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IV ZR 526/15

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 526/15 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 6. Juli 2016 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2016:060716UIVZR526.15.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann, die Richterinnen Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2016 für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 23 des Landgerichts Berlin vom 11. November 2015 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen Tatbestand:

Der Kläger ist ein Krankenversicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Der Beklagte war bei ihm bis zum 29. November 2012 im Basistarif krankenversichert.

Nachdem der Beklagte mit der Beitragszahlung in Rückstand geraten war, mahnte der Kläger die Rückstände mehrfach an und stellte nach fruchtlosem Fristablauf schließlich mit Schreiben vom 19. Juli 2011 das Ruhen der Leistungen fest.

Mit der Klage begehrt der Kläger die offenen Beiträge, die er auf Grundlage eines Beitrags im Basistarif von zunächst monatlich 251,85 € und ab dem 1. August 2012 monatlich 592,88 € unter Berücksichtigung von Teilzahlungen des Beklagten mit einem Gesamtbetrag von

4.976,03 € errechnet, nebst Zinsen und Kosten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass er ab dem 1. August 2011 lediglich einen Beitrag von monatlich 75,09 € geschuldet habe, weil er aufgrund der zum 1. August 2013 in Kraft getretenen Gesetzesänderung des § 193 VVG i.V.m. Art. 7 EGVVG für die Zeit des Ruhens der Leistungen rückwirkend in den Notlagentarif nach § 12h VAG (in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung) einzustufen sei.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landgericht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Forderungen für begründet erachtet, weil Art. 7 Satz 2 EGVVG keine Anwendung auf Verträge finde, die bereits vor dem 1. August 2013 beendet gewesen sind. Dafür sprächen schon der Wortlaut der Regelung (Verwendung des Perfekts: "ruhend gestellt worden sind"), die in Art. 7 Satz 6 EGVVG enthaltene Belehrungspflicht, und der Zweck der Regelung, der einerseits auf Entlastung der Versichertengemeinschaft und andererseits auf eine möglichst schnelle Wiederherstellung vollen Versicherungsschutzes säumiger Zahler gerichtet sei. Entscheidend komme hinzu, dass die Regelung eine verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Rückwirkung zu Lasten der Versicherer statuiere, weshalb eine enge Auslegung der Vorschrift geboten sei.

II. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

1. Zu der Rechtsfrage, ob die Regelung des Art. 7 Satz 2 EGVVG voraussetzt, dass die Leistungen aus dem Vertrag am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes noch gemäß § 193 Abs. 6 VVG ruhend gestellt sind, werden in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten.

a) Das Kammergericht (VersR 2015, 440) und das Oberlandesgericht Köln (r+s 2015, 454) vertreten die Ansicht, dass die in Art. 7 Satz 2 EGVVG angeordnete Rückwirkung des Notlagentarifs nicht voraussetze, dass die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung noch ruhend gestellt waren.

Diese Gerichte meinen, dass der Wortlaut des Gesetzes eine Einschränkung der angeordneten Rückwirkung auf am 1. August 2013 ruhend gestellte Verträge nicht enthalte und auch Sinn und Zweck des Gesetzes gegen eine dahingehende einschränkende Auslegung der Rückwirkungsfiktion sprächen. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichterung der Schuldenlast werde anderenfalls verfehlt; insbesondere würden die finanziell besonders schwachen Versicherungsnehmer, die hilfebedürftig im Sinne des SGB XII sind, von der Begünstigung ausgeschlossen (KG aaO juris Rn. 31-36; OLG Köln aaO juris Rn. 43-45).

b) Gegenteiliger Auffassung sind außer dem Berufungsgericht (vgl. bereits LG Berlin VersR 2015, 1015) auch das Landgericht Dortmund (r+s 2014, 85; zustimmend Voit in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 193 Rn. 45) und das Oberlandesgericht Hamm (r+s 2016, 136) sowie im Schrifttum Muschner (in HK-VVG, 3. Aufl. Art. 7 EGVVG Rn. 3 f.) und Mandler (VersR 2015, 818).

Zur Begründung wird vor allem angeführt, aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung des Art. 7 EGVVG (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss), BT-Drucks. 17/13947 S. 31 f. zu Artikel 5) ergebe sich, dass der Gesetzgeber nur die Beitragsschuldner im Blick gehabt habe, deren Verträge bei Inkrafttreten der Regelung noch fortbestanden, und eine Gleichstellung von Versicherten, bei denen das Ruhen der Leistungen bis zum 1. August 2013 andauerte, mit denjenigen Altschuldnern, bei denen das Ruhen der Leistungen bereits vor dem 1. August 2013 beendet war, durch die neue Rechtslage nicht beabsichtigt worden sei (OLG Hamm aaO Rn. 13-15; LG Dortmund aaO; Mandler aaO S. 819) und dass eine dementsprechend enge Auslegung der Vorschrift auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sei, weil die rückwirkende Einführung eines Notlagentarifs eine nur ausnahmsweise zulässige echte Rückwirkung darstelle (LG Berlin aaO; Muschner aaO Rn. 4; Mandler aaO S. 820). Teilweise wird auch darauf verwiesen, dass die in § 193 Abs. 8 VVG geregelte Belehrungspflicht des Versicherers nur für einen noch bestehenden und auf den Notlagentarif umgestellten Krankenversicherungsvertrag einen Sinn ergebe (LG Dortmund aaO; LG Berlin aaO).

Zudem folge schon aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes, dass von der rückwirkenden Regelung nur solche Versicherungsverhältnisse erfasst würden, die zum 1. August 2013 noch ruhend gewesen seien, weil der Gesetzgeber sich des Passiv Perfekts bedient habe ("ruhend gestellt worden sind") und die Versicherungsnehmer "ab" diesem Zeitpunkt als im Notlagentarif versichert gelten (Mandler aaO S. 818).

2. Zutreffend ist die zuletzt genannte Auffassung, nach der Art. 7 Satz 2 EGVVG nur anzuwenden ist, wenn ein Ruhen der Leistungen noch bei Inkrafttreten der Regelung am 1. August 2013 vorgelegen hat.

a) Dies folgt, wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, bereits aus Wortlaut und Systematik des Art. 7 EGVVG.

Danach kann die Regelung über die rückwirkende Geltung des Notlagentarifs in Art. 7 Satz 2 bis 6 EGVVG nicht losgelöst von dem in Art. 7 Satz 1 EGVVG enthaltenen Grundtatbestand gesehen werden, nach der solche Versicherungsnehmer als im Notlagentarif versichert gelten, für die am 1. August 2013 das Ruhen der Leistungen gemäß § 193 Abs. 6 VVG festgestellt ist. Diese Grundvoraussetzung muss auch für die nach Maßgabe der Sätze 2 bis 6 vorgesehene zeitliche Rückwirkung erfüllt sein. Denn Art. 7 Satz 2 EGVVG ordnet seinem Wortlaut nach nur an, dass der Notlagentarif unter den dort genannten Voraussetzungen "ab" einem früheren Zeitpunkt gilt als nach der Grundregel des Satzes 1 vorgesehen.

Ein hiervon abweichender Wille des Gesetzgebers dahingehend, dass nicht nur rückwirkend eine zeitliche Ausdehnung der Geltung des Notlagentarifs stattfinden soll, sondern von ihr auch solche Versicherungsnehmer erfasst sein sollen, für die die Regelung des Art. 7 Satz 1 EGVVG nicht gilt, weil ein Ruhen der Leistungen nur für einen früheren Zeitraum in der Vergangenheit vorgelegen hat, kommt im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck.

b) Wie das Berufungsgericht weiter zutreffend erkannt hat, hätte ein solcher Wille auch wegen der verfassungsrechtlichen Problematik einer derartigen Regelung deutlich formuliert werden müssen.

Die rückwirkende Einführung eines Notlagentarifs führt zum Wegfall oder der Herabsetzung bereits voll entstandener Beitragsansprüche der Versicherer und stellt damit eine echte Rückwirkung dar (Muschner in HK-VVG, 3. Aufl. Art. 7 EGVVG Rn. 4). Eine echte Rückwirkung liegt immer dann vor, wenn der Gesetzgeber nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Tatbestand eingreift (BVerfGE 114, 258, 300; 101, 239, 263; 95, 64, 86). Sie ist grundsätzlich unzulässig (BVerfGE aaO) und bedarf für ihre Zulässigkeit einer besonderen Rechtfertigung (BVerfGE 72, 200, 242).

Insoweit sind verschiedene Fallgruppen für eine Zulässigkeit anerkannt (vgl. dazu Grzeszik in Maunz/Dürig, GG 76. EL Art. 20 VII Rn. 80 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth, GG 12. Aufl. Art. 20 Rn. 72). Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/13947 S. 31 f.) stellt allerdings nicht fest, welchen dieser anerkannten Gründe der Gesetzgeber als gegeben betrachtete, um eine Rückwirkung zu rechtfertigen.

Dabei ist zu erkennen, dass der Gesetzgeber von einer geringen Belastung der Versicherer durch die rückwirkende Versicherung im Notlagentarif ausging, weil die so begründete niedrigere Forderung aus dem Notlagentarif an die Stelle einer in vielen Fällen ohnehin nicht mehr beitreibbaren höheren Forderung trete, so dass der Wertberichtigungsbedarf für die Versicherungsunternehmen reduziert werde (BT-Drucks. 17/13947 S. 31 re. Sp. unten). Unter Berücksichtigung dieses Umstands erscheint es möglich, in dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz von säumigen Versicherungsnehmern vor weiterer Überschuldung einen überwiegenden, zwingenden Grund des Gemeinwohls zu sehen, der jedenfalls für den Fall von am Stichtag noch ruhenden Leistungen den Eingriff in eine entstandene und noch nicht ausgeglichene Prämienforderung rechtfertigt.

Die Rückwirkungsproblematik gebietet eine möglichst enge Auslegung. Dies gilt umso mehr, als der Zweck des Gesetzes, die Zahlungsfähigkeit des Versicherungsnehmers schneller wiederherzustellen, damit der volle Versicherungsschutz zügig wiedererlangt werden könne, bei einem Versicherten, bei dem kein Ruhen der Leistungen mehr besteht, bereits insoweit erreicht ist, als er wieder vollen Versicherungsschutz genießt (zutreffend Mandler aaO S. 819).

3. In dieser Auslegung verstößt die Regelung auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Dem Gesetzgeber ist bei der Schaffung von Übergangsregelungen notwendigerweise ein gewisser Spielraum einzuräumen. Denn gerade bei weitreichenden Änderungen ist es unmöglich, die unter dem alten Recht entstandenen und womöglich schon abgewickelten Rechtsverhältnisse vollständig dem neuem Recht zu unterstellen. Auch verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit klare schematische Entscheidungen über die zeitliche Abgrenzung zwischen dem alten und dem neuen Recht, so dass es unvermeidlich ist, dass sich in der Rechtsstellung der Betroffenen, je nachdem, ob sie dem alten oder dem neuen Recht zu entnehmen ist, Unterschiede ergeben, die dem Ideal der Rechtsgleichheit widersprechen. Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtagsund anderen Übergangsvorschriften muss sich daher auf die Frage beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint (BVerfG NJW 2013, 2103 Rn. 34 m.w.N.).

Dieser Prüfung hält die Übergangsregelung des Art. 7 EGVVG stand, insbesondere weil sie nicht der Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustands diente, sondern lediglich einer materiellen Besserstellung finanziell überforderter Versicherungsnehmer, die alte Rechtslage aber auch unzweifelhaft verfassungsgemäß war (vgl. hierzu BVerfG aaO Rn. 35 m.w.N.).

4. Nach alledem war der Beklagte nicht in den Notlagentarif einzustufen und schuldete für den mit der Klage geltend gemachten Zeitraum die ursprüngliche Prämie. Einwendungen gegen die vom Kläger auf dieser Grundlage errechnete und von den Vorinstanzen zuerkannte Höhe der Prämienforderung sind nicht ersichtlich.

Felsch Harsdorf-Gebhardt Lehmann Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Vorinstanzen:

AG Berlin-Neukölln, Entscheidung vom 20.04.2015 - 14 C 70/15 LG Berlin, Entscheidung vom 11.11.2015 - 23 S 15/15 -

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