RiZ 2/16
BUNDESGERICHTSHOF RiZ 2/16 BESCHLUSS vom 7. Oktober 2021 in dem Prüfungsverfahren ECLI:DE:BGH:2021:071021BRIZ2.16.0 Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat am 7. Oktober 2021 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Pamp, den Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Karczewski, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges, die Richterin am Bundesfinanzhof Hübner und den Richter am Bundesfinanzhof Prof. Dr. Nöcker beschlossen:
Die Selbstablehnung von Vorsitzendem Richter am Bundesfinanzhof …
wird für begründet erklärt.
Gründe:
I.
Der für die Finanzgerichtsbarkeit bestellte nichtständige Beisitzer des Dienstgerichts des Bundes, Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof … , hat in dem bei dem Senat anhängigen Prüfungsverfahren, das Vorgänge bei dem Bundesfinanzhof betrifft, mit Erklärung vom
14. Juli 2021 angezeigt, er vertrete aufgrund der Vakanz sowohl der Stelle des Präsidenten als auch der Stelle des Vizepräsidenten des Bundesfinanzhofs als nächst dienstältester Vorsitzender Richter seit dem 28. Juni gemäß § 21h Satz 2 GVG den Präsidenten des Bundesfinanzhofs.
In dieser Eigenschaft nehme er nicht nur abstrakt die Funktion des Dienstvorgesetzten der Antragstellerin, einer Richterin am Bundesfinanzhof,
wahr. Er werde vielmehr in dieser Eigenschaft auch mit ihm zur Kenntnis gebrachten Abläufen, mit Vorbringen und mit Schriftsätzen befasst, die ein von der Antragstellerin vor dem Verwaltungsgericht M.
gegen die Bundesrepublik Deutschland seit 2015 geführtes Verfahren beträfen. Dieses Verfahren habe in der Sache die Umsetzung der Antragstellerin vom … Senat in den …. Senat des Bundesfinanzhofs zum Gegenstand und betreffe damit den Sachverhalt, der unter anderem auch Gegenstand des Prüfungsverfahrens sei. Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht M. sei dem Präsidenten des Bundesfinanzhofs durch Organisationsakt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz die Prozessführungsbefugnis erteilt. Damit vertrete er in einem gerichtlichen Verfahren, dessen Gegenstand sich mit dem des Prüfungsverfahrens überschneide, den Prozessgegner der Antragstellerin.
II.
Der Senat erklärt die Selbstablehnung des nichtständigen Beisitzers für begründet.
1. Der Senat entscheidet unter Beteiligung der (ersten) Vertreterin des nichtständigen Beisitzers (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. November 2017 - RiZ 2/16, juris Rn. 3 und vom 12. September 2018 - RiZ 2/16, NJW-RR 2019, 123 Rn. 2 f.), die gemäß § 61 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 DRiG in Verbindung mit dem Beschluss des Präsidiums des Bundesgerichtshofs seit dem 1. Januar 2017 dem Senat gesetzmäßig angehört.
2. Die mitgeteilten Umstände rechtfertigen gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 1 VwGO, §§ 48, 42 Abs. 2 ZPO die Besorgnis der Befangenheit.
a) Der nichtständige Beisitzer ist allerdings nicht schon nach § 61 Abs. 2 Satz 3 DRiG oder § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 2 VwGO nicht mehr gesetzlicher Richter im Prüfungsverfahren, so dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen der § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 1 VwGO, §§ 48, 42 Abs. 2 ZPO nicht ankäme.
Trotz der ihm nach § 21h Satz 2 GVG obliegenden Vertretung des Präsidenten ist der nichtständige Beisitzer weiterhin Mitglied des Dienstgerichts des Bundes. Anderes ergibt sich nicht aus § 61 Abs. 2 Satz 3 DRiG. Diese Vorschrift betrifft nur den Präsidenten und seinen ständigen Vertreter, nicht aber einen Richter, der den Präsidenten außerhalb eines förmlichen Organisationsakts des Dienstherrn nur vorübergehend vertritt (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl., § 61 Rn. 16).
Der nichtständige Beisitzer ist auch nicht nach § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 2 VwGO von der Ausübung des Amtes als Richter im Prüfungsverfahren ausgeschlossen. Er hat nicht an dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Überprüfung gestellten vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt (vgl. BVerfGE 78, 331, 337). Der Ausschlussgrund des § 54 Abs. 2 VwGO erfasst das Verwaltungsverfahren, in dem die zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Verwaltungsentscheidung ergangen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2019 - RiZ 2/16, NJW-RR 2019, 883 Rn. 4; BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2010 - 5 B 58.09, juris Rn. 5). Ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren ist nicht Teil des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens im Sinne der Vorschrift (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1979 - 3 C 117.79, juris Rn. 16; BFH, Beschluss vom 28. Januar 1993 - IX B 67/92, juris Rn. 10 zu § 51 Abs. 2 FGO).
b) Die Voraussetzungen der § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 1 VwGO, §§ 48, 42 Abs. 2 ZPO sind aufgrund der mitgeteilten Umstände gegeben.
aa) Freilich ist die Besorgnis der Befangenheit des nichtständigen Beisitzers nicht bereits gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 3 VwGO ohne Rücksicht auf seine Rolle im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begründet, weil er nach § 21h Satz 2 GVG aufgrund der bestehenden Vakanzen den Präsidenten des Bundesfinanzhofs vertritt. § 54 Abs. 3 VwGO ist, wie der Senat in seinem Beschluss vom 12. September 2018 (RiZ 2/16, NJW -RR 2019, 123 Rn. 7) näher ausgeführt und begründet hat, auf Organe des nicht körperschaftlich strukturierten Bundesfinanzhofs nicht direkt anwendbar. Eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung auf den Vertreter gemäß § 21h Satz 2 GVG scheidet im Hinblick auf die als abschließend zu verstehende Sonderregelung des § 61 Abs. 2 Satz 3 DRiG - auch mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG - aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2010 - 5 B 58.09, juris Rn. 5).
bb) Die Besorgnis der Befangenheit besteht aber nach allgemeinen Grundsätzen.
Befangenheit ist zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht eines Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2013 - AnwZ(Brfg) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 6, vom 15. März 2012 - V ZB 102/11, NJW 2012, 1890 Rn. 10 und vom 20. August 2014 - AnwZ 3/13, NJW-RR 2014, 1469 Rn. 5).
Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben; denn die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 122, 126; BGH, Beschlüsse vom 15. März 2012 und vom 20. August 2014, jeweils aaO).
Die vom nichtständigen Beisitzer aufgezeigten Umstände begründen den Anschein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit. Beteiligte des Prüfungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind jeweils die Antragstellerin und die Bundesrepublik Deutschland. Der nichtständige Beisitzer tritt der Antragstellerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgrund der dem Präsidenten des Bundesfinanzhofs übertragenen Prozessführung als Gegner gegenüber. Aus der Sicht der Antragstellerin kann dadurch Anlass zu der Befürchtung bestehen, er werde die aus seiner Rolle im verwaltungsgerichtlichen Verfahren resultierende Gegnerschaft zur Antragstellerin auf das Prüfungsverfahren übertragen und nicht allein nach fachlichen Gesichtspunkten entscheiden (vgl. BAG, NJW 2013, 1180 Rn. 20).
Ob der nichtständige Beisitzer tatsächlich zwischen seiner (gegenüber der vorgesetzten Dienststelle weisungsgebundenen) Rolle im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und seiner Rolle als sachlich und persönlich unabhängiges richterliches Mitglied des Dienstgerichts des Bundes zu unterscheiden vermag und sich aufgrund seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation in der einen nicht durch die andere Rolle beeinflussen lässt, ist ohne Relevanz. Maßgeblich ist allein, ob aus Sicht der Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Das ist hier der Fall.
Es kann daher dahinstehen, ob ein gesetzlicher Ausschlussgrund gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 4 ZPO, der eine weitere Mitwirkung des nichtständigen Beisitzers von Gesetzes wegen hinderte, schon dann gegeben ist, wenn eine Prozessvertretung in einem anderen Verfahren gegen die Partei den nämlichen Streitgegenstand betrifft, oder ob § 62 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 66 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 4 ZPO in einem strikt verfahrensbezogenen Sinne zu verstehen sind (vgl. BVerfGE 82, 30, 35 f.; BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - AnwZ(B) 2/16, NJW-RR 2017, 189 Rn. 12; BAG, NJW 2013, 1180 Rn. 6 f., 15).
Pamp Prof. Dr. Karczewski Dr. Menges Hübner Prof. Dr. Nöcker