III ZR 162/20
BUNDESGERICHTSHOF III ZR 162/20 BESCHLUSS vom 28. Januar 2021 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2021:280121BIIIZR162.20.0 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Januar 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Richter Dr. Remmert, Reiter, Dr. Kessen und Dr. Herr beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberlandesgericht Bamberg - 4. Zivilsenat - vom 15. Juni 2020 - 4 U 228/19 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.550 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem zwischen den Parteien im Hinblick auf die von der Beklagten betriebene Social Media-Plattform "F.
" bestehenden Nutzungsverhältnis geltend.
2 Er unterhält bei F.
ein Nutzerkonto und nimmt die hierzu von der Beklagten angebotenen Dienste in Anspruch. Das entsprechende Vertragsverhältnis wird unter anderem durch die zwischen den Parteien vereinbarten Nutzungsbedingungen und "Gemeinschaftsstandards" (Stand: 19. April 2018) geregelt. Im Rahmen der Nutzung seines Accounts kommentierte der Kläger ein Video, das sich gegenseitig verprügelnde Personen in Burkas zeigte, mit den Worten "Müllsack-Ballett?". Aufgrund dieses Beitrags wurde das Nutzerkonto des Klägers am 12. September 2018 von der Beklagten für drei Tage gesperrt. Während der Sperre konnte der Kläger keine weiteren Beiträge veröffentlichen, nichts kommentieren und den Messenger-Dienst nicht verwenden (sog. "Read only"Modus). Zudem wurde sein Beitrag gelöscht.
Der Kläger hält die Löschung seines Beitrags sowie die vorübergehende Sperrung seines Nutzerkontos für rechtswidrig. Er begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung (Klageantrag zu 1) sowie von der Beklagten die Freischaltung des gelöschten Beitrags (Klageantrag zu 2), Unterlassung der erneuten Sperrung für das Einstellen des gelöschten Beitrags und der erneuten Löschung des Beitrags, wenn dieser sich auf ein Video bezieht, das zwei oder mehr in Burkas gekleidete Personen zeigt, die aufeinander einschlagen (Klageantrag zu 3), Auskunft darüber, ob die Sperre durch ein - gegebenenfalls zu benennendes - beauftragtes Unternehmen erfolgt sei (Klageantrag zu 4) und ob die Beklagte hinsichtlich der Löschung von Beiträgen oder der Sperrung von Nutzern konkrete oder abstrakte Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonst irgendwelche Vorschläge von der Bundesregierung oder - gegebenenfalls zu benennenden - nachgeordneten Dienststellen erhalten habe (Klageantrag zu 5), Schadensersatz i.H.v. 150 € (Klageantrag zu 6) und Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 7).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
1. Es obliegt grundsätzlich dem Beschwerdeführer, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er mit der beabsichtigten Revision die Abänderung des Berufungsurteils in einem die Wertgrenze von 20.000 € übersteigenden Umfang erreichen will. Maßgebend für die Bewertung der Beschwer der Nichtzulassungsbeschwerde ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (Senat, Beschlüsse vom 26. November 2020 - III ZR 124/20, juris Rn. 8; vom 28. September 2017 - III ZR 580/16, BeckRS 2017, 128871 Rn. 5 und vom 3. August 2017 - III ZR 445/16, BeckRS 2017, 121625 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - II ZR 177/15, BeckRS 2017, 100946 Rn. 5; jeweils mwN). Das Revisionsgericht ist dabei an die Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts nicht gebunden (z.B. Senat, Beschlüsse vom 26. November 2020 aaO und vom 28. September 2017 aaO; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 aaO; jeweils mwN).
2. Der Kläger ist durch das Berufungsurteil in Höhe von 3.550 € beschwert.
a) Hinsichtlich des Klageantrags zu 1 ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nur für einen sehr kurzen Zeitraum von drei Tagen und nur an einer aktiven Nutzung seines Kontos gehindert war. Die Kenntnisnahme von dessen Inhalten war ihm hingegen durchgehend möglich. Die mit der Teilsperrung des Kontos verbundene Einschränkung seiner Kommunikationsfreiheit war zudem auf die Plattform der Beklagten beschränkt (so zu ähnlichen Sachverhalten Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 10; OLG Frankfurt a.M., ZUM-RD 2019, 6, 7 und OLG Koblenz, MMR 2019, 625 Rn. 18). Der Kläger konnte weiterhin über andere Internet-Plattformen, E-Mails und alle anderen Medienarten kommunizieren. Andererseits sind die Marktmacht, die Reichweite und der potenzielle Empfängerkreis von Facebook erheblich (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO; OLG Dresden, GRUR-RR 2019, 408 Rn. 4; Haertel/ Thonke, GRUR-Prax 2020, 75, 76 f; BeckOK ZPO/Wendtland, § 3 Rn. 18 [Stand: 01.07.2020]). Das von der Beklagten betriebene Netzwerk kann daher nicht einschränkungslos durch andere Kommunikationsformen ersetzt werden.
Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte ist nach Auffassung des Senats ein Klageantrag, der sich gegen eine dreitägige Sperre eines Facebook - Nutzerkontos richtet, mit einem Betrag von 500 € zu bewerten (zu einer 30tägigen Kontosperre vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 11 ff: 2.500 €). Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit und mangelnden genügenden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse von einem Wert von 5.000 € auszugehen (BGH, Beschluss vom 17. November 2015 - II ZB 8/14, WM 2016, 96 Rn. 13). In Anbetracht vor allem der Kürze und der inhaltlichen Begrenzung der Sperre sind indes hinreichende Anhaltspunkte für eine deutlich geringere Beschwer des Klägers gegeben. Dabei darf auch das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 11; so auch OLG Frankfurt a.M. aaO S. 8). In dieses sind die Anträge des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG) einzuordnen. Daraus ergibt sich für die dreitägige Kontosperre jedenfalls kein höherer Wert als 500 €.
Die vorliegende Fallkonstellation kann nicht mit Unterlassungsansprüchen gegenüber einer ehrverletzenden Äußerung verglichen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 12; anders OLG Dresden aaO Rn. 3 f). Eine Ehrverletzung stellt einen wesentlich stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar als die ihm (vorübergehend) genommene Kommunikationsmöglichkeit auf einer Internet-basierten Plattform. Dass auf dieser Plattform im Hinblick auf den Kläger ehrverletzende Äußerungen erfolgt sind, gegen die er sich während der Sperre nicht hat zur Wehr setzen können, ist nicht geltend gemacht.
Im Ansatz ist somit bei der hier verhängten dreitägigen Sperre des F. -Nutzerkontos von einer Beschwer von 500 € auszugehen. Hiervon ist - da es sich (nur) um einen Feststellungsantrag handelt - ein Abschlag von 20 % vorzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 13 mwN). Denn es handelt sich nicht um die Untersagung einer gegenwärtigen oder künftigen Sperre, sondern lediglich um die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer in der Vergangenheit liegenden, beendeten Sperre. Auf diese Weise ergibt sich für den Klageantrag zu 1 eine Beschwer von 400 €.
b) Hinsichtlich des Klageantrags zu 2 ist bei der Bemessung der Beschwer zwar zu berücksichtigen, dass der gelöschte Beitrag vom Schutzbereich der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit erfasst wird (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom
19. Januar 2016 - VI ZB 69/14, juris Rn. 11 und vom 13. Januar 2015 - VI ZB 29/14, CR 2015, 250 Rn. 11). Indes betrifft die Löschung vorliegend nur eine einzige kurze, in Frageform getätigte Äußerung auf einer Internet-Plattform (ähnlich Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO; OLG Frankfurt a.M. aaO S. 8 und OLG Koblenz aaO Rn. 18). Vor diesem Hintergrund ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit des Klägers gering zu bewerten und erscheint - neben dem separat angesetzten Wert für die Kontosperre - ein Betrag von 500 € angemessen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO). Anhaltspunkte für ein besonderes Interesse des Klägers an seiner Äußerung macht die Beschwerde nicht geltend.
c) Hinsichtlich des auf die Unterlassung einer künftigen Löschung und Sperrung bezogenen Klageantrags zu 3 ist zu berücksichtigen, dass die Klageanträge zu 1 und 2 bereits zwei dem Klageantrag zu 3 ähnliche, lediglich andere Zeiträume, aber denselben Beitrag des Klägers und dasselbe Nutzerkonto betreffende identische Verhaltensweisen der Beklagten zum Gegenstand haben. Auch die Feststellungs- und Freischaltungsanträge zu 1 und 2 dienen bereits der Vermeidung künftiger identischer Rechtsbeeinträchtigungen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Wert von 1.500 € angemessen, um einerseits der separaten Antragstellung und andererseits der Bedeutung des Unterlassungsantrags im Gesamtgefüge der Anträge hinreichend Rechnung zu tragen.
d) Hinsichtlich des Klageantrags zu 4 bemisst der Senat die Beschwer des Klägers mit 500 € (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 15). Soweit der Kläger die Auskunft zur Vorbereitung von Ansprüchen gegen ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen verlangt, bilden diese Ansprüche einen Anhaltspunkt für seine Beschwer (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2014 - III ZR 75/13, juris Rn. 9 zum wirtschaftlichen Interesse an der Erteilung der Auskunft als maßgeblichem Kriterium für die Bemessung der Beschwer des - in den Vorinstanzen erfolglos - Auskunft Begehrenden). Der Wert des Auskunftsanspruchs ist allerdings nicht identisch mit dem Leistungsanspruch, sondern in der Regel nur mit einem Teilwert des Anspruchs zu bemessen, dessen Durchsetzung die verlangte Information dienen soll. Dabei werden üblicherweise 1/4 bis 1/10 angesetzt (Senat, Beschluss vom 27. Februar 2014 aaO mwN). Die Beschwerde zeigt keinen Vortrag des Klägers auf, nach dem dieser einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen ein mit der Kontosperre beauftragtes Unternehmen geltend zu machen beabsichtigt. Selbst bei Ansatz eines Viertels des Betrages solcher Ansprüche ergibt sich mithin für das vorliegend zu bewertende Auskunftsverlangen keine höhere Beschwer als 500 €.
e) Hinsichtlich des Klageantrages zu 5 bemisst der Senat die Beschwer des Klägers ebenfalls mit 500 € (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 aaO Rn. 16). Die Beschwerde zeigt auch insofern keinen Vortrag des Klägers auf, nach dem dieser einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen beabsichtigt.
f) Da das Berufungsgericht den auf Zahlung von 150 € gerichteten Klageantrag zu 6 abgewiesen hat, ist die entsprechende Beschwer des Klägers mit diesem Betrag anzusetzen.
Damit berechnet sich die Beschwer des Klägers i.S.v. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wie folgt:
Klageantrag zu 1: Klageantrag zu 2: Klageantrag zu 3: Klageantrag zu 4: Klageantrag zu 5: Klageantrag zu 6:
Gesamtbeschwer:
€ 500 € 1.500 € 500 € 500 € 150 €
3.550 €.
Herrmann Kessen Remmert Herr Vorinstanzen: LG Coburg, Entscheidung vom 26.06.2019 - 15 O 601/18 OLG Bamberg, Entscheidung vom 15.06.2020 - 4 U 228/19 - Reiter