VIa ZR 611/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 611/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 30. April 2024 Wendt Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:300424UVIAZR611.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 2. April 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 14. April 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1 (mit Ausnahme der Zinsen bis 26. August 2020) und zu 3 (mit Ausnahme der eine 1,3 Gebühr übersteigenden Geschäftsgebühr und der Zinsen bis 26. August 2020) zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb, teilweise finanziert, im August 2018 einen von der Beklagten hergestellten Gebrauchtwagen des Typs Porsche Macan mit einem nicht von der Beklagten, sondern von der AUDI AG hergestellten und entwickelten Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 6. Er verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die zuletzt auf Erstattung des Kaufpreises zuzüglich Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen seit 25. Juni 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) und Zahlung außergerichtlicher, eine 2,0 Geschäftsgebühr umfassender Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen seit 25. Juni 2020 (Berufungsantrag zu 3) gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Es sei nicht ausreichend dargelegt, dass die satzungsmäßigen Vertreter der Beklagten sittenwidrig und vorsätzlich gehandelt hätten. Der Einbau des Motors allein spreche noch nicht für die Annahme, die Unternehmensleitung der Beklagten sei in die diesbezügliche strategische Entscheidung ihrer Mutter- bzw. Schwestergesellschaft eingebunden gewesen. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil diese Bestimmungen nicht dem Schutz des Interesses der einzelnen Käufer dienten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Dabei obliegen dem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2023 - VIa ZR 26/21, NJW-RR 2024, 293 Rn. 14 mwN).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist daher im Umfang des Revisionsangriffs aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Rensen Möhring Vogt-Beheim Götz Vorinstanzen: LG Stade, Entscheidung vom 09.06.2021 - 2 O 173/20 OLG Celle, Entscheidung vom 14.04.2022 - 16 U 371/21 -