt hat, als sofortige Beschwerde zu verstehen. Als solche ist es nach § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2020 – StB 23/20, NJW 2020, 3736 Rn. 8; vom 24. März 2022 – StB 5/22, aaO) und auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO), allerdings unbegründet.
1. Zu dem vom Beschwerdegericht anzulegenden Prüfungsmaßstab und den Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gilt:
a) Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden des Gerichts der Hauptverhandlung keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt auf der Rechtsfolgenseite kein eigenes Ermessen aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich – im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung – dahin, ob der Vorsitzende die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten und sein Entscheidungsermessen fehlerfrei ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 17 f.; vom 19. Februar 2025 – StB 4/25 u.a., juris Rn. 7 mwN).
b) Nach § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Beiordnung zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein.
Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz genügenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten.
Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 13 f.; vom 19. Februar 2025 – StB 4/25 u.a., juris Rn. 8 ff. mwN).
2. Daran gemessen ist gegen die Annahme der Vorsitzenden des Oberlandesgerichtssenates, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, nichts zu erinnern. Mit ihrer Beurteilung hat sie die Grenzen des ihr zustehenden Spielraums nicht überschritten.
a) Die Vorsitzende hat annehmen dürfen, weder ein besonderer Umfang noch eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens geböten die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers.
Zwar ist der Aktenumfang mit etwa 240 – wenngleich zur Hälfte allenfalls halb gefüllten – Stehordnern beträchtlich. Indes sind die erhobenen Vorwürfe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überschaubar. Dem Angeschuldigten werden acht (realkonkurrierende) Fälle der schweren Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot einer Embargo-Verordnung der Europäischen Union jeweils in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer auf besonders schwere Straftaten gerichteten kriminellen Vereinigung und mit Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 3, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 Abs. 1 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 2 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 in der jeweils gültigen Fassung vorgeworfen (vgl. Schreiben des Generalbundesanwalts vom 19. März 2025). Nachvollziehbar hat die Vorsitzende darauf abgestellt, dass die dem Angeschuldigten angelasteten einzelnen Tathandlungen – ebenso diejenigen der Mitangeschuldigten – im modus operandi ähnlich sind und die Beweissituation nach Aktenlage als nicht schwierig einzustufen ist. Dementsprechend hat sie die zu erwartende Dauer der Hauptverhandlung mit vorsorglich abgestimmten 19 Terminen beanstandungsfrei als einen gegen die Notwendigkeit der Teilnahme eines zweiten Pflichtverteidigers sprechenden Gesichtspunkt gewertet.
Hinzu tritt, dass Rechtsanwalt A. , der dem Angeschuldigten circa einen Monat nach dessen Verhaftung beigeordnet worden ist, etwa neun Monate Zeit gehabt hat, sich mit dem Gegenstand des Verfahrens und den durch die Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen vertraut zu machen. Daher kommt es nicht darauf an, ob und in welchem Ausmaß eine effektive Verteidigung es erfordert, sich in Vorgänge zu den Taten einzuarbeiten, die ausschließlich den Mitangeschuldigten vorgeworfen werden.
b) Die Vorsitzende hat rechtlich zutreffend in den Blick genommen, dass einzelne bereits absehbare terminliche Verhinderungen von Rechtsanwalt A. nicht die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers gebieten.
Die Regelung des § 144 Abs. 1 StPO dient nicht dazu, mehreren Verteidigern zu ermöglichen, die Teilnahme an der Hauptverhandlung untereinander aufzuteilen. Vielmehr ist jeder Pflichtverteidiger im Grundsatz gehalten, an allen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen; die Bestellung eines zweiten Verteidigers soll, sofern sie zur Verfahrenssicherung angeordnet wird, Vorsorge für einen unerwarteten längerfristigen Ausfall des ersten Pflichtverteidigers treffen. Sofern absehbar ist, dass der bestellte Pflichtverteidiger in größerem Umfang an der Anwesenheit in der Hauptverhandlung gehindert ist, ist dem grundsätzlich nicht mit der Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers zu begegnen, sondern ist der bisherige Verteidiger zu entpflichten und durch einen anderen, terminlich nicht verhinderten Pflichtverteidiger zu ersetzen. Bei einer Verhinderung des Pflichtverteidigers an einzelnen wenigen Sitzungstagen kommt zudem – was die Vorsitzende ebenfalls bedacht hat – die gerichtliche Bestellung eines sogenannten Terminvertreters für einzelne Hauptverhandlungstage in Betracht, gegebenenfalls zur Wahrung der Verfahrensfairness unter Anpassung des vorgesehenen Beweisprogramms (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 19. Februar 2025 – StB 4/25 u.a., juris Rn. 18 mwN).
Ausweislich ihres Vermerks vom 31. März 2025 hat die Vorsitzende die voraussichtlichen Hauptverhandlungstage mit dem Pflichtverteidiger abgestimmt. Danach ist seine Teilnahme an 14 Terminen sicher und an zwei weiteren Terminen zumindest eventuell zu erwarten. Die Hauptverhandlungsplanung berücksichtigt dabei seinen Jahresurlaub.
Soweit die ergänzende Beschwerdebegründung auf die Belastung des Pflichtverteidigers durch weitere Strafverteidigungen in anderen Verfahren hingewiesen hat, was Besprechungen mit dem nicht an seinem Kanzleisitz inhaftierten, fremdsprachigen Angeschuldigten erschwere, vermag dies eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Ein erster Pflichtverteidiger hat es nicht in der Hand, durch die Annahme weiterer Mandate die Bestellung eines zweiten zu erzwingen. Auch besteht derzeit kein Anlass, Rechtsanwalt A. nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO wegen der konkreten Gefahr beträchtlicher Fehlzeiten zu entpflichten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. November 2024 – StB 63/24, NStZ-RR 2025, 54 Rn. 7 ff.).
3. Nach alledem kann dahinstehen, welche Folgen die Bestandskraft des Beschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2024, mit dem er den früheren Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H. als weiteren Pflichtverteidiger abgelehnt hatte, für die nunmehrige Entscheidung hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. April 2021 – StB 17/21, BGHR StPO § 142 Abs. 7 sofortige Beschwerde 1 Rn. 6 f.; vom 20. März 2025 – StB 11/25, juris Rn. 16).
Schäfer Berg Munk