III ZR 69/23
BUNDESGERICHTSHOF III ZR 69/23 BESCHLUSS vom 11. September 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:110924BIIIZR69.23.0 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2024 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Richter Reiter, Dr. Kessen, Dr. Herr und Liepin beschlossen:
Die Anhörungsrüge der Klägerinnen gegen den Senatsbeschluss vom 27. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO).
Gründe:
Die gemäß § 321a Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Der Senat hat den durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten grundrechtsgleichen Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Die Rüge erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass die Klägerinnen an ihrer in den Vorinstanzen und im dritten Rechtszug erfolglos gebliebenen Rechtsauffassung festhalten, ohne entscheidungserhebliches Vorbringen als übergangen aufzeigen zu können.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nur dazu, den Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen. Ebenso wenig ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht des Gerichts, namentlich bei letztinstanzlichen Entscheidungen, zu ausdrücklicher Befassung mit jedem Vorbringen (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 - III ZR 140/15, juris Rn. 2 und vom 26. November 2020 - III ZR 136/18, juris Rn. 2).
Da der Senat das Vorbringen der Klägerinnen vollumfänglich berücksichtigt hat und lediglich deren Rechtsansicht zur Entschädigungspflicht nicht gefolgt ist, scheidet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aus. Auf den Senatsbeschluss vom heutigen Tag in dem Parallelverfahren III ZR 134/22 wird ergänzend verwiesen sowie darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Klägerinnen gegen den Senatsbeschluss vom 27. Juni 2024 nicht zur Entscheidung angenommen hat (BVerfG, Beschluss vom 28. August 2024 - 1 BvR 1776/24).
Soweit die Klägerinnen geltend machen, der Senat habe ihren Vortrag zur materiellen Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung vom 26. Juni 2020, der 7. SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung sowie der 8. SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung nebst Änderungsverordnung vom 27. Oktober 2020 gehörswidrig übergangen, trifft dies aus folgenden, dem Senatsbeschluss vom 27. Juni 2024 zugrundeliegenden Erwägungen nicht zu:
Mit Beschluss vom 27. Oktober 2020 (3 R 205/20, juris Rn. 13 ff) setzte das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt § 5 Abs. 1 Satz 5 der 8. SARS-CoV2-Eindämmungsverordnung vom 15. September 2020 im Rahmen einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO mit der Begründung vorläufig außer Vollzug, dass nach der gebotenen summarischen Prüfung derzeit Überwiegendes dafür spreche, dass die Regelung wegen Verletzung der Berufsausübungsfreiheit unverhältnismäßig und daher rechtswidrig sei. § 5 Abs. 1 Satz 5 der 8. SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung bestimmte, dass die Beherbergung von Personen verboten ist, die ihren ersten Wohnsitz in einer Region (Landkreis oder kreisfreien Stadt) innerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben, in der innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen vor dem Tag der Anreise die Rate der Neuinfektionen mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 laut der Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts kumulativ höher als 50 von 100.000 Einwohnern ist. Diese Regelung galt nicht für Personen, die über ein aktuelles ärztliches Zeugnis verfügten, welches bestätigte, dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 vorhanden waren.
Insoweit kam die Zulassung der Revision weder unter dem Gesichtspunkt der Gehörsverletzung noch der Divergenz in Betracht (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Es fehlt bereits an der Entscheidungserheblichkeit des als übergangen gerügten Vortrags. Angesichts des dem beklagten Land zustehenden weiten Beurteilungsspielraums, den das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Angemessenheitsprüfung nicht genügend berücksichtigt hat, bestehen keine Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit der 8. SARS-CoV-2-Eindämmmungsverordnung in der Fassung der 2. Änderungsverordnung vom 27. Oktober 2020. Für die Allgemeinverfügung vom 26. Juni 2020 und die 7. SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung gilt nichts Anderes (siehe auch Senatsbeschlüsse vom heutigen Tag in den Parallelverfahren III ZR 135/22 und III ZR 210/22).
Ebenso wenig liegt eine Divergenz im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO vor, weil das Berufungsgericht abschließend über die Rechtmäßigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen entschieden hat, während durch das Oberverwaltungsgericht nur eine summarische Prüfung erfolgt ist.
Herrmann Herr Vorinstanzen: LG Magdeburg, Entscheidung vom 15.06.2022 - 10 O 329/22 OLG Naumburg, Entscheidung vom 16.03.2023 - 4 U 85/22 -