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AK 95/25

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 95/25 vom

14. November 2025 in dem Strafverfahren gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

ECLI:DE:BGH:2025:141125BAK95.25.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeklagten und seiner Verteidiger am 14. November 2025 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Dresden übertragen.

Gründe:

I.

Der bis dahin flüchtige Angeklagte ist am 20. Januar 2025 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2024 (1 BGs 22/24) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Hinsichtlich eines weiteren, andere mutmaßliche prozessuale Taten des Angeklagten betreffenden und in einem ursprünglich gesondert geführten Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts ergangenen Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2024 (1 BGs 121/24) ist Überhaft notiert gewesen. Die beiden Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sind am 4. November 2025 durch einen erweiterten Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden ersetzt worden, der dem Angeklagten an diesem Tag verkündet worden ist.

Gegenstand sowohl des ursprünglichen Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2024 als auch des neuen Haftbefehls des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. November 2025 ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich in der Zeit von Anfang 2018 bis jedenfalls am 14. Dezember 2019 – dabei bis zum 11. März 2018 als Heranwachsender – in L. und anderenorts in Deutschland in mehreren Fällen als Mitglied an einer Vereinigung beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen sei, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind, und dabei in einem Fall – in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 2019 – durch dieselbe Handlung mittels gefährlicher Werkzeuge und gemeinschaftlich mit anderen Beteiligten vier andere Personen an der Gesundheit geschädigt sowie gemeinschaftlich mit anderen rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt, in einem anderen Fall – gleichfalls in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 2019 – durch dieselbe Handlung zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde gebraucht sowie in der Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, versucht, die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Bereitung eines Hindernisses zu beeinträchtigen, beziehungsweise anderen zu diesem Versuch Beihilfe geleistet.

Sowohl der Haftbefehl vom 26. Januar 2024 als auch der neue Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden nehmen insofern eine mutmaßliche Strafbarkeit des Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in mehreren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und (Beihilfe zum) versuchtem gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, § 267 Abs. 1, § 303 Abs. 1, § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB an. Der neue – erweiterte – Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden erstreckt sich zudem auf weitere mutmaßliche Taten des Angeklagten, darunter diejenige aus dem Haftbefehl vom 5. April 2024.

Der Senat hat mit Beschluss vom 7. August 2025 (AK 56/25) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet.

Der Generalbundesanwalt hat mit Anklageschrift vom 26. Mai 2025 unter anderem wegen der dem Haftbefehl vom 26. Januar 2024 zugrundeliegenden Tatvorwürfe gegen den Angeklagten – und sechs Mitangeklagte – Anklage zum Oberlandesgericht Dresden erhoben. Der mit der Sache befasste 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden (4 St 2/25) hat die Anklage mit Beschluss vom 26. September 2025 – hinsichtlich des Angeklagten ohne Änderung – zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Mit Beschluss vom 21. Oktober 2025 hat das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten dem Bundesgerichtshof zur erneuten besonderen Haftprüfung vorgelegt. Das Haftprüfungsverfahren ist seit dem 27. Oktober 2025 beim Bundesgerichtshof anhängig. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus anzuordnen.

II.

1. Der Haftbefehl vom 5. April 2024, für den lediglich Überhaft angeordnet worden ist, hat bei der Prüfung der Haftfortdauer von vornherein außer Betracht zu bleiben. Denn Grundlage eines Haftprüfungsverfahrens gemäß §§ 121, 122 StPO ist lediglich der in der Sache vollzogene Haftbefehl, nicht aber zugleich ein weiterer gegen den betreffenden Beschuldigten ergangener Haftbefehl, für den allein Überhaft notiert ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2023 – AK 35/23 u.

StB 34/23, BGHSt 68, 1 Rn. 17; vom 18. November 2021 – AK 47/21, juris Rn. 8; vom 28. Juli 2016 – AK 41/16, juris Rn. 8; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 122 Rn. 12).

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob Gegenstand des besonderen Haftprüfungsverfahrens nach den §§ 121, 122 StPO hier der ursprüngliche Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2024 oder der neue, an die Anklagevorwürfe angepasste und erweiterte Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. November 2025 ist. Zwar ist grundsätzlich der aktuelle, dem Beschuldigten verkündete und vollzogene Haftbefehl der Entscheidung im besonderen Haftprüfungsverfahren zu Grunde zu legen. Vorliegend besteht indes die Besonderheit, dass dieser erlassen und verkündet worden ist, nachdem das Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO bereits beim Bundesgerichtshof und damit beim Haftprüfungsgericht anhängig geworden war. Ob beziehungsweise in welchem Umfang während der Anhängigkeit des Haftprüfungsverfahrens beim Haftprüfungsgericht das nach § 126 StPO zuständige Haftgericht befugt ist, eigene Haftentscheidungen zu treffen, ist umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Nach vorherrschender Auffassung ist dem nach § 126 StPO zuständigen Haftgericht zwar während eines beim Haftprüfungsgericht anhängigen Haftprüfungsverfahrens eine eigene Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft versagt, um divergierende Entscheidungen zu verhindern (so OLG München, Beschluss vom 18. Januar 2019 – 2 Ws 43/19, juris Rn. 12 ff.; MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 122 Rn. 9; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 122 Rn. 2, 4; BeckOK StPO/Krauß, 57. Ed., § 122 Rn. 2; aA wohl Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 122 Rn. 6). Überwiegend wird aber angenommen, es behalte auch während eines laufenden Haftprüfungsverfahrens die Kompetenz, den Haftbefehl – bei Aufrechterhaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft – zu ändern und insbesondere um neue Taten oder Haftgründe zu erweitern, namentlich ihn an die Anklageschrift anzupassen; das könne auch dadurch geschehen, dass der ursprüngliche Haftbefehl durch einen neuen ersetzt werde (so OLG München, Beschluss vom 18. Januar 2019 – 2 Ws 43/19, juris Rn. 15; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 122 Rn. 2, 4; BeckOK StPO/Krauß, 57. Ed., § 122 Rn. 2; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 122 Rn. 6; aA MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 122 Rn. 7). Der Senat braucht die Rechtsfrage hier nicht zu entscheiden und über die rechtliche Wirksamkeit des Haftbefehls des Oberlandesgerichts nicht zu befinden, weil der neue Haftbefehl auch auf die Tatvorwürfe gestützt ist, die Gegenstand des alten Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2024 sind, und schon diese die Untersuchungshaft und ihre Fortdauer tragen.

III.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeklagte ist jedenfalls der ihm mit dem Haftbefehl vom 26. Januar 2024 zur Last gelegten Taten weiterhin dringend verdächtig. Bereits dieser Tatverdacht trägt die Haftfortdauer über neun Monate hinaus. Auf die weiteren Tatvorwürfe des neuen Haftbefehls kommt es für die vorliegende Haftfortdauerentscheidung daher nicht an.

Hinsichtlich der Einzelheiten der insofern erhobenen Tatvorwürfe und der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände nimmt der Senat Bezug auf seine Haftfortdauerentscheidung vom 7. August 2025, deren Gründe unverändert fortgelten, und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 26. Mai 2025. Neue Erkenntnisse, die den dringenden Tatverdacht entkräften könnten, haben sich seither nicht ergeben.

2. In rechtlicher Hinsicht ist aus den in der Senatsentscheidung vom 7. August 2025 dargelegten Gründen weiterhin die Annahme begründet, dass sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen – vollendeten und nicht nur versuchten – schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und mit Urkundenfälschung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, § 267 Abs. 1, § 303 Abs. 1, § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 1 Abs. 1 und 2, § 105 Abs. 1 JGG strafbar gemacht hat.

3. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts ergeben sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG. Der Fall hat aus den in der Haftfortdauerentscheidung vom 7. August 2025 dargelegten Gründen eine die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit des Bundes legitimierende besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 2 GVG.

4. Es ist nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Aus den fortgeltenden Erwägungen zum Haftgrund im Haftfortdauerbeschluss vom 7. August 2025 ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte – sollte er auf freien Fuß gelangen – dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen weiterhin nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO – die bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO möglich sind – erreicht werden.

5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO) sind gegeben. Der Umfang des Verfahrens und seine besonderen Schwierigkeiten haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.

Insofern nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen im Haftfortdauerbeschluss vom 7. August 2025.

Auch danach ist das besonders umfangreiche Verfahren – der Aktenbestand beläuft sich gegenwärtig auf 400 Ordner – durchgängig mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden: Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts hat, nachdem er zunächst am 2. Juni 2025 mit Anordnung der Zustellung der Anklageschrift eine Stellungnahmefrist von zunächst vier Wochen verfügt hatte, diese auf Verteidigeranträge hin zunächst bis zum 8. August 2025 und dann erneut bis zum 31. August 2025 verlängert. Mit Beschluss vom 26. September 2025 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden sodann die Anklage – wie bereits erwähnt – zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung soll – mit den Verteidigern der insgesamt sieben Angeklagten abgesprochen – am 25. November 2025 beginnen; Hauptverhandlungstermine sind angesetzt und mit den Verfahrensbeteiligten abgestimmt bis zunächst Ende April 2026.

Angesichts des damit in Aussicht genommenen Beginns einer Hauptverhandlung innerhalb von drei Monaten nach Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung („Eröffnungsreife“; vgl. insofern BVerfG, Beschlüsse vom 3. Februar 2021 – 2 BvR 2128/20, juris Rn. 38; vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1853/20, NStZ-RR 2021, 50, 51; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2021 – AK 51/21, juris Rn. 11) ist zu erwarten, dass das Verfahren ungeachtet der deutlichen Zeitspanne zwischen der Anklageerhebung und dem vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung weiterhin in einem dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen genügenden Umfang gefördert wird.

6. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer RiBGH Dr. Anstötz befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben.

Schäfer Kreicker

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1 142 GVG
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