NotSt (Brfg) 4/18
BUNDESGERICHTSHOF NotSt(Brfg) 4/18 BESCHLUSS vom 14. Februar 2019 in der Disziplinarsache wegen Entfernung aus dem Amt ECLI:DE:BGH:2019:140219BNOTST.BRFG.4.18.0 hat der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, am 14. Februar 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richterinnen von Pentz und Dr. Roloff, die Notarin Dr. Brose-Preuß und den Notar Dr. Strzyz beschlossen:
Richter am Bundesgerichtshof Offenloch ist im vorliegenden Verfahren von der Ausübung des Amts als Richter ausgeschlossen.
Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren über die Berufung gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart - Notarsenat - vom 9. März 2018 wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Richter am Bundesgerichtshof Offenloch hat nach seiner Mitteilung vom 17. Januar 2019 während seiner Tätigkeit im Ministerium der Justiz und Europa des Klägers an der Entscheidung über die Durchführung des gegen den Beklagten gerichteten Disziplinarverfahrens mitgewirkt und ist damit gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 3 BDG, § 54 Abs. 2 VwGO von der Ausübung des Richteramts in dem vorliegenden Verfahren ausgeschlossen.
II.
Prozesskostenhilfe ist dem Beklagten nicht zu gewähren, weil die beabsichtigte Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 96 BNotO, § 3 BDG, § 166 VwGO, § 114 Abs. 1 ZPO. Die Berufung des Beklagten ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht begründet.
1. Zutreffend geht das Oberlandesgericht davon aus, dass die in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe - auswärtige Strafkammer Pforzheim - vom 27. November 2014 (KLs 92 Js 3736/13; im folgenden "Strafurteil") getroffenen tatsächlichen Feststellungen in dem gerichtlichen Disziplinarverfahren bindend sind, § 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG. Entgegen der Ansicht des Beklagten sind diese auch von der Vorinstanz dem vorliegend angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Feststellungen nicht offenkundig unrichtig, so dass ihre erneute Prüfung zu beschließen wäre, § 96 Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG.
a) Die Bindungswirkung des § 57 Abs. 1 BDG dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen durch staatliche Gerichte getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl straf- als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts vorrangig den Strafgerichten zu übertragen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen Ermittlungsmöglichkeiten und Erfahrungen einerseits sowie den hierfür geltenden rechtsstaatlichen Sicherungen andererseits trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Damit wird zugleich die Beschleunigung
(§ 4 BDG) des während des strafgerichtlichen Verfahrens von Gesetzes wegen ausgesetzten (§ 22 Abs. 1 Satz 1 BDG) Disziplinarverfahrens ermöglicht und eine wiederholte Inanspruchnahme und Belastung etwaiger Opferzeugen vermieden. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen (stRspr, zB BVerwG, Beschluss vom 30. August 2017 - 2 B 34/17, NVwZ-RR 2018, 239 Rn. 11 mwN zu § 56 LDG NRW).
Die Bindungswirkung für das Disziplinarverfahren entfällt gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG nur, wenn und soweit die strafgerichtlichen Feststellungen "offenkundig unrichtig" sind. Die Verwaltungsgerichte sollen nicht gezwungen werden, gleichsam "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden zu müssen. Sie sind daher berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind oder wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (stRspr, zB BVerwG aaO Rn. 13 mwN). Für solche Sachverhaltsfeststellungen hat das Verwaltungsgericht eine erneute Prüfung zu beschließen.
Wird im gerichtlichen Disziplinarverfahren die offenkundige Unrichtigkeit einer strafgerichtlichen Feststellung geltend gemacht, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist. Pauschale Behauptungen (etwa, es habe eine Absprache ["Deal"] gegeben) genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG ergeben kann (zB BVerwG, Beschlüsse vom 26. August 2010 - 2 B 43/10, juris Rn. 6; vom 30. August 2017 aaO Rn. 15 mwN).
b) Solche Umstände zeigt die Berufung nicht auf und sind auch sonst nicht ersichtlich.
aa) Soweit der Beklagte geltend macht, das Strafurteil beruhe auf der unzulässigen Verwertung der bei der Geschäftsprüfung durch den Notarprüfer und die Bezirksrevisorin gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 BNotO eingesehenen Notarakten des Beklagten, greift das nicht durch. Das Oberlandesgericht hat zutreffend ausgeführt, dass das von dem Notar für sich im Strafprozess in Anspruch genommene Beweisverwertungsverbot nicht bestanden hat und auch im Disziplinarverfahren nicht besteht. Entgegen der Ansicht des Beklagten gibt es keinen aus dem Verbot des Selbstbelastungszwangs (nemo-tenetur-Grundsatz) folgenden allgemeinen Rechtsgrundsatz dahin, dass Erkenntnisse aus der Erfüllung von Mitwirkungspflichten nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden dürfen.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Verbot des Selbstbelastungszwangs aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG zum Kern, dass niemand gezwungen werden darf, durch eigene Aussagen die Voraussetzung für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung einer entsprechenden Sanktion zu liefern. Demgegenüber betreffen gesetzliche Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten den Kern der grundgesetzlichen Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen. Vielmehr können solche anderweitigen Mitwirkungspflichten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts namentlich zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2010 - 2 BvL 13/07, BVerfGK 17, 253 Rn. 54 mwN auch aus der Rechtsprechung des EGMR).
(2) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht, dass der Notar im Rahmen der im Interesse der Rechtsuchenden und eines funktionierenden Notarwesens erfolgenden Prüfung und Überwachung seiner Amtsführung durch die Aufsichtsbehörden (§ 93 Abs. 1 BNotO; vgl. Senat, Beschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 8/05, NJW 2005, 2693 unter III 1) zwar gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 BNotO den von der Aufsichtsbehörde beauftragten Prüfern Akten, Verzeichnisse und Bücher sowie die in seiner Verwahrung befindlichen Urkunden zur Einsicht vorzulegen und auszuhändigen sowie die nötigen Aufschlüsse zu geben hat. Er kann auf ein Auskunftsverlangen aber geltend machen, es sei nicht gerechtfertigt, insbesondere unzumutbar, und um gerichtliche Überprüfung ersuchen (§ 111 Abs. 1 BNotO; Senat, Beschlüsse vom 14. Juli 1986 - NotZ 7/86, DNotZ 1987, 438 unter 2 b; vom 14. Dezember 1992 - NotZ 3/91, DNotZ 1993, 465 unter III 1 b). Auf dieser Grundlage darf er in Anwendung der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Selbstbelastungsfreiheit die Auskunft auf Fragen verweigern, durch deren Beantwortung er sich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde (Herrmann in Schippel/Bracker, BNotO, 9. Aufl., § 93 Rn. 3).
(3) Dass eine (wie auch immer erzwungene) Auskunft zu dem gegen ihn geführten Strafverfahren geführt hätte, macht der Beklagte aber nicht geltend.
Vielmehr beruht die Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens allein auf der Auswertung der im Rahmen der Notaraufsicht geprüften Unterlagen, die im späteren Verlauf Anlass für die Einleitung des Disziplinarverfahrens und die von dem Präsidenten des Landgerichts erstattete Strafanzeige war. Der Umstand, dass er die Akten und Urkunden den Prüfungsbeamten gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 BNotO ausgehändigt hat, ist - wie oben ausgeführt - schon nicht geeignet, in den Kern der grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbelastungsfreiheit einzugreifen. Ergibt sich auf der Grundlage der im Prüfungsverfahren eingesehenen Akten der Verdacht einer Straftat, wird die Aufsichtsbehörde regelmäßig sogar gehalten sein, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten (vgl. Weingärtner in Weingärtner/Gassen/Sommerfeldt, DONot, 13. Aufl., § 32 Rn. 28).
bb) Soweit der Beklagte geltend macht, im Strafprozess seien die ihn entlastenden Aussagen der Zeuginnen K.
und B.
nicht berücksichtigt worden, trifft das nicht zu. Die Strafkammer hat sich - wie auch das Oberlandesgericht bereits ausgeführt hat - mit den Aussagen der Zeuginnen ausdrücklich auseinandergesetzt, seine Überzeugung aber auf die Aussagen der Zeugen R. und S. und maßgeblich auf den Prüfungsbericht vom
12. Dezember 2005 mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und das Schreiben des Beklagten vom 3. Juli 2006 hierzu gestützt.
Damit setzt sich die Berufung nicht auseinander. Nachdem der Beklagte deshalb eine offenkundige Unrichtigkeit des Strafurteils schon nicht substantiiert aufzeigt, besteht auch keine Grundlage für die von dem Beklagten erneut beantragte Vernehmung der Zeuginnen K.
und B.
. Gleiches gilt, soweit der Beklagte geltend macht, das Landgericht habe die Aussagen der Kostenprüfungsbeamten der Ländernotarkasse Leipzig, der Zeugen R.
und S. , unvollständig und unzutreffend gewürdigt.
cc) Eine offenkundige Unrichtigkeit des Strafurteils zeigt der Beklagte auch nicht auf, indem er rügt, das Landgericht habe im Strafverfahren seinen Vortrag dahin unbeachtet gelassen, dass er seine bisherige Abrechnungspraxis entgegen der Behauptung der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift auch noch in den Jahren 2005 bis 2010 fortgesetzt habe und ihm im Bericht über die im Jahr 2010 stattgefundene Prüfung gleichwohl eine ordnungsgemäße Abrechnungspraxis attestiert worden sei. Denn aus dem von dem Beklagten eingereichten Prüfungsbericht vom 22. September 2010 ergibt sich schon nicht, dass - wie bei den am 11. und 12. Oktober 2005 und am 22. und 23. Mai 2012 stattgefundenen Prüfungen - die Kostenansätze stichprobenartig anhand einer ausreichenden Anzahl von Urkunden überprüft worden wären. Die Prüfung im Jahr 2010 bezog sich vielmehr nur auf die Führung des Kostenregisters und die Erfüllung der Abgabenpflicht. Ausdrücklich festgehalten ist zudem in dem Bericht, dass die Beanstandungen der Prüfer, die sich aus dem Bericht vom 12. Dezember 2005 ergeben hätten, hinsichtlich der Nummer 8 Buchstabe g entsprechend der Stellungnahme des Notars beseitigt vorgefunden worden seien. Darunter befindet sich ausweislich des Berichts vom 12. Dezember 2005 auch die Berichtigung der damals beanstandeten Kostenansätze gemäß § 147 Abs. 2 zur UR-Nr. 1577/2003.
dd) Es trifft auch nicht zu, dass die Strafkammer in ihrem Urteil einen falschen Ermessensrahmen des § 147 Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO aF zugrunde gelegt hat, wie der Beklagte meint. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kostenrahmen nach diesen Vorschriften bis zum vollen Wert des Kaufpreises reichen kann. Es hat sodann aber - ebenso richtig - ausgeführt, dass nach der im fraglichen Zeitraum gefestigten Rechtsprechung der Geschäftswert einer neben der Beurkundungsgebühr anfallenden Betreuungsgebühr mit regelmäßig 20 - 30 % und nur in Ausnahmefällen mit 50 % des Kaufpreises anzusetzen ist. Dass der Beklagte demgegenüber auch in der Berufung noch vertritt, ein Kostenansatz von 100 % des Kaufpreises sei angemessen, vermag eine offenkundige Unrichtigkeit des Strafurteils nicht zu begründen.
ee) Soweit der Beklagte geltend macht, es fehle an der Täuschungshandlung, weil die bloße Übersendung einer Rechnung schon keine Täuschung darstelle und die Rechnung allenfalls eine unrichtige Wertung, nicht aber unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalte, verkennt er den Inhalt des Tatbestandsmerkmals der Täuschung der Strafvorschrift des § 352 Abs. 1 StGB (Gebührenüberhebung). Die Täuschung bezieht sich im Rahmen des § 352 StGB nach der bereits seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bestehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf, dass der Täter dem Zahlenden vorspiegelt, er schulde den geforderten Betrag (BGH, Urteil vom 6. November 1951 - 2 StR 178/51, BGHSt 2, 35 unter I 1; siehe auch Urteil vom 6. September 2006 - 5 StR 64/06, NJW 2006, 3219 Rn. 18). Das geschieht durch Vorlage der Rechnung, von der der Täter weiß, dass sie unrichtig ist. Auch soweit der Beklagte meint, es fehle am Vorsatz, weil er mit einer Geschäftsprüfung und daher auch mit einer Aufdeckung der Gebührenüberhebung habe rechnen müssen, vermag dies eine offenkundige Unrichtigkeit des Strafurteils nicht aufzuzeigen, wie sich nicht zuletzt auch daraus ergibt, dass ihm ausweislich seines Schreibens vom 3. Juli 2006 die seiner Rechnungspraxis entgegenstehende Gebührenrechtslage bekannt war.
ff) Schließlich rügt der Beklagte in Bezug auf die strafgerichtliche Verurteilung, diese beruhe auf nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführten Unterlagen. Gegenstand des Strafprozesses seien 1719 Kaufverträge, 1719 Rechnungen und Kontoauszüge gewesen. Insoweit habe das Gericht das Selbstleseverfahren gewählt, wobei die Schriftstücke auf Speichermedien übertragen worden seien, von denen die Mitglieder der Kammer je eines erhalten hätten. Ein Kaufvertrag bestehe aus etwa 15 Seiten. Dies seien insgesamt 25785 Seiten. Bei einer Lesezeit von 15 Minuten pro Kaufvertrag, benötige ein Leser mehr als 54 (Arbeits-)Tage, um allein die Kaufverträge zu lesen; hinzu träten noch die Rechnungen und Kontoauszüge. Das sei während der Prozessdauer schon nicht möglich gewesen. Eine Stichprobe habe ergeben, dass die Kostennoten zu den Verträgen mit den UR-Nrn. 49/13, 53/11 und 368/13 nicht beglichen worden seien. Kontoauszüge zu den UR-Nrn. 53/11 und 368/13 fehlten; aus dem Auszug zur UR-Nr. 40/13 ergebe sich (nur) die Zahlung der Kosten der Lastenfreistellung. In diesen drei Fällen sei der Beklagte wegen vollendeter Taten verurteilt worden, obwohl ein Tatnachweis nicht erbracht gewesen sei. Eine offenkundige Unrichtigkeit des Strafurteils zeigt der Beklagte mit diesem Vortrag nach den obigen Grundsätzen indes nicht auf.
(1) Die Anordnung des Selbstleseverfahrens beruht auf § 249 Abs. 2 StPO. Mit seiner Rüge, im Hinblick auf die Anzahl der vom Selbstleseverfahren erfassten Urkunden und Schriftstücke habe für die Richter nicht genügend Zeit zur Verfügung gestanden, um diese zur Kenntnis zu nehmen, beanstandet der Beklagte die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahrens (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2017 - 1 StR 554/16, NStZ 2018, 230 unter 2 a). Weder auf etwaige Fehler bei der Anwendung noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann aber mit Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden, wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde (§ 238 Abs. 2, § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300 unter 1 b). Dass er eine solche Entscheidung beantragt habe bzw. eine solche ergangen sei, trägt der Beklagte nicht vor. Damit ist die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften nicht substantiiert dargetan.
Im Übrigen vermögen die ohnehin eher spekulativen Ausführungen des Beklagten zur notwendigen Lesedauer auch inhaltlich nicht die offenkundige Unrichtigkeit der Feststellungen der Strafkammer zu begründen. Er wurde wegen der Überhebung der Gebühren für betreuende Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Abwicklung von Grundstückskaufverträgen verurteilt. Um die hierfür notwendigen tatbestandlichen Feststellungen zu treffen, ist nicht die Lektüre der gesamten Verträge einschließlich aller Ausführungen zu den Personalien der Urkundsbeteiligten, Belehrungen, eventuellen Haftungsausschlüssen pp. erforderlich.
(2) Bei den Unterlagen zu den Urkunden mit den UR-Nrn. 49/13, 53/11 und 368/13, die der Beklagte im Übrigen auch nicht vorgelegt hat, handelt es sich nicht um neue Beweismittel, die dem Strafgericht noch nicht zur Verfügung gestanden hätten. Darauf bezogene Beanstandungen hätte der Beklagte auch im Strafverfahren geltend machen können. Vor allem aber enthält das Strafurteil die Feststellung, dass bezüglich aller abgeurteilten Fälle Kostenrechnungen vorlagen, die in der Buchhaltung des Beklagten als bezahlt gekennzeichnet waren. Dem tritt der Beklagte nicht entgegen.
2. Soweit der Beklagte im Fall "M." (UR-Nr. 1027/10) geltend macht, der erste Vertrag sei am 14. Januar 2011 vollzugsreif gewesen, und die Sachbearbeiterin habe das angewiesene Verfahren, wonach Antragstellung und Zahlungsanweisungen am gleichen Tag zu versenden seien, missachtet, sodann die Antragstellung "schlichtweg vergessen", entlastet ihn dies nicht. Der Beklagte hat die Zahlungsanweisungen vom 14. und 17. Januar 2011 selbst unterzeichnet. Ihm hätte daher die Prüfung oblegen, ob die Treuhandauflagen eingehalten waren.
3. Zum Fall "D." (UR-Nr. 840/11) trägt der Beklagte vor, von der Existenz der Grundschuld habe sein Büro erst anlässlich der Eigentumsumschreibung (Antrag vom 22. Juni 2012) erfahren; deshalb habe er sich auch mit Schreiben vom 3. Juli 2012 beim Grundbuchamt bedankt. Das habe die Zeugin S. R. bestätigt. Diese Aussage erwähne das Oberlandesgericht nicht. In dem an seine Haftpflichtversicherung gerichteten Schreiben sei er irrtümlich von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Dieser Vortrag ist indes nicht geeignet, die dem Beklagten vorgeworfene Pflichtverletzung in Frage zu stellen. Denn das Oberlandesgericht stützt seinen Vorwurf darauf, dass der Beklagte am 20. Juli 2012 - nachdem er nach seinem eigenen Vortrag Kenntnis von der Grundschuld erlangt hatte - die Auszahlung vorgenommen habe, ohne dass die Löschung der vorrangig eingetragenen Buchgrundschuld zugunsten des K. sichergestellt gewesen sei. Das hat der Senat bei der Durchsicht der zu dem Vorgang D. vorliegenden Urkunden und Schriftstücke bestätigt gefunden.
4. Zum Fall "G." (UR-Nr. 2322/11) macht der Beklagte geltend, er habe den Vorgang korrekt behandelt. Das Oberlandesgericht gehe unzutreffend davon aus, dass die Treuhandanweisung gelautet habe "über den Betrag nur zu verfügen, wenn folgende Auflagen erfüllt sind". Tatsächlich habe sie vor dem Hintergrund der Kettenkaufverträge gelautet "wenn sichergestellt ist, dass die nachfolgenden Auflagen erfüllt werden". Die erforderlichen Anträge seien durch den Enderwerber persönlich bei dem Grundbuchamt eingereicht worden, das dem Büro des Beklagten den rangrichtigen Eingang bestätigt habe. Erst dann sei die Zahlung der Ablösesumme an die Sparkasse D.
erfolgt. Ein Vermerk über ein entsprechendes Telefonat findet sich allerdings in der Akte nicht.
Es lässt sich daher nicht nachvollziehen und wird auch nicht vorgetragen, wer wem zu welchem Zeitpunkt den rangrichtigen Eingang der Anträge bestätigt habe. Auf dieser Grundlage hätte der Beklagte eine Auszahlung nicht veranlassen dürfen, weil die Treuhandauflagen nicht gesichert waren.
5. Soweit der Beklagte auf der Grundlage ihm seinen Angaben zufolge zugetragener Gerüchte geltend macht, das Disziplinarverfahren gegen ihn sei aus parteipolitischen Gründen eingeleitet und mit unangebrachtem Verfolgungseifer betrieben worden, vermag dies die festgestellten Tatsachen und deren disziplinarrechtliche Bedeutung nicht in Frage zu stellen.
6. Angesichts der 1661 zum Nachteil von Kostenschuldnern begangenen Straftaten, wegen derer der Beklagte rechtskräftig verurteilt ist, und der wiederholten Treuhandverstöße dürfte die Entfernung aus dem Amt entgegen seiner Ansicht auch im Hinblick auf die erheblichen Auswirkungen auf seine wirtschaftliche Existenz keine unverhältnismäßige Sanktion darstellen.
Herrmann von Pentz Brose-Preuß Strzyz Vorinstanz: OLG Stuttgart, Entscheidung vom 09.03.2018 - 1 Not 2/17 - Roloff