35 W (pat) 409/14
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 409/14
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(Aktenzeichen)
BESCHLUSS In der Beschwerdesache …
BPatG 152 08.05 betreffend das Gebrauchsmuster …
hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 23. August 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Metternich sowie der Richter Dr. Wismeth und Dr. Freudenreich beschlossen:
1. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
2. Der Gegenstandswert für das Löschungsverfahren und das Beschwerdeverfahren wird auf 500.000,- € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des unter Beanspruchung des Anmeldetags
16. November 2009 31. März 2011 mit sprüchen 1 bis 6 angemeldeten Streitgebrauchsmusters, welches am der Bezeichnung „…“ und mit den Schutzanunter der Nummer … in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Gebrauchsmusterregister eingetragen worden ist. Schutzanspruch 1 lautet (mit einer den Beteiligten mit Senatshinweis vom 19. Mai 2017 übermittelten Merkmalsgliederung) wie folgt:
1.1 1.1.1 Beutelverpackung (1; 1') aus Kunststofffolie für Packgut (5; 5'), wie insbesondere Zellstoffprodukte,
1.2 wobei die Beutelverpackung (1; 1') eine im gefüllten Zustand wenigstens annähernd blockförmige Verpackungshülle (3; 3') zur Aufnahme des Packgutes (5; 5')
1.3 sowie ein Traggriffteil (2, 2') umfasst, 1.4 wobei das Traggriffteil (2') und die Verpackungshülle (3') aus einem einteiligen Folienzuschnitt gebildet sind.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 15. Mai 2012 beim Deutschen Patentund Markenamt Antrag auf Löschung des Streitgebrauchsmusters in vollem Umfang gestellt. Mit in der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2013 verkündetem Beschluss hat die Gebrauchsmusterabteilung das Streitgebrauchsmuster gelöscht, weil es gegenüber dem Stand der Technik nicht neu sei, und der Antragsgegnerin die Kosten des Löschungsverfahrens auferlegt.
Dagegen hat die Antragsgegnerin, die das Streitgebrauchsmuster im erstinstanzlichen Löschungsverfahren und in der Beschwerdeinstanz in seiner eingetragenen Fassung verteidigt hat, Beschwerde eingelegt. Nachdem der Senat mit dem o. g. Hinweis vom 19. Mai 2017 Bedenken in Bezug auf die Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters geäußert hat, hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 7. Juni 2017 die Beschwerde zurückgenommen.
Die Antragstellerin beantragt nunmehr, der Antragsgegnerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen und den Gegenstandswert für beide Rechtszüge festzusetzen. Zu letzterem trägt sie vor, dass der Gegenstand nach Schutzanspruch 1 des Streitgebrauchsmusters so weit gefasst sei, dass ihm nicht nur Beutelverpackungen aus Kunststoff für Zellstoffprodukte, sondern auch herkömmliche Plastiktüten, die im Einzelhandel an Kunden zum Transport eingekaufter Waren nunmehr gegen Zahlung einer Gebühr übergeben werden, unterfielen. Ausgehend von einem Verbrauch von 71 Plastiktüten pro Jahr und pro Einwohner der Bundesrepublik Deutschland (81 Mio.), einem jährlichen Umsatz in Bezug auf derartige Plastiktüten i. H. v. … € pro Jahr und einem weiteren Umsatz für Beutelverpackungen i. H. v. … € ergebe sich bei einem üblichen Lizenzsatz i. H. v. 1% ein Betrag i. H. v. … €, der als Gegenstandswert anzusetzen sei.
Die Antragsgegnerin trägt zur Festsetzung des Gegenstandswerts vor, dass es sich bei der gebrauchsmustergemäßen Beutelverpackung lediglich um ein „Nischenprodukt“ – sog. „Pseudoscanpackbeutel“ für Zellstoffprodukte mit Siegelnaht – handele, welches nur einen geringen Bruchteil der in Deutschland hergestellten oder vertriebenen Beutelverpackungen ausmache und nicht auf alle Arten von Plastiktüten verallgemeinert werden könne. Zudem sei bei der Bemessung des Gegenstandswerts nur auf den Anteil abzustellen, den die erfindungsgemäße Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik ausmache. Ferner sei der von der Antragstellerin zugrunde gelegte Lizenzsatz von 1% überhöht, üblich sei allenfalls ein Lizenzsatz von 0,1 bis 0,4%. Die gebrauchsmustergemäße Erfindung stelle lediglich eine Überbrückungslösung bei Verpackungsanlagen mit älteren Verpackungsmaschinen dar, mit welcher jährlich ein Umsatz von … € bis … € erzielt werden könne, wobei dieser erzielbare Umsatz aufgrund der technischen Weiterentwicklung bei Verpackungsmaschinen ständig zurückgehe. Es sei nach alledem ein Gegenstandswert von 200.000 € bis 250.000 €, wie vom Senat mit Hinweis vom 20. Juni 2017 vorgeschlagen, angemessen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die Kostengrundentscheidung zu Lasten der Antragsgegnerin für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. §§ 84 Abs. 2 PatG, 269 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 ZPO. Billigkeitsgründe, aufgrund derer von einer Kostenauferlegung zu Lasten der Antragsgegnerin abzusehen wäre, sind vorliegend nicht ersichtlich.
2. Die Bemessung des Gegenstandswertes erfolgt in entsprechender Anwendung von §§ 23, 33 RVG i. V. m. §§ 3, 4 ZPO nach billigem Ermessen, weil eine Wertvorschrift für die Anwaltsgebühren fehlt und der Gegenstandswert auch im Übrigen nicht feststeht.
Der Gegenstandswert ist nach den o. g. Bestimmungen auf der Grundlage der vorgetragenen tatsächlichen Anhaltspunkte nach pflichtgemäßem Ermessen zu schätzen. Er richtet sich im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung des Schutzrechts, wobei Ausgangspunkt der Schätzung der gemeine Wert des Streitgebrauchsmusters zum Zeitpunkt der Stellung des Löschungsantrags ist (vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 17 GebrMG, Rn. 58; § 84 PatG, Rn. 68). Für die Bestimmung des gemeinen Wertes gelten die folgenden, grundsätzlichen Überlegungen: Mit der Löschung besteht für die Mitbewerber die Möglichkeit, den geschützten Gegenstand frei zu benutzen. Während des Bestandes eines Schutzrechts müssten hierfür Lizenzen gezahlt werden. Demnach kann das Allgemeininteresse in etwa aus den Lizenzzahlungen errechnet werden, die alle Konkurrenten während der Laufzeit des Gebrauchsmusters zu leisten bzw. durch die Löschung erspart haben, also mit dem Betrag gleichgesetzt werden, der sich aus der Multiplikation des einschlägigen Lizenzsatzes mit dem in Deutschland erzielten bzw. zu erwartenden Gesamtumsatz ergibt (vgl. Bühring/Schmid, GebrMG, 8. Aufl. 2011, § 17 Rn. 118).
Auszugehen ist dabei von dem Streitgebrauchsmuster in der Fassung, wie sie Gegenstand des jeweiligen Löschungsverfahrens wurde, hier also der eingetragenen Fassung. Insoweit ist mit der Antragstellerin davon auszugehen, dass der Schutzanspruch 1 des Streitgebrauchsmusters sehr breit angelegt ist und einen weiten Schutzbereich aufweist. Insbesondere treffen die Merkmale 1 bis 1.3 (jedoch ohne das fakultative Merkmal 1.1.1, welches ohnehin nur eine den Gegenstand des Streitgebrauchsmusters nicht beschränkende Eignungsangabe darstellt) auf eine Vielzahl und wohl letztlich die weit überwiegende Zahl von Kunststoffverpackungen und Plastiktüten zu, die in Deutschland hergestellt oder in Vertrieb gebracht werden. Auch das Merkmal 1.4 mag bei einer Vielzahl von Plastikverpackungen und -tüten vorliegen. Jedoch kann der Senat nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, welcher Anteil in welchem Umfang hierauf entfällt. Soweit die Antragsgegnerin Einschränkungen i. S. e. auf Zellstoffprodukte zugeschnittenem „Nischenprodukts“ geltend macht, ergeben sich diese aus der nach den o. g. Ausführungen maßgeblichen Fassung des Streitgebrauchsmusters auch unter Berücksichtigung der Beschreibung nicht.
Da jedoch gem. den o. g. Ausführungen insbesondere mit Blick auf den Anteil gebrauchsmustergemäßer Beutelverpackungen an dem von der Antragstellerin vorgetragenen Umfang des Vertriebs von Beutelverpackungen und Plastiktüten in Deutschland keine genügenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Gegenstandswerts gegeben sind, hat eine Schätzung nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu erfolgen. Hierbei ist eine Obergrenze von 500.000 € zu beachten.
Üblich ist zwar ein (Regel-) Gegenstandswert von 100.000,- bis 125.000,- € (vgl. Bühring/Schmid, GebrMG, 8. Aufl. 2011, § 17 Rn. 119). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters – wie ausgeführt – ausgesprochen breit angelegt ist und eine Vielzahl von Beutelverpackungen betrifft, die als Massenprodukt des täglichen Bedarfs insbesondere für Einkäufe unterschiedlichster Produkte – eben nicht nur beschränkt auf „Zellstoffprodukte“ – in den Verkehr gelangen. Hiervon ausgehend erscheint der mit Hinweis vom 20. Juni 2017 vorgeschlagene Gegenstandswert nicht ausreichend. Unter Berücksichtigung aller konkreten Fallumstände ist es angemessen, den Rahmen des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG selbst unter Zugrundelegung der von der Antragsgegnerin genannten Lizenzsätze auszuschöpfen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es zwar nicht unüblich ist, gerade bei einem ungeprüften Schutzrecht wie dem Gebrauchsmuster zunächst sehr breit angelegte Schutzansprüche einzureichen. Da aber – wie oben ausgeführt – das Allgemeininteresse an der Beseitigung des jeweilig streitigen Gebrauchsmusters – in seiner jeweils maßgeblichen Fassung, hier: der eingetragenen Fassung – im Rahmen einer letztlich wirtschaftlichen Betrachtungsweise maßgebend ist, handelt im Ergebnis derjenige auf eigenes Risiko, der breit angelegte Schutzrechte mit erheblichem Behinderungspotential anmeldet, welche sich im Ergebnis dann nicht als rechtsbeständig erweisen.
Nach alledem ist der Gegenstandswert im vorliegenden Fall auf 500.000,- € festzusetzen.
III.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form einzulegen.
Der Senat macht im Zusammenhang mit dieser Rechtsmittelbelehrung allerdings auf folgendes aufmerksam: Soweit sich eine Rechtsbeschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts richten sollte, ist fraglich, ob diese überhaupt zulässig ist, da nach Auffassung des Senats sich aus § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG zwingend ergibt, dass eine Rechtsbeschwerde zum BGH zu diesem Punkt nicht statthaft ist.
Metternich Dr. Wismeth Dr. Freudenreich Fa