VIa ZR 254/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 254/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:040325UVIAZR254.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring und Dr. Vogt-Beheim sowie die Richter Dr. Katzenstein und Dr. Ostwaldt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 31. Januar 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2017 - teilweise kreditfinanziert - von einem Händler einen gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC Blue, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises zuzüglich Finanzierungskosten und Prozesszinsen abzüglich einer nach der im Antrag wiedergegebenen Formel zu berechnenden Nutzungsentschädigung sowie Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen. Er hat ferner die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, ihm sei von der Beklagten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden. Selbst zu Gunsten des Klägers unterstellt, die in seinem Fahrzeug eingesetzte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) sei als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Dazu bedürfe es weiterer Umstände, die hier nicht vorlägen. Von einer Prüfstandsbezogenheit der KSR, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung grundsätzlich erfülle, könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Belastbare Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe das Kraftfahrt-Bundesamt im Typgenehmigungsverfahren im Zusammenhang mit der Implementierung der KSR getäuscht, seien nicht gegeben.
Auch aus den Vorschriften § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV lasse sich ein Schadensersatzanspruch nicht herleiten. Mit der ganz überwiegenden Auffassung sei der Schutzgesetzcharakter der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu verneinen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision, das Berufungsgericht habe die Substantiierungsanforderungen für die Behauptung des Einsatzes der KSR als prüfstandsbezogener und damit auf Täuschung angelegter Abschalteinrichtung in offensichtlicher Weise überspannt und überdies Vortrag des Klägers hierzu gehörswidrig übergangen, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27.). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28-32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff. und III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, einen Differenzschaden darzulegen.
C. Fischer Möhring Katzenstein Vogt-Beheim Ostwaldt Vorinstanzen: LG Koblenz, Entscheidung vom 15.03.2021 - 1 O 89/20 OLG Koblenz, Entscheidung vom 31.01.2022 - 10 U 436/21 - Verkündet am: 4. März 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle