1 StR 107/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 107/24 URTEIL vom 22. Januar 2025 in der Strafsache gegen wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:220125U1STR107.24.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 21. Januar 2025 in der Sitzung am 22. Januar 2025, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Richterin am Bundesgerichtshof Wimmer, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Bär und Richter am Bundesgerichtshof Dr. Leplow,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 21. Januar 2025 –, Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 21. Januar 2025 –
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21. August 2023 wird verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen das Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Verfahrens- und Sachbeanstandungen gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. I.
1. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, im Mai 2021 in zwei Fällen mit Marihuana (fünf Kilogramm Marihuana im Fall II. 1. 1. der Anklage und 13 Kilogramm Marihuana im Fall II. 1. 3. der Anklage) und in zwei weiteren Fällen mit Kokain (38,8 Gramm Kokain im Fall II. 1. 2. der Anklage und 88 Gramm Kokain im Fall II. 1. 4. der Anklage) gehandelt zu haben. Das Marihuana soll einen Wirkstoffgehalt von je acht Prozent Tetrahydrocannabinol und das Kokain einen solchen von 40 Prozent bzw. 91,8 Prozent Kokainhydrochlorid enthalten haben.
2. Das Landgericht hat zu den Anklagevorwürfen keine näheren Feststellungen getroffen. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung auf sein Schweigerecht berufen. Die Erkenntnisse aus dem sichergestellten Chatverkehr des Angeklagten über den Krypto-Messengerdienst Anom, auf die sich die Anklagevorwürfe maßgeblich stützen, hat das Landgericht als unverwertbar angesehen.
II.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen und daher unzulässig sind.
a) Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2023 – 6 StR 417/22 Rn. 5 mwN).
b) Die Staatsanwaltschaft wird dem für keine der erhobenen Verfahrensbeanstandungen gerecht.
aa) Soweit sie eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) mit der Begründung rügt, das Landgericht habe die für die Prüfung des Beweisverwertungsverbots erforderlichen Prozesstatsachen nur unzureichend aufgeklärt, legt sie bereits nicht dar, weshalb sich dem Landgericht das Rechtshilfeersuchen an die US-amerikanischen Behörden zur Erlangung weiterer Informationen zur Identität des Drittlandes mit Blick auf die Beweisaufnahme aufdrängen musste. Nach den durch die Strafkammer in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden sieht sich das Federal Bureau of Investigation (FBI) weder jetzt noch in der Zukunft in der Lage, die Identität des Drittlandes freizugeben (vgl. Schreiben des US-Justizministeriums vom 22. Dezember 2021). Aus dem Schreiben des US-Justizministeriums vom 3. Juni 2021 ergibt sich zudem, „dass das FBI keine Zusicherung hinsichtlich zusätzlicher Unterstützung (…) macht, die das FBI oder der ursprüngliche Eigentümer der Informationen, wenn dies nicht das FBI ist, bereit sein könnte, zu leisten, um die Verwendung der Information in solchen Gerichtsverfahren zu erleichtern“. Anhaltspunkte, die aus der Sicht der Strafkammer eine hiervon abweichende Auskunft des US-Justizministeriums hinsichtlich der Identität des Drittlandes bzw. einer etwaigen deutschen Beteiligung erwarten ließen, lässt die Revisionsbegründung nicht erkennen. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der Beantwortung der in dem Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft F.
gestellten Rechtshilfeersuchen.
Denn diese betrafen nach dem Revisionsvortrag die Zurverfügungstellung der vom FBI erhobenen Beweismittel sowie Ausführungen zu der Rechtmäßigkeit der Maßnahme aus amerikanischer Sicht und gerade nicht Informationen zu dem Drittland, das um Vertraulichkeit gebeten hatte.
bb) Die Beanstandung der Verletzung des § 261 StPO in Form einer Ausschöpfungsrüge mit der Begründung, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, die Erkenntnisse aus dem sichergestellten Chatverkehr des Angeklagten über den Krypto-Messengerdienst Anom seien nicht verwertbar, ist bereits deshalb unzulässig, weil die Revision keinen vollständigen Vortrag dazu enthält, ob die Chat-Nachrichten zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2023 – 1 StR 316/23 unter 1.; vgl.
auch Sander in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 261 Rn. 266). Die Beschwerdeführerin trägt lediglich vor, dass das Selbstleseverfahren durchgeführt und die „ANOM-Chats (…) als Urkunden im Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 StPO eingeführt wurden“, ohne die Protokollierung des Abschlusses der Selbstlesung (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO) mitzuteilen. Dieser Vortrag wäre aber zur Prüfung einer Verletzung des § 261 StPO durch Nichtausschöpfung zu berücksichtigender Beweismittel erforderlich gewesen; denn dem Tatgericht ist es ohne die abschließende Feststellung (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO) verwehrt, die Urkunde zur Urteilsfindung heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12, BGHSt 58, 61 Rn. 9). Erst durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO wird beweiskräftig vollzogen, dass der außerhalb der Hauptverhandlung erhobene Urkundsbeweis dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10 Rn. 10).
2. Das Urteil hält auch sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
a) Das Urteil genügt dem Darstellungserfordernis des § 267 Abs. 5 StPO. Grundsätzlich muss das Landgericht bei freisprechenden Urteilen zwar zunächst die Umstände feststellen, die es für erwiesen hält, und dazu die Begründung so abfassen, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung ermöglicht wird. Diese Maßstäbe dürfen jedoch nicht schematisch angewandt werden. Dies gilt insbesondere, wenn – wie hier – weitere Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen nicht möglich sind, da dem Tatgericht für seine Überzeugungsbildung das die Tatvorwürfe maßgeblich stützende Beweismittel wegen eines Verwertungsverbotes nicht zur Verfügung stand (vgl. BGH, Urteile vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 340/21 Rn. 3 und 18 sowie vom 6. April 2005 – 5 StR 441/04 Rn. 8 mwN).
b) Auf die Sachrüge hin ist dem Revisionsgericht eine Überprüfung der sachlich-rechtlich nicht gebotenen Feststellungen und Wertungen des Tatsachengerichts zum angenommenen Beweisverwertungsverbot nicht eröffnet (vgl. BGH, Urteile vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 340/21 Rn. 19 und vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18 Rn. 15 ff.).
Jäger Bär Fischer Leplow Wimmer Vorinstanz: Landgericht Memmingen, 21.08.2023 - 1 KLs 401 Js 10121/22