IV ZR 226/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 226/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 24. April 2024 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:240424UIVZR226.22.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 8. März 2024 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 24. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
- festgestellt worden ist, dass die Erhöhung des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Krankenversicherung, Versicherungsnummer KV…
, zum 1. April 2018 im Tarif Z um 6,20 € und des gesetzlichen Beitragszuschlags um
0,62 € unwirksam war und die Erhöhung des Monatsbeitrags im Tarif T zum 1. April 2017 um 4,19 € über den 30. November 2020 hinaus unwirksam war,
- die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1.972,31 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. August 2020 verurteilt worden ist,
- festgestellt worden ist, dass die Beklagte der Klägerin zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie in dem Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 27. August 2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerin auf die Erhöhung des Monatsbeitrags zum 1. April im Tarif Z um 6,20 € und des gesetzlichen Beitragszuschlags um 0,62 € gezahlt hat,
- die Beklagte zur Freistellung der Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von mehr als 249,40 € verurteilt worden ist,
und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 21. April 2021 insoweit zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 21. April 2021 dahingehend abgeändert, dass die Klage auch insoweit abgewiesen wird.
Die Kosten erster Instanz tragen die Klägerin zu 80 % und die Beklagte zu 20 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 66 % und die Beklagte zu 34 %.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 500 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.
Die Klägerin hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Tarifbestimmungen "Tarif T " (im Folgenden: TB) der Beklagten zugrunde, in denen es heißt:
"4. Beitragsanpassung
4.1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen häufigerer Arbeitsunfähigkeit der Versicherten, wegen längerer Arbeitsunfähigkeitszeiten oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung bei den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung bei der Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
4.2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
4.3. […]" Für den Tarif Z gelten Tarifbestimmungen, die jedenfalls eine Ziff. 4.1. TB entsprechende Regelung enthalten. Die Beklagte teilte der Klägerin unter anderem Prämienerhöhungen zum 1. April 2017 im Tarif T um 4,19 € und zum 1. April 2018 im Tarif Z um 6,20 € sowie des gesetzlichen Beitragszuschlags mit. Der Tarif Z endete zum 1. Januar 2019. Mit Anwaltsschreiben vom 1. Juli 2020 machte die Klägerin die Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen geltend und forderte die Beklagte auf, die überzahlten Beiträge nebst Nutzungen zu erstatten.
Soweit für die Revision noch von Interesse, hat die Klägerin mit ihrer Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 8.499,52 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.
Außerdem hat sie die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und sie nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist sowie die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, verpflichtet ist. Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 2.333,48 € nebst Zinsen und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 780,22 € verurteilt sowie festgestellt, dass unter anderem die Prämienerhöhungen zum 1. April 2017 im Tarif T und zum 1. April im Tarif Z nebst gesetzlichem Beitragszuschlag unwirksam sind und die Klägerin ab dem 1. August 2020 bis zum 30. November 2020 nicht zur Tragung des Erhöhungsbetrages aus der Erhöhung im Tarif T zum 1. April 2017 verpflichtet ist. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vom 1. Januar 2017 bis zum 27. August 2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerin auf die genannten Prämienerhöhungen gezahlt hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht diese Verurteilung dahingehend abgeändert, dass die Beklagte zur Zahlung von 2.033,69 € und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 326,30 € verurteilt worden ist, und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, soweit sie über einen Betrag von 1.972,31 € hinaus zur Zahlung und über einen Betrag von 249,40 € hinaus zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt und festgestellt worden ist,
dass die Neufestsetzung des Beitrags zum 1. April 2018 im Tarif Z samt gesetzlichem Beitragszuschlag unwirksam war und die Neufestsetzung des Beitrags zum 1. April 2017 im Tarif T über den 30. November hinaus unwirksam war sowie die Beklagte zur Herausgabe gezogener Nutzungen aus den aufgrund der genannten Neufestsetzung des Beitrags zum 1. April 2018 gezahlten Prämienanteilen verpflichtet ist.
Entscheidungsgründe: 6 Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Beitragserhöhungen endgültig materiell unwirksam seien. Die Veränderung bei den Versicherungsleistungen liege jeweils unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 %, aber über 5 %. Die Beitragsanpassungsklauseln, die bei einer Abweichung von mehr als 5 % eine Überprüfung gestatteten, seien unwirksam. Abweichend von den gesetzlichen Vorschriften werde dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Für den Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sei zum Streitwert der berechtigte Feststellungsanspruch hinsichtlich der Tariferhöhung im Tarif T für 42 Monate hinzuzurechnen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhungen mit der Begründung materiell für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.
Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich Ziff. 4.2. TB entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.). Es kann daher offenbleiben, ob die für den Tarif Z geltende Prämienanpassungsklausel ebenfalls eine § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 entsprechende Regelung enthält, wie das Berufungsgericht angenommen hat. Der Senat hat ferner mit Urteil vom 12. Juli 2023 (IV ZR 347/22, VersR 2023, 1222) entschieden, dass eine Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2023 aaO Rn. 16 ff.).
2. Die Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhung im Tarif Z und des gesetzlichen Beitragszuschlags zum 1. April 2018 ist insgesamt unzutreffend, da nach den vom Berufungsgericht bestätigten Feststellungen des Landgerichts das Mitteilungsschreiben zum 1. April 2018 die nach § 203 Abs. 5 VVG zu stellenden Mindestanforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe erfüllte. Der Rückzahlungsbetrag von 2.033,69 € verringert sich damit um den auf diese Erhöhung für die Zeit vom 1. April 2018 bis zum 31. Dezember 2018 entfallenden Betrag von 61,38 € (9 Monate x (6,20 € + 0,62 €)) auf 1.972,31 €. Der Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen entfällt hinsichtlich der auf diese Erhöhung gezahlten Prämienanteile.
3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Unwirksamkeit der Beitragserhöhung im Tarif T zum 1. April 2017 ohne zeitliche Begrenzung festgestellt und nur die Feststellung der fehlenden Zahlungspflicht auf die Zeit bis zum 30. November 2020 beschränkt. Ob die Prämienanpassung formell unwirksam war, kann dabei offenbleiben, da dies nicht entscheidungserheblich ist, soweit das Berufungsurteil mit der Revision angefochten wurde. Falls die Prämienanpassung formell unwirksam war, ist der Fehler nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls durch die nachgeholte Mitteilung der Gründe in der am 19. Oktober 2020 zugestellten Klageerwiderung geheilt worden und die Beitragserhöhung damit gemäß § 203 Abs. 5 VVG zum 1. Dezember 2020 wirksam geworden.
4. Der Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten aus §§ 280, 257 BGB (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2022 - IV ZR 291/20, VersR 2022, 505 Rn. 25 ff.) ist nur in Höhe von 249,40 € begründet.
a) Der zugrunde zu legende Geschäftswert entspricht dem zur Zeit der anwaltlichen Tätigkeit in Form des Schreibens vom 1. Juli 2020 begründeten Anspruch auf Beitragsrückzahlung. Der vom Berufungsgericht in der Hauptsache ausgeurteilte Betrag von 2.033,69 € ist dabei um die Prämienanteile für die wirksame Erhöhung im Tarif Z und des gesetzlichen Beitragszuschlags vom 1. April 2018 bis zum 31. Dezember 2018 in Höhe von 61,38 € (9 Monate x (6,20 € + 0,62 €)) und den Erhöhungsbetrag im Tarif T von 4,19 € für den Monat Juli 2020 auf 1.968,12 € zu reduzieren. Der Geschäftswert erhöht sich nicht um den Anspruch auf zukünftige Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhung im weiterhin versicherten Tarif T , da dem Klägervortrag zum Gegenstand der vorgerichtlichen Tätigkeit, die in das - nicht vorgelegte - Schreiben vom 1. Juli mündete, die Geltendmachung eines solchen Anspruchs nicht zu entnehmen ist.
b) Bei Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr errechnet sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung ein Betrag von 249,40 € (150 € Gebühr x 1,3 + 20 € Pauschale + 34,40 € Umsatzsteuer 16 %). Auf die anwaltliche Tätigkeit der außergerichtlichen Geltendmachung einer Forderung war hier der Umsatzsteuersatz von 16 % gemäß § 28 Abs. 1 UStG anzuwenden, da die dafür maßgebliche Ausführung des Umsatzes (§ 27 Abs. 1 Satz 1 UStG) durch die Vollendung der Leistung (vgl. Ziff. 13.1 Abs. 3 Satz 1 UmsatzsteuerAnwendungserlass) frühestens mit dem Versand des Schreibens vom 1. Juli 2020 erfolgte.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanzen: LG Köln, Entscheidung vom 21.04.2021 - 23 O 165/20 OLG Köln, Entscheidung vom 24.05.2022 - 9 U 101/21 -