1 StR 436/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 436/24 BESCHLUSS vom 1. April 2025 in der Strafsache gegen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2025:010425B1STR436.24.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 1. b) bb) und 2. auf dessen Antrag – am 1. April 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO und analog § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17. April 2024, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist,
b) aufgehoben aa) im Strafausspruch,
bb) im Ausspruch über die Einziehung der sichergestellten 361,77 Gramm Marihuana; insoweit entfällt die Einziehung.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung des Wertes erlangter Kaufpreiserlöse, zweier zum Handel eingesetzter Mobiltelefone und sichergestellter Rauschmittel angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Annahme (mit-)täterschaftlichen Handelns hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Frage, ob die Beteiligung an einer Bandentat als Mittäterschaft oder als Beihilfe einzuordnen ist, ist auch beim bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach den Grundsätzen des allgemeinen Strafrechts zu beantworten. Wesentliche Anhaltspunkte sind dabei der Grad des Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille zur Tatherrschaft, sodass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Tatbeteiligten abhängen. Beschränkt sich die Beteiligung auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es entscheidend darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Diese Umstände sind in die erforderliche wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2020 – 2 StR 349/19 Rn. 6 und vom 13. Februar 2019 – 4 StR 22/19 Rn. 3; jeweils mwN). Die Täterschaft muss sich auf den Handel und nicht bloß auf den Besitz an den Betäubungsmitteln erstrecken (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 – 1 StR 72/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Rn. 5).
b) Gemessen daran wird die Annahme täterschaftlichen Handelns nicht von den Feststellungen getragen. Der Angeklagte hatte strikt auf Weisung des Bandenchefs, des Mitangeklagten K. , als „Straßenläufer“ ohne eigenen Entscheidungsspielraum rund ein Gramm Kokain in Plomben abzupacken und zu den Käufern zu bringen. Dass überwiegend nur er die beiden Bunkerwohnungen betrat, weil K. und dessen rechte Hand, der Mitangeklagte P. , dies zur Verdeckung ihrer Beteiligung zu vermeiden suchten, ändert an seiner untergeordneten Rolle in der Bandenhierarchie nichts. Er handelte mit den Abnehmern weder Menge noch Preis aus; bezüglich der überbrachten Kleinmengen gehörte das vielmehr zu P. s Aufgabenbereich. So hatte sich der Angeklagte am 26. Juli 2022 telefonisch bei K. rückzuversichern, ob er dem Abnehmer E. vier Gramm Kokain zum Grammpreis von 16 € überlassen durfte. Gleiches folgt aus dem Verkaufsgeschehen vom 12. Oktober 2022 (UA S. 26, 39).
c) Es ist angesichts des offensichtlich ausermittelten Sachverhalts auszuschließen, dass in einem zweiten Rechtsgang weitere eine Täterschaft tragende Beiträge des Angeklagten aufzuklären sind. Der Senat ändert den Schuldspruch daher auf Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ab (§ 30a Abs. 1 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB). Darauf ist der Angeklagte nicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO vorher hinzuweisen, weil er sich hiergegen nicht effektiver als geschehen hätte verteidigen können. Der Besitz am zum Eigenkonsum bestimmten Kokain ist im Schuldspruch gesondert zu erfassen. Die Abänderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs.
2. Zur Einziehung des sichergestellten Marihuanas hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
„Die auf § 34 Abs. 1, Abs. 3, [§] 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB gestützte Einziehung des sichergestellten Marihuanas (UA S. 56) hat keinen Bestand. Der Einziehung steht entgegen, dass die Strafkammer das Verfahren insoweit gemäß § 154a Abs. 2 StPO beschränkt hat (PB S. 101, 111).
Infolge der Beschränkung war ein Handeltreiben mit Marihuana nicht Gegenstand der Verurteilung, so dass es in dem Strafverfahren nicht als Tatobjekt nach § 74 Abs. 2 StGB, § 34 Abs. 1, Abs. 3, [§] 37 KCanG eingezogen werden konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2023 – 2 StR 259/23; vom 23. August 2022 – 3 StR 228/22 und vom 25. April 2019 – 1 StR 54/19 zu einer Einstellung des Verfahrens nach
§ 154 StPO). In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO hat deshalb die Einziehung des Marihuanas zu entfallen.“
3. Zur (zulässigen) Rüge, mit welcher der Angeklagte der Verwertung der in der zweiten „Bunkerwohnung“ in der H.
straße in I.
am
24. Oktober 2022 sichergestellten Beweismittel wegen Umgehung des für Durchsuchungen geltenden Richtervorbehalts widerspricht (§§ 261, 105 Abs. 1 StPO),
ist ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts auszuführen:
a) Die Staatsanwaltschaft ist für die Anordnung einer Durchsuchung nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO allein bei Gefahr im Verzug, also nur im Ausnahmefall, zuständig. Eine solche ist anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme, regelmäßig wie auch hier die Sicherstellung von Beweismitteln, gefährdet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 69). Wegen des Ausnahmecharakters der nichtrichterlichen Anordnung und vor allem wegen der sichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts für das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ist diese Vorgabe eng auszulegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 Rn. 40, 46).
9 b) Dass die Kriminalbeamten G.
, Hü.
, S. und Pe. am
24. Oktober 2024 bereits vor 21.00 Uhr feststellten, dass einer der beim Angeklagten B. sichergestellten Schlüssel zur Hauseingangstür des Gebäudes in der H.
straße passte, und dennoch diese Information zurückhielten,
um das Einschalten eines Richters vor Ende des Bereitschaftsdienstes im Landgerichtsbezirk I.
zu verhindern (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom
4. Juni 2020 – 4 StR 15/20, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Verwertungsverbot 2 Rn. 4,
und vom 30. August 2011 – 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8 Rn. 8, 11 f.; grundlegend BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06,
BGHSt 51, 285), ist trotz Vernehmung der Polizisten in der Hauptverhandlung nicht erwiesen. Im Gegenteil drängt sich nach der Dokumentationslage (zu deren verfassungsrechtlichen Bedeutung BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245 Rn. 75) in Verbindung mit der staatsanwaltschaftlichen Gegenerklärung vom 6. August 2024 (Seiten 4 f.) auf, dass sich die Kriminalbeamten Hü.
, S. und Pe. erst deutlich nach 21.00 Uhr in die H. straße begaben, nachdem sie nach 20.02 Uhr (Ende der Durchsuchung der ersten Bunkerwohnung in der Per. straße in I.
) zunächst zur Dienststelle zurückgekehrt waren. Kriminalhauptkommissar G. als Einsatzleiter rief die Staatsanwältin F. um 21.40 Uhr an, die – in dokumentierter Kenntnis der Nichterreichbarkeit eines Bereitschaftsrichters bis 6.00 Uhr des Folgetages – um 21.43 Uhr die Durchsuchung anordnete. Für eine – gar bewusste oder zumindest die Bedeutung und die Voraussetzungen des Richtervorbehalts grob verkennende – Verzögerung der sich aus der vorangegangenen Durchsuchung des Angeklagten „dynamisch“ entwickelnden weiteren Verdachts- und Zugriffslage gibt es nach alledem keinen Anhalt.
c) Ohnehin wäre eine richterliche Anordnung bei ex-post-Betrachtung mit Sicherheit ergangen; davon durfte die verantwortliche Staatsanwältin schon bei ihrer Entscheidung ausgehen (vgl. zur Berücksichtigung eines hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs im Rahmen der Abwägung BGH, Beschluss vom 19. Juli 2023 – 5 StR 165/23 Rn. 32 mwN). So waren die Ermittlungsbehörden ab dem 9. Juni 2022 darauf bedacht, absehbar erforderlich werdende richterliche Durchsuchungsanordnungen zeitnah einzuholen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 Rn. 18). Entsprechend waren in den Tagen zuvor bereits mehrere Durchsuchungsanordnungen für Wohnungen beantragt und vom Ermittlungsrichter sämtlich erlassen worden. Darunter befand sich, wie ausgeführt, bereits die erste Bunkerwohnung derselben Bande in der Per.
straße. Für ein als Umschlagplatz dienendes Café in der H.
straße konnte die Staatsanwaltschaft noch am 24. Oktober 2022 einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss erwirken. Dies alles zeigt die Einbettung der Durchsuchungsmaßnahmen in die richterliche Entscheidungskompetenz. Die Durchsuchungsanordnung um 21.43 Uhr lag nach alledem ganz auf der Linie der bisherigen Ermittlungen.
Jäger Fischer Bär Leplow Welnhofer-Zeitler Vorinstanz: Landgericht Ingolstadt, 17.04.2024 - 5 KLs 42 Js 1566/22