4 StR 409/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 409/23 URTEIL vom 1. August 2024 in der Strafsache gegen
1. 2. 3.
wegen zu 1.: gefährlicher Körperverletzung u.a. zu 2.: Diebstahls u.a. zu 3.: Urkundenfälschung u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:010824U4STR409.23.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. August 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maatsch, Dr. Scheuß, Richterin am Bundesgerichtshof Marks als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten Y. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten M.
,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Mai 2023 werden verworfen. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl, Urkundenfälschung, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, verbotenem Kraftfahrzeugrennen und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten Y. hat es wegen Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenfälschung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten M.
hat es wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Ferner hat die Strafkammer gegen alle Angeklagten Sperrfristen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestimmt.
Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, die sie auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts stützen. Die Rechtsmittel sind unbegründet.
I.
Das Landgericht hat – soweit hier von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen: Der Angeklagte K. hatte am 19. Juli 2021 aus nicht aufklärbaren Gründen einen hochmotorisierten Pkw im Besitz. Gemeinsam mit dem Angeklagten Y. entfernte er von einem geparkten fremden Kraftfahrzeug die amtlichen Kennzeichen und brachte sie an dem von ihm genutzten Pkw an. Am folgenden Tag unternahmen alle Angeklagten, die über keine Fahrerlaubnis verfügten, mit dem Pkw einen Ausflug nach F. , wobei jeder von ihnen das Fahrzeug zeitweise führte. Im Stadtgebiet von F. sollte das Fahrzeug einer Polizeikontrolle unterzogen werden. Der Angeklagte K. , der zu dieser Zeit am Steuer saß, entzog sich der Kontrolle, indem er mit hoher Geschwindigkeit davonfuhr. Auf seiner Fluchtfahrt fuhr er in der Absicht, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, mit etwa 110 km/h auf eine Kreuzung zu, an der die Lichtzeichenanlage für ihn Rot zeigte. Er überholte unter Nutzung der Linksabbiegerspur einen auf der linken Geradeausspur fahrenden Pkw, scherte danach auf dessen Spur ein und setzte seine Fahrt geradeaus in die Kreuzung fort. Wegen des Rotlichts und zur Ermöglichung des Wiedereinscherens vollzog er eine kurze Vollbremsung. Er wollte sich „wenigstens einen rudimentären Überblick über den vorfahrtsberechtigten Verkehr verschaffen“. Anschließend gab er erneut Vollgas und setzte seine Fahrt über die Kreuzung fort. Hierbei kollidierte sein Fahrzeug mit dem Pkw des Geschädigten Dr. S. , der bei für ihn grünem Ampellicht aus der Gegenrichtung kommend links abbiegen wollte, was der Angeklagte, der das entgegenkommende Fahrzeug wahrgenommen hatte, zumindest für möglich hielt. Der Geschädigte erlitt aufgrund des Aufpralls – wie vom Angeklagten K. für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen – mehrere Knochenbrüche, darunter einen Bruch an einem Wirbelkörper, und Hautverletzungen. Aufgrund sehr starker Bauchschmerzen empfand der Geschädigte, der Arzt ist, am Unfallort zunächst große Angst, akut lebensgefährliche innere Verletzungen erlitten zu haben. Er musste stationär im Krankenhaus behandelt werden, war einen Monat arbeitsunfähig und weitere zwei bis drei Monate bei seiner Arbeit körperlich eingeschränkt. An seinem Pkw, der einen Zeitwert von ca. 15.000 Euro hatte, entstand ebenso wie an dem vom Angeklagten K. gesteuerten Fahrzeug wirtschaftlicher Totalschaden. Der Angeklagte Y. erlitt durch den Unfall ein HWS-Syndrom.
Unmittelbar nach dem Zusammenstoß verständigten sich die Angeklagten noch im Fahrzeug darauf zu flüchten. Die Angeklagten M. und Y. stärkten hierdurch den Entschluss des Angeklagten K. , den Unfallort zu verlassen, ohne die notwendigen Feststellungen zu ermöglichen. Alle Angeklagten verließen zeitnah zueinander das Fahrzeug und liefen davon.
Der Angeklagte K. zahlte an den Geschädigten Dr. S. ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 Euro und entschuldigte sich bei ihm. Das Landgericht hat bei seiner Strafzumessung hinsichtlich des Angeklagten K. die Voraussetzungen des § 46a StGB verneint.
II.
Die Revisionen haben keinen Erfolg.
1. Die vom Angeklagten K. erhobene Formalrüge ist nicht ausgeführt und daher gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig. Soweit die Angeklagten Y. und M. ebenfalls Verfahrensverstöße geltend machen, indem sie vortragen, dass ein gemäß § 265 StPO gebotener Hinweis auf die Möglichkeit ihrer Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unterblieben sei, sind auch diese Verfahrensrügen unzulässig, denn der Vortrag ist ausweislich des landgerichtlichen Hauptverhandlungsprotokolls unrichtig. Im Übrigen nimmt der Senat auf die insoweit zutreffenden Ausführungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts Bezug.
2. Die Sachrügen sind unbegründet, weil die rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ergeben hat. Der näheren Erörterung bedarf – im Hinblick auf die Antragsschriften des Generalbundesanwalts – nur das Folgende:
a) Die Schuldsprüche wegen Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort gegen die Angeklagten Y. und M. im Fall II.2. der Urteilsgründe sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie werden von den Feststellungen getragen, die ihrerseits rechtsfehlerfrei belegt sind.
aa) Das Landgericht hat zutreffend eine psychische Beihilfe (§ 27 StGB) der Angeklagten Y. und M. darin gesehen, dass sie sich mit dem Angeklagten K. auf eine gemeinsame Flucht verständigten und ihn hierdurch in seinem Entschluss, sich vom Ort des durch ihn verursachten Verkehrsunfalls zu entfernen, bestärkten. Danach kann dahinstehen, ob die Feststellungen sogar eine Verurteilung der Angeklagten Y. und M. wegen mittäterschaftlich begangenen unerlaubten Entfernens vom Unfallort getragen hätten, weil sie selbst wartepflichtig gewesen sein könnten (vgl. zur Wartepflicht eines Mitfahrers, dessen Verhalten nach den Umständen zu dem Unfall beigetragen haben kann, BGH, Urteil vom 22. Juli 1960 – 4 StR 232/60, BGHSt 15, 1, 4 f.). Denn die unterbliebene Verurteilung wegen etwaiger täterschaftlicher Verwirklichung des § 142 StGB beschwert die Angeklagten jedenfalls nicht.
bb) Gegen die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
(1) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. November 2020 – 5 StR 256/20 Rn. 30 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht unter anderem der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 – 4 StR 302/23 Rn. 16; Beschluss vom 18. März 2021 – 4 StR 480/20 Rn. 2).
(2) Hieran gemessen ist die festgestellte Förderung des Tatentschlusses tragfähig belegt. Das Landgericht hat sie – entgegen den Antragsschriften des Generalbundesanwalts – nicht auf etwaige Ausrufe eines der Mitangeklagten gestützt, welche ihrerseits nicht sicher festgestellt sind. Vielmehr hat es aus dem seinerseits rechtsfehlerfrei belegten äußeren Geschehen, namentlich dem nahezu gleichzeitigen fluchtartigen Verlassen des Fahrzeugs und des Unfallorts durch alle Mitangeklagten, auf eine noch im Wagen getroffene Verständigung, so zu handeln, geschlossen und in dieser eine Bestärkung des Angeklagten K. in seinem Fluchtentschluss gesehen. Diese Schlüsse sind jedenfalls möglich und daher vom Senat hinzunehmen.
Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist auch noch hinreichend zu entnehmen, dass diese Förderungskausalität den Angeklagten Y. und M. bewusst und von ihrem Willen umfasst war, sie also mit dem erforderlichen Gehilfenvorsatz handelten.
b) Der Strafausspruch gegen den Angeklagten K. weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat die Einzelstrafe im Fall II.1. der Urteilsgründe im Ergebnis zu Recht dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB entnommen und eine Milderung desselben nach § 46a, § 49 Abs. 1 StGB abgelehnt.
Der gezahlte Betrag ist bei dem gebotenen objektiven Maßstab angesichts der Schwere der – vorsätzlich bewirkten – Verletzungsfolgen für den Geschädigten Dr. S. bei weitem nicht ausreichend, als dass mit ihm das Unrecht der Tat als ausgeglichen erachtet werden könnte (vgl. BGH, Urteile vom 4. Januar 2024 – 5 StR 540/23 Rn. 13; vom 15. Januar 2020 – 2 StR 412/19 Rn. 12 mwN). Eine nur zum überwiegenden Teil erreichte oder lediglich erstrebte Wiedergutmachung vermag die Annahme eines erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB nur dann zu rechtfertigen, wenn sie auf der Grundlage umfassender Ausgleichsbemühungen geleistet worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 – 4 StR 213/14, BGHSt 60, 84, 87). Hieran fehlt es unabhängig von den Einkommensverhältnissen des Angeklagten, zu denen das Urteil keine Feststellungen enthält, schon mangels eines vorbehaltlosen Bekenntnisses des Angeklagten zu seiner Schuld (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2002 – 2 StR 336/02, juris Rn. 6). Für die erforderliche Übernahme von Verantwortung bedarf es zwar nicht stets, aber doch insbesondere bei (wie hier) Gewaltdelikten in aller Regel eines umfassenden Geständnisses (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 4 StR 139/20 Rn. 8; Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141 f.; Beschluss vom 20. September 2002 – 2 StR 336/02, juris Rn. 6, jew. mwN). Ein solches wird durch die Beschönigung einzelner Tatumstände nicht in Frage gestellt, sofern die Verantwortung des Angeklagten für das Tatgeschehen und dessen Folgen zugestanden und die Opferrolle des Geschädigten anerkannt bleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 4 StR 139/20 Rn. 8; Urteile vom 13. September 2018 – 5 StR 107/18 Rn. 11; vom 9. Mai 2017 – 1 StR 576/16 Rn. 10; vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 307/15 Rn. 20, jew. mwN).
Gemessen daran enthält die im Urteil wiedergegebene Einlassung des Angeklagten K. keine ausreichende Verantwortungsübernahme, so dass es auf die von den Urteilsgründen offengelassene Frage, welcher Art die Reaktion des Geschädigten war, nämlich ob der grundsätzlich erforderliche kommunikative Prozess mit ihm stattgefunden hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17 Rn. 15), nicht mehr ankommt.
Der Angeklagte hat zwar das Tatgeschehen eingeräumt, nämlich die verletzungsursächliche Kollision als Fahrer herbeigeführt zu haben. Die Einschränkungen, durch die sein Teilgeständnis sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht hinter den rechtsfehlerfreien Urteilsfeststellungen zurückbleibt, gehen aber über ein Beschönigen einzelner Tatumstände erheblich hinaus, indem sie einen deutlich geringeren Schuldumfang ergeben als die Feststellungen. Der Angeklagte hat seine Fahrgeschwindigkeit vor seiner Vollbremsung mit lediglich 60 bis 80 km/h als wesentlich geringer dargestellt als die vom – sachverständig beratenen – Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellte vorkollisionäre Geschwindigkeit (110 km/h). Vor allem aber hat er eine nur fahrlässige Verursachung des Unfalls eingeräumt, indem er angegeben hat, die rote Ampel und das Fahrzeug des Geschädigten erst wahrgenommen zu haben, als es für eine kollisionsvermeidende Reaktion zu spät gewesen sei. Hiermit hat er die Rolle des Geschädigten als Opfer einer vorsätzlichen Straftat gerade nicht anerkannt und in Bezug zu seinem eigenen Verhalten gesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14 Rn. 29).
c) Auch im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
Quentin Scheuß Bartel Marks Maatsch Vorinstanz: Landgericht Frankfurt am Main, 02.05.2023 - 5/21 Ks - 3290 Js 234598/21 (11/22)