IV ZR 259/20
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 259/20 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 9. Februar 2022 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2022:090222UIVZR259.20.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 3. Januar 2022 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 29. September 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
1. als festgestellt worden ist, dass der folgende Feststellungsantrag - auch soweit er für erledigt erklärt worden ist - ursprünglich zulässig und begründet war:
Es wird festgestellt, dass der Kläger in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungs-Nr. … nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages im Tarif V.
von monatlich 149,60 € zum 1. Januar 2016 verpflichtet ist;
2. als die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger mehr als 5.385,60 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Mai 2019 zu zahlen;
3. als festgestellt worden ist, dass die Beklagte die herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Mai 2019 zu verzinsen hat.
Die Berufung des Klägers wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben, die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger zu 35 % und die Beklagte zu 65 %.
Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 63 % und die Beklagte zu 37 %.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 1.500 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers.
Der Kläger unterhält in der Krankheitskostenversicherung bei der Beklagten unter anderem den Tarif V.
. Die Beklagte informierte ihn mit Schreiben vom November 2015 nebst Anlagen über eine Beitragserhöhung in diesem Tarif um 149,60 € monatlich zum 1. Januar 2016. Mit Schreiben vom November 2018 nebst Anlagen teilte sie eine weitere Beitragserhöhung zum 1. Januar 2019 mit.
Der Kläger hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig. Mit Anwaltsschreiben vom 19. November 2018 forderte er von der Beklagten die Rückzahlung der seiner Ansicht nach zu viel gezahlten Prämien sowie daraus gezogener Nutzungen. Die Beklagte wies die Ansprüche zurück.
Soweit für die Revision noch von Interesse hat der Kläger mit seiner Klage zunächst die Rückzahlung der auf die Erhöhung zum 1. Januar 2016 entfallenden Prämienanteile nebst Zinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen, die sie bis zum 19. November 2018 aus den gezahlten Erhöhungsbeträgen gezogen hat, verpflichtet ist und diese Nutzungen zu verzinsen hat. Außerdem hat er die Feststellung verlangt, dass die Beitragserhöhung zum 1. Januar 2016 unwirksam und er nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2019 hat der Kläger diesen Feststellungsantrag für erledigt erklärt; die Beklagte hat dem widersprochen. Der Kläger hat daraufhin die Feststellung beantragt, dass der genannte Feststellungsantrag ursprünglich zulässig und begründet war.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Soweit für die Revision noch von Interesse hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil unter Abweisung der weitergehenden Klage dahingehend abgeändert, dass die Beklagte zur Zahlung von 5.684,80 € nebst Zinsen und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 571,44 € verurteilt worden ist. Es hat festgestellt, dass der Antrag auf die Feststellung, die Erhöhung des Monatsbeitrags zum 1. Januar 2016 sei unwirksam und der Kläger nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet, ursprünglich zulässig und begründet gewesen sei, auch soweit er für erledigt erklärt worden sei. Außerdem ist festgestellt worden, dass die Beklagte zur Herausgabe der vom 1. Januar 2016 bis zum 19. November 2018 aus dem auf diese Beitragserhöhung gezahlten Prämienanteil gezogenen Nutzungen und zur Verzinsung dieser Nutzungen seit dem 25. Mai 2019 verpflichtet ist.
Mit der Revision begehrt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und Klageabweisung, soweit zu ihrem Nachteil die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache im Hinblick auf die ursprünglich beantragte Feststellung der Unwirksamkeit der Neufestsetzung im Tarif V. zum 1. Januar 2016 auch für die Zeit vor dem 1. September 2019 und im Hinblick auf die Feststellung der fehlenden Zahlungsverpflichtung des Klägers insgesamt festgestellt worden sei, die Beklagte zur Zahlung von mehr als 5.385,60 € nebst Zinsen verurteilt worden sei, deren Verpflichtung zur Verzinsung der herauszugebenden Nutzungen festgestellt worden und sie zur Freistellung des Klägers von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € verurteilt worden sei.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat überwiegend Erfolg.
I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Tariferhöhung zum 1. Januar 2016 in formeller Hinsicht unwirksam gewesen. Der diesbezügliche Feststellungsantrag sei insoweit begründet, als der Klageantrag hinsichtlich dieser Prämienerhöhung ursprünglich zulässig und begründet gewesen sei und sich erst durch die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung nach Rechtshängigkeit erledigt habe. Die unzureichende Begründung sei mit Zustellung der Klageerwiderung am 9. Juli 2019 geheilt worden und die Prämienerhöhung dadurch zum 1. September 2019 wirksam geworden. Hingegen genüge die Änderungsmitteilung zur Prämienerhöhung zum 1. Januar 2019 den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung.
Der Kläger könne die Rückzahlung der bis zum 1. Februar 2019 geleisteten erhöhten Prämien in Höhe von 5.684,80 € (38 Monate x 149,60 €) verlangen. Er habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Herausgabe der vom 1. Januar 2016 bis zum 19. November 2018 gezogenen Nutzungen aus den gezahlten erhöhten Prämienanteilen. Der Zinsanspruch in erkanntem Umfang folge aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Schließlich habe der Kläger einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe eines Betrages von 571,44 € aus §§ 280 Abs. 1, 257 BGB. Denn durch die unzureichende Begründung der Prämienerhöhung habe die Beklagte auch eine vertragliche Nebenpflicht verletzt.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur zum Teil stand.
1. Noch zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung zum
1. Januar 2016 ursprünglich zulässig und begründet war und durch ein erledigendes Ereignis nach Rechtshängigkeit unbegründet geworden ist.
a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhung zum 1. Januar 2016 die Voraussetzungen einer nach § 203 Abs. 5 VVG erforderlichen Mitteilung (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 26) nicht erfüllten. Weiterhin zutreffend hat es angenommen, dass die in der Klageerwiderung nachgeholten Angaben zu den Gründen der Prämienanpassung zu einer Heilung ex nunc führten (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 aaO Rn. 41 f.), so dass die Prämienerhöhung gemäß § 203 Abs. 5 VVG ab dem zweiten auf die Zustellung der Klageerwiderung am 9. Juli 2019 folgenden Monat, d.h. zum 1. September 2019, wirksam wurde. Ab diesem Zeitpunkt war der genannte Klageantrag unbegründet und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat.
b) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass die Hauptsache insoweit bereits vor dem 1. September 2019 erledigt gewesen wäre. Durch die Formulierung im Urteilstenor, dass die Klage "ursprünglich" zulässig und begründet war, hat das Berufungsgericht vielmehr zweifelsfrei festgestellt, dass die Klage bei Klageerhebung noch nicht erledigt war, sondern sich, wie es in den Gründen weiter heißt, erst durch die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung nach Rechtshängigkeit erledigt hat.
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache auch für den Antrag auf Feststellung,
dass der Kläger nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages aus der Prämienanpassung zum 1. Januar 2016 verpflichtet ist, angenommen.
Die auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache gerichtete Klage hat Erfolg, wenn die ursprüngliche Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und durch dieses Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2019 - III ZR 16/18, WM 2020, 853 Rn. 9 m.w.N.; st. Rspr.). Der Antrag auf Feststellung, dass keine Pflicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages besteht, war dagegen schon vor Rechtshängigkeit der am 7. März 2019 bei Gericht eingegangenen Klage erledigt und die Klage insoweit nicht ursprünglich zulässig und begründet. Der Kläger war bereits ab dem 1. Januar 2019 zur Zahlung des Prämienanteils, der betragsmäßig der zum 1. Januar 2016 erfolgten Erhöhung entsprach, verpflichtet. Ab der Prämienanpassung zum 1. Januar 2019, die nach der Entscheidung des Berufungsgerichts auch zu diesem Zeitpunkt wirksam wurde, bestand ein Anspruch der Beklagten auf Zahlung der Prämie in der durch diese letzte Anpassung festgesetzten neuen Gesamthöhe. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 16. Dezember 2020 (IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 55) entschieden hat, bildet eine spätere wirksame Prämienanpassung fortan die Rechtsgrundlage für den Prämienanspruch in seiner Gesamthöhe.
3. Der Kläger kann daher nur die gezahlten Erhöhungsbeträge für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2018 in Höhe von 5.385,60 € (149,60 € x 36 Monate) zurückverlangen. Der Betrag ist - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
4. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Zinsanspruch bezüglich der gezogenen Nutzungen, für die eine Herausgabepflicht der Beklagten festgestellt worden ist, angenommen. § 291 BGB als Anspruchsgrundlage für Prozesszinsen greift bei einer Klage, die auf die Feststellung einer Verbindlichkeit gerichtet ist, nicht ein (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 59). Auch ein Verzugszinsanspruch aufgrund einer Mahnung des Klägers oder einer Erfüllungsverweigerung der Beklagten kommt nicht in Betracht. Es ist weder behauptet noch festgestellt, dass der Kläger in seinem Anwaltsschreiben vom 19. November 2018 die darin geforderten Nutzungen beziffert und das Schreiben daher die erforderliche Bestimmtheit einer Mahnung aufgewiesen hätte. Aber auch aus der Feststellung, dass die Beklagte die Ansprüche zurückwies, lässt sich mangels weiterer Angaben zu dieser Erklärung nicht entnehmen, dass sie die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hätte und damit auch ohne Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Verzug geraten wäre.
5. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht dagegen einen Schadensersatzanspruch wegen vertraglicher Pflichtverletzung aus §§ 280, 257 BGB hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten - die der Höhe nach von der Revision zu Recht nicht angegriffen werden angenommen.
a) Das Berufungsgericht hat die nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Begründung der Prämienanpassung zum 1. Januar 2016 als Vertragsverletzung der Beklagten angesehen. Ungeachtet dessen, ob dies bereits eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverlet- zung darstellt, liegt eine solche jedenfalls in der unberechtigten Geltendmachung der nicht geschuldeten Erhöhungsbeträge aus der unwirksamen Prämienanpassung bei der Beitragsabrechnung der Beklagten. Entgegen der Ansicht der Revision kann diesem Anspruch nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber als Folge einer unzureichenden Begründung in § 203 Abs. 5 VVG allein das Nichtwirksamwerden der Prämienanpassung vorgesehen habe. Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 133/08, BGHZ 179, 238 Rn. 17). Wenn ein Partner eines gegenseitigen Vertrags aus diesem Vertrag Ansprüche gegen den anderen Partner ableitet, die ihm nicht zustehen, kommt daher ein Anspruch aus der Verletzung vertraglicher Pflichten aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 aaO Rn. 8).
b) Von dem Vorwurf des nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermuteten Verschuldens hat sich die Beklagte nicht entlastet. Soweit sich die Revision darauf beruft, die Beklagte habe ihren Rechtsstandpunkt bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Begründungsanforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG für plausibel halten dürfen, beruft sie sich auf einen Rechtsirrtum, der im Allgemeinen nicht entschuldigt (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 2008 - IV ZR 58/07, NJW 2009, 1143 Rn. 27, zum Verzug). Insoweit werden an die Sorgfaltspflicht strenge Anforderungen gestellt; es reicht nicht aus, dass sie sich ihre Meinung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat; entschuldigt wäre sie erst, wenn mit der Möglichkeit des Unterliegens im Rechtsstreit nicht zu rechnen war (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 2008 aaO). Davon ist hier nicht auszuge- hen. Der Versicherer hat die Gestaltung seiner Mitteilungen zu Prämienanpassungen selbst in der Hand und kann auch angesichts der Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift, zu der noch keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist, im Zweifel eine rechtssichere Formulierung wählen (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 37).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 25.09.2019 - 23 O 39/19 OLG Köln, Entscheidung vom 29.09.2020 - 9 U 244/19 -