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23 W (pat) 11/13

BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 11/13 Verkündet am 30. Juni 2015 BESCHLUSS In der Beschwerdesache …

betreffend die Patentanmeldung 11 2006 003 722.6 hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Strößner und der Richter Brandt, Dr. Friedrich, und Dr. Himmelmann BPatG 154 05.11 beschlossen:

1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G09B vom 12. März 2013 wird aufgehoben.

2. Es wird ein Patent erteilt mit der Bezeichnung „Simulationssystem für chirurgische Eingriffe in der Human- und Veterinärmedizin“, dem internationalen Anmeldetag 10. November 2006 (PCT/DE2006/001966; WO 2007/062619 A1) unter Inanspruchnahme der inländischen Priorität DE 10 2005 056 997.8 vom 30. November 2005 auf der Grundlage folgender Unterlagen:

 Patentansprüche 1 bis 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015;

 Beschreibungsseiten 1 bis 13, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015;

 Zeichnung, Figuren 1 bis 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe I.

Zur vorliegenden Anmeldung mit dem Aktenzeichen 11 2006 003 722.6 und der Bezeichnung „Simulationssystem für chirurgische Eingriffe in der Human- und Veterinärmedizin“, die als deutscher Teil der internationalen Anmeldung PCT/DE2006/001966 (Veröffentlichungs-Nr. WO 2007/062619 A1) den internationalen Anmeldetag 10. November 2006 sowie die inländische Priorität der Anmeldung DE 10 2005 056 997.8 vom 30. November 2005 in Anspruch nimmt, wurde am 22. Oktober 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt Prüfungsantrag gestellt.

Die Prüfungsstelle für Klasse G09B hat im Prüfungsverfahren den Stand der Technik gemäß den Druckschriften D1 WO 2005 / 051 166 A2 D2 US 2005 / 0 181 342 A1 D3 US 2004 / 0 046 660 A1 berücksichtigt und in den Prüfungsbescheiden vom 9. November 2009, 13. Juli 2011 und 16. Januar 2012 die Patentfähigkeit des jeweils beanspruchten Systems verneint, woraufhin sie die Anmeldung – unter Ablehnung der von der Anmelderin beantragten Anhörung als nicht sachdienlich – durch Beschluss vom 12. März 2013 mit der Begründung fehlender erfinderischer Tätigkeit bezüglich der Druckschrift D1 zurückgewiesen hat.

Ihre Entscheidung hat die Prüfungsstelle in einem auf den 12. März 2013 datierten Beschluss begründet, der in der elektronischen Akte des DPMA als PDF-Datei mit der Bezeichnung „Zurückweisungsbeschluss - Signiert“ und einer Signaturdatei „SIG-1“ zu finden ist.

Gegen diesen Beschluss, dem Vertreter der Anmelderin am 18. März 2013 zugestellt, richtet sich die fristgemäß am 18. April 2013 beim DPMA über Fax eingegangene Beschwerde.

Zusammen mit der Ladung ist die Anmelderin auch auf die Relevanz der Druckschrift D4 US 2003 / 0 068 606 A1 aus dem Recherchebericht der internationalen Anmeldung hingewiesen worden.

In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin neue Unterlagen eingereicht. Sie beantragt:

1. den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G09B vom 12. März 2013 aufzuheben;

2. ein Patent zu erteilen mit der Bezeichnung „Simulationssystem für chirurgische Eingriffe in der Human- und Veterinärmedizin“, dem internationalen Anmeldetag

10. November 2006

(PCT/DE2006/001966; WO 2007/062619 A1) unter Inanspruchnahme der inländischen Priorität DE 10 2005 056 997.8 vom

30. November 2005 auf der Grundlage folgender Unterlagen:

 Patentansprüche 1 bis 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015;

 Beschreibungsseiten 1 bis 13, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015;

 Zeichnung, Figuren 1 bis 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 30. Juni 2015.

Die in der Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 7 haben folgenden Wortlaut:

1. Simulationssystem für chirurgische Eingriffe in der Human- und Veterinärmedizin mit einem den menschlichen oder tierischen Körper anatomisch nachbildenden und in Form und Größe den organischen Formen entsprechenden realen Trainings- und Testphantom (1), das nahezu die mechanischen Eigenschaften des Körpergewebes besitzt und erlaubte Bereiche und Risikobereiche aufweist, wobei diese von chirurgischen Instrumenten in unterschiedlich restriktiven Abstufungen berührt oder durchdrungen werden dürfen oder nicht,  wobei die Risikobereiche durch Risikostrukturen gebildet sind, die in Form und Größe den organischen Formen entsprechen,  wobei ein Teil der Risikostrukturen als elektrisch-leitende Strukturen mit einem Schichtaufbau aus sich im elektrischen Widerstand unterscheidenden Materialien und ein anderer Teil der Risikostrukturen als lichtleitende Strukturen ausgebildet sind,  wobei das Simulationssystem eine elektronische Steuer-, Messund Auswerteeinheit (4) zur Bestimmung der Eindringtiefe des chirurgischen Instruments (2) in die Risikostrukturen aufweist.

2. Simulationssystem nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die lichtleitende Struktur als Lichtleitkabel aus PMMA oder Glasfaserkabel ausgebildet ist.

3. Simulationssystem nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass ein Sensor zur Erfassung der Beleuchtungsstärke vorgesehen ist.

4. Verfahren zur Simulation von chirurgischen Eingriffen mit einem Simulationssystem nach einem der Ansprüche 1 bis 3 dadurch gekennzeichnet, dass  bei der Simulation eines chirurgischen Eingriffs durch die Berührung einer als elektrischer Leiter (18) ausgebildeten Risikostruktur mittels eines chirurgischen Instruments (2) ein Stromkreis geschlossen wird und durch die Auswertung des elektrischen Widerstands eine Reduzierung des Kanalquerschnitts durch ein Eindringen des chirurgischen Instruments (2) in die Risikostruktur (18) ermittelt wird und  bei der Simulation eines chirurgischen Eingriffs das Eindringen eines chirurgischen Instruments (2) in eine als lichtleitende Struktur (14) ausgebildete Risikostruktur die Bestimmung der Eindringtiefe des chirurgischen Instruments (2) in die lichtleitende Struktur (14) mittels der Auswertung der Beleuchtungsstärke, basierend auf einer Kalibrierdatei, erfolgt.

5. Verfahren nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass  eine Software den Simulationsprozess steuert, überwacht und evaluiert,  zu jedem Phantom (1) ein oder mehrere Protokolle zugehörig sind, die den spezifischen chirurgischen Ablauf in den einzelnen Arbeitsschritten des Chirurgen (Workflow) abbilden und  jedes Protokoll zusätzlich die zu messenden Parameter während eines Eingriffs an einem bestimmten Phantom (1) beinhaltet,  wobei zu den Parametern die Operationszeit, der aktuelle Operationsschritt und auftretende Fehler gehören.

6. Verfahren nach einem der Ansprüche 4 oder 5, dadurch gekennzeichnet, dass aus den ermittelten Parametern zur Dokumentation eine Lernkurve erstellt wird.

7. Verwendung eines Simulationssystems nach einem der Ansprüche 1 bis 3 zur Simulation von chirurgischen Eingriffen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig und hinsichtlich der in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2015 eingereichten Unterlagen auch begründet, denn die Ansprüche 1 bis 7 sind zulässig, und das Simulationssystem des Anspruchs 1 sowie das Verfahren bzw. die Verwendung der geltenden Ansprüche 4 bzw. 7 sind patentfähig und insbesondere durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht patenthindernd getroffen (§§ 1 - 5 PatG), so dass der angefochtene Beschluss der Prüfungsstelle aufzuheben und das Patent in dem beantragten Umfang zu erteilen war (§ 79 Abs. 1 PatG i. V. m. § 49 Abs. 1 PatG).

1. Die in der elektronischen Akte des DPMA als „Zurückweisungsbeschluss – Signiert“ bezeichnete PDF-Datei enthält, ebenso wie die Dokument-Anzeige in der Signatur-Datei, mehrere Beschlusstexte, so dass eine präzise Bestimmung der Urschrift ebenso wie die Zuordnung der Signatur problematisch ist. Da der Tenor und die Gründe der mehrfach vorhandenen Beschlusstexte jedoch übereinstimmen, ist der Inhalt der Entscheidung, die mit einer qualifizierten Signatur versehen werden sollte, zumindest bestimmbar (vgl. BPatG BlPMZ 2014, 355, 356 – Anordnung zur Erfassung von Berührungen auf einer Trägerplatte), weshalb der Senat keine Veranlassung sieht, das Verfahren nach § 79 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 PatG an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.

2. Die Anmeldung betrifft ein Simulationssystem mit einem anatomisch nachgebildeten realen Trainings- und Testphantom für die Human- und Veterinärmedizin, das zur Verwendung bei der Ausbildung von Chirurgen und zur Erprobung von komplizierten operativen Eingriffen vor der eigentlichen Operation ausgelegt ist und der Erhöhung der Erfolgschancen eines operativen Eingriffs in verschiedenen chirurgischen Disziplinen dient.

Nach den Ausführungen in der Beschreibungseinleitung sind zur Ausbildung von Chirurgen und zum vorherigen Erproben von komplizierten chirurgischen Eingriffen vor der eigentlichen Operation verschiedene Evaluations- und Trainingsverfahren bekannt, bei denen Phantome verwendet werden, die auf Grund ihres Aufbaus in Systeme mit einem (a) hauptsächlich rein technischen und einem (b) vorzugsweise anatomischen Charakter unterschieden werden. Dabei handelt es sich bei Phantom-Systemen der Gruppe (a) meist um anwendungsspezifische und nur für ein spezielles Aufgabengebiet konzipierte Insellösungen, die für die Evaluation von chirurgischen Instrumenten und Technologien eingesetzt werden und insbesondere für Genauigkeitsmessungen geeignet sind. In dieser Fokussierung auf spezielle Anwendungsgebiete liegt auch der Hauptnachteil der Systeme mit rein technischem Charakter. So existieren weltweit keine standardisierten Phantome, mit denen Untersuchungsreihen von klinischen Einrichtungen verglichen werden können, und wegen der nicht-anatomischen Darstellung kann der chirurgische Eingriff auch nicht unter realen Umgebungsbedingungen durchgeführt werden. Außerdem können während des Eingriffs keine Aussagen über möglicherweise verletzte Risikostrukturen getroffen werden, und da das Phantommaterial nicht die mechanischen Eigenschaften des Gewebes besitzt, entsprechen Bohr- oder Fräsprozesse nicht den realen Bedingungen. Zudem fehlen sog. anatomische Landmarken zur räumlichen Orientierung.

Phantom-Systeme mit anatomischem Charakter gemäß Gruppe (b) bilden zwar häufig die Anatomie hinreichend genau nach, doch handelt es sich auch bei diesen Systemen meist um punktuelle Lösungskonzepte, die einen überregionalen Vergleich von Untersuchungsreihen nicht zulassen. Die Nachteile dieser PhantomSysteme mit anatomischem Charakter bestehen vor allem darin, dass sie nur für eine chirurgische Disziplin ausgelegt sind und eine Aussage über mögliche Verletzungen von Risikostrukturen während des Eingriffs nicht möglich ist, vgl. die geltenden Beschreibungsseiten 1 bis 4, dritter Absatz.

Vor diesem Hintergrund liegt der Anmeldung als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein Simulationssystem mit einem anatomisch nachgebildeten realen Trainings- und Testphantom für die Human- und Veterinärmedizin zu entwickeln. Das Simulationssystem soll für die Evaluation neuentwickelter chirurgischer Systeme und Instrumente, zur Ausbildung von Chirurgen und zur Erprobung von komplizierten operativen Eingriffen vor der eigentlichen Operation zur Erhöhung der Erfolgschancen eines operativen Eingriffs in verschiedenen chirurgischen Disziplinen geeignet sein. Die Schädigung bzw. Verletzung von Risikostrukturen wie Nervenstränge, Blutgefäße, Sehnen und weitere sollen erfass- und auswertbar sein, und der Verlauf und das Ergebnis des chirurgischen Eingriffs sollen objektiv erfasst und dargestellt werden, wobei ein standardisierter Vergleich von Einzelergebnissen in Form von Lernkurven eines Probanden und Lernkurven verschiedener Probanden dargestellt werden kann, vgl. die geltende Beschreibungsseite 5, dritter Absatz bis Beschreibungsseite 6, erster Absatz.

Gelöst wird diese Aufgabe durch das Simulationssystem des Anspruchs 1 sowie durch das Verfahren bzw. die Verwendung nach den Ansprüchen 4 bzw. 7.

Das Simulationssystem für chirurgische Eingriffe nach Anspruch 1 zeichnet sich gegenüber herkömmlichen Simulationssystemen dadurch aus, dass ein Teil der Risikostrukturen als elektrisch-leitende Strukturen mit einem Schichtaufbau aus sich im elektrischen Widerstand unterscheidenden Materialien und ein anderer Teil der Risikostrukturen als lichtleitende Strukturen ausgebildet sind, und dass das Simulationssystem eine elektronische Steuer-, Mess- und Auswerteeinheit zur Bestimmung der Eindringtiefe des chirurgischen Instruments in die Risikostrukturen aufweist.

Für das Verfahren zur Simulation von chirurgischen Eingriffen mit einem solchen Simulationssystem gemäß Anspruch 4 ist zudem wesentlich, dass einerseits durch die Berührung einer als elektrischer Leiter ausgebildeten Risikostruktur mittels eines chirurgischen Instruments ein Stromkreis geschlossen wird und durch die Auswertung des elektrischen Widerstands eine Reduzierung des Kanalquerschnitts durch ein Eindringen des chirurgischen Instruments in die Risikostruktur ermittelt wird und dass andererseits das Eindringen eines chirurgischen Instruments in eine als lichtleitende Struktur ausgebildete Risikostruktur die Bestimmung der Eindringtiefe des chirurgischen Instruments in die lichtleitende Struktur mittels der Auswertung der Beleuchtungsstärke, basierend auf einer Kalibrierdatei, erfolgt.

Somit können chirurgische Eingriffe unter realen Bedingungen wie die Lage des Patienten auf dem OP-Tisch, die Handhabung der Instrumente durch den Chirurgen usw. durchgeführt und bereits während des Eingriffs möglicherweise verletzte Risikostrukturen angezeigt und in ihren Ausmaßen dargestellt werden. Da das Phantommaterial nahezu die mechanischen Eigenschaften des Gewebes besitzt, entsprechen Schneid-, Bohr- oder Fräsprozesse den realen Bedingungen und von den Probanden können an Hand ihrer durchgeführten operativen Eingriffe Lernkurven erstellt werden, die den Fortschrittsprozess ihrer Fertigkeiten dokumentieren und mögliche Schwächen aufzeigen, vgl. die geltende Beschreibungsseite 9, zweiter Absatz.

3. Die Ansprüche 1 bis 7 sind zulässig.

Der geltende Anspruch 1 basiert auf den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 3, wobei präzisierende Merkmale aufgenommen und ursprüngliche Verwendungs-, Herstellungs- und Zweckangaben sowie fakultative Merkmale gestrichen bzw. umformuliert wurden. Die zugehörigen Offenbarungen finden sich in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 7, erster Absatz, Seite 8, zweiter Absatz bis Seite 9, erster Absatz und auf Seite 10, zweiter Absatz, Zeilen 10 bis 12.

Die Offenbarung der Unteransprüche 2 und 3 bzw. der Verfahrensansprüche 4 bis 6 findet sich im zweiten Absatz der ursprünglichen Beschreibungsseite 9 bzw. in den ursprünglichen Ansprüchen 3 bis 7.

Die Zulässigkeit des Verwendungsanspruchs 7 ergibt sich aus den zu Anspruch 1 angegebenen Fundstellen.

4. Das Simulationssystem nach Anspruch 1 und das Verfahren bzw. die Verwendung gemäß den Ansprüchen 4 bzw. 7 sind hinsichtlich des vorgenannten Stands der Technik neu (§ 3 PatG) und beruhen diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns (§ 4 PatG). Dieser ist hier als berufserfahrener, mit der Entwicklung von Lehrmitteln für die medizinische Ausbildung befasster und auf diesem Gebiet tätiger Ingenieur der Elektrotechnik mit Hochschulabschluss zu definieren.

Gemäß der Lehre des Anspruchs 1 weist das Trainings- und Testphantom des Simulationssystems Risikostrukturen auf, die in Form und Größe den organischen Formen entsprechen, wobei ein Teil der Risikostrukturen als elektrisch-leitende Strukturen mit einem Schichtaufbau aus sich im elektrischen Widerstand unterscheidenden Materialien und ein anderer Teil der Risikostrukturen als lichtleitende Strukturen ausgebildet sind, und wobei das Simulationssystem eine elektronische Steuer-, Mess- und Auswerteeinheit zur Bestimmung der Eindringtiefe des chirurgischen Instruments in die Risikostrukturen aufweist.

Für eine derartige Kombination von elektrisch leitenden und lichtleitenden Risikostrukturen in einem Trainings- und Testphantom mit einer Einheit zur Bestimmung der Eindringtiefe eines chirurgischen Instruments in die Risikostrukturen gibt es in dem entgegengehaltenen Stand der Technik keine Anregung.

Die Druckschrift D4 offenbart in den Ansprüchen 1 und 4, in den Abs. [0021] bis [0029] mit Figuren 1 bis 5 und insbesondere in Abs. [0027] mit Fig. 3 in den Worten des Anspruchs 1 ein Simulationssystem für chirurgische Eingriffe in der Human- und Veterinärmedizin mit einem den menschlichen oder tierischen Körper anatomisch nachbildenden und in Form und Größe den organischen Formen entsprechenden realen Trainings- und Testphantom, das nahezu die mechanischen Eigenschaften des Körpergewebes besitzt und erlaubte Bereiche und Risikobereiche aufweist, wobei diese von chirurgischen Instrumenten in unterschiedlich restriktiven Abstufungen berührt oder durchdrungen werden dürfen oder nicht,  wobei die Risikobereiche durch Risikostrukturen gebildet sind, die in Form und Größe den organischen Formen entsprechen,  wobei die Risikostrukturen als elektrisch-leitende Strukturen mit einem Schichtaufbau aus sich im elektrischen Widerstand unterscheidenden Materialien ausgebildet sind,  wobei das Simulationssystem eine elektronische Steuer-, Mess- und Auswerteeinheit zur Bestimmung der Eindringtiefe des chirurgischen Instruments in die Risikostrukturen aufweist;

(vgl. Ansprüche 1 u. 4 sowie Abs. [0027]: „1. A simulator for training medical practitioners in the administration of local and regional anaesthetic and analgesic substances, comprising a. a mannequin comprising simulated portions of a patient's anatomy; b. an instrument configured to penetrate the mannequin and such that upon penetration the instrument is at a position inside the mannequin; c. a sensor system within the mannequin capable of determining the position of the instrument inside the mannequin and of producing information regarding said position; and d. a display system capable of representing information regarding the position of the instrument inside the mannequin; e. whereby the sensor system transmits the information to the display system.“ “4. The simulator of claim 1 in which the sensor system comprises at least one simulated nerve comprising a plurality of substantially concentrically arranged alternating conducting and insulating layers connected in such a manner that at least one complete circuit provides information to the computer regarding the position of the instrument.” Abs. [0027]: „As illustrated in FIG. 3 each of the conductive anatomical layers 12 is penetrable and is separated by at least one non-conductive penetrable layer 13. Detection of penetration relies on electrical current flow from the penetrating instrument, i.e., needle 17, to an electrical contact through the specific layer in which the tip of the needle is present. Only the needle tip 18 is conductive. Therefore, a specific layer 12 can be identified as being solely in contact with the needle and hence the needle location within the anatomical layers determined. The electrical current is provided by an external nerve stimulator attached to the needle or by an electrical potential provided by the sensor mechanism or outer conductive layer. The conductive and non-conductive layers that make up a simulated nerve can be formed such that they occur every few microns, providing needle detection in terms of depth to a few microns.“).

Im Gegensatz zur im Anspruch 1 gegebenen Lehre, einen Teil der Risikostrukturen auch als lichtleitende Strukturen auszubilden, sind bei dem Simulationssystem der Druckschrift D4 alle Risikostrukturen als elektrisch-leitende Strukturen ausgebildet. Ausgehend von Druckschrift D4 gibt es für den Fachmann auch keine Anregung, einen Teil der elektrisch leitenden Strukturen durch lichtleitende Strukturen zu ersetzen und bei diesen die Eindringtiefe eines chirurgischen Instruments zu bestimmen. So findet sich in Druckschrift D4 weder ein diesbezüglicher Hinweis, noch ist ein Ersetzen von auf elektrischen Leitern basierenden Risikostrukturen durch solche, die auf Lichtleitern basieren, für den Fachmann naheliegend, denn diese Leiter reagieren wegen ihrer jeweiligen speziellen Funktionsweise vollkommen unterschiedlich auf Berührungen bzw. Beschädigungen durch chirurgische Instrumente.

Druckschrift D3 befasst sich mit einer Alarmvorrichtung, die einen Behälter vor einem unerlaubten Öffnen schützen soll, vgl. das Abstract. Dazu sind gemäß einer Variante in den Behälterwänden Lichtleiter vorgesehen, wobei für den Fall ein Alarm ausgelöst wird, dass am Ende des Lichtleiters kein Lichtsignal mehr ankommt, vgl. Fig. 2 die Abs. [0053] und [0054] sowie die Ansprüche 11 und 12. Die Druckschrift D3 betrifft aber weder eine medizinische Vorrichtung, noch wird die Eindringtiefe in den Lichtleiter gemessen. Somit ist es für den Fachmann auch nicht naheliegend, die Lehren der Druckschriften D3 und D4 miteinander zu kombinieren, wobei es, selbst für den Fall, dass der Fachmann die Lehre der D3 auf die Lehre der D4 übertragen würde, für ihn aus dem vorgelegten Stand der Technik keinen Hinweis gibt, auch bei den lichtleitenden Strukturen die Eindringtiefe eines chirurgischen Instruments zu messen.

Die Druckschriften D1 und D2 beschreiben Simulationssysteme für chirurgische Eingriffe, bei denen, ähnlich wie bei Dokument D4, während des simulierten chirurgischen Eingriffes ein Feedback bezüglich der korrekten Ausführung des Eingriffs bzw. bzgl. der örtlichen Position des chirurgischen Instruments gegeben wird, vgl. deren Abstracts. Einen Hinweis, einen Teil der Risikostrukturen als licht- leitende Strukturen auszubilden und bei diesen die Eindringtiefe des chirurgischen Instruments zu bestimmen, können aber auch diese Druckschriften dem Fachmann nicht geben.

Die weiteren von der Anmelderin im Rahmen der Darlegung des Stands der Technik genannten Druckschriften haben während des Prüfungsverfahrens und der Verhandlung keine Rolle gespielt.

Der entgegengehaltene Stand der Technik nach den Druckschriften D1 bis D4 nimmt somit das Simulationssystem des Anspruchs 1 weder vorweg, noch kann er es dem Fachmann einzeln oder in Kombination nahelegen.

Das System nach Anspruch 1 ist daher neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

Für die Ansprüche 4 bzw. 7 betreffend ein Verfahren zur Simulation von chirurgischen Eingriffen mit einem solchen Simulationssystem bzw. die Verwendung eines solchen Simulationssystems gelten die obigen Ausführungen in gleicher Weise.

5. An die Patentansprüche 1 und 4 können sich die Unteransprüche 2 und 3 sowie 5 und 6 anschließen, da sie das System bzw. Verfahren nach Patentanspruch 1 bzw. 4 vorteilhaft weiterbilden. Zudem sind in der geltenden Beschreibung mit Zeichnung das System sowie das Verfahren gemäß den Ansprüchen ausreichend erläutert.

6. Bei dieser Sachlage war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Patent im beantragten Umfang zu erteilen.

7. Die Beschwerdegebühr ist gemäß § 80 Abs. 3 PatG nach billigem Ermessen zurückzuzahlen.

Zum einen hätte die Prüfungsstelle bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung die von der Anmelderin beantragte Anhörung durchführen müssen, um die unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der in den Anspruch aufzunehmenden Merkmale im gegenseitigen direkten Austausch von Argumenten zu diskutieren. Denn bei einer solchen Diskussion ist jede Seite weitaus mehr als im schriftlichen Verfahren gezwungen, ihre Sichtweise zu überdenken und ggfs. Lücken in der eigenen Argumentation zu erkennen, weshalb eine Anhörung in der Regel zu einer auf dem Ergebnis der Diskussion aufbauenden tragfähigen abschließenden Verfahrensentscheidung führt, mit der eine Beschwerde und die Zahlung der Beschwerdegebühr vermieden wird, vgl. Schulte PatG, 9. Auflage, § 73, Rdn. 131 und 132. Schon aus diesem Grund ist eine Anhörung grundsätzlich sachdienlich.

Im vorliegenden Fall ergeben sich aus den Sachumständen auch keine triftigen Anhaltspunkte dafür, dass eine weitere Diskussion der unterschiedlichen Standpunkte lediglich zu einer Verfahrensverzögerung geführt hätte und demnach nicht sachdienlich gewesen wäre, was nach gefestigter Rechtsprechung des Bundespatentgerichts ein hinreichender Grund für eine nur ausnahmsweise in Betracht kommende Ablehnung einer Anhörung hätte sein können (vgl. Schulte, PatG 9. Auflage, § 46 Rdn. 9 m. w. N., insb. BPatG v. 22.11.2007 - 17 W (pat) 36/05).

Denn die Anmelderin ist in ihrer Erwiderung vom 5. Mai 2010 detailliert und sachbezogen auf die Einwände der Prüfungsstelle eingegangen und hat insbesondere unter Bezugnahme auf die von der Prüfungsstelle als patenthindernden Stand der Technik angesehenen Druckschriften D1 bis D3 erläutert, warum sie den Gegenstand der Anmeldung für patentfähig hält. Dabei hat sie sich konkret mit den in den Druckschriften D1 bis D3 gegebenen Lehren und den von der Prüfungsstelle vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt und dementsprechend die Ansprüche auch inhaltlich umformuliert. Nach einem weiteren negativen Prüfungsbescheid hat die Anmelderin dann in ihrer Eingabe vom 21. Oktober 2011 eine Anhörung beantragt und diesen Antrag auch begründet. Mithin lag eine hinreichende Grundlage für eine sachliche Diskussion in einer Anhörung vor. Auf diesen Antrag zur Durchführung einer Anhörung hat die Anmelderin in ihren weiteren Eingaben vom 10. November 2011 und 9. Januar 2012 wiederholt verwiesen, den die Prüfungsstelle jedoch mit ihrem dritten Bescheid vom 16. Januar 2012 als noch nicht sachdienlich abgelehnt hat. Die Anmelderin konnte folglich nach diesem Bescheid davon ausgehen, dass eine Anhörung zumindest zu einem späteren Zeitpunkt noch durchgeführt wird. Darüber hinaus hat die Prüfungsstelle in diesem Bescheid darauf hingewiesen, dass im schriftlichen Verfahren insbesondere auf das Merkmal betreffend die Verwendung von lichtleitenden Materialien einzugehen sei, womit die Prüfungsstelle zum Ausdruck gebracht hat, dass hinsichtlich dieses Merkmals noch Diskussionsbedarf bestehe. Im weiteren Verlauf hat die Prüfungsstelle dann allerdings die Anmeldung nach der Eingabe der Anmelderin vom 10. Mai 2012 mit der Begründung fehlender erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen und die Ablehnung der beantragten Anhörung damit begründet, dass diese nunmehr nicht sachdienlich sei, da sie nur zu einer Verfahrensverzögerung führen würde, ohne dass eine Änderung der Sachlage zu erwarten sei.

Das von der Prüfungsstelle angeführte Argument, dass vor einer Anhörung erst eine schriftliche Stellungnahme der Anmelderin insbesondere zum Merkmal betreffend Lichtleiter erfolgen müsse, ist in diesem Zusammenhang aber nicht nachvollziehbar, da in einer Anhörung, wie vorstehend ausgeführt, der Austausch von Argumenten deutlich schneller stattfindet als im schriftlichen Verfahren. Somit findet das im Zurückweisungsbeschluss als Begründung für die Ablehnung der Anhörung vorgebrachte Argument, dass eine Anhörung im vorliegenden Fall nur zu einer Verfahrensverzögerung, aber nicht zu einem anderen Ergebnis bei der Prüfung der Anmeldung führen würde und daher nicht sachdienlich sei, jedenfalls in den Schriftsätzen der Anmelderin und der Prüfungsstelle keine Stütze. Auch die Tatsache, dass die Anmelderin in ihrer dem Zurückweisungsbeschluss vorausgehenden Eingabe einen inhaltlich dem ursprünglichen Anspruch 1 entsprechenden Hauptanspruch vorgelegt hat, ändert nichts an diesem Sachverhalt, denn nach dem Prüfungsbescheid vom 16. Januar 2012 musste die Anmelderin – wie oben dargelegt – davon ausgehen, dass vor einer Zurückweisung in jedem Fall noch eine Anhörung durchgeführt wird.

Bei dieser Sachlage war die Beschwerdegebühr aus Gründen der Billigkeit zurückzuzahlen, zumal aufgrund der vorgenannten Umstände des konkreten Einzelfalls auch davon ausgegangen werden kann, dass der vorgenannte Verfahrensfehler der Prüfungsstelle für die Erhebung der Beschwerde ursächlich war.

III.

Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht der Anmelderin – vorbehaltlich des Vorliegens der weiteren Rechtsmittelvoraussetzungen, insbesondere einer Beschwer – das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn einer der nachfolgenden Verfahrensmängel gerügt wird, nämlich

1. dass das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,

2. dass bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,

3. dass einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,

4. dass ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,

5. dass der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder

6. dass der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses schriftlich durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen oder durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten in elektronischer Form bei der elektronischen Poststelle des BGH, www.bundesgerichtshof.de/erv.html. Das elektronische Dokument ist mit einer prüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz oder mit einer prüfbaren fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen. Die Eignungsvoraussetzungen für eine Prüfung und für die Formate des elektronischen Dokuments werden auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs www.bundesgerichtshof.de/erv.html bekannt gegeben.

Dr. Strößner Brandt Dr. Friedrich Dr. Himmelmann Ko

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