VIa ZR 877/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 877/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:040225UVIAZR877.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring und Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufungsanträge des Klägers - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Zinsen - zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 40.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er schloss im Februar 2015 einen Kaufvertrag über den von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 250 CDI, T-Model, BlueEfficiency 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.
Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Er hat zuletzt Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Deliktszinsen (Berufungsantrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Berufungsanträge - mit Ausnahme der ursprünglich mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Deliktszinsen - weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht, da es bei einer - unterstellten - Abschalteinrichtung, die im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktioniere, an tatsächlichen Anhaltspunkten für sittenwidriges Verhalten der Beklagten fehle. Weder das Vorbringen des Klägers zum Thermofenster noch zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung rechtfertigten den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sei gleichfalls nicht gegeben, da die Vorschriften der EG-FGV nicht den Schutz der Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern bezweckten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Vogt-Beheim Messing F. Schmidt Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 08.11.2019 - 18 O 400/18 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 09.05.2022 - 16a U 445/19 - VIa ZR 877/22 Verkündet am: 4. Februar 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle