VIa ZR 171/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 171/21 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:121124UVIAZR171.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. Juni 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. September 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als nicht der Berufungsantrag zu 1 betreffend die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 4 % Zinsen aus 43.200 € vom 2. Juni 2018 bis zum 13. Februar 2019 ohne Erfolg geblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er kaufte im Juni 2018 von einem Dritten einen Gebrauchtwagen des Typs Mercedes-Benz V 250d mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Euro 6). Er verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen, das Berufungsgericht seine Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.
Entscheidungsgründe: 3 Die Revision hat Erfolg.
I. 4 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: 5 Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Hinsichtlich des Thermofensters und einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung könne dahinstehen, ob es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen handle. Ihr Einsatz sei jedenfalls nicht sittenwidrig. Entsprechendes gelte für weitere vom Kläger behauptete Abschalteinrichtungen. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Vorschriften liege.
II. 6 Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Der Kläger hat sich entgegen der Ansicht der Beklagten mit einer zulässigen Berufung gegen die Klageabweisung durch das Landgericht gewandt. Einer Überprüfung der Berufungsentscheidung in der Sache durch den Senat steht ein Mangel dieser amtswegig zu prüfenden Prozessfortsetzungsvoraussetzung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. November 2023 - VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; Urteil vom 6. Februar 2024 - VIa ZR 368/22, juris Rn. 6) daher nicht entgegen; der von dem Kläger vorsorglich gestellte Wiedereinsetzungsantrag bedarf keiner Entscheidung. Dies gilt hier auch mit Blick auf die Anforderungen gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO an die Einlegung der Berufung. Deren Wahrung hat der darlegungsbelastete Kläger (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2000 - II ZR 231/98, ZIP 2000, 705, 706) durch Behauptung der ordnungsgemäßen Einlegung der Berufung unter den besonderen Umständen des Streitfalls - namentlich der seit Einlegung der Berufung verstrichenen Zeit - hinreichend vorgetragen. Der Vorsitzende des Berufungssenats hat sich dienstlich unter Ausführung der näheren, durch die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bedingten Gegebenheiten dahin geäußert, er habe diese Anforderungen regelmäßig überprüft und gehe deshalb davon aus, dass er das auch in diesem Fall getan habe. Dass der Eingang einer formwirksamen Berufung nach regelwidriger Löschung der entsprechenden Daten beim Berufungsgericht nicht mehr aufklärbar ist, fällt unabhängig hiervon in den Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 - VII ZB 52/21, NJW-RR 2022, 1579 Rn. 21 ff.; Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 519 Rn. 20 mwN).
2. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB verneint, sind Rechtsfehler nicht ersichtlich. Die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln erachtet der Senat nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).
3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Rensen Krüger Katzenstein Götz Vorinstanzen: LG Karlsruhe, Entscheidung vom 17.01.2020 - 10 O 52/19 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 09.06.2021 - 6 U 47/20 - Verkündet am: 12. November 2024 Wendt, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle