III ZB 57/21
BUNDESGERICHTSHOF III ZB 57/21 BESCHLUSS vom
26. Januar 2023 in der Baulandsache betreffend das Umlegungsverfahren U 3306 in Schwanewede ("Wohnpark Schwanewede-Nord", Teilbereich 6)
ECLI:DE:BGH:2023:260123BIIIZB57.21.0 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2023 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Reiter, die Richterinnen Dr. Arend und Dr. Böttcher sowie den Richter Dr. Herr beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Senats für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Celle vom 22. Juli 2021 - 4 U 56/20 (Baul) - aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 20.320,80 €
Gründe:
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Umlegungsplan des Antragsgegners vom 21. Januar 2019 in dem im Rubrum genannten Umlegungsverfahren der Beteiligten zu 3.
1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Brink 48 in Schwanewede. Das Grundstück besteht aus den unmittelbar hintereinander liegenden Flurstücken 124/36 (867 qm) und 124/37 (1358 qm) - vormals beide Flurstück
124/6. Das vordere, an der Straße Brink gelegene Flurstück 124/36 ist mit dem Wohnhaus der Antragstellerin bebaut. Das nur mit einem Geräteschuppen bebaute hintere Flurstück 124/37 ist zeichnerisch durch den 2005 in Kraft getretenen Bebauungsplan Nr. 189 "Wohnpark Schwanewede-Nord" der Beteiligten zu 3 mit Verkehrsflächen sowie zwei kleineren, durch eine der Verkehrsflächen voneinander getrennten Baugrundstücken in einem reinen Wohngebiet (WR) überplant.
Der angefochtene Umlegungsplan sieht die Zuteilung der auf der Fläche des Einwurfsgrundstücks 124/37 neu geschaffenen und durch die geplante Straße Rehwinkel voneinander getrennten Baugrundstücke 556 (552 qm) und 578 (469 qm) an die Antragstellerin gegen eine von ihr zu leistende Ausgleichszahlung von 4.829 € vor.
2. Mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Antragstellerin unter anderem geltend gemacht, der Bebauungsplan beziehe sich nach seinem Begründungstext auf "Ackerflächen", zu denen das von ihr als Teil ihres Hausgartens genutzte Flurstück 124/37 nicht gehöre. Dieses sei deshalb nicht wirksam in den - insoweit wegen einer Divergenz zwischen seinen zeichnerischen Festsetzungen und seiner Begründung rechtswidrigen - Bebauungsplan und damit in den zu dessen Verwirklichung erlassenen Umlegungsplan einbezogen worden. Die durch die Umlegung bewirkte Verkleinerung ihres Gartens, aus dem sie sich wegen ihrer geringen Rente selbst versorgen müsse, stelle eine Enteignung dar. Auch die Wertermittlung, die dazu führe, dass sie noch einen Ausgleichsbetrag zahlen solle, sei fehlerhaft.
II.
1. Das Landgericht - Kammer für Baulandsachen - hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen, da der Umlegungsplan formell und materiell rechtmäßig sei. Das Gleiche gelte für den dem Umlegungsplan zugrundeliegenden und inzident zu überprüfenden Bebauungsplan. Dessen Rechtmäßigkeit stehe insbesondere die geltend gemachte Plandivergenz aus zwei Gründen nicht entgegen: Zum einen lasse die Planbegründung, die keine Abwägungsdefizite indiziere, nicht den Schluss zu, dass ausschließlich "Ackerflächen", aber keine anderweitig genutzten Flächen erfasst werden sollten und das Grundstück der Antragstellerin nicht habe einbezogen werden sollen. Zum anderen würde die behauptete Divergenz nicht zur Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans führen, da sich die Erfassung des klägerischen Flurstücks 124/37 allein nach den zeichnerischen Festsetzungen beurteile. Die Unwirksamkeit des der Deckung eines mittel- bis langfristigen Wohnbauflächenbedarfs in der Gemeinde dienenden Bebauungsplans folge auch nicht aus seiner fehlenden städtebaulichen Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB. Die Umlegungsstelle habe ihr Umlegungsermessen fehlerfrei ausgeübt. Die vorgenommene Verteilung nach Werten gemäß § 57 BauGB sei nicht zu beanstanden.
2. Die dagegen gerichtete Berufung der Antragstellerin ist vom Oberlandesgericht - Senat für Baulandsachen - nach vorhergehendem Hinweisbeschluss gemäß § 221 Abs. 1 Satz 1 BauGB in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen worden, weil ihre Begründung den inhaltlichen Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO nicht genüge (HB 8, VB 3). Die Berufungsbegründung setze sich mit der Argumentation der Vorinstanz zur materiellen Rechtmäßigkeit des Bebauungs- und damit des Umlegungsplans nicht umfassend auseinander, sondern wiederhole lediglich die erstinstanzlichen Ausführungen der Antragstellerin zur angeblich fehlenden Einbeziehung ihres nicht als "Ackerfläche" anzusehenden Flurstücks 124/37 und zu einer daraus vermeintlich folgenden Divergenz zwischen Planfestsetzungen und -begründung. Damit wende sie sich nur gegen einen von zwei die angefochtene Entscheidung selbständig tragenden Urteilsgründen. So habe das Landgericht zum einen die Argumentation der Antragstellerin hinsichtlich des Begründungstextes des Bebauungsplans inhaltlich nicht geteilt. Zum anderen habe es für die Abgrenzung des Plangebiets allein die zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans als maßgeblich angesehen und nicht dessen Begründungstext, dem es keine Abwägungsfehler habe entnehmen können. Damit befasse sich die Berufungsbegründung aber nicht. Auch die Stellungnahme zum Hinweisbeschluss setze sich mit dieser landgerichtlichen Argumentation nicht hinreichend auseinander, sondern widerspreche ihr nur, ohne darzulegen, aus welchen Gründen sie nicht zutreffe (VB 3). Abwägungsfehler seien nicht mit der Berufungsbegründung, sondern erstmals mit der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss und damit erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beanstandet worden.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
III.
1. Die gemäß § 221 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Antragstellerin in ihrem verfassungsrechtlich garantierten und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Denn das Berufungsgericht hat die gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und dadurch der Antragstellerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt.
a) Nach § 221 Abs. 1 Satz 1 BauGB unterliegt der Inhalt der Begründung einer Berufung, mit der sich ein Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nach § 217 BauGB gegen ein zu seinem Nachteil ergangenes Urteil des Landgerichts wendet, den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO. Danach muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Antragstellers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO) sowie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO). Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Antragsteller bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Die Ausführungen müssen also auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Hat das erstinstanzliche Gericht die Abweisung der Klage oder des Antrags auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - III ZB 50/20, NJOZ 2022, 89 Rn. 20). Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Antragstellerin.
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts greift die Berufungsbegründung nicht nur eine von zwei selbständig tragenden Urteilsbegründungen in einer den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO genügenden Weise an.
aa) Zunächst wird - wovon die Vorinstanz selbst ausgeht - ein zulässiger Berufungsangriff gegen die Auffassung des Landgerichts geführt, der Begründung des Bebauungsplans sei schon inhaltlich nicht zu entnehmen, dass ausschließlich "Ackerflächen" - und damit nicht das von der Antragstellerin als Hausgarten genutzte Flurstück 124/37 - überplant werden sollten. Denn die Berufungsbegründung setzt dem, was ausreichend ist, den Einwand entgegen, dem unbefangenen Leser werde durch den in Nr. 3 des Begründungstexts verwendeten Begriff "Ackerflächen" der Eindruck vermittelt, dass das Plangebiet allein solche Flächen erfasse (vgl. Berufungsbegründung S. 3 f, GA I 147 f).
bb) Anders als das Berufungsgericht meint, wendet sich die Berufungsbegründung auch gegen die Auffassung des Landgerichts, dass für die Abgrenzung des Plangebiets nicht der Begründungstext, sondern allein die zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans maßgeblich seien. Denn sie macht geltend, dass beides eine "untrennbare Einheit" bilde und als solche bewertet werden müsse, weshalb es "auf jeden Fall unzulässig" sei, "lediglich eine Komponente des Bebauungsplans, also z.B. zeichnerische Festlegungen, isoliert herauszugreifen und aufgrund dieser isolierten Teilkomponenten eine abschließende Wertung vorzunehmen", wie es das Landgericht aufgrund unzutreffender rechtlicher Bewertung getan habe (vgl. Berufungsbegründung S. 2 f, GA I 146 f). Zwar geht die Berufungsbegründung dabei nicht im Einzelnen auf die vom Landgericht für seine Ansicht angeführte rechtliche Begründung ein, mit der auf § 9 Abs. 8 in Verbindung mit § 2a BauGB und § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 BauGB verwiesen wird. Jedoch beanstandet sie diese als rechtsfehlerhaft mit dem Argument, es existiere eine "untrennbare Einheit" zwischen Begründungstext und zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans - was ungeachtet der Substanz und Überzeugungskraft dieser rechtlichen Darlegung nach den vorgenannten Maßstäben für einen zulässigen Berufungsangriff ausreichend ist.
c) Damit bekämpft die Berufung beide entscheidungstragenden erstinstanzlichen Urteilsbegründungen dazu, dass das Flurstück 124/37 in das Bebauungsplangebiet einbezogen sei und eine diesbezügliche Divergenz zwischen zeichnerischen Festsetzungen und Planbegründung nicht vorliege. Es kommt deshalb für die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht darauf an, dass die Antragstellerin sich erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gegen die weitere Annahme des Landgerichts gewandt hat, ein materielles Abwägungsdefizit in Bezug auf die - in der Planbegründung nicht erwähnten - Belange der Altanlieger, deren rückwärtige Hausgärten mit Wohnbau- und Verkehrsflächen überplant worden sind, sei nicht erkennbar.
3. Das Berufungsgericht durfte daher die Berufung nicht als unzulässig verwerfen. Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es über die Begründetheit der Berufung befindet (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Herrmann Reiter Arend Böttcher Herr Vorinstanzen: LG Hannover, Entscheidung vom 06.04.2020 - 12 O 113/19 OLG Celle, Entscheidung vom 22.07.2021 - 4 U 56/20 (Baul) -