IV ZB 13/23
BUNDESGERICHTSHOF IV ZB 13/23 BESCHLUSS vom
19. Juni 2024 in dem Notarbeschwerdeverfahren wegen Verweigerung der Amtstätigkeit des Notars Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNeu:
nein BGB § 2314 Abs. 1 Satz 3; BNotO § 15 Abs. 1 Satz 1 a) Im Hinblick auf die Urkundsgewährungspflicht des Notars sind an die Annahme eines ausreichenden Grundes im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO, der den Notar zur Verweigerung der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB und damit seiner Urkundstätigkeit berechtigt, hohe Anforderungen zu stellen.
b) Stellt der Notar im Rahmen seiner Ermittlungspflicht die gebotenen Nachforschungen an und wirkt der Erbe bei der Sachaufklärung im erforderlichen und zumutbaren Umfang mit, berechtigen verbleibende Unklarheiten den Notar nicht zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit.
BGH, Beschluss vom 19. Juni 2024 - IV ZB 13/23 - LG Bad Kreuznach ECLI:DE:BGH:2024:190624BIVZB13.23.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterin Dr. Brockmöller, die Richter Dr. Götz, Rust und Piontek am 19. Juni 2024 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 20. April 2023 aufgehoben.
Der Notar Dr. Rudolf M.
wird angewiesen, ein Verzeichnis über den Nachlass des am 10. März 2020 verstorbenen Erblassers Helmut Josef K.
aufzunehmen.
Die Rechtsmittelverfahren sind gerichtskostenfrei.
Gründe:
I. Die Beschwerdeführerin begehrt als Alleinerbin des am 10. März verstorbenen Erblassers, dessen Lebensgefährtin sie war, die Anweisung an den Notar Dr. Rudolf M.
(im Folgenden: Notar), ein notarielles Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Sie war zur Auskunftserteilung mittels Vorlage eines solchen durch Teilurteil des angerufenen Landgerichts verurteilt worden.
Die Beschwerdeführerin beauftragte den Notar im Februar 2021 mit der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses. Dieser stellte eigene Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses an, indem er in den elektronischen Grundbüchern mehrerer Amtsgerichte recherchierte sowie zehn Kreditinstitute um Auskunft über Geschäftsverbindungen zum Erblasser ersuchte. Die Beschwerdeführerin reichte vom Notar angeforderte Unterlagen ein, äußerte dabei jedoch ihre Unsicherheit in Bezug auf die Verlässlichkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben zum Erblasservermögen. Hinsichtlich pflichtteilsrelevanter Schenkungen und Zuwendungen des Erblassers konnte sie nahezu keine Angaben machen.
Mit Schreiben an die Beschwerdeführerin vom 13. Juni 2022 hat der Notar die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mit der Begründung abgelehnt, er sei nicht in der Lage, ein den hohen Anforderungen der Rechtsprechung genügendes Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Seine Ermittlungsmöglichkeiten betrachte er als ausgeschöpft. Die Beschwerdeführerin könne zu klärungsbedürftigen Sachverhalten, auch weil der Erblasser nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit ihr Lebensgefährte gewesen sei, keine hinreichend sicheren Angaben machen. Nach ihren Angaben gäbe es noch eine Vielzahl an Dokumentenordnern, zu deren Sichtung sie bislang nicht gekommen sei. Hinsichtlich des fiktiven Nachlasses habe sie lediglich von Schenkungen an die Enkelin des Erblassers berichtet, ohne jedoch deren Höhe und Zeitpunkte benennen zu können. Da die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme, könne er aufgrund der Vielzahl unklarer Sachverhalte ein Nachlassverzeichnis nicht errichten.
Hilfsweise hat der Notar Unzumutbarkeit einer weiteren Tätigkeit geltend gemacht. Der Entwurf des Nachlassverzeichnisses nehme bereits mehr als ein Jahr in Anspruch. Um bestehende Zweifel und Unklarheiten ausräumen zu können, müsse eine Vielzahl weiterer Dokumente gesichtet werden. Auszüge der bekannten Konten lägen bislang nicht vollständig vor. Von einigen Konten, insbesondere von Gemeinschaftskonten des Erblassers und seiner Ehefrau, fehlten jegliche Auszüge. Es bestünden überdies Zweifel daran, dass alle Konten des Erblassers erfasst worden seien.
Die Beschwerdeführerin hat gegen die Weigerung des Notars, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen, Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht zurückgewiesen worden ist. Dagegen richtet sich die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Anweisung an den Notar, ein notarielles Nachlassverzeichnis aufzunehmen, begehrt.
II. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung u.a. in ZEV 2024, 239 (mit Anmerkung von Keim) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, es liege ein ausreichender Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO vor, der den Notar zur Verweigerung des Amtsgeschäfts berechtige. Die von ihm angestellten eigenen Ermittlungen seien angemessen und ausreichend gewesen. Er sei darauf angewiesen, dass ihm die Erben die für den Nachlass relevanten Unterlagen zur Verfügung stellen und Auskünfte erteilen, aus denen sich auch der fiktive Nachlass ergebe. Da sich die Beschwerdeführerin hierzu nicht in der Lage sehe, könne der Notar mit den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen kein umfassendes und inhaltlich richtiges Nachlassverzeichnis erstellen. Auch die Sichtung nach Auskunft des Notars möglicherweise existierender weiterer Unterlagen würde nicht dazu führen, dass ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Nachlassverzeichnis erstellt werden könne. Zu Schenkungen und Zuwendungen des Erblassers an Dritte könne der Notar zwar auch diese selbst befragen. Ihm stünden aber keine Zwangsmittel zur Verfügung, um diese Informationen tatsächlich zu erhalten. Mit den Pflichtteilsberechtigten habe der Notar gesprochen. Dem Notar sei es lediglich bei Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit des Nachlassverzeichnisses möglich, diese zu vermerken. Stehe aber - wie hier - die Unvollständigkeit des Nachlassverzeichnisses fest, so müsse der Notar die Amtshandlung ablehnen, da er andernfalls unter Verstoß gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten würde.
III. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Sie ist gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO in Verbindung mit § 70 Abs. 1 FamFG statthaft. Das Landgericht hat als Beschwerdegericht im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 BNotO über die Verweigerung des Notars, dem im Verfahren der Notarbeschwerde die Stellung der ersten Instanz zukommt, entschieden (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2023 - IV ZB 31/22, ZEV 2023, 680 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 70/10, juris Rn. 9 m.w.N.) und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts war der Notar nicht berechtigt, die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses abzulehnen. Diese Tätigkeit stellt sich gemäß § 10a Abs. 2, § 20 Abs. 1 Satz 2 BNotO als Urkundstätigkeit dar, die der Notar nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO nicht ohne ausreichenden Grund verweigern darf, an dem es hier fehlt.
Ein ausreichender Grund in diesem Sinne kann sich aus einer gesetzlichen Vorschrift ergeben, nach welcher der Notar die Vornahme einer Amtstätigkeit zwingend zu unterlassen hat (nachfolgend unter a)) (vgl. LG Bamberg, Beschluss vom 2. November 2018 - 3 T 279/18, juris Rn. 10; Bremkamp in Beck’sches Notar-Handbuch, 8. Aufl. § 32 Rn. 68; Dittmar in HK-NotarR, § 15 BNotO Rn. 10; Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO 5. Aufl. § 15 Rn. 24 f.; Meier in Schönenberg-Wessel/Plottek/Sikora, BNotO § 15 Rn. 24 f.; Reithmann in Schippel/Bracker, BNotO 9. Aufl. § 15 Rn. 46 ff.; Sander in BeckOK-BNotO, § 15 Rn. 53 f. [Stand: 1. Februar 2024]; Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 8. Aufl. § 15 Rn. 54 ff.; Seger in Diehn, BNotO 2. Aufl. § 15 Rn. 29 ff.). Daneben sind einzelne Ablehnungsgründe gesetzlich geregelt, in denen dem Notar ein eigener Entscheidungsspielraum zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit zusteht (vgl. Bremkamp in Beck’sches Notar-Handbuch, 8. Aufl. § 32 Rn. 68; Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO 5. Aufl. § 15 Rn. 25; Sander in BeckOK-BNotO, § 15 Rn. 56 [Stand: 1. Februar 2024]; Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 8. Aufl. § 15 Rn. 67 ff.).
Überdies ist allgemein anerkannt, dass der Notar über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus zur Verweigerung der gewünschten Urkundstätigkeit berechtigt ist, wenn diese nach ihrer Art oder einzelner ihrer Begleitumstände den zwingenden Ablehnungsgründen so nahekommt, dass sie mit der Stellung des Notars als Organ der vorsorgenden Rechtspflege nicht mehr vereinbar ist (nachfolgend unter b)) (Seger in Diehn, BNotO 2. Aufl. § 15 Rn. 33; Sander in BeckOK-BNotO, § 15 Rn. 57 [Stand: 1. Februar 2024]; ähnlich Reithmann in Schippel/Bracker, BNotO 9. Aufl. § 15 Rn. 49; Meier in Schönenberg-Wessel/Plottek/Sikora, BNotO § 15 Rn. 26). Im Hinblick auf die Urkundsgewährungspflicht des Notars (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2020 - NotSt(Brfg) 2/20, DNotZ 2020, 953 Rn. 11; vom 14. März 2016 - NotSt(Brfg) 6/15, DNotZ 2016, 876 Rn. 22)
sind an die Annahme eines ausreichenden Grundes hohe Anforderungen zu stellen (Meier in Schönenberg-Wessel/Plottek/Sikora, BNotO § 15 Rn. 26; Seger in Diehn, BNotO 2. Aufl. § 15 Rn. 33; Sander in BeckOKBNotO, § 15 Rn. 58 [Stand: 1. Februar 2024]).
a) Ein zwingender Ablehnungsgrund liegt hier nicht vor. Der Notar darf im Streitfall die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses insbesondere nicht deswegen ablehnen, weil sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar wäre (§ 14 Abs. 2 BNotO). Die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Notar würde andernfalls unter Verstoß gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten, verkennt Inhalt und Umfang der dem Notar im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses obliegenden Amtspflicht.
aa) Welche Pflichten den Notar bei der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses treffen, hat der Senat in seinem Urteil vom 20. Mai 2020 (IV ZR 193/19, ZEV 2020, 625 Rn. 8) im Einzelnen ausgeführt. Ein notarielles Nachlassverzeichnis soll danach eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das private Verzeichnis des Erben bieten, weshalb der Notar den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen muss, dass er den Inhalt verantwortet. Der Notar ist in der Ausgestaltung des Verfahrens weitgehend frei. Er muss zunächst von den Angaben des Auskunftspflichtigen ausgehen. Allerdings darf er sich hierauf nicht beschränken und insbesondere nicht lediglich eine Plausibilitätsprüfung durchführen. Vielmehr muss er den Nachlassbestand selbst ermitteln und feststellen. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde (Senatsurteil vom 20. Mai 2020 aaO). Die Verpflichtung des Erben zur Mitwirkung an der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses richtet sich danach, in welchem Umfang diese Mitwirkung für die ordnungsgemäße Aufnahme des Verzeichnisses erforderlich ist. Maßgebend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls. Hierbei darf und muss der Notar das Wissen des Erben sowie das in seiner Person vorhandene Aufklärungspotential gegebenenfalls in der Weise nutzen, dass er den Erben auffordert, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten beziehungsweise sonstigen Dritten durchzusetzen. Die vom Erben geschuldete Kooperation kann insoweit auch in der Anweisung an Dritte bestehen, die benötigten Auskünfte unmittelbar gegenüber dem Notar zu erteilen (BGH, Beschluss vom 7. März 2024 - I ZB 40/23, ZEV 2024, 378 Rn. 33 mit Anmerkung von Horn: Senatsurteil vom 20. Mai 2020 aaO; jeweils m.w.N.).
bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts wird die bisherige Tätigkeit des Notars diesen Anforderungen nicht gerecht.
Selbst wenn die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall ihrer Mitwirkungspflicht bislang nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen sein sollte, was ausweislich der Schreiben des Notars vom 13. Juni 2022 an die Beschwerdeführerin und vom 13. Januar 2023 an das Beschwerdegericht zumindest in objektiver Hinsicht nicht ausgeschlossen erscheint, berechtigt dies den Notar angesichts des Bestehens weiterer Ermittlungsansätze nicht zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit. Dass ihm keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen, um von der Erbin - der Beschwerdeführerin - und sonstigen Auskunftspersonen eine richtige und vollständige Auskunft zu erhalten, entbindet ihn nicht davon, naheliegende Nachforschungen anzustellen. Aufgrund der ihm obliegenden eigenständigen Ermittlungspflicht kommen hier insbesondere folgende Ermittlungen in Betracht:
(1) Erkenntnisse zum Nachlassbestand können sich aus bislang fehlenden Kontoauszügen ergeben. Die Sichtung und gegebenenfalls Anforderung derselben würde ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers angesichts der unsicheren Angaben der Beschwerdeführerin zur Zusammensetzung des Nachlasses als erforderlich ansehen (vgl. zur Nachforschungspflicht bezüglich des Vorhandenseins von Konten auch BGH, Beschluss vom 7. März 2024 - I ZB 40/23, ZEV 2024, 378 Rn. 37 ff.).
Dies gilt zum einen hinsichtlich des fiktiven Nachlasses, der ausgleichspflichtige Zuwendungen und Schenkungen des Erblassers umfasst, und über den Wortlaut des § 2314 BGB hinaus ebenfalls Gegenstand der dort normierten Auskunftspflicht ist (vgl. Senatsurteil vom 9. November 1983 - IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 26 [juris Rn. 8]; BGH, Urteil vom 18. Oktober 1961 - V ZR 192/60, NJW 1962, 245). Hier bestand schon im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin eingeräumten unvollständigen Angaben zu Schenkungen des Erblassers an seine Enkelin Veranlassung, selbst Nachforschungen zu Zeitpunkt und Höhe etwaiger Schenkungen durch Einsichtnahme in Kontoauszüge anzustellen. Aber auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin unter Verweis auf die kurze Dauer ihrer Beziehung zum Erblasser weitere Schenkungen und Zuwendungen nicht auszuschließen vermochte, hätte Anlass gegeben, die Kontoauszüge des Erblassers auf Anhaltspunkte für derartige Vermögensverfügungen hin zu überprüfen.
Pflichtgemäße Nachforschungen nach Schenkungen des Erblassers an Dritte können nach den Umständen des Einzelfalls eine Einsichtnahme in die Kontoauszüge der dem Erbfall vorausgegangenen zehn Jahre erfordern (§ 2325 Abs. 3 Satz 1, 2 BGB) (vgl. BVerfG ZEV 2016, 578 Rn. 3; OLG Koblenz ZEV 2014, 308 [juris Rn. 25]; Horn, ZEV 2018, 376, 377; ähnlich Herzog in Staudinger, BGB (2021) § 2314 Rn. 73). Dass dem Notar die Kontoauszüge für diesen Zeitraum vollständig vorlagen und er diese gesichtet hat, steht nicht fest. Die Ausführungen des Notars in seinem Ablehnungsschreiben legen nahe, dass er nicht im Besitz der relevanten Kontoauszüge war. Da Grund zu der Annahme bestand, dass die Beschwerdeführerin entweder selbst nicht im Besitz der Kontoauszüge ist oder sie die Suche danach im Ablagesystem des Erblassers überfordert, hätte der Notar weitere Bemühungen anstellen müssen, um Einsicht in die Kontoauszüge zu erhalten. Übermittelt ihm die Beschwerdeführerin auf seine Anforderung hin die fehlenden Kontoauszüge nicht, so muss er das in ihrer Person vorhandene Aufklärungspotential in der Weise nutzen, dass er diese auffordert, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten durchzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2024 - I ZB 40/23, ZEV 2024, 378 Rn. 50 f.; Senatsurteil vom 20. Mai 2020 - IV ZR 193/19, ZEV 2020, 625 Rn. 9). Alternativ kann sich der Notar eine Vollmacht des Erben zu einer von ihm selbst durchzuführenden Anfrage bei den Banken erteilen lassen (vgl. BVerfG ZEV 2016, 578 Rn. 3). Aus den Ausführungen des Beschwerdegerichts ergibt sich nicht, dass der Notar Derartiges veranlasst und die Beschwerdeführerin entsprechend angewiesen hätte. Die Argumentation des Beschwerdegerichts, möglicherweise existierende weitere Unterlagen, die noch nicht gesichtet worden seien, würden nicht dazu führen, dass ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Nachlassverzeichnis erstellt werden könne, ist spekulativ und vermag die Entscheidung nicht zu tragen.
Die Sichtung der fehlenden Kontoauszüge kann zum anderen auch Erkenntnisse zum sonstigen Nachlass liefern.
(2) Hinsichtlich des von der Auskunftspflicht umfassten fiktiven Nachlasses hätte ferner Veranlassung bestanden, die Enkelin, die nach den Angaben der Beschwerdeführerin vom Erblasser beschenkt worden ist, und für den Fall, dass Schenkungen (auch) während ihrer Minderjährigkeit erfolgt sein sollten, deren gesetzliche Vertreter für diesen Zeitraum, sowie sämtliche Pflichtteilsberechtigten zu befragen. Letztere kommen aufgrund ihrer familiären Verbindung zum Erblasser als mögliche Empfänger von Schenkungen und ausgleichspflichtigen Zuwendungen in Betracht (vgl. Koroch, RNotZ 2020, 537, 545). Der angefochtenen Entscheidung ist lediglich zu entnehmen, dass eine Befragung der Pflichtteilsberechtigten stattgefunden hat, nicht jedoch, welche Erkenntnisse diese Befragung erbracht hat. Es hätte jedoch einer Auseinandersetzung mit den Ergebnissen dieser Befragung bedurft, denn die Schlussfolgerung des Beschwerdegerichts, der Notar könne trotz ausreichender und angemessener Ermittlungen den fiktiven Nachlass nicht feststellen, setzt voraus, dass sich aus den getätigten Nachforschungen weder hinreichende Erkenntnisse zur (Nicht-)Existenz von Schenkungen und Zuwendungen noch weitere Ermittlungsansätze ergeben haben. Allein die Feststellung, der Notar habe Gespräche geführt, bildet keine tragfähige Grundlage für die Annahme, die Ermittlungen seien ausreichend und angemessen gewesen.
cc) Sollten nach Durchführung der aufgeführten und etwaiger weiterer, vom Notar nach den dargelegten Grundsätzen vorzunehmenden Nachforschungen Unklarheiten verbleiben, so berechtigt dieser Umstand den Notar jedenfalls nicht, die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses mit der Begründung abzulehnen, dies sei mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar.
(1) Rechtsfehlerhaft meint das Beschwerdegericht, der Notar würde in diesem Fall gegen die Vermutung der Vollständigkeit der notariellen Urkunde eine unvollständige Urkunde errichten. Die von der Rechtsprechung für über ein Rechtsgeschäft aufgenommene notarielle Urkunden entwickelte Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit (vgl. BGH, Urteil vom
10. Juni 2016 - V ZR 295/14, DNotZ 2017, 48 Rn. 6 m.w.N.) ist auf das notarielle Nachlassverzeichnis, das seiner Rechtsnatur nach eine (einseitige) Wissenserklärung darstellt (vgl. Senatsurteil vom 1. Dezember 2021 - IV ZR 189/20, BGHZ 232, 77 Rn. 17; BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 20/21, ZEV 2022, 23 Rn. 60; jeweils m.w.N.), nicht übertragbar und kann daher nicht zur Begründung einer Verweigerung der Amtstätigkeit herangezogen werden. Diese Vermutung bezieht sich auf Vereinbarungen und regelt die Verteilung der Beweislast, wenn sich eine Partei auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände beruft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2016 aaO).
(2) Aus den Grundsätzen über den Umfang der Auskunftspflicht kann ebenfalls nicht auf eine Berechtigung des Notars, bei verbleibenden Unklarheiten die Urkundstätigkeit zu verweigern, geschlossen werden.
(a) Der Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB ist nach § 260 BGB dadurch zu erfüllen, dass der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten ein Verzeichnis des Bestands vorlegt, das die zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich vorhandenen Nachlassgegenstände, den fiktiven Nachlass sowie die Nachlassverbindlichkeiten enthält (vgl. Senatsurteil vom 9. November 1983 - IV ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 27 [juris Rn. 8] m.w.N.; BGH, Urteil vom 2. November 1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 374 [juris Rn. 11 f.]). Grundsätzlich muss die Auskunft so weit gehen, wie dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Gläubigers - hier des Pflichtteilsberechtigten - erforderlich ist (vgl. Knöfler in NK-BGB, 4. Aufl. § 260 Rn. 10; Krüger in MünchKomm-BGB, 9. Aufl. § 260 Rn. 40; Lorenz in BeckOK-BGB, § 260 Rn. 27 [Stand: 1. Mai 2024]; Röver in BeckOGK-BGB, § 260 Rn. 69 [Stand: 1. Februar 2022]; Stadler in Jauernig, BGB 19. Aufl. §§ 259-261 Rn. 5). Dem Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB sind angesichts des Umstands, dass sich die Wissenserklärung auf den Nachlass eines Dritten bezieht, dessen Erwerb und Zusammensetzung nicht zwingend Gegenstand eigener Wahrnehmung des Erben war, naturgemäß Grenzen gesetzt: Der Erbe kann lediglich über die Nachlassbestandteile Auskunft erteilen, deren Existenz er zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung kennt oder hinsichtlich derer er sich die notwendigen Kenntnisse in zumutbarer Weise verschaffen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2024 - I ZB 40/23, ZEV 2024, 378 Rn. 49 ff.; Senatsurteile vom 1. Dezember 2021 - IV ZR 189/20, BGHZ 232, 77 Rn. 27; vom 20. Mai 2020 - IV ZR 193/19, ZEV 2020, 625 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - I ZB 68/08, ZIP 2009, 1346 Rn. 21).
(b) Stellt der Notar im Rahmen seiner Ermittlungspflicht die gebotenen Nachforschungen an und wirkt der Erbe - die Beschwerdeführerin bei der weiteren Sachverhaltsaufklärung im erforderlichen und ihr zumutbaren Umfang mit, berechtigen verbleibende Unklarheiten den Notar nicht zur Verweigerung der Amtstätigkeit. Vielmehr hat er den zugrundeliegenden Sachverhalt in das Verzeichnis aufzunehmen und seine Zweifel zum Ausdruck zu bringen (ähnlich LG Trier ErbR 2020, 878 [juris Rn. 15]; Bock in NK-BGB 6. Aufl. § 2314 Rn. 23; Horn in Burandt/Rojahn, BGB 4. Aufl. § 2314 Rn. 56; Grziwotz in HK-Pflichtteilsrecht, 3. Aufl. § 2314 Rn. 61; Schönenberg-Wessel, Das notarielle Nachlassverzeichnis, 2020, § 12 Rn. 7; van der Auwera, ZEV 2008, 359; Braun, MittBayNot 2008, 351, 352). Nur so wird dem Zweck des § 2314 BGB, dem in Beweisnot befindlichen Pflichtteilsberechtigten die notwendigen Kenntnisse zur Berechnung und Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen (vgl. Senatsurteil vom 20. Mai 2020 - IV ZR 193/19, ZEV 2020, 625 Rn. 8), hinreichend Rechnung getragen. Andernfalls bestünde im Fall eines nicht aufgenommenen Verzeichnisses für den Pflichtteilsberechtigten die Gefahr, dass er seinen dem Grunde nach gegebenen Pflichtteilsanspruch der Höhe nach nicht beziffern und ihn damit faktisch nicht durchsetzen kann.
Umgekehrt sähe sich der Erbe bei einem nicht erstellten Verzeichnis der Gefahr von Vollstreckungsmaßnahmen nach § 888 ZPO ausgesetzt.
b) Auch ein Fall, in dem der Notar in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses absehen konnte, ist nicht gegeben, denn ein Entscheidungsspielraum steht dem Notar im Streitfall nach den eingangs dargestellten Grundsätzen nicht zu. Weder räumt ihm eine gesetzliche Vorschrift einen solchen ein noch kommt die gewünschte Amtstätigkeit einem gesetzlich normierten Ablehnungsgrund so nahe, dass sie dem Notar als Organ der vorsorgenden Rechtspflege nicht zugemutet werden kann.
Soweit dem Notar in der Literatur teilweise ein Ermessen zugestanden wird, die Beurkundung bei nicht zu beseitigenden Zweifeln rechtlicher oder tatsächlicher Art zu versagen (vgl. Bremkamp in Beck’sches NotarHandbuch, 8. Aufl. § 32 Rn. 68; Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO 5. Aufl. § 15 Rn. 25; Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 8. Aufl. § 15 Rn. 72 ff.; einschränkend Seger in Diehn, BNotO 2. Aufl. § 15 Rn. 37; a.A. Meier in Schönenberg-Wessel/Plottek/Sikora, BNotO § 15 Rn. 36 ff.; Nachreiner, MittBayNot 2001, 356, 358), kann offenbleiben, ob ein dahingehender Entscheidungsspielraum für die Amtstätigkeit im Zusammenhang mit der Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen der Pflichtteilsberechtigten überhaupt in Betracht kommt. Jedenfalls liegt ein derartiger Ausnahmefall hier nicht vor.
Keinen ausreichenden Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO stellt ferner der mit der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses verbundene Zeitaufwand dar. Der Notar hat als Träger eines öffentlichen Amtes die Pflicht zur Amtsbereitschaft, die im allgemeinen Interesse dazu dient, in dem betreffenden Amtsbezirk und -bereich eine ausreichende, geordnete und leistungsfähige vorsorgende Rechtspflege zu gewährleisten (BGH, Beschluss vom 17. März 2014 - NotZ(Brfg) 18/13, DNotZ 2014, 475 Rn. 9 m.w.N.). Hiermit ist es in der Regel unvereinbar, wenn er eine gesetzlich vorgesehene Amtstätigkeit unter Verweis auf deren Zeitintensität verweigert. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Ausnahmefall in Betracht kommt, muss hier nicht entschieden werden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
3. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO, § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst entscheiden, da sie zur Endentscheidung reif ist. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts steht fest, dass der Notar nicht zur Verweigerung der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses berechtigt war.
4. Eine Auferlegung der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin auf den Notar in Anwendung von § 81 Abs. 1, 2 FamFG kommt nicht in Betracht, da dieser nicht Beteiligter des Notarbeschwerdeverfahrens ist (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1588 [juris Rn. 18 f.] m.w.N.). Er scheidet ferner als Kostenschuldner gemäß § 81 Abs. 4 FamFG aus, denn aufgrund seiner Stellung als erste Instanz (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2023 - IV ZB 31/22, ZEV 2023, 680 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 70/10, juris Rn. 9 m.w.N.) ist er nicht "Dritter" im Sinne dieser Vorschrift. Da das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur in ausdrücklich normierten Sonderfällen (vgl. §§ 307, 337 FamFG) eine Belastung der Staatskasse mit Kosten ermöglicht und es an einer dahingehenden Regelung für den zu entscheidenden Fall fehlt, können die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin auch nicht der Staatskasse, die im Übrigen ebenfalls nicht "Dritter" im Sinne des § 81 Abs. 4 FamFG ist (OLG Hamburg NJW-RR 2015, 1449 Rn. 11), auferlegt werden.
Prof. Dr. Karczewski Dr. Brockmöller Dr. Götz Rust Piontek Vorinstanz: LG Bad Kreuznach, Entscheidung vom 20.04.2023 - 4 OH 11/22 -