XIII ZB 12/25
BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 12/25 BESCHLUSS vom 26. Mai 2025 in der Haftaufhebungssache ECLI:DE:BGH:2025:260525BXIIIZB12.25.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt sowie die Richterinnen Dr. Picker, Dr. Vogt-Beheim und Dr. Holzinger beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Bamberg - 4. Zivilkammer - vom 28. Januar 2025 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 7. November 2024 den Betroffenen seit dem 11. Dezember 2024 bis zu seiner Haftentlassung am 11. April 2025 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Bamberg auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Herbst 2024 nach Deutschland ein. Am 6. November 2024 wurde er bei einer polizeilichen Kontrolle aufgegriffen; er verfügte über keine Ausweispapiere. Die beteiligte Behörde forderte ihn am selben Tag zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung nach Vietnam an. Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 6. November 2024 ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. November 2024 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 6. Mai 2025 an.
Am 11. Dezember 2024 hat der Betroffene die Aufhebung der Haft beantragt; diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 23. Dezember 2024 abgelehnt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 28. Januar 2025 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung der Haft und die Feststellung begehrt, dass die Freiheitsentziehung in Vollzug des Haftbeschlusses vom 6. November 2024 ihn in seinen Rechten verletzt hat. Dem zugleich gestellten Antrag des Betroffenen, die Vollziehung der Haft einstweilen auszusetzen, hat der Senat nach Eingang zweier Stellungnahmen der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 10. April 2024 (XIII ZB 12/25 - juris) entsprochen. Am Folgetag wurde der Betroffene aus der Haft entlassen.
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe die Sicherungshaft zu Recht angeordnet. Der Haftanordnung liege ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Dieser sei ausreichend begründet, weil er die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung sowie die voraussichtliche Dauer der Abschiebungshaft hinreichend darlege. Ein Haftgrund sei gegeben, weil der Betroffene aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die Haftanordnung stelle sich auch als verhältnismäßig dar. Die Haftdauer von bis zu sechs Monaten sei im Hinblick auf die lange Dauer zur Organisation der Abschiebung des Betroffenen erforderlich.
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die mit Beschluss vom 7. November 2024 angeordnete Haft war rechtswidrig und hat den Betroffenen ab dem Eingang seines Haftaufhebungsantrags am 11. Dezember 2024 bis zu seiner Entlassung in seinen Rechten verletzt.
a) Für den Zeitraum bis zum Eingang der ersten Stellungnahme der beteiligten Behörde im Rechtsbeschwerdeverfahren am 7. April 2025 hat es bereits an einem zulässigen Haftantrag gefehlt.
aa) Einwände gegen die Zulässigkeit des Haftantrags sind auch im Haftaufhebungsverfahren nach § 426 Abs. 2 FamFG zu prüfen, da in diesem Verfahren nicht nur neue Umstände, sondern auch Einwände gegen die Anordnung der Haft geltend gemacht werden können (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2023 - XIII ZB 68/20, juris Rn. 7 mwN). Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, NVwZ 2023, 1523 Rn. 7 mwN). Die Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer ist daher mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, darzulegen. Dazu ist anzugeben, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind,
von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 - XIII ZB 124/19, juris Rn. 7 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 6. November 2024 nicht gerecht. Die beteiligte Behörde hat darin lediglich mitgeteilt, der Betroffene solle per Einzelmaßnahme mit dem Flugzeug nach Vietnam abgeschoben werden. Da er keine Identitätsnachweise besitze, müsse ein Verfahren zur Passersatzbeschaffung durchgeführt werden. Dieses Verfahren dauere nach Auskunft des Bayerischen Landesamts für Asyl und Rückführungen (im Folgenden: Landesamt) mehrere Monate. Ein entsprechender Antrag auf Durchführung eines Passersatzverfahrens sei bereits vorbereitet und werde in Kürze an das Landesamt übermittelt. Erst nach Erhalt eines Heimreisedokuments könne der Schubantrag gestellt und die Rückführung vorbereitet werden. Erfahrungsgemäß erfolge die Abschiebung innerhalb von sechs Wochen ab Schubantrag. Zuzüglich einer Vorbereitungsdauer von einer Woche ab Mitteilung des Flugtermins könne somit erfahrungsgemäß eine Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer sichergestellt werden.
Auf Grundlage dieser - auch in der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Haftanordnungsverfahren nicht ergänzten - Angaben konnte das Haftgericht nicht abschätzen, welche Haftdauer für die Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Vietnam erforderlich sein würde, insbesondere nicht prüfen, ob innerhalb der beantragten sechs Monate die Abschiebung voraussichtlich durchführbar sein würde und ob der volle beantragte Haftzeitraum notwendig war. Zwar geben die Ausführungen der beteiligten Behörde hinreichenden Aufschluss darüber, mit welchem Zeitaufwand für die Organisation der Rückführung des Betroffenen ab dem Vorliegen von Passersatzpapieren zu rechnen ist. Die Angabe, das Verfahren zur Ausstellung eines Passersatzpapiers dauere mehrere Monate, ist aber zu pauschal, um die ungefähre Dauer der Passersatzpapierbeschaffung für den Betroffenen einzuschätzen, und bietet dem Gericht auch keine Ansatzpunkte für konkrete Nachfragen.
b) Auf eine etwaige Heilung der Mängel des Haftantrags kommt es im Streitfall nicht an. Denn der Vollzug der Haft erweist sich bereits seit einem früheren Zeitpunkt wegen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot als rechtswidrig.
aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird. Es schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde nicht aus, verlangt aber, dass sie die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und alle notwendigen Anstrengungen unternimmt, damit der Vollzug der Haft auf einen möglichst kurzen Zeitraum beschränkt werden kann. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. September 2024 - XIII ZB 23/22, DVBl 2025, 162 Rn. 13 mwN). Versäumnisse anderer am Verfahren beteiligter nationaler Behörden sind dabei der die Abschiebung betreibenden Behörde zuzurechnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 65/19, InfAuslR 2020, 385 Rn. 15; vom 21. März 2023 - XIII ZB 32/22, juris Rn. 9).
bb) Die beteiligte Behörde hat in ihrem auf dem Auflagenbeschluss des Senats vom 8. April 2025 beruhenden Schreiben vom 10. April 2025 erklärt, sie habe das Verfahren für die Beschaffung von Passersatzpapieren am 17. Dezember 2024 sofort nach Erhalt der Passkopie von der tschechischen Botschaft begonnen. Die anschließenden Verfahrensschritte der Pass- oder Passersatzbeschaffung habe das Landesamt vorzunehmen. Dieses habe mitgeteilt, der Vorgang sei nach Eingang des Amtshilfeersuchens vom 23. Dezember 2024 aufgrund der Anzahl gleichzeitig eingegangener Amtshilfeanfragen und -ersuchen entsprechend priorisiert, das Verfahren sodann in die Sachbearbeitung aufgenommen und die Passersatzbeschaffung am 14. März 2025 über die Koordinierungsstelle eingeleitet worden. Weitere Angaben sind nicht erfolgt.
cc) Auf dieser im Rechtsbeschwerdeverfahren unstreitig gebliebenen und daher der rechtlichen Beurteilung durch den Senat zugrunde zu legenden Tatsachengrundlage (zu den insoweit anerkannten Ausnahmen zu § 559 Abs. 1 ZPO, der gemäß § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend gilt, vgl. BGH, Urteile vom 11. November 1982 - III ZR 77/81, BGHZ 85, 288 [juris Rn. 10]; vom 2. März 2017 - I ZR 273/14, MDR 2017, 722 Rn. 44 - Videospiel-Konsolen III, jew. mwN) liegt im Streitfall ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor. Zwar ist es der beteiligten Behörde nicht anzulasten, dass sie, wie sich aus der beigezogenen Ausländerakte ergibt, nach der Inhaftierung des Betroffenen zwischen dem 7. November und dem 17. Dezember 2025 zunächst versucht hat, dessen Pass oder eine Kopie desselben über die tschechischen Behörden zu erlangen, um seine Identität sicherzustellen. Es ist jedoch keine Rechtfertigung dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass das Landesamt in der vorliegenden Haftsache die Passersatzbeschaffung erst am 14. März 2025 und damit nahezu zwölf Wochen nach Erhalt des Amtshilfeersuchens der beteiligten Behörde vom 23. Dezember 2024 eingeleitet hat. Ein so langes Zuwarten ist mit dem Beschleunigungsverbot unvereinbar.
3. Der Senat kann gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst entscheiden, da sie entscheidungsreif ist. Es ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, dass in Bezug auf die Verzögerung bei der Passersatzbeschaffung noch weitere Feststellungen getroffen werden könnten.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Roloff Tolkmitt Picker Vogt-Beheim Holzinger Vorinstanzen: AG Bamberg, Entscheidung vom 07.11.2024 - 15 XIV 241/24 B LG Bamberg, Entscheidung vom 28.01.2025 - 43 T 6/25 und 44 T 7/25 -