V ZR 238/23
BUNDESGERICHTSHOF V ZR 238/23 BESCHLUSS vom 25. April 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:250424BVZR238.23.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2024 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Hamdorf und Dr. Malik, die Richterin Dr. Grau und den Richter Dr. Schmidt beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg - 3. Zivilsenat - vom 12. Oktober 2023 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 29.244,25 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin kaufte von dem Beklagten im Jahr 2018 ein Grundstück mit Wohngebäude unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Vor Abschluss des notariellen Kaufvertrages hatte der Beklagte der Klägerin auf Nachfrage mitgeteilt, dass im Zuge von Gesamtsanierungsmaßnahmen in den Jahren 1996/97 die Drainage um das ganze Haus neu erstellt und die Kellerwände mit einer Spezialwandfolie abgedichtet worden seien. Tatsächlich ist lediglich eine Wand dünn mit einer Bitumenschicht bestrichen, vor die eine Styroporplatte gestellt wurde. Eine Isolierung und eine Drainage sind nicht vorhanden.
Die Klägerin macht mit der Klage wegen des Fehlens der Drainage und Abdichtung Schadensersatzansprüche geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die hierin liegende Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.
II.
Das Oberlandesgericht meint, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch weder aus § 437 Nr. 3 i.V.m. § 280 Abs. 1, § 281 Abs. 1 und 2 BGB noch unter dem Gesichtspunkt des vorvertraglichen Verschuldens zu, weil sie eine vorsätzliche Falschinformation durch den Beklagten nicht nachgewiesen habe. Der Beklagte habe dargelegt, im Jahre 1996 oder 1997 die Firma D.
mit der Ausführung einer Drainage und Kellerabdichtung beauftragt und die in Rechnung gestellten Arbeiten bezahlt zu haben. Für eine gleichwohl vorhandene Arglist auf Seiten des Beklagten fehle es an einem Beweisantritt der Klägerin. Der erstmals in der Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts gehaltene, unter Zeugenbeweis gestellte Vortrag der Klägerin, die Umbauarbeiten am Anwesen des Beklagten seien nicht durch die Firma D.
, sondern von dem Beklagten selbst ausgeführt worden, sei neu. Da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sei, weshalb dieser Vortrag erstmals zum jetzigen Zeitpunkt erfolge,
sei er - ebenso wie das Beweisangebot - als verspätet zurückzuweisen und könne im Berufungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. zuletzt Senat, Beschluss vom 23. November 2023 - V ZR 170/22, juris Rn. 4 mwN). Die Klägerin rügt mit der Beschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht ihren im Berufungsverfahren gehaltenen Vortrag zur Arglist des Beklagten nebst Beweisantritt nicht hätte zurückweisen und unberücksichtigt lassen dürfen.
1. Auf welche Vorschrift der Zivilprozessordnung das Berufungsgericht die Nichtberücksichtigung des klägerischen Vorbringens und die Nichterhebung des angebotenen Beweises stützt, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen. Auch die Begründung ist insoweit nicht eindeutig. Die Formulierung „als verspätet zurückzuweisen“ mag darauf hindeuten, dass das Berufungsgericht meint, der Vortrag sei nach §§ 530, 520 Abs. 2 Satz 1, § 296 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen, weil er nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gehalten wurde. Die Gründe enthalten aber keine Ausführungen zur Verzögerung des Rechtsstreits und zur - naheliegenden - Entschuldigung der Verspätung. Denkbar erscheint daher auch, dass das Berufungsgericht meint, der Vortrag sei nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen, weil nicht dargelegt sei, dass er im ersten Rechtszug nicht gehalten wurde, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Klägerin beruhe; hierfür spricht die Formulierung „kann … nicht mehr berücksichtigt werden“. Letztlich kann dahinstehen, ob die Nichtberücksichtigung des Vortrags nebst Beweisantritt auf § 530 oder § 531 ZPO gestützt werden sollte, denn beides wäre rechtsfehlerhaft.
a) Der Klägerin kann Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht vorgeworfen werden.
aa) Die Klägerin hat in ihrer Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts ausgeführt, sie habe zwischenzeitlich mit ihrer Nachbarin Frau S. auf deren Nachfrage nach dem Urteil erster Instanz „zum Sach- und Streitstand referiert“. Frau S. , die seit Jahrzehnten Nachbarin des Anwesens sei,
habe mitgeteilt, dass die Umbauarbeiten nicht von der Firma D.
ausgeführt worden seien, sondern allein von dem Beklagten. Die Firma D.
sei gar nicht vor Ort gewesen. Da die Klägerin die Kenntnis dieser Umstände erst nach Abschluss des Verfahrens in erster Instanz erlangt hat, kann ihr nicht angelastet werden, hierzu erst im Berufungsverfahren vorgetragen zu haben.
bb) Der Klägerin ist auch nicht vorzuwerfen, dass sie die Nachbarin nicht von sich aus während des Verfahrens in erster Instanz angesprochen und zu den Sanierungsarbeiten der Jahre 1996/97 befragt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nur dann vor, wenn die Partei gegen ihre Prozessförderungspflicht verstoßen hat. Die Parteien sind aufgrund dieser Pflicht zu konzentrierter Verfahrensführung gehalten. Insbesondere dürfen sie Vorbringen grundsätzlich nicht aus prozesstaktischen Erwägungen zurückhalten. Eine Verpflichtung, tatsächliche Umstände, die der Partei nicht bekannt sind, erst zu ermitteln, ist daraus jedoch grundsätzlich nicht abzuleiten (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juni 2016 - V ZR 238/15, juris Rn. 8; Beschluss vom 22. März 2023 - V ZR 128/22, NJW-RR 2023, 718 Rn. 19 jeweils mwN).
b) Das Berufungsgericht durfte das Vorbringen zu den Angaben der Nachbarin nebst Beweisantritt auch nicht nach §§ 530, 520 Abs. 2 Satz 1, § 296 Abs. 1 ZPO zurückweisen. Der Vortrag wurde zwar nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gehalten. Die Ausführungen der Klägerin zu dem Gespräch mit der Nachbarin waren aber grundsätzlich geeignet, die Verspätung nach § 296 Abs. 1 ZPO zu entschuldigen. Da - wie gezeigt - eine Nachforschungspflicht nicht bestand, wäre es der Klägerin nicht anzulasten, wenn sie erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist davon erfahren haben sollte, dass die Sanierungsarbeiten nicht von einer Fachfirma, sondern von dem Beklagten selbst ausgeführt wurden. Sollte das Berufungsgericht hingegen gemeint haben, dem Vorbringen der Klägerin sei aufgrund unklarer zeitlicher Angaben („zwischenzeitlich“) nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, wann genau das Gespräch stattgefunden hat, sodass nicht eindeutig sei, dass der Vortrag nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 ZPO habe erfolgen können, wäre es gehalten gewesen, der Klägerin Gelegenheit zur Klarstellung zu geben (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 1986 - II ZR 107/85, NJW 1986, 3193, 3194). Gegebenenfalls hätte es ihr sodann aufgeben können, ihre Angaben glaubhaft zu machen (§ 296 Abs. 4 ZPO). Jedenfalls durfte das Berufungsgericht nicht ohne vorherigen Hinweis von der für die Klägerin ungünstigsten Variante ausgehen, dass das Gespräch mit der Nachbarin nach Abschluss des Verfahrens in erster Instanz, aber noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist stattgefunden hat, und das Vorbringen ohne weiteres unberücksichtigt lassen.
2. Die Verletzung des Verfahrensgrundrechts der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung der Zeugin S.
zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Sollte der Beklagte im Jahre 1996/97 nicht die Firma D. mit der Errichtung einer Abdichtung und Drainage beauftragt, sondern die Umbauarbeiten selbst vorgenommen haben, dann könnte eine Arglist des Beklagten nicht mit der Begründung verneint werden, er habe sich auf die Ausführung der Arbeiten durch diese Firma verlassen. Dann käme eine Haftung des Beklagten aus § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 1 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB wegen einer unzutreffenden Erklärung über den Kaufgegenstand bzw. wegen einer unrichtigen Antwort auf eine Frage der Klägerin zum Kaufgegenstand in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 15. September 2023 - V ZR 77/22, BGHZ 238, 179 Rn. 13 und 19 mwN).
IV.
Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör der Klägerin führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Brückner Grau Hamdorf Schmidt Malik Vorinstanzen:
LG Bayreuth, Entscheidung vom 07.07.2023 - 32 O 299/22 OLG Bamberg, Entscheidung vom 12.10.2023 - 3 U 125/23 -