Paragraphen in 14 W (pat) 13/10
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BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 13/10 Verkündet am 28. Januar 2014
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend das Patent 100 66 235 …
BPatG 154 05.11
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hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, der Richterin Dr. Proksch-Ledig sowie der Richter Schell und Dr. Jäger beschlossen:
1. Die Beschwerde der Einsprechenden 3 und die Anschlussbeschwerde der Einsprechenden 1 werden zurückgewiesen. 2. Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der angefochtene Beschluss der Patentabteilung 41 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Januar 2010 aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Ansprüche 1 bis 32 gemäß Hilfsantrag vom 20. Dezember 2013, sowie Beschreibung und Zeichnungen (Figuren 1 bis 4e) gemäß Patentschrift Gründe I.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Januar 2010 hat die Patentabteilung 41 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 100 66 235 mit der Bezeichnung
„Verfahren und Medikament zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Gens“
beschränkt aufrechterhalten.
Die beschränkte Aufrechterhaltung des Streitpatentes auf der Grundlage der seinerzeit geltenden Anspruchsfassung war im Wesentlichen damit begründet worden, dass die Ausführbarkeit sowohl im Hinblick auf dsRNAs mit einer Länge von 15 bis 49 Basenpaaren (= Bp) als auch im Hinblick auf Vektor-kodierte dsRNAs gegeben sei. Das Verfahren gemäß verteidigter Anspruchsfassung sei auch neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden der Einsprechenden 1 und 3 und der Patentinhaberin.
Die Patentinhaberin verfolgt das Streitpatent auf der Grundlage der mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2013 als Hilfsantrag eingereichten Patentansprüche 1 bis 32 weiter. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 17 haben folgenden Wortlaut:
1. Verfahren zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens in einer Säugerzelle, wobei ein Vektor zur Kodierung mindestens eines aus 15 bis 24 Basenpaaren bestehenden Oligoribonukleotids mit doppelsträngiger Struktur (dsRNA) in die Säugerzelle eingeführt wird,
wobei die Säugerzelle keine menschliche embryonale Stammzelle ist, die unter Vernichtung von Embryonen gewonnen wurde, wobei ein Strang der dsRNA aus einem zum Zielgen zumindest abschnittsweise komplementären aus höchstens 24 aufeinander folgenden Nukleotidpaaren bestehenden Bereich I besteht und ein innerhalb der doppelsträngigen Struktur komplementärer Bereich II aus zwei separaten RNA-Einzelsträngen gebildet wird, wobei jedes Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers ausgeschlossen ist.
17. Medikament mit mindestens einem Vektor zur Kodierung mindestens eines aus 15 bis 24 Basenpaaren bestehenden Oligoribonukleotids mit doppelsträngiger Struktur (dsRNA) zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens in einer Zelle eines Säugers, wobei die Zelle keine menschliche embryonale Stammzelle ist, die unter Vernichtung von Embryonen gewonnen wurde, wobei ein Strang der dsRNA aus einem zum Zielgen zumindest abschnittsweise komplementären aus höchstens 24 aufeinander folgenden Nukleotidpaaren bestehenden Bereich I besteht und ein innerhalb der doppelsträngigen Struktur komplementärer Bereich II aus zwei separaten RNA-Einzelsträngen gebildet ist.
Die Einsprechende 3 verweist im Rahmen ihres Vortrages auf folgende Druckschriften D2 DE 199 03 713.2 (1. Prioritätsdokument) D4 WO 00/44895 A1 D5 WO 99/32619 A1 D8 Manche, L. et al., Molecular and Cellular Biology, 1992, 12, S. 5238 bis 5248 D49 WO 01/36646 A1 D50 GB 9927444.1 (Prioritätsdokument zu D 49) D58 Tuschl, T. et al., Genes & Development, 1999, 13, S. 3191 bis 3197 und macht im Wesentlichen geltend, dass keines der beiden Beispiele, das im Zuge der Teilung aus den beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich eingereichten Unterlagen D4 in das Streitpatent übernommenen worden sei, eine in der Zelle vektorkodierte dsRNA angebe, wie sie im Verfahren gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 verwendet werde. Zudem lehre das Beispiel 2, dass kurzkettige dsRNAs durch eine zusätzliche chemische Verknüpfung stabilisiert sein müssten, um für eine Inhibition der Genexpression bei Säugern verwendet werden zu können. Daher seien diese Beispiele nicht dazu geeignet die Erfindung zu stützen. Für den Fachmann sei es zum maßgeblichen Zeitpunkt aus diesem Grunde nicht plausibel gewesen, wie die im Patentanspruch 1 genannten dsRNAs hinsichtlich ihrer Struktur realisiert werden könnten. Ferner werde die Priorität vom 30. Januar 1999 zu Unrecht in Anspruch genommen, denn der nunmehr verteidigte Patentanspruch 1 sei so im Zusammenhang dem 1. Prioritätsdokument D2 nicht zu entnehmen. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der die Gesamtlänge sowie die Länge des Bereiches I der dort genannten doppelsträngigen RNA (= dsRNA) definierenden Anzahl der Basenpaare von 15 bis 24. Dieses Dokument, das in diesem Zusammenhang für die Basenpaare einen Bereich von 10 bis 1000 und bevorzugt 250 bis 350 nenne, enthalte nämlich keine Anhaltspunkte dahingehend, dass 24 Basenpaare die Obergrenze der dort beschriebenen dsRNAs darstellen könnten. Daher basiere das Streitpatent auf einem anderen Erfindungsgedanken. Da somit nur der Zeitrang der zweiten in Anspruch genommenen Priorität, der 24. November 1999, zu Recht in Anspruch genommen werde, stelle die Druckschrift D5 Stand der Technik dar. Im Hinblick auf dieses Dokument, das ebenfalls die Bereitstellung von dsRNAs zur Hemmung der Expression vorgegebener Zielgene betreffe, die eine Länge von mindestens 25 Nukleotidbasen aufwiesen, bedurfte es jedoch keines erfinderischen Zutuns, zum Gegenstand des verteidigten Patentanspruches 1 zu gelangen. Darüber hinaus hatte die Einsprechende 3 schriftsätzlich vorgetragen, dem Verfahren gemäß geltendem Patentanspruch 1 mangele es hinsichtlich der Verwendung einer nur aus 15 Basenpaaren bestehenden dsRNA bzw. der Verwendung von dsRNAs gemäß verteidigtem Patentanspruch 1, die aus zwei separaten Einzelsträngen bestehen, an der Ausführbarkeit.
Die Beschwerdeführerin 1 und Einsprechende 3 beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 41 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Januar 2010 aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen, sowie die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführerin 3 und Einsprechende 1 hat keine Beschwerdebegründung eingereicht und ist zur mündlichen Verhandlung, wie mit Schriftsatz vom 9. Januar 2014 angekündigt, nicht erschienen. Sie hat schriftsätzlich beantragt,
die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdeführerin 2 und Patentinhaberin beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 41 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Januar 2010 aufzuheben und das Patent mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass es die Fassung des Hilfsantrags vom 20. Dezember 2013 erhält, sowie die Beschwerden der Einsprechenden 1 und 3 zurückzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Einsprechenden entgegen und verweist zur Stütze ihrer Argumentation auf folgende Dokumente D6 Fire, A. et al., Nature, 1998, 391, S. 806 bis 811 D27 WO 94/01550 A1 D48 US 60/130,377 (Prioritätsdokument zu D28 = WO 00/63364 A2)
D57 Byrom, M. W. et al., Ambion TechNotes, 10 (1), 7 Seiten, (http://www.ambion.com/techiib/tn/101/4.html)
D66 Chuan-Fu, H. et al., Biochemical and Biophysical Research Communication, 2006, 346, S. 707 bis 720 D74 Fire, A., Vortrag anlässlich der Überreichung des Nobelpreises am 8. Dezember 2006 Sie trägt im Wesentlichen vor, die Plausibilität sei aufgrund der allgemeinen Beschreibung gegeben, denn deren Offenbarungsgehalt gehe über jenen des Beispieles 2 hinaus. Zudem belegten die Dokumente D27, D48 und D66, dass die im Beispiel 2 des Streitpatentes beschriebene chemische Verknüpfung der RNA-Einzelstränge nicht erforderlich sei, sondern lediglich eine Maßnahme für eine zusätzliche Stabilisierung der von vornherein bereits bestehenden „Stapelwechselwirkungen“ zwischen den beiden RNA-Strängen darstelle. Auch die Nacharbeitbarkeit sei, wie mit der Druckschrift D57 belegt werde, gegeben. Die Priorität vom 30. Januar 1999 sei zu Recht in Anspruch genommen, denn gemäß den BGH-Entscheidungen „Crack-Katalysator“ und „Inkrustierungsinhibitoren“ würden mit einem Zahlenbereich auch alle darunter fallenden engeren Zahlenbereiche und somit auch die im verteidigten Patentanspruch 1 genannte Obergrenze von 24 Nukleotidbasenpaaren offenbart. Das beanspruchte Verfahren sei im Weiteren nicht nur neu, sondern es beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, nachdem es im Stand der Technik, wie die Druckschriften D6 und D8 zeigten, Bedenken gab, inwiefern die bei Bakterien oder Pflanzen entdeckte Fähigkeit von dsRNA Zielgene zu hemmen, auch bei Säugern anwendbar sein könnte.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens war über die vorstehend bereits genannten Druckschriften hinaus noch auf folgende u. a. auch im Einspruchsverfahren zitierte Dokumente Bezug genommen worden:
D3 DE 199 56 568.6 (2. Prioritätsdokument) D7 Fire, A. et al., TIG, September 1999, 15, S. 358 bis 362 D10 Montgomery, M. K., Fire, A., TREND in GENETICS, 1998, 14,
S. 255 bis 258 D13 Elbashir, S. M. et al., The EMBO Journal, 2001, 20, S. 6877 bis D20 WO 99/49029 A1 D24 Schlingensiepen, R., Brysch, W., Schlingensiepen, K.-H.: “Antisense - From Technology to Therapy”, Vol. 6, 1997, Blackwell Science Ltd. Berlin, S. 10 und 30 bis 57 D29 Kreutzer, R. et al., Annual Fall Meeting of the GBH, 5. bis 8. September 1999, S. 169 re. Sp. oben D30 Hamilton, A. J. and Baulcombe, D. C., Science, October 1999, 286, S. 950 bis 952 D31 Hunter, T. et al., J. Biol. Chem., 1975, 250, S. 409 bis 417 D32 Kumar, M. and Carmichael, G. G., Microbiology and Molecular Biology Reviews, 1998, 62, S. 1415 bis 1434 D33 WO 99/53050 A1 D54 Ngo, H. et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 1998, 95, S. 14687 bis 14692 D64 Timmons, L. und Fire, A., Nature, 1998, 395, S. 854 D72 Caplen, N. J. et al., Gene, 2000, 252, S. 95 bis 105 D73 Chu, C.-Y. and Rana, T. M., RNA, 2008, 14, S. 1714 bis 1719 Die Einsprechende 2 hat ihren Einspruch mit Schriftsatz vom 3. Juni 2013 zurückgezogen.
Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 und 18 bis 32 wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig und auch begründet. Sie führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Erfolg.
1. Hinsichtlich der Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche 1 bis 32 bestehen keine Bedenken.
Der Patentanspruch 1 findet seine Offenbarung in den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1 und 9 i. V. m. Erstunterlagen S. 4 Z. 1 bis 5 sowie im erteilten Patentanspruch 1 i. V. m. Patentschrift S. 3/20 Abs. [0013].
Der nebengeordnete Patentanspruch 17 geht auf die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 18 und 26 i. V. m. Erstunterlagen S. 4 Z. 1 bis 5 sowie den erteilten Patentanspruch 17 i. V. m. Patentschrift S. 3/20 Abs. [0013] zurück.
Die jeweils rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 16 und 18 bis 32 entsprechen den ursprünglich eingereichten jeweils rückbezogenen Patentansprüchen 2 bis 8, 10 bis 17 und 19 bis 25 sowie 27 bis 34 und den jeweils rückbezogenen erteilten Patentansprüchen 2 bis 16 und 18 bis 32.
Die Anspruchsfassung ist gegenüber den ursprünglichen und erteilten Unterlagen nicht unzulässig erweitert und auch ansonsten nicht zu beanstanden. Mit den nunmehr geltenden Patentansprüchen wird das Patentbegehren lediglich auf bestimmte, ursprünglich neben anderen alternativ genannten Ausführungsformen in zulässiger Weise beschränkt (vgl. BGH GRUR 2005, 1023 Ls. - Einkaufswagen II).
2. Die Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens ist gegeben. Sowohl bei der Bereitstellung des Vektors zur Kodierung eines aus 15 bis 24 Basenpaaren bestehenden doppelsträngigen Oligoribonukleotids als auch bei dessen Einführung in eine Zelle handelt es sich - dies wurde von der Einsprechenden 3 auch nicht mehr bestritten - um Maßnahmen, die der routinemäßigen Tätigkeit des Fachmannes - einem Team, dem jedenfalls ein Molekularbiologe und Biochemiker mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der biomedizinischen Forschung angehören - zuzurechnen sind.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die Einsprechende 3 mangelnde Ausführbarkeit hinsichtlich einer dsRNA geltend gemacht, die aus lediglich 15 Basenpaaren besteht. Wie die Patentinhaberin mit der Vorlage des nur wenige Jahre nach dem Prioritätstag des Streitpatentes veröffentlichten Dokumentes D57 (vgl. 1./2. Seite Zitat 5.: Trotta, R. et al.) jedoch belegt hat, hemmen Oligoribonukleotide mit diesen Merkmalen die Genexpression in vergleichbarem Maße wie dsRNAs mit einer Anzahl von z. B. 21 Basenpaaren (vgl. D57, 1. Seite „Abstract“ und Abs. 3, 1./2. Seite übergreifender Absatz und 4. Seite „Silencing by 12-15 bp RNase III Digestion Products“ i. V. m. 5. Seite Fig. 2). Somit war das beanspruchte Verfahren am Prioritätstag ausführbar, denn die vorliegend angestrebte Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgenes stellt sich ausschließlich mit der Verwendung der dafür spezifischen dsRNA an sich ein, unabhängig vom druckschriftlichen Vorliegen eines Nachweises über deren inhärenter Fähigkeit, eine Genexpression zu hemmen (vgl. BGH GRUR 2010, 916 Ls., 918 Tz. [17] – Klammernahtgerät). Dies trifft gleichermaßen für die im Patentanspruch 1 angegebene, aus 15 bis 24 Basenpaaren bestehende dsRNA zu, deren Einzelstränge separat und nicht, wie im streitpatentgemäßen Beispiel 2 beschrieben, chemisch verknüpft vorliegen. Selbst wenn der Fachmann hier gegebenenfalls auf die Durchführung von Versuchen zurückgreifen musste, um sich der Stabilität der im Patentanspruch 1 genannten dsRNAs und damit der Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens im angestrebten Umfang zu vergewissern, so ist er dabei nicht mit einem unzumutbaren Aufwand konfrontiert. Denn die Anlegung und Durchführung solcher Versuche erfordert kein erfinderisches Zutun, vielmehr überschreiten diese nicht das Ausmaß üblicher Vergleichsversuche. Im Übrigen hat die Einsprechende 3 keine Versuche vorgelegt, mit denen sie nachgewiesen hätte, dass es dem Fachmann in Kenntnis der Beschreibung der Patentschrift nicht möglich ge- wesen sei, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen (vgl. BGH GRUR 2010, 901 Ls. 2, 903 Tz. [31] – Polymerisierbare Zementmischung).
Hinsichtlich der Ausführbarkeit des mit dem nebengeordneten Patentanspruch 17 beanspruchten Medikamentes bestehen - entgegen der im Einspruchsbeschluss dargelegten Auffassung der Patentabteilung - ebenfalls keine Bedenken. Bei diesem Anspruch handelt es sich um einen Erzeugnisanspruch für die 1. medizinische Indikation. Dessen Schutz erstreckt sich auf das gesamte Gebiet der Medizin und ist weder auf spezielle offenbarte therapeutische Verwendungen noch auf spezielle Zurichtungen beschränkt. Voraussetzung für dessen Zulässigkeit ist u. a. daher, dass der in diesem Zusammenhang genannte Stoff erstmalig zur Anwendung in einem therapeutischen Verfahren genannt ist und der Anspruch eine generelle, nicht spekulative therapeutische Zweckbestimmung enthält (vgl. Schulte PatG. 9. Aufl. § 1 Rdn. 224 bis 227). Beides trifft vorliegend zu. Zum einen erfüllt die Verwendung der streitpatentgemäß genannten dsRNA als Medikament unbestritten das Kriterium der Neuheit, zum anderen enthält der Patentanspruch 17 keine spekulative therapeutische Zweckbestimmung, sondern betrifft lediglich die generelle Anwendbarkeit des im streitpatentgemäßen Verfahren verwendeten Vektors als Medikament. Mit der Offenbarung der generellen Zweckbestimmung in der Streitpatentschrift wird diesen Vorgaben vorliegend aber ebenso Rechnung getragen, wie dem Nachweis der grundsätzlichen Fähigkeit der streitpatentgemäßen dsRNA zur Hemmung der Genexpression eines vorgegebenen Zielgenes (vgl. Streitpatentschrift S. 3/20 Abs. [0014] und [0015] sowie Beispiel 2 i. V. m. D57 1. Seite „Abstract“ und Abs. 3, 1./2. Seite übergreifender Absatz und 4. Seite „Silencing by 12-15 bp RNase III Digestion Products“ i. V. m. 5. Seite Fig. 2). Da es sich vorliegend ferner nicht um die Inanspruchnahme einer speziellen galenischen Formulierung handelt, sondern ausschließlich um die Anwendbarkeit der in Rede stehenden dsRNAs in einem therapeutischen Verfahren, stellen fehlende ins Detail gehende Angaben zur Herstellung spezieller Zubereitungen ebenfalls keinen Offenbarungsmangel dar. Im Übrigen enthält die Streitpatentschrift - worauf auch die Patentinhaberin schriftsätzlich hingewiesen hat - sehr wohl Angaben dahin gehend, wie ein derartiges Medikament formuliert sein könnte (vgl. S. 3/20 Absatz [0017] bis [0018]).
3. Die Einsprechende 3 hat vorliegend unter Verweis auf das streitpatentgemäße Beispiel 2 des Weiteren die Plausibilität in Abrede gestellt. Da im Zusammenhang mit dem Beispiel 2 auf S. 8/20 Abs. [0049] der Patentschrift ausgeführt werde, dass zur spezifischen Inhibition der Genexpression bei Säugern auch kürzere dsRNAs verwendet werden könnten, wenn die Doppelstränge durch chemische Verknüpfung der Einzelstränge stabilisiert würden, wisse der Fachmann nicht, wie die im Patentanspruch 1 genannten dsRNAs hinsichtlich ihrer Struktur realisiert werden könnten. Dieses Argument kann indessen nicht greifen. Der Offenbarungsgehalt einer Patentschrift ist nicht auf einzelne Teile, wie Beispiele oder Patentansprüche beschränkt, sondern umfasst den gesamten Inhalt eines Dokumentes. Daher wird der Fachmann den Patentanspruch 1 nicht ausschließlich auf das Beispiel 2 bzw. den vorstehend zitierten Absatz reduziert lesen. Im Beschreibungsteil der Streitpatentschrift aber wird an keiner Stelle eine chemische Verknüpfung der Doppelstränge als zwingend erforderlich beschrieben, jedoch auf S. 3/20 Abs. [0016] - entsprechend zu den Angaben im Patentanspruch 1 – ausgeführt, dass der innerhalb der doppelsträngigen Struktur komplementäre Bereich II aus zwei separaten RNA-Einzelsträngen gebildet wird, weshalb der Fachmann auch diese Struktur als zur Durchführung des beanspruchten Verfahrens geeignet und somit die Angaben in der Streitpatentschrift als nachvollziehbar bzw. glaubwürdig erachten wird.
4. Auch die Priorität vom 30. Januar 1999 wird zu Recht in Anspruch genommen. Ständiger Rechtsprechung folgend setzt die Inanspruchnahme der Priorität einer früheren Anmeldung voraus, dass die Prioritätsunterlagen die Gesamtheit der Merkmale des beanspruchten Gegenstandes deutlich offenbaren, d. h. in beiden Fällen dieselbe Erfindung vorliegt. Die Prüfung erfolgt dabei grundsätzlich nach den gleichen Prinzipien, wie sie auch bei der Neuheitsprüfung gelten, wobei nicht eine wortwörtliche Übereinstimmung zur Feststellung der Identität erforderlich ist, sondern sachliche Kongruenz (vgl. Schulte PatG. 9. Aufl. § 41 Rdn. 33, 34 und 35 m. w. N.). Diesen Grundsätzen folgend enthält die Voranmeldung D2 dieselbe Erfindung, wie sie mit dem verteidigten Patentanspruch 1 nunmehr beansprucht wird. Dieses Dokument D2 betrifft ein Medikament und die Verwendung von doppelsträngigen Oligoribonukleotiden zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Gens, wobei ein Vektor zur Kodierung in eine Säugetierzelle eingeführt wird und wobei ein Strang der dsRNA zumindest abschnittsweise komplementär zum Zielgen ist (vgl. Patentansprüche 2, 5, 6, 11, 13, 14, 17, 18 und 23 i. V. m. Beschreibung S. 1 Z. 4 bis 5, S. 2/3 seitenübergreifender Satz, S. 3 Z. 9 bis 13). Die dsRNA nach den Prioritätsunterlagen D2 weist - nachdem die dort beschriebene dsRNA abschnittsweise doppelsträngig ausgebildet ist - ebenfalls einen innerhalb der doppelsträngigen Struktur komplementären Bereich II auf. Des Weiteren liegen die Doppelstränge dieser dsRNA wie gemäß Streitpatent als zwei separate RNA-Einzelstränge vor, denn im Prioritätsdokument wird die chemische Modifikation der RNA-Stränge lediglich als fakultative Maßnahme beschrieben (vgl. Patentansprüche 1, 2, 13 und 14 und Beschreibung S. 3 Z. 9 bis 13 sowie S. 4 Z. 14 bis 17). Auch der im verteidigten Patentanspruch 1 genannte, die Nukleotidpaare betreffende numerische Bereich von 15 bis 24 Basenpaaren ist im Prioritätsdokument mit der Angabe einer Länge von 10 bis 1000 Basenpaaren für die dort beschriebene dsRNA offenbart, mit der Folge, dass in diesem Fall der Bereich I der dsRNA gemäß den Prioritätsunterlagen D2 ebenfalls nur aus höchstens 24 aufeinander folgenden Nukleotidpaaren bestehen kann (vgl. Patentansprüche 5 und 17 i. V. m. Beschreibung S. 3 Z. 27 bis 28). Den BGH-Entscheidungen „Inkrustierungsinhibitoren“ und „Crackkatalysator“ folgend werden mit dieser numerischen Bereichsangabe nämlich grundsätzlich alle denkbaren Unterbereiche offenbart, wobei es keine Rolle spielt, ob etwas in der Beschreibung gegenüber gleichzeitig offenbarten anderen Lösungen als bevorzugt bezeichnet ist (vgl. BGH GRUR 2000, 591 Ls. 1, 593 IV.1 b) - „Inkrustierungsinhibitoren“ sowie BGH GRUR 1990, 510 Ls., 511 III.3.c - „Crackkatalysator“).
5. Das Verfahren zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 ist neu. In keiner der dem Senat vorliegenden Druckschriften wird ein Verfahren zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens angegeben, bei dem ein Vektor zur Kodierung mindestens eines aus 15 bis 24 Basenpaaren bestehenden doppelsträngigen Oligoribonukleotids in eine Säugerzelle eingeführt wird. Fehlende Neuheit wurde von der Einsprechenden 3 hinsichtlich des nunmehr verteidigten Patentgegenstandes auch nicht mehr geltend gemacht.
6. Das Verfahren zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zu Grunde, ein möglichst effizientes Verfahren bzw. Medikament anzugeben, mit dem eine besonders wirksame Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens bewirkt wird (vgl. Streitpatentschrift S. 2/20 [0006] sowie verteidigte Patentansprüche 1 und 17).
Die Einsprechende 3 hat in der mündlichen Verhandlung einzig die PCT-Anmeldung D5 als der erfinderischen Tätigkeit entgegenstehend diskutiert. Nachdem die Veröffentlichung dieses Dokumentes am 1. Juli 1999 erfolgte und das Streitpatent - wie vorstehend dargelegt - die Priorität vom 30. Januar 1999 zu Recht in Anspruch nimmt, stellt dieses keinen Stand der Technik dar. Diese Druckschrift hat daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht zu bleiben.
Eine Anregung, die streitpatentgemäße Aufgabe mit den Maßgaben des im verteidigten Patentanspruch 1 angegebenen Verfahrens zu lösen, erhält der Fachmann auch nicht mit den im Verfahren schriftsätzlich diskutierten, vor dem 30. Januar 1999 veröffentlichten Dokumenten.
Von diesen vorveröffentlichten Dokumenten betrifft auch die Druckschrift D27 ein Verfahren zur wirksamen Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens unter Verwendung einer doppelsträngigen RNA. Dabei handelt es sich um eine in vitro synthetisierte dsRNA, deren doppelsträngiger Bereich aus selbstkomplementären Bereichen besteht, mit der Folge, dass sich eine sogenannte Haarnadelstruktur bildet. Diese Moleküle weisen nicht nur eine längere Halbwertszeit auf als bekannte Antisense-Oligonukleotide, sondern sind auch stabil gegenüber einem schnellen enzymatischen Abbau - eine Eigenschaft, die auch für die streitpatentgemäße doppelsträngige RNA geltend gemacht wird (vgl. Patentanspruch 1 i. V. m. Beschreibung S. 1 Z. 5 bis 9, S. 5 Z. 2 bis 6 und 13 bis 33, S. 14 Z. 11 bis 35, S. 19 Z. 20 bis 33). Als Mindesterfordernis für die Bildung der intramolekularen Basenpaarung zur Selbststabilisierung des Moleküls werden ungefähr zehn Basenpaare genannt und bevorzugt ungefähr 50 Nukleotide oder weniger für den selbst-komplementären Bereich (vgl. S. 15 Z. 23 bis 30). Angaben zur Anzahl der Basenpaare, die erforderlich ist, um eine erfolgreiche Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens zu erzielen, werden in diesem Dokument jedoch nicht gemacht. Die in der Druckschrift D27 beschriebenen dsRNAs werden zudem nicht in einem in-vivo-Verfahren synthetisiert und nicht aus zwei separaten RNAEinzelsträngen gebildet.
Auch eine Zusammenschau mit den weiteren vorveröffentlichten Dokumenten kann keine Anregung dahingehend vermitteln, zur Lösung der vorliegenden Aufgabe die im Patentanspruch 1 genannten Maßnahmen zu ergreifen.
Der Übersichtsartikel D10 enthält Ausführungen zur dsRNA in einem allgemeinen Kontext und zeigt die zum gegebenen Zeitpunkt in der Fachwelt bestehenden Unklarheiten bezüglich der Rolle von dsRNAs in Säugerzellen auf (vgl. S. 258 li. Sp. Abs. 2 und 3, mi. Sp. Abs. 2). Die Lehre, einen Vektor zur Kodierung mindestens eines aus 15 bis 24 Basenpaaren bestehenden Oligoribonukleotids mit doppelsträngiger Struktur in eine Säugerzelle einzuführen, um so in der Zelle eine dsRNA herzustellen, die für eine wirksame Hemmung der Expression eines vor- gegebenen Zielgens geeignet ist, wobei deren einer Strang aus einem zum Zielgen zumindest abschnittsweise komplementären aus höchstens 24 aufeinanderfolgenden Nukleotidpaaren bestehenden Bereich I besteht und ein innerhalb der doppelsträngigen Struktur komplementärer Bereich II aus zwei separaten RNAEinzelsträngen gebildet wird, vermittelt dieses Dokument damit nicht.
Die Dokumente D8 und D31 betreffen jeweils in vitro Verfahren zur Herstellung von dsRNA. Abgesehen davon, dass sie somit gleichfalls keine Anregung vermitteln, die Synthese der dsRNA in einer Säugerzelle durchzuführen, geben sie dem Fachmann auch keine Hinweise dahingehend, für eine wirksame Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens eine dsRNA mit der im Patentanspruch 1 angegebenen Anzahl von Basenpaaren in Erwägung zu ziehen. In der Publikation D8 wird zwar für eine dsRNA mit der in Rede stehenden Funktion ein in Betracht zu ziehenden Bereich von 30 bis ungefähr 85 Basenpaaren genannt, als optimal für die Komplex-Bildung der dsRNA werden jedoch 80 Basenpaare angegeben (vergleiche S. 5238 „Abstract“, S. 5246 li. Sp. Abs. 2 sowie S. 5246/ 5247 re. Sp./li. Sp. seitenübergreifender Absatz). Auch der wissenschaftliche Artikel D31 vermittelt dem Fachmann die Lehre, längere dsRNAs für eine Inhibierung der Expression eines Zielgens in Betracht zu ziehen, denn dort werden Längen der dsRNAs ab mindestens 50 Basenpaaren für erforderlich gehalten, um die gewünschte Hemmung zu erzielen (vgl. S. 409 „Summary“).
Das Dokument D24 betrifft technische Aspekte von Antisense-Oligonukleotiden. Beschrieben wird in diesem Zusammenhang ausschließlich deren in-vitro-Herstellung (vgl. S. 31 bis 37). Für die Hemmung der Zielgene wird eine optimale Länge in einem Bereich von 14 bis 25 Nukleinsäuren genannt (vgl. S. 10 „2.1 Optimal Length of Antisense Agents“). Damit wird dem Fachmann jedenfalls nicht die Lehre vermittelt, eine dsRNA aus zwei separaten RNA-Einzelsträngen in einer Säugerzelle zu synthetisieren. Dies trifft auch auf den Übersichtsartikel D32 zu, der sich mit der Rolle der dsRNA in Zellen höherer Eukaryoten befasst.
Die Berücksichtigung der weiteren dem Senat vorliegenden, im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufgegriffenen Druckschriften führt zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage.
7. Nach alledem weist das Verfahren zur Hemmung der Expression eines vorgegebenen Zielgens gemäß geltendem Patentanspruch 1 alle Kriterien der Patentfähigkeit auf. Dieser Patentanspruch ist daher rechtsbeständig. Mit ihm haben die besondere Ausführungsformen des Verfahrens nach geltendem Patentanspruch 1 betreffenden nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 16 gleichfalls Bestand.
8. Der nebengeordnete Patentanspruch 17 ist auf ein Medikament mit mindestens einem Vektor zur Kodierung mindestens eines aus 15 bis 24 Basenpaaren bestehenden, doppelsträngigen Oligoribonukleotids gerichtet. Bezüglich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gelten die vorstehend dargelegten Gesichtspunkte gleichermaßen, so dass auch dieser Anspruch und mit diesem die ihm nachgeordneten Patentansprüche 18 bis 32 Bestand haben.
III.
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einer beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwältin oder von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden.
Maksymiw Proksch-Ledig Schell Jäger Fa
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