I ZB 93/23
BUNDESGERICHTSHOF I ZB 93/23 BESCHLUSS vom 11. September 2024 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: JNEU:
ja nein ja nein ZPO § 572 Abs. 2, § 574, § 575, § 890 Abs. 1 Satz 1, § 891 Satz 3; UWG § 8 Abs. 3 Nr. 3 Der Grundsatz, dass es an der für eine sofortige Beschwerde notwendigen Beschwer des Gläubigers fehlt, wenn in seinem Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds weder ein konkreter Betrag noch eine ungefähre Größenordnung des Ordnungsgelds angegeben wurde und das Gericht die Höhe des Ordnungsgelds nach seinem Ermessen festgesetzt hat, gilt auch für die Rechtsverfolgung durch qualifizierte Verbraucherverbände im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG (Fortführung von BGH, Beschluss vom 23. November 2023 - I ZB 29/23, GRUR 2024, 157 = WRP 2024, 215).
BGH, Beschluss vom 11. September 2024 - I ZB 93/23 - OLG Stuttgart LG Tübingen ECLI:DE:BGH:2024:110924BIZB93.23.0 Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2024 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, die Richter Dr. Löffler und Feddersen und die Richterinnen Pohl und Dr. Schmaltz beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart - 2. Zivilsenat - vom 4. Dezember 2023 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.
Gründe:
I. Der Schuldnerin ist durch einstweilige Verfügung vom 3. Januar 2022 untersagt worden, "im geschäftlichen Verkehr gegenüber dem Verbraucher bei dem Vertrieb von Lebensmitteln gesundheitsbezogene Angaben zu machen, ohne dass diese Angabe durch Aufnahme in die Listen nach Artikeln 13 und 14 HCVO aufgenommen wurden, wenn dies geschieht wie am 8. Dezember 2021 auf der Internetseite (…)".
Nachdem gegen die Schuldnerin wegen eines Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 € verhängt worden war, beantragte der Gläubiger mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2022, gegen die Schuldnerin ein empfindliches Ordnungsgeld wegen weiterer Verstöße festzusetzen. Der Gläubiger stellte die Höhe des Ordnungsgelds in das Ermessen des Gerichts, bei dessen Ausübung "die Hoffnung auf ersparte Aufwendungen, die der Titelschuldner sich insbesondere dadurch verschaffen wollte, dass er angemessene Maßnahmen zur Rechtseinhaltung (Compliance) unterließ" zu berücksichtigen sei. Die Kosten für eine wirksame Compliance würden sich auf einen fünfstelligen Betrag belaufen.
Durch Beschluss vom 21. Dezember 2022 verhängte das Landgericht gegen die Schuldnerin ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 1.500 €.
Das Beschwerdegericht hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Gläubiger die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht.
II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Beschwerde sei unzulässig, weil der Gläubiger nicht beschwert sei. Eine Beschwer sei nur gegeben, wenn das festgesetzte Ordnungsgeld hinter einem im Antrag genannten Mindestbetrag zurückbleibe. Das Rechtsschutzziel des Gläubigers sei regelmäßig bereits dann vollständig erfüllt, wenn das Gericht überhaupt ein Ordnungsmittel verhänge. Lediglich in den Fällen, in denen der Gläubiger den Antrag beziffere oder einen Mindestbetrag nenne, sei eine bestimmte (Mindest-) Erwartung des zu verhängenden Ordnungsmittels zum Ausdruck gebracht, so dass Raum für eine Beschwer bestehe, wenn das Gericht dahinter zurückbleibe.
III. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Da das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO an die Zulassung durch das Beschwerdegericht gebunden ist, kommt der Frage, ob der Zulassungsgrund bei Einlegung der Rechtsbeschwerde bestand oder nachträglich entfallen ist, keine Bedeutung zu (zum insoweit gleichlautenden § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2023 - XII ZB 575/21, JurBüro 2024, 100 [juris Rn. 4]). Die Rechtsbeschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Gläubigers gegen die Verhängung eines Ordnungsgelds die fehlende Beschwer entgegensteht, wenn im Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds weder ein konkreter Betrag noch eine ungefähre Größenordnung des Ordnungsgelds angegeben wurde und das Gericht die Höhe des Ordnungsgelds nach seinem Ermessen festgesetzt hat.
Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, bedarf die Beschwer des Gläubigers in einem Ordnungsmittelverfahren unter Berücksichtigung des doppelten Zwecks der Ordnungsmittel - zivilrechtliche Beugemaßnahme und strafähnliche Sanktion - sowie des Umstands, dass das Ordnungsgeld zwar auch der effektiven Durchsetzung der Rechte des Gläubigers dient, aber nicht zu seinen Gunsten verhängt wird, sondern gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 JBeitrO zu Gunsten der Staatskasse beigetrieben wird, einer besonderen Begründung, sofern auf seinen Antrag nur überhaupt ein Ordnungsmittel verhängt worden ist (BGH, Beschluss vom 23. November 2023 - I ZB 29/23, GRUR 2024, 157 [juris Rn. 18] = WRP 2024, 215).
Ergibt sich aus dem Ordnungsmittelantrag des Gläubigers - einschließlich dessen Begründung - weder ein (Mindest-)Betrag noch eine Größenordnung für das beantragte Ordnungsgeld, legt der Gläubiger die Sanktionierung des Verhaltens des Schuldners einschließlich der damit zusammenhängenden effektiven Durchsetzung seines titulierten Rechts in das Ermessen des Gerichts. Sein Rechtsschutzziel ist dann beschränkt auf die Verhängung (irgend-)eines Ordnungsmittels. Übt das Gericht - wie hier - sein Ermessen aus und verhängt ein Ordnungsmittel, ist ein solches vom Gläubiger verfolgte Rechtsschutzziel erfüllt und fehlt es an einer Beschwer (BGH, GRUR 2024, 157 [juris Rn. 19]).
2. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde gelten diese Grundsätze auch für den Fall der Beantragung von Ordnungsmitteln durch einen qualifizierten Verbraucherverband im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG.
a) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Übertragung der vorstehend genannten Grundsätze zur Bestimmung der Beschwer im Ordnungsmittelverfahren auf qualifizierte Verbraucherverbände sei nicht angemessen, weil diesen die Tragung des mit einer Bezifferung des Ordnungsmittels im Falle der (Teil-)Zurückweisung des Antrags verbundenen Kostenrisikos nicht zumutbar sei.
Der Umstand, dass ein qualifizierter Verbraucherverband lauterkeitsrechtliche Ansprüche zwar im eigenen Namen, aber im Kollektivinteresse verfolgt, rechtfertigt es nicht, ihn von einem nach den §§ 91 ff. ZPO jeden Antragsteller treffenden Kostenrisiko freizustellen, das sich realisieren kann, wenn die gerichtliche Entscheidung hinter dem gestellten Antrag zurückbleibt. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Verbraucherverband an der effektiven Rechtsdurchsetzung, insbesondere an der Stellung von Ordnungsmittelanträgen, gehindert würde. Ein Verbraucherverband, dessen Eintragung in die Liste nach § 4 Abs. 2 UKlaG voraussetzt, dass er nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert zur dauerhaften und sachgerechten Aufgabenerfüllung in der Lage ist (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 3 UKlaG), ist - wie jeder andere Antragsteller - gehalten, vor der Einleitung gerichtlicher Verfahren die Erfolgsaussichten einzuschätzen und sein prozessuales Verhalten nach dieser Einschätzung auszurichten. Gleichermaßen ist es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - einem Verbraucherverband zuzumuten, bereits bei Antragstellung die Möglichkeit eines Rechtsmittels einzukalkulieren.
b) Die für die Streitwertbegünstigung nach § 12 Abs. 3 und 4 UWG geltenden, für Verbraucherverbände weniger strengen Grundsätze (zu § 12 Abs. 4 UWG aF vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2011 - I ZR 183/09, GRUR 2011, 560 [juris Rn. 6] = WRP 2011, 752 - Streitwertherabsetzung II; Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 12 Rn. 4.23) sind auf die Regelungen des Rechtsmittelrechts, das einem besonderen Bedürfnis an Klarheit und Eindeutigkeit unterliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2024 - I ZB 64/23, WRP 2024, 968 [juris Rn. 25]), nicht übertragbar.
3. Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, das Beschwerdegericht habe Vortrag des Gläubigers in der Antragsschrift zur begehrten Höhe des Ordnungsmittels übergangen. Das Beschwerdegericht hat sich mit diesem Vortrag befasst und ihm in vertretbarer Weise keine solche inhaltliche Bedeutung entnehmen können. Die Rechtsbeschwerde nimmt hier lediglich eine abweichende tatsächliche Würdigung vor, ohne Rechtsfehler aufzuzeigen.
4. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 [juris Rn. 21] = NJW 1983, 1257 - Cilfit u.a.; Urteil vom 1. Oktober 2015 - C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 [juris Rn. 43] - Doc Generici; Urteil vom 6. Oktober 2021 - C-561/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 32 f.] - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi). Es stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist.
Klärungsbedarf besteht - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - weder hinsichtlich des Art. 8b der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen noch hinsichtlich des Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/6/EG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse oder des Art. 24 der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher, weil der jeweilige Anwendungsbereich dieser Richtlinien vom Streitfall nicht berührt wird.
Mit Blick auf Art. 13 der Richtlinie 2005/29/EG besteht ebenfalls kein unionsrechtlicher Klärungsbedarf, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum bezüglich der Wahl der nationalen Maßnahmen zukommt, mit denen unlautere Geschäftspraktiken gemäß Art. 13 der Richtlinie 2005/29/EG bekämpft werden sollen, und es alleinige Sache der nationalen Gerichte ist zu beurteilen, ob die im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionsregelungen den Erfordernissen dieser Richtlinie entsprechen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. April 2015, C-388/13, GRUR 2015, 600 [juris Rn. 58 f.] = WRP 2015, 698 - UPC Magyarország; Urteil vom 19. September 2018 - C-109/17, WRP 2019, 44 [juris Rn. 31] - Bankia; Urteil vom 5. März 2020, C-679/18, NJW 2020, 1199 [juris Rn. 27] - OPR-Finance; Urteil vom 2. Februar 2023 - C-208/21, WRP 2023, 288 [juris Rn. 79 und 85] - Towarzystwo Ubezpieczeń Ż [Irreführende Musterversicherungsverträge]). Dies ist mit Blick auf die Regelung zur Durchsetzung der Ordnungsmittel nach § 890 ZPO und das dazugehörige Rechtsmittelrecht der Zivilprozessordnung unzweifelhaft der Fall.
IV. Danach ist die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 in Verbindung mit § 891 Satz 3 ZPO zurückzuweisen.
Koch Löffler Feddersen Pohl Schmaltz Vorinstanzen: LG Tübingen, Entscheidung vom 21.12.2022 - 4 O 445/21 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 04.12.2023 - 2 W 2/23 -