XI ZR 491/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES XI ZR 491/21 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 11. Juni 2024 Weber Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:110624UXIZR491.21.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2024 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg, Dr. Schild von Spannenberg und Dr. Sturm sowie die Richterin Ettl für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 26. August 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage abgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Kläger nehmen u.a. die Beklagte zu 1 als Gründungsgesellschafterin einer Fondsgesellschaft wegen vorvertraglicher Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Fondsbeteiligung auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Die Klägerin zu 1 erklärte am 22. August 2012 ihren Beitritt zur A.
GmbH & Co. KG (künftig: Fondsgesellschaft) mit einer Kommanditbeteiligung in Höhe von 15.000 €. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung zeichnete sie eine weitere Beteiligung in Höhe von 6.070 €. Der Kläger zu 2 erklärte am 13. Juni 2012 seinen Beitritt zur Fondsgesellschaft mit einer Kommanditbeteiligung in Höhe von 15.000 €. Die Klägerin zu 3 erklärte am 12. Oktober 2012 ihren Beitritt zur Fondsgesellschaft mit einer Kommanditbeteiligung in Höhe von 25.000 €. Der Kläger zu 4 erklärte am 4. September 2012 seinen Beitritt zur Fondsgesellschaft mit einer Kommanditbeteiligung in Höhe von 15.000 €. Der Kläger zu 5 erklärte am 3. Oktober 2012 seinen Beitritt zur Fondsgesellschaft mit einer Kommanditbeteiligung in Höhe von 15.000 €. Der Kläger zu 6 erklärte am 22. Juli 2012 seinen Beitritt zur Fondsgesellschaft mit einer Kommanditbeteiligung in Höhe von 100.000 €. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung zeichnete er eine weitere Beteiligung in Höhe von 43.800 €.
Gegenstand der Fondsgesellschaft ist der Erwerb von mittelbaren Geschäftsanteilen an einer türkischen Wasserkraftgesellschaft mit fünf Wasserkraftwerken. Der Verkaufsprospekt wurde am 16. April 2012 aufgestellt und lag den Klägern vor.
Die Beklagte zu 1 fungierte als geschäftsführende Kommanditistin der Fondsgesellschaft. Auf Seite 100 des Prospekts heißt es u.a. wie folgt:
"Geschäftsbesorgungsvertrag Eigenkapitalvermittlung Das Beteiligungskapital wird durch die A. C.
GmbH als Generalvermittlerin auf Basis des Geschäftsbesorgungsvertrags mit der Emittentin vom 16.04.2012 platziert." Auf Seite 104 des Prospekts heißt es weiter:
"Vertriebsbeauftragte Das Beteiligungskapital wird auf Grundlage des Geschäftsbesorgungsvertrags Eigenkapitalvermittlung durch die A. C.
GmbH als Generalvermittler sowie deren Vertriebsbeauftragte, mit denen entsprechende Vertriebsvereinbarungen getroffen werden, platziert. Die A. C.
GmbH und die Vertriebsbeauftragten sind selbständige Unternehmer. […]" Auf Seite 105 des Prospekts heißt es weiter wie folgt:
"Mit dem Vertrieb der Vermögensanlage ist die A. C. GmbH - eine Schwestergesellschaft der A. Ca. GmbH - beauftragt. Es ist kein zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung beteiligter Gesellschafter und kein Gründungsgesellschafter der Emittentin unmittelbar oder mittelbar an Unternehmen beteiligt, die mit dem Vertrieb der Vermögensanlage beauftragt sind, […]." Die Kläger machen verschiedene Prospektfehler geltend und meinen, die Beklagte zu 1 sei ihnen aufgrund ihrer Stellung als Gründungsgesellschafterin nach den Grundsätzen der "Prospekthaftung im weiteren Sinne" [richtig: § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB] zum Schadensersatz verpflichtet.
Mit ihrer Klage begehren die Kläger (1.) die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 21.820 € (Klägerin zu 1), von 15.750 € (Kläger zu 2), von 24.000 € (Klägerin zu 3), von 14.400 € (Kläger zu 4), von 15.750 € (Kläger zu 5) und von 140.050 € (Kläger zu 6), jeweils zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus dem Treuhandvertrag über die streitgegenständliche Fondsbeteiligung, (2.) die Feststellung, dass sich die Beklagten mit der Annahme der Zugum-Zug-Leistung im Verzug befänden, (3.) die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, die Kläger von Freistellungsansprüchen der Beklagten zu 2 aus dem Treuhandvertrag freizustellen und (4.) die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, den Klägern alle weiteren Schäden zu ersetzen, die in der Zeichnung der Beteiligung ihre Ursache haben. Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Der Senat hat die Revision insoweit zugelassen, als das Berufungsgericht die Klage gegen die Beklagte zu 1 abgewiesen hat. Insoweit verfolgen die Kläger zu 1 bis 6 ihre Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Eine Haftung der Beklagten als Gründungsgesellschafterinnen aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB werde durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG i.V.m. §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (künftig: aF) verdrängt. Die spezialgesetzliche Prospekthaftung schließe in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB aus. Ansprüche nach der spezialgesetzlichen Prospekthaftung seien gemäß § 46 BörsG aF verjährt.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung, ein Schadensersatzanspruch der Kläger aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB wegen einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung werde durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG i.V.m. §§ 44 ff. BörsG aF verdrängt, kann die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage nicht abgewiesen werden.
1. Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt allerdings zutreffend angenommen, dass eine Haftung der Beklagten zu 1 als Gründungsgesellschafterin aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann.
Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird nach gefestigter Senatsrechtsprechung durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff., vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 7 f. in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908 und vom 26. Juli 2022 - XI ZB 23/20, WM 2022, 2137 Rn. 50 ff., jeweils mwN). Diese Senatsrechtsprechung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 - II ZR 57/21, BGHZ 238, 302 Rn. 11).
Auf den am 16. April 2012 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (künftig: aF) i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF eröffnet.
Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF), im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). Die Beklagte zu 1 ist Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF, da sie Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Februar 2022 - XI ZB 32/20, BGHZ 233, 47 Rn. 2, 19 und vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 12 in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908).
Die Beklagte zu 1 haftete somit als Prospektverantwortliche für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Beklagten zu 1 unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung allein aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB ausgeschlossen (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 26).
2. Ein Gründungsgesellschafter kann gegenüber Anlegern allerdings aus anderen Gründen als durch Verwenden einer Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung - etwa wegen unrichtiger mündlicher Zusicherungen nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB haften. Insoweit schließt die spezialgesetzliche Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF eine Haftung aus c.i.c. nicht aus (Senatsbeschlüsse vom 27. April 2021 - XI ZB 35/18, BKR 2021, 774 Rn. 8, vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 16 in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022,
1908, vom 11. Juli 2023 - XI ZB 20/21, BGHZ 237, 346 Rn. 41 und vom 19. September 2023 - XI ZB 16/21, NZG 2024, 24 Rn. 23).
Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und im Einzelnen begründet hat, kommt eine Haftung eines Gründungsgesellschafters nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF auch dann in Betracht, wenn der Gründungsgesellschafter dadurch einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand setzt, dass er entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernimmt oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung trägt (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2023 - XI ZB 20/21, BGHZ 237, 346 Rn. 41 ff.; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 - II ZR 57/21, BGHZ 238, 302 Rn. 11).
Vertriebsverantwortung kann durch verschiedene Umstände begründet werden. Vertriebsverantwortung trägt ein Altgesellschafter, wenn er selbst den Vertrieb übernimmt, beispielsweise als Vertriebsgesellschaft. Vertriebsverantwortung kann jedoch auch bestehen, wenn ein Altgesellschafter den Vertrieb nicht selbst übernimmt. Vertriebsverantwortung tragen danach, soweit der Vertriebsauftrag von der Fondsgesellschaft erteilt wurde, die geschäftsführungsbefugten Altgesellschafter. Altgesellschafter tragen die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Beteiligungsinteressenten aber nicht allein deswegen, weil ihr Alleingesellschafter aufgrund eines von der Fondsgesellschaft erteilten Auftrags den Vertrieb der Beteiligungen übernommen hat. Eine personelle Verflechtung eines Altgesellschafters mit der Vertriebsgesellschaft begründet ebenfalls keine Verantwortung für den Vertrieb (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 - II ZR 57/21, BGHZ 238, 302 Rn. 30 und Senatsbeschlüsse vom 11. Juli 2023 - XI ZR 60/22, BKR 2023, 718 Rn. 7 und - XI ZB 20/21, BGHZ 237, 346 Rn. 44).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Beklagte zu 1 für den Vertrieb der Fondsanteile verantwortlich. Aus dem Prospekt ergibt sich, dass die A. C. GmbH von der Fondsgesellschaft auf der Basis eines Geschäftsbesorgungsvertrags vom 16. April 2012 mit dem Vertrieb beauftragt wurde. Die Komplementärin der Fondsgesellschaft war nach den Angaben im Prospekt (S. 104) ausdrücklich von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Geschäftsführende Kommanditistin der Fondsgesellschaft war vielmehr die Beklagte zu 1. Diese ist danach für den Vertrieb der Fondsanteile verantwortlich, da der Vertriebsauftrag, wie hier, von der Fondsgesellschaft erteilt wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2023 - XI ZB 20/21, BGHZ 237, 346 Rn. 44; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 - II ZR 57/21, BGHZ 238, 302 Rn. 31). Eine Haftung der Beklagten zu 1 wegen einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB kann damit - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, die Haftung werde durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.
III.
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann nicht gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Sache ist vielmehr zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Ellenberger Grüneberg Schild von Spannenberg Sturm Ettl Vorinstanzen: LG Hamburg, Entscheidung vom 18.12.2020 - 313 O 10/20 OLG Hamburg, Entscheidung vom 26.08.2021 - 6 U 7/21 -