V ZR 152/24
BUNDESGERICHTSHOF V ZR 152/24 BESCHLUSS vom 8. Mai 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:080525BVZR152.24.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Mai 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richterin Haberkamp, die Richter Dr. Hamdorf und Dr. Malik und die Richterin Laube beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 12. Juli 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 26.476,73 €.
Gründe:
I.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 17. Mai 2011 veräußerte die Beklagte an den Kläger eine Teilfläche von ca. 1.000 m² eines Grundstücks zum Kaufpreis von 140.000 € zum Zwecke der Bebauung unter Ausschluss der Rechte des Klä- gers wegen Sachmängeln aller Art. In einem im Jahr 2004 von der Beklagten mit ihren damaligen Nachbarn, dem Zeugen Sch.
und dessen (verstorbener)
Ehefrau, geführten Schiedsverfahren hatte die Schiedsstelle im Juni 2004 festgestellt, durch das Grundstück der Beklagten verlaufe ein „verrohrtes Entwässerungssystem“. Der Kläger wurde am 28. März 2012 als Eigentümer des neu vermessenen Grundstücks in das Grundbuch eingetragen. Im Zuge der von ihm durchgeführten Abrissarbeiten wurde eine über das Teilgrundstück des Klägers unterirdisch in ca. 13 cm Tiefe verlaufende Abwasserleitung, die der Entwässerung von vier Nachbargrundstücken diente, beschädigt. Die Existenz der Leitung war weder in amtlichen Unterlagen vermerkt noch in dem Lageplan, der der Niederschrift zum Grenztermin zur Neuvermessung des Kaufgrundstücks beigefügt war.
Gestützt auf die Auffassung, die Beklagte habe die bestehende Verrohrung gekannt und arglistig verschwiegen, begehrt der Kläger - soweit noch von Bedeutung - von der Beklagten in der Hauptsache Erstattung seiner Aufwendungen für die Wiederherstellung der Rohrleitungen in Höhe von 3.876,73 € sowie Schadensersatz in Höhe weiterer 22.600 € wegen der eingeschränkten Nutzungstauglichkeit des Grundstücks. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.
II.
Das Berufungsgericht meint, das Landgericht habe fehlerfrei festgestellt, dass der Kläger von der Beklagten weder aufgrund einer Sachmängelhaftung (§ 437 Nr. 3, §§ 280, 281 BGB) noch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB) Schadenersatz verlangen könne.
Im Hinblick auf den wirksam vereinbarten Haftungsausschluss setze eine Haftung der Beklagten wegen Sachmängeln voraus, dass sie dem Kläger die Entwässerungsleitung arglistig verschwiegen habe (§ 444 BGB) oder - wie hier nicht - eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen habe. Zwar handele es sich bei dem unterirdischen Abwassersystem um einen Mangel. Der Kläger habe aber den ihm obliegenden Beweis für das arglistige Verschweigen der Abwasserleitung durch die Beklagte nicht erbracht. Das Landgericht habe die von der Beklagten behauptete Unkenntnis von der Abwasserleitung nicht als sicher widerlegt angesehen. Die Beweisaufnahme des Landgerichts sei im Hinblick auf die unterlassene Vernehmung des Zeugen Sch.
nicht unvollständig.
Der Kläger habe mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 ausdrücklich auf die Vernehmung des Zeugen verzichtet. Der Verzicht nach § 399 ZPO habe zur Folge, dass dem erstinstanzlichen Gericht eine Verwertung dieses Beweismittels verwehrt sei. Ob die in erster Instanz zurückgezogenen Zeugen im Berufungsverfahren erstmals zu vernehmen seien, sei nach den Regelungen zur Tatsachengrundlage der Berufungsentscheidung zu beantworten (§§ 529 ff. ZPO). Der Beweisantritt wäre als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO zu werten. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, weil der Zeuge Sch.
von dem Kläger in zweiter Instanz nicht ausdrücklich erneut als Zeuge benannt sei.
Der Kläger habe auch keinen Ersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB), da nicht bewiesen sei, dass die Beklagte von dem unterirdischen Entwässerungssystem Kenntnis gehabt habe.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht - wie die Beschwerde zu Recht rügt - den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr.,
vgl. nur Senat, Beschluss vom 23. November 2023 - V ZR 170/22, BeckRS 2023,
Rn. 4). So verhält es sich hier. Das Berufungsgericht übergeht das erhebliche, auf Vernehmung des Zeugen Sch.
gerichtete Beweisangebot des Klägers prozessordnungswidrig.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der von einer Partei prozessual wirksam erklärte Verzicht auf den von ihr benannten Zeugen zur Folge hat, dass das Gericht den Zeugen nicht (weiter) vernehmen darf (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 399 Rn. 1).
b) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch, es mangele an einem Beweisantritt des Klägers, weil er erstinstanzlich gemäß § 399 ZPO auf die Vernehmung des von ihm benannten Zeugen Sch.
verzichtet und damit sein ursprüngliches Beweisangebot widerrufen habe.
aa) Das Landgericht hat, wie die Beschwerde darlegt, mit Beschluss vom 29. Mai 2018 darauf hingewiesen, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme von einer Kenntnis der Beklagten von der unterirdischen Abwasserleitung auszugehen sei, der Zeuge Sch.
nach dem vorgelegten ärztlichen Attest gegenwärtig seiner Ladung wohl nicht nachkommen würde und daher unter Umständen nur eine Vernehmung vor Ort durch einen beauftragten und ersuchten Richter infrage komme, wenn der Kläger nicht auf diesen Zeugen verzichten wolle. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Juli 2018 erklärt, auf den Zeugen Sch.
zu verzichten. Nachdem das Landgericht mit Verfügung vom 6. Juli 2022 mitgeteilt hatte, dass sich die Einschätzung des Gerichts hinsichtlich der Beweiswürdigung geändert habe, hat der Kläger mit Schriftsatz vom
23. Mai 2023 klargestellt, dass er auf den Zeugen Sch.
allein unter der Voraussetzung verzichtet habe, dass das Gericht den Beweis als erbracht ansehe. Da der Verzicht unter den geänderten Voraussetzungen keinen Bestand mehr habe, weise er darauf hin, dass er an dem Beweisangebot ausdrücklich festhalte.
bb) Nach diesem Prozessverlauf durfte das Berufungsgericht nicht annehmen, das Landgericht habe alle benannten Beweismittel ausgeschöpft, da der Kläger auf den Zeugen Sch.
ausdrücklich verzichtet habe. Der Kläger hat den Verzicht zur Verfahrensbeschleunigung ersichtlich nur angesichts der von dem Landgericht geäußerten Überzeugung erklärt, der Beweis einer Arglist der Beklagten sei nach dem Ergebnis der bislang durchgeführten Beweisaufnahme bereits erbracht. Dies hat er im Schriftsatz vom 23. Mai 2023 auch ausdrücklich klargestellt. Die Erklärung des Einverständnisses mit dem Unterbleiben der Vernehmung für den Fall, dass das Gericht den Beweis der streitigen Behauptung schon als erbracht ansieht, ist schon kein Verzicht i.S.d. § 399 ZPO (vgl. Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 83. Aufl. § 399 Rn. 9; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl.,
§ 399 Rn. 2). Eine derartige Erklärung ist nicht von einem endgültigen Verzichtswillen getragen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die erklärende Partei an ihrem Beweisantrag festhält, sofern das Gericht seine Überzeugung ändert. So war es hier. Dementsprechend ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Verzicht erklärt habe.
c) Zudem lässt das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft außer Acht,
dass der Kläger bereits in erster Instanz einen etwa erklärten Verzicht widerrufen und erneut Beweis durch Benennung des Zeugen Sch.
angetreten hat.
Der Verzicht auf einen Zeugen nach § 399 ZPO ist widerruflich. Eine Partei, die auf einen Zeugen zunächst verzichtet hat, ist durch § 399 ZPO nicht gehindert,
den Zeugen im selben Rechtszug oder im selben Rechtsstreit später erneut zu benennen (vgl. BAG, NJW 1974, 1349, 1350). In der Erklärung des Klägers in seinem Schriftsatz vom 23. Mai 2023, an dem Beweisangebot ausdrücklich festzuhalten, ist bei verständiger Würdigung daher jedenfalls ein erneuter Beweisantritt zu erblicken. Zwar kann ein solcher gemäß § 282, § 296 Abs. 2, § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert sein (vgl. BAG, aaO). Das Landgericht hat den zweiten Beweisantrag des Klägers aber nicht als verspätet zurückgewiesen. Ohnehin handelte es sich - wie ausgeführt (Rn. 10) - nicht um einen neuen Beweisantrag,
weil ein Verzicht nicht erklärt worden war.
2. Der hieraus folgende Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den für die Arglist begründende behauptete Kenntnis der Beklagten angebotenen Beweis durch Vernehmung des Zeugen Sch.
erhoben hätte.
13 a) Eine Vernehmung des Zeugen Sch.
scheidet entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung nicht deshalb aus, weil er - wie das Landgericht nach dem überreichten ärztlichen Attest angenommen hat - krankheitsbedingt nicht vernehmungsfähig ist. Dass es sich so verhält, steht nicht fest. Das vorgelegte Attest belegt nur das krankheitsbedingte Unvermögen des Zeugen, der Ladung Folge zu leisten, nicht aber dessen dauerhafte Vernehmungsunfähigkeit. Das Berufungsgericht wird daher bei einer andauernden Reiseunfähigkeit eine Vernehmung des Zeugen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (§ 375 ZPO), eine Vernehmung per Videokonferenz (§ 128a ZPO) oder die Anordnung einer schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage (§ 377 Abs. 3 ZPO) in Erwägung zu ziehen haben.
14 b) Von einer Vernehmung des Zeugen Sch.
kann - anders als die Beschwerdeerwiderung weiter meint - auch nicht mit der von dem Landgericht gegebenen Begründung abgesehen werden, die Vernehmung werde sich „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ als unergiebig erweisen. Diese Beurteilung läuft auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus. Zwar hat der Zeuge Sch.
dem Landgericht nach erhaltener Ladung wiederholt schriftlich mitgeteilt, dass er zur Sache nichts sagen könne. Die Erklärung lässt aber den Grund hierfür offen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Zeuge auf Erinnerungslücken beruft, die aber nach Vorhalten aus dem Parteivortrag wieder geschlossen werden können.
Brückner Malik Haberkamp Laube Hamdorf Vorinstanzen:
LG Halle, Entscheidung vom 19.10.2023 - 6 O 597/15 OLG Naumburg, Entscheidung vom 12.07.2024 - 12 U 147/23 -