4 StR 9/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 9/24 BESCHLUSS vom 10. April 2024 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:100424B4STR9.24.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. April 2024 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 1. September 2023 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 63 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und in 15 weiteren Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
Die Urteilsgründe tragen die jeweilige tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen auch nach dem 16. Geburtstag der Nebenklägerin, obgleich deren Mutter und zugleich Ehegattin des Angeklagten wenige Monate zuvor am 11. Juni 2016 verstorben war. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Bedenklich erscheint zwar, dass die Kammer angenommen hat, der Angeklagte habe auch durch die 26 festgestellten Tathandlungen in der Zeit vom Juni 2016 bis Juli 2018 den Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in der Variante des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 21. Januar 2015 (BGBl. I Nr. 2, S. 10) verwirklicht (UA S. 51). Die Norm in dieser Fassung stellte es unter anderem unter Strafe, wenn ein Täter sexuelle Handlungen an einer Person unter achtzehn Jahren, die der leibliche Abkömmling seines Ehegatten ist, vornahm oder an sich von dieser Person vornehmen ließ.
Mit dem Tod ihrer Mutter war die Nebenklägerin indes kein Abkömmling der Ehegattin des Angeklagten mehr. Die Nebenklägerin war zwar weiterhin Abkömmling ihrer verstorbenen Mutter, ihre Mutter war zu den Tatzeitpunkten jedoch nicht mehr Ehegattin des Angeklagten. Die nach § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Lebenszeit geschlossene Ehe endete mit dem Tod der Ehefrau. […] Die Wortlautgrenze der Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB lässt eine erweiternde Auslegung des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. dahin, dass auch die Abkömmlinge früherer Ehegatten erfasst sind, nicht zu. […]
Dieser Umstand gefährdet den Bestand des Schuldspruchs jedoch nicht. Die rechtsfehlerfrei festgestellten Tathandlungen erfüllen die Voraussetzungen anderer Tatbestandsvarianten des § 174 Abs. 1 StGB in der nach § 2 Abs. 3 StGB maßgeblichen Fassung vom 21. Januar 2015.“
Dem schließt sich der Senat an. Soweit nach dem 16. Geburtstag der Nebenklägerin die nunmehr altersbedingt allein einschlägige Tatvariante des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB aF neben dem Merkmal des „Anvertrautseins“ zusätzlich den Missbrauch der Abhängigkeit verlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2023 – 4 StR 218/23 Rn. 2), tragen die zureichend beweiswürdigend belegten Feststellungen dieses Tatbestandsmerkmal. Nach den Urteilsausführungen wurde der Angeklagte mit dem Tod der Mutter der Nebenklägerin zu deren allein sorgeberechtigter Person. Seine sich hieraus ergebenden Erziehungs- und Einflussmöglichkeiten während des bis Juli 2018 fortbestehenden häuslichen Zusammenlebens nutzte der Angeklagte zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit der Nebenklägerin aus, indem er Verbote und Sanktionen als Druckmittel einsetzte. Dieser Zusammenhang war sowohl dem Angeklagten als auch der Nebenklägerin bewusst, die sich zur Erzielung von Zugeständnissen des Angeklagten seinem Ansinnen fügte. § 265 StPO hindert nicht daran, den Schuldspruch auf diese Tatvariante zu stützen, da auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
Quentin Momsen-Pflanz Maatsch Marks Scheuß Vorinstanz: Landgericht Bochum, 01.09.2023 ‒ II-13 KLs - 36 Js 332/21 - 4/23