IV ZR 265/19
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 265/19 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 8. Juli 2020 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2020:080720UIVZR265.19.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann, die Richterinnen Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 10. Juni 2020 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart
- 7. Zivilsenat - vom
19. September 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Landgerichts Stuttgart - 3. Zivilkammer - vom 22. März teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 7.470,04 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 1.231,88 € seit dem 12.
Dezember 2015 und aus einem weiteren Betrag von 6.238,16 € seit dem 18. Dezember 2015 zu zahlen. Die Berufung der Klägerin wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 7.470,04 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin fordert von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und Herausgabe von Nutzungen.
Die Parteien schlossen im November 2004 zwei Verträge mit den Endziffern 6 und 4 jeweils über eine Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht im Erlebensfall, Beitragsrückzahlung bei Tod vor Rentenbeginn, Todesfallleistung ab Rentenbeginn (14-facher Jahresbetrag der garantierten Rente abzüglich bereits gezahlter, ab Rentenbeginn garantierter Renten) und Pflegevorsorge nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) ab.
Im Jahr 2009 kündigte die Klägerin den Versicherungsvertrag mit der Endziffer 6 und erhielt einen Rückkaufswert in Höhe von 682,61 €.
Im September 2015 erklärte die Klägerin jeweils den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.
Mit der Klage verlangt sie Rückzahlung ihrer auf die Verträge geleisteten Beiträge - hinsichtlich des Vertrags mit der Endziffer 6 abzüglich Rückkaufswert - sowie Herausgabe von Nutzungen, insgesamt 3.021,81 € (Endziffer 6) und 7.730,63 € (Endziffer 4), ferner Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Zahlung von Verzugszinsen.
6 Die Klägerin meint, die jeweilige Widerspruchsfrist nach § 5a VVG a.F. sei wegen formaler und inhaltlicher Mängel der jeweiligen Widerspruchsbelehrung sowie wegen Unvollständigkeit der jeweiligen Verbraucherinformation nicht in Gang gesetzt worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin in Höhe von 7.470,04 € nebst Zinsen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für die Revision der Beklagten relevant - ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Erstattung geleisteter Prämien sowie Herausgabe gezogener Nutzungen aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB in Höhe von 7.470,04 € zu. Sie habe das jeweilige Widerspruchsrecht noch im Jahr 2015 wirksam ausüben können. Zwar sei der Klägerin zu beiden Verträgen eine formell und inhaltlich ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt worden. Aber die ihr jeweils überlassene Verbraucherinformation nach § 10a VAG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VAG a.F.) sei unvollständig gewesen. Es fehle die nach Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) bis d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. erforderliche Angabe über das Ausmaß, in dem Rückkaufswerte garantiert würden.
II. Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnte die nach dessen revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen jeweils ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrte Klägerin die Widersprüche nicht wegen Unvollständigkeit der jeweiligen Verbraucherinformation noch im Jahr 2015 wirksam erklären.
a) Der Beginn der in § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bestimmten vierzehntägigen Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt zwar unter anderem voraus, dass dem Versicherungsnehmer die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., darunter auch die Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F., vollständig vorliegen.
b) Die der Klägerin jeweils überlassene Verbraucherinformation war aber nicht, wie das Berufungsgericht meint, deshalb unvollständig, weil eine Angabe dazu fehlte, ob und in welchem Umfang Rückkaufswerte überhaupt garantiert wurden. Zu der notwendigen Verbraucherinformation nach § 10a Abs. 1 VAG a.F. gehörten bei Lebensversicherungen und Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr gemäß Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) der Anlage Teil D zum VAG a.F. die Angabe der Rückkaufswerte und nach Buchst. d) dieser Bestimmung Angaben über das Ausmaß, in dem Rückkaufswerte garantiert sind. Im Streitfall fehlt es an garantierten Rückkaufswerten im Sinne von Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) und d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. Nach den vom Berufungsgericht zum Inhalt der abgeschlossenen Versicherungsverträge getroffenen Feststellungen hat die Beklagte der Klägerin keine Rückkaufswerte in bestimmter Höhe vertraglich zugesagt. Darüber hat die Beklagte entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts in der im jeweiligen Versicherungsschein enthaltenen Verbraucherinformation ausreichend informiert. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht von der im jeweiligen Versicherungsschein enthaltenen Übersicht aus, in deren dritter Spalte der "Rückkaufswert plus Überschußbeteiligung" ausgewiesen wird. Im vierten Absatz vor der jeweiligen Tabelle wird der Rückkaufswert einschließlich Überschussbeteiligung als "Zeitwert" der Versicherung zum Zeitpunkt der Kündigung beschrieben, dessen Höhe von mehreren Faktoren abhänge, vor allem von der Zinsentwicklung auf dem Kapitalmarkt. Weiter wird erläutert, die in den Spalten 3 und 4 genannten Werte seien "auf Basis der heutigen Berechnungsgrundlagen ermittelt". Daran schließt sich der ausdrückliche Hinweis an: "Sie können nicht garantiert werden." Wird einem Versicherungsnehmer - wie hier - ausdrücklich mitgeteilt, dass in einer nachfolgenden Übersicht aufgeführte Rückkaufswerte auf der Basis der zur Zeit der Ausstellung des Versicherungsscheins maßgeblichen Berechnungsgrundlagen ermittelt wurden und nicht garantiert werden können, ist er darüber informiert, dass Rückkaufswerte "überhaupt nicht", auch nicht teilweise garantiert werden. Zudem ist in der jeweiligen Übersicht die Überschrift zu der Spalte 2 durch SternchenFußnote mit dem Zusatz versehen "Diese Beträge garantieren wir", während die Überschriften zu den Spalten 3 und 4 jeweils durch Doppelsternchen-Fußnote um den Hinweis "Diese Beträge können wir nicht garantieren" ergänzt werden. Auch damit hat die Beklagte eindeutig mitgeteilt, dass die in Spalte 3 aufgeführten Rückkaufswerte nicht garantiert sind. Im Übrigen verpflichtet § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. in Verbindung mit Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) und d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts den Versicherer nicht anzugeben, dass es im Hinblick auf den abgeschlossenen Vertrag an einer Garantie von Rückkaufswerten fehlt. Dies hat der Senat mit dem nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Urteil vom 11. Dezember 2019 in dem Verfahren IV ZR 8/19 (VersR 2020, 208 Rn. 13 ff.), in dem es um eine nahezu gleich gestaltete Verbraucherinformation derselben Beklagten wie hier ging, entschieden und im Einzelnen ausgeführt.
2. Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, ist hier nicht entscheidungserheblich. Auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells ist es der ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrten und informierten Klägerin nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung der Verträge über fünf (Endziffer 6) bzw. nahezu 11 Jahre (Endziffer 4) auf deren angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben: Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 32 ff.).
Felsch Harsdorf-Gebhardt Lehmann Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 22.03.2019 - 3 O 440/18 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 19.09.2019 - 7 U 138/19 -