7 Ni 1/15
BUNDESPATENTGERICHT Ni 1/15 (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
25. Februar 2016 …
In der Patentnichtigkeitssache …
BPatG 253 08.05
…
betreffend das deutsche Patent 10 2006 026 734 hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Rauch, der Richterin Püschel sowie der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt, Dipl.-Ing. Küest und Dipl.-Ing. Univ. Richter für Recht erkannt:
I. Das deutsche Patent 10 2006 026 734 wird in vollem Umfang für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist die eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 10 2006 026 734 (Streitpatent), das auf eine Anmeldung vom 8. Juni 2006 zurückgeht und mit „Gurtstrafferantrieb“ bezeichnet ist. Das Patent umfasst fünf Ansprüche, die alle mit der vorliegenden Klage angegriffen werden.
Patentanspruch 1 hat in seiner erteilten Fassung folgenden Wortlaut:
1. Gurtstrafferantrieb, welcher einen Elektromotor (2), eine Getriebewelle (3) und ein Abtriebselement (4) aufweist, wobei - der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein Schneckengetriebe (2d, 3b) antreibt, - die Getriebewelle (3) ihrerseits über ein zweites Getriebe (3d, 4a) das Abtriebselement (4) antreibt, - das zweite Getriebe (3d, 4a) ein Schneckengetriebe oder ein Stirnradgetriebe ist und - das erste Getriebe ein 90°-Umlenkgetriebe ist, dadurch gekennzeichnet, dass - auch das zweite Getriebe (3d, 4a) ein 90°-Umlenkgetriebe ist und - das Abtriebselement (4) ein Abtriebsrad ist, dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft.
Wegen des Wortlauts der auf Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 5 wird auf die Streitpatentschrift DE 10 2006 026 734 B4 Bezug genommen.
Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der mangelnden Ausführbarkeit geltend (§ 22 Abs. 1 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 2 PatG).
Den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit sieht die Klägerin darin begründet, dass gemäß der zweiten Alternative des Merkmals 1.4 in Patentanspruch 1 des Streitpatents (siehe die Merkmalsgliederung unter I.2 der Gründe) und dem Merkmal 1.6 das zweite Getriebe ein Stirnradgetriebe und zugleich ein 90°-Umlenkgetriebe sein müsse. Da aber bei einem Stirnradgetriebe die Drehachsen der Stirnräder grundsätzlich parallel zueinander ausgerichtet seien, könne ein Stirnradgetriebe kein 90°-Umlenkgetriebe sein, so dass das Merkmal 1.4 in der Alternative des Stirnradgetriebes im Widerspruch zu dem Merkmal 1.6 stehe.
Zur Begründung des Nichtigkeitsgrundes der mangelnden Patentfähigkeit bezieht sich die Klägerin auf folgende Druckschriften bzw. Publikationen:
D1 DE 102 59 635 A1 D2 WO 03/0 99 619 A2 D3 DE 36 16 847 A1 D4 DE 36 16 900 A1 D5 DE 34 12 858 A1 D6 DE 698 22 701 T2 D7 EP 1 264 735 A1 D8 Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 19. Aufl., Springer Verlag, 1997, Seiten G116, G117, G146; D9 K. Roth, Konstruieren mit Konstruktionskatalogen, Springer Verlag,
1982, Seiten 175, 180; D10 Roloff/Matek, Maschinenelemente, 16. Aufl., Vieweg Verlag, 2003,
Seiten 645, 646; D11 DE 43 32 205 A1 D12 H. Linse, Elektrotechnik für Maschinenbauer, 9. Aufl., B.G. Teubner Verlag, 1992, Seiten 236-239.
Sie ist der Meinung, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht neu sei gegenüber den Entgegenhaltungen D3, D4 und D5. Zudem sei er dem Fachmann gegenüber der Entgegenhaltung D2 oder durch eine Kombination von D2 mit D3, D4, D5, D6 oder D7 nahe gelegt gewesen. Auch die in den Unteransprüchen enthaltenen zusätzlichen Merkmale ergäben sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik bzw. aus seinem Fachwissen.
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent 10 2006 026 734 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage insgesamt abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen Patentanspruch 1 in der Fassung des mit Schriftsatz vom 29. Mai 2015 eingereichten Hilfsantrags 1 (Bl. 74 d. A.) richtet, weiter hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen Patentanspruch 1 in der Fassung der mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2015 eingereichten, in der Reihenfolge ihrer Nummerierung gestellten Hilfsanträge 2, 5, 6 und 7 (Bl. 134, 137 bis 139 d. A.) richtet, wobei die dortigen Hilfsanträge 5, 6 und 7 nach Fallenlassen der dortigen Hilfsanträge 3 und 4 die geltenden Hilfsanträge 3, 4 und 5 bilden.
Patentanspruch 1 hat in der Fassung der Hilfsanträge folgenden Wortlaut:
Hilfsantrag 1
1. Gurtstrafferantrieb mit einem Elektromotor (2) und mit einer Getriebewelle (3) sowie mit einem mit einer Außenverzahnung (4a) versehenen Abtriebsrad (4), dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft,
- wobei der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein erstes 90°-Umlenkgetriebe antreibt, und
- wobei die Getriebewelle (3) das Abtriebsrad (4) über ein Schneckengetriebe als ein zweites 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) antreibt,
dadurch gekennzeichnet, - dass auch das erste 90°-Umlenkgetriebe ein Schneckengetriebe (2d, 3b) ist,
- dass die Getriebewelle (3) eine in Kunststoff ausgeführte Schnecke (3d) aufweist, die mit dem Abtriebsrad (4) das zweite 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) bildet, und
- dass das erste Getriebe (2d, 3b) und das zweite Getriebe (3d, 4a) derart ausgelegt sind, dass die Selbsthemmung des Antriebs im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt ist.
Hilfsantrag 2 (Änderungen gegenüber der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 durch Unterstreichungen bzw. Streichungen kenntlich gemacht)
1. Gurtstrafferantrieb mit einem ein Rotorpaket (2a) und einen Kommutator (2b) aufweisenden Elektromotor (2) und mit einer Getriebewelle (3) sowie mit einem mit einer Außenverzahnung (4a) versehenen Abtriebsrad (4), das mit einer Wickelwelle eines Sicherheitsgurtes (7) eines Kraftfahrzeugs gekuppelt ist und dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft,
- wobei der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein Schneckengetriebe (2d, 3b) als ein erstes 90°-Umlenkgetriebe antreibt, und
- wobei die Getriebewelle (3) das Abtriebsrad (4) über ein Schneckengetriebe als ein zweites 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) antreibt,
dadurch gekennzeichnet, - dass auch das erste 90°-Umlenkgetriebe ein Schneckengetriebe (2d, 3b) ist, - dass wobei die Getriebewelle (3) eine in Kunststoff ausgeführte und in die Getriebewelle eingebrachte Schnecke (3d) aufweist, die mit dem Abtriebsrad (4) das zweite 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) bildet, und
- dass wobei das erste Getriebe (2d, 3b) und das zweite Getriebe (3d, 4a) derart ausgelegt sind, dass die Selbsthemmung des Antriebs bei einem von einem Fahrzeuginsassen beim Bremsen des Kraftfahrzeugs auf den Sicherheitsgurt ausgeübten Druck im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt ist.
Hilfsantrag 3 (entspricht Hilfsantrag 5 im Schriftsatz der Beklagten vom 10. Dezember 2015; Änderungen gegenüber der Fassung gemäß Hilfsantrag 2 durch Unterstreichungen bzw. Streichung kenntlich gemacht)
1. Verwendung eines Antriebs Gurtstrafferantrieb mit einem ein Rotorpaket (2a) und einen Kommutator (2b) aufweisenden Elektromotor (2) und mit einer Getriebewelle (3) sowie mit einem mit einer Außenverzahnung (4a) versehenen Abtriebsrad (4), das mit einer Wickelwelle eines Sicherheitsgurtes (7) eines Kraftfahrzeugs gekuppelt ist und dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft, und mit einem Getriebegehäuse (5), in dem die Getriebewelle (3) angeordnet ist,
- wobei der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein Schneckengetriebe (2d, 3b) als ein erstes 90°-Umlenkgetriebe antreibt,
- wobei die Getriebewelle (3) das Abtriebsrad (4) über ein Schneckengetriebe als ein zweites 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) antreibt,
- wobei die Getriebewelle (3) eine in Kunststoff ausgeführte und in die Getriebewelle eingebrachte Schnecke (3d) aufweist, die mit dem Abtriebsrad (4) das zweite 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) bildet, und
- wobei das erste Getriebe (2d, 3b) und das zweite Getriebe (3d, 4a) derart ausgelegt sind, dass die Selbsthemmung des Antriebs bei einem von einem Fahrzeuginsassen beim Bremsen des Kraftfahrzeugs auf den Sicherheitsgurt ausgeübten Druck im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt ist, als Gurtstrafferantrieb.
Hilfsantrag 4 (entspricht Hilfsantrag 6 im Schriftsatz der Beklagten vom 10. Dezember 2015; Änderungen gegenüber der Fassung gemäß Hilfsantrag 2 durch Unterstreichung bzw. Streichungen kenntlich gemacht)
1. Gurtstrafferantrieb mit einem ein Rotorpaket (2a) und einen Kommutator (2b) aufweisenden Elektromotor (2) und mit einer Getriebewelle (3) sowie mit einem mit einer Außenverzahnung (4a) versehenen Abtriebsrad (4), das mit einer Wickelwelle eines Sicherheitsgurtes (7) eines Kraftfahrzeugs gekuppelt ist und dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft, und mit einem Getriebegehäuse (5), in dem die Getriebewelle (3) angeordnet ist,
- wobei der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein Schneckengetriebe (2d, 3b) als ein erstes 90°-Umlenkgetriebe antreibt,
- wobei die Getriebewelle (3) das Abtriebsrad (4) über ein Schneckengetriebe als ein zweites 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) antreibt,
- wobei die Getriebewelle (3) eine in Kunststoff ausgeführte und in die Getriebewelle eingebrachte Schnecke (3d) aufweist, die mit dem Abtriebsrad (4) das zweite 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) bildet, und
- wobei das erste Getriebe (2d, 3b) und das zweite Getriebe 3d, 4a) derart ausgelegt sind, dass eine Schwergängigkeit die Selbsthemmung des Antriebs bei einem von einem Fahrzeuginsassen beim Bremsen des Kraftfahrzeugs auf den Sicherheitsgurt ausgeübten Druck im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt ist.
Hilfsantrag 5 (entspricht Hilfsantrag 7 im Schriftsatz der Beklagten vom 10. Dezember 2015; Änderungen gegenüber der Fassung gemäß Hilfsantrag 3 durch Unterstreichung bzw. Streichungen kenntlich gemacht)
1. Verwendung eines Antriebs mit einem ein Rotorpaket (2a) und einen Kommutator (2b) aufweisenden Elektromotor (2) und mit einer Getriebewelle (3) sowie mit einem mit einer Außenverzahnung (4a) versehenen Abtriebsrad (4), das mit einer Wickelwelle eines Sicherheitsgurtes (7) eines Kraftfahrzeugs gekuppelt ist und dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft, und mit einem Getriebegehäuse (5), in dem die Getriebewelle (3) angeordnet ist,
- wobei der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein Schneckengetriebe (2d, 3b) als ein erstes 90°-Umlenkgetriebe antreibt,
- wobei die Getriebewelle (3) das Abtriebsrad (4) über ein Schneckengetriebe als ein zweites 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) antreibt,
- wobei die Getriebewelle (3) eine in Kunststoff ausgeführte und in die Getriebewelle eingebrachte Schnecke (3d) aufweist, die mit dem Abtriebsrad (4) das zweite 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) bildet, und
- wobei das erste Getriebe (2d, 3b) und das zweite Getriebe (3d, 4a) derart ausgelegt sind, dass eine Schwergängigkeit die Selbsthemmung des Antriebs bei einem von ei- nem Fahrzeuginsassen beim Bremsen des Kraftfahrzeugs auf den Sicherheitsgurt ausgeübten Druck im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt ist, als Gurtstrafferantrieb.
Die Beklagte hält den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung für ausführbar. Zwar umfasse der Begriff „Stirnradgetriebe“ grundsätzlich auch gerad- oder schrägverzahnte Stirnradpaare mit parallelen Drehachsen. Im vorliegenden Fall sei jedoch ein 90°-Umlenkgetriebe gemeint, das üblicherweise als Stirnrad-Schraubräderpaar oder Stirnradschraubgetriebe bezeichnet werde.
Die Beklagte ist ferner der Meinung, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem von der Klägerin genannten Stand der Technik neu sei und auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zumindest in den Fassungen der Hilfsanträge sei Anspruch 1 patentfähig.
Dagegen hält die Klägerin den Patentanspruch 1 des Streitpatents auch in den Fassungen der Hilfsanträge nicht für bestandsfähig.
Was die Anspruchsfassung nach Hilfsantrag 1 anbelangt, ist die Klägerin der Meinung, dass diese unzulässig sei, weil sie den Schutzbereich des Streitpatents erweitere; außerdem sei der Patentgegenstand auch in dieser Fassung dem Fachmann durch den druckschriftlichen Stand der Technik gemäß Entgegenhaltung D2 bzw. gegenüber einer Kombination dieser Druckschrift mit den weiteren Entgegenhaltungen D3 bis D5 nahegelegt.
Zudem macht die Klägerin geltend, dass der Gurtstrafferantrieb mit den Merkmalen gemäß Hilfsantrag 1 dem Fachmann durch offenkundige Vorbenutzung nahegelegt gewesen sei. Dabei habe es sich um vor dem Anmeldetag des Streitpatents erfolgte Auslieferungen von reversiblen Gurtstraffern seitens der Klägerin an die Firma Daimler Benz zum Einbau in die Modellreihe E-Klasse Facelift (MOdell- PFlege, MOPF, Baureihe R 211) gehandelt. Die Gurtsysteme seien während des Transports zum Kunden und bei der Warenannahme beim Kunden bis einschließlich zur Endmontage von nicht zur Geheimhaltung verpflichteten Personen gehandhabt worden, weshalb die reversiblen Gurtstraffer spätestens ab dem Lieferdatum der Öffentlichkeit zugänglich gewesen seien.
Zum Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung legt die Klägerin folgende Dokumente vor:
A6 fünf Lieferscheine betr. Automatikgurt mit Angabe der Zeichnungsnummer 604984400D und des jeweiligen Versandtags (zwischen 9. 3. und 12. 5. 2006), sowie zwei Screenshots vom 19. 1. 2016 mit Auflistung über Lieferungen durch Autoliv betr. die Teilenummer 604984400D, mit Datumsangaben betr. den Zeitraum vom 16. 2. bis 12. 5. 2006, Angaben zur jeweils gelieferten Stückzahl und der zugehörigen Auftragsnummer; A7 ZSB-Zeichnung Nr. 604 9845 mit Hinweis „Released on 200602-16“, u. a. mit den Angaben „604 9844 00 D“ für „Belt Assy Ref./Gurt kpl. Nr.“ und „602 2081 00“ für „Retractor/Automat“; A8 ZSB-Zeichnung Nr. 602 2086 mit Hinweis „Released on 200507-26“, u. a. mit den Angaben „602 2081 00“ für „Automatennr./Retractor Number“ und „602 2100 00“ für „BG-Antrieb Elektrik/Electric Drive Assembly“; A9 ZSB-Zeichnung Nr. 602 2101 mit Hinweis „Released on 200509-14“, u. a. mit Angabe „602 2100 00“; A10 vier Fotos des Gurtaufrollers mit der Teilenummer 602 2081 00 und von Teilen der „Baugruppe Antrieb“.
Sie bietet darüber hinaus Beweis an durch Vernehmung des Herrn L… als Zeugen. Dieser sei früher bei der Klägerin in leitender Funktion in der Vorentwicklung tätig und für die Entwicklung des reversiblen Gurtstraffers bis zur Serienreife und die nachfolgende Weiterentwicklung zuständig gewesen.
Der vorbenutzte Gurtstraffer würde sich vom Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags lediglich dadurch unterscheiden, dass auch das erste 90°-Umlenkgetriebe ein Schneckengetriebe sei, und dass die Getriebewelle eine in Kunststoff geführte Schnecke aufweise. Diese Unterschiede könnten keine erfinderische Tätigkeit begründen.
Entsprechendes gelte für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2, weil auch dessen Merkmale (bis auf die beiden genannten) bei dem Gurtstraffer mit der Teilenummer 602 2081 00 vorlägen.
Die in Hilfsantrag 4 vorgesehene Ersetzung des Merkmals „die Selbsthemmung im Sinne einer Schwergängigkeit“ durch „eine Schwergängigkeit“ könne keine Erfindungshöhe begründen, weil die Schwergängigkeit bereits aus dem Stand der Technik (D2, Seite 7, vierter Absatz) bekannt sei.
Auch die Formulierung von Patentanspruch 1 als Verwendungsanspruch (Hilfsanträge 3 und 5) mache diesen nicht patentfähig, weil auch die in der Druckschrift D2 offenbarte Vorstraffeinrichtung als Gurtstrafferantrieb verwendet werde, ebenso die Antriebe der Druckschriften D3 bis D5 während des Einziehens der Gurtlose.
Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Streitpatent erweist sich sowohl in seiner erteilten Fassung als auch in den von der Beklagten mit ihren Hilfsanträgen 1 bis 5 verteidigten Fassungen gegenüber den Angriffen der Klägerin als nicht bestandsfähig und ist deshalb für nichtig zu erklären.
I.
1. Die vorliegende Erfindung betrifft einen Gurtstrafferantrieb für den Sicherheitsgurt eines Fahrzeugs. Nach der Beschreibung der Streitpatentschrift (dort Absatz [0002]) weisen bereits bekannte Gurtstrafferantriebe einen Elektromotor, eine Getriebewelle und ein Abtriebsrad auf, wobei das Abtriebsrad mit der Wickelwelle des Sicherheitsgurtes gekuppelt sei. Der Elektromotor treibe die Getriebewelle über ein erstes Getriebe an, bei welchem es sich um ein Kronenradgetriebe handele. Die Getriebewelle treibe über ein zweites Getriebe, bei welchem es sich um ein Schneckengetriebe handele, das Abtriebsrad an, welches mit der Wickelwelle des Sicherheitsgurtes gekuppelt sei.
Ein solcher Gurtstrafferantrieb mit einer Vorstraffeinrichtung sei auch aus der WO 03/099619 A2 (= Entgegenhaltung D2) bekannt. Bei dieser Vorrichtung sei die Gurtwelle mit einem Elektromotor als Strafferantrieb über ein zwischengeschaltetes Getriebe kuppelbar. Als Getriebe zum Anschluss der Gurtwelle an den Elektromotor sei eine mit einer Außenverzahnung der Gurtwelle kämmende Schneckenverzahnung vorgesehen. Diese stütze sich über ein ortsfestes Widerlager derart ab, dass bei einer gegen das Widerlager gerichteten axialen Belastung der Schneckenverzahnung durch eine an der Gurtwelle in Gurtauszugsrichtung angreifende Last mit einer Abstützkraft eine Hemmung der Schneckendrehung zur Aufnahme des von der Schneckenwelle ausgeübten Drehmoments herbeigeführt sei. Die die Schneckenverzahnung tragende Trägerwelle sei über ein Kronenradgetriebe an den Elektromotor gekoppelt (Streitpatentschrift Absatz [0003]). Diese Gurtstrafferantriebe hätten den Nachteil, dass durch das Kronenradgetriebe ein harter Verzahnungseingriff gegeben sei. Dies habe eine Geräuschentwicklung sowie Vibrationen zur Folge, welche für erweiterte Komfortfunktionen eines Gurtstraffers nicht mehr akzeptabel seien (Streitpatentschrift Absatz [0004]).
Aus der DE 102 59 635 A1 (= Entgegenhaltung D1) sei ein Gurtschloss mit einer präventiven Straffeinrichtung bekannt, die das Gurtschloss von einer Betriebsstellung in eine demgegenüber abgesenkte Sicherheitsstellung bewege. Die bekannte Straffeinrichtung weise einen Kraftspeicher und eine Antriebseinheit auf. In der Betriebsstellung werde das Gurtschloss durch den Kraftspeicher unter Vorspannung gehalten. Die Antriebseinheit führe das Gurtschloss von der Sicherheitsstellung in die Betriebsstellung zurück. Bei der Antriebseinheit könne es sich um einen Elektromotor handeln, der eine elektromotorische Sitzverstellung antreibe. Die Antriebswelle weise ein Übersetzungsgetriebe auf, zu welchem eine Schnecke und ein Schneckenrad gehörten. Das Schneckenrad sei auf einer Welle angeordnet, die des Weiteren ein Sperrrad aufweise. Das Sperrrad wirke mit einer Zahnstange zusammen, an welcher das Gurtschloss befestigt sei (Streitpatentschrift Absatz [0005]).
Die Aufgabe der Erfindung bestehe darin, einen platzsparend aufgebauten Gurtstrafferantrieb anzugeben, bei welchem die Geräuschentwicklung und die Vibrationen reduziert seien (Streitpatentschrift Absatz [0006]).
2. Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß durch eine Vorrichtung mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 gelöst. Die Merkmale dieses Anspruchs in seiner erteilten Fassung können (entsprechend einem Vorschlag der Beklagten) wie folgt gegliedert werden:
1.1 Gurtstrafferantrieb mit einem Elektromotor (2), einer Getriebewelle (3) und einem Abtriebselement (4), wobei
1.2 der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein Schneckengetriebe (2d, 3b) antreibt,
1.3 die Getriebewelle (3) ihrerseits über ein zweites Getriebe (3d, 4a) das Abtriebselement (4) antreibt,
1.4 das zweite Getriebe (3d, 4a) ein Schneckengetriebe oder ein Stirnradgetriebe ist,
1.5 das erste Getriebe ein 90°-Umlenkgetriebe ist, 1.6 auch das zweite Getriebe (3d, 4a) ein 90°-Umlenkgetriebe ist, und 1.7 das Abtriebselement (4) ein Abtriebsrad ist, dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft.
3. Zuständiger Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für die Interpretation des Standes der Technik ankommt, ist im vorliegenden Fall ein DiplomIngenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau, mit Spezialkenntnissen in der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung von Schutzeinrichtungen für Fahrzeuginsassen.
Dieser Fachmann versteht das Merkmal 1.1 („Gurtstrafferantrieb“) im Sinne einer Verwendungsangabe. Der Antrieb mit den im Anspruch nachfolgend genannten gegenständlichen Merkmalen soll der Straffung eines Fahrzeug-Sicherheitsgurtes dienen, d. h. der Reduzierung des losen oder am Körper des Fahrzeuginsassen nicht anliegenden Teils des Sicherheitsgurtes, der sog. Gurtlose. Durch die Gurtstraffung soll im Falle eines Unfalls die Verletzungsgefahr für den Insassen dadurch verhindert werden, dass sich dessen Position in geringerem Maße nach vorne verlagert (vgl. z. B. Wikipedia-Artikel „Gurtlose“, Stand 1. Oktober 2014).
II.
Die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung ist für den Fachmann im Hinblick auf die zweite Alternative des Merkmals 1.4 („Stirnradgetriebe“) i. V. m. Merkmal 1.6 nicht ausführbar, weshalb der Anspruch insoweit bereits aus diesem Grund für nichtig zu erklären ist (§ 22 Abs. 1 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).
Nach Merkmal 1.4 in seiner zweiten Alternative kann das zweite Getriebe ein Stirnradgetriebe sein. Nach fachmännischem Verständnis handelt es sich dabei worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat - um die Paarung zweier außenverzahnten Stirnräder mit parallelen Drehachsen (vgl. D10, Seite 645 und Bild 204). Dies steht im Widerspruch zu der in Merkmal 1.6 getroffenen Festlegung, wonach das zweite Getriebe (3d, 4a) ein 90°-Umlenkgetriebe zu sein hat.
Zwar gibt es als weitere Getriebeformen u. a. die Stirnrad-Schraubgetriebe (siehe D10, Seite 646, erster Absatz) bzw. Schraubenradgetriebe (D9, Seite 180, drittes Anordnungsbeispiel von oben), bei denen kreuzende Achsen möglich sind. Es gibt in der Streitpatentschrift jedoch keinen Hinweis, dass in Merkmal 1.4 diese Getriebeform angesprochen sein könnte. Gerade weil es bei der vorliegenden Erfindung ganz maßgeblich auf die verwendeten Getriebearten ankommt und zwischen Stirnradgetrieben einerseits und Stirnrad-Schraubgetrieben andererseits verzahnungstechnisch ein großer Unterschied besteht (vgl. D10, Seiten 645 f.), wird der Fachmann die verwendeten Begriffe entsprechend ihrem fachlich genauen Bedeutungsgehalt interpretieren, zumal in der Streitpatentschrift (vgl. Beschreibung, Absatz [0018], letzter Satz) keine Hinweise auf ein davon abweichendes Verständnis vorhanden sind. Dementsprechend wird der Fachmann den Begriff „Stirnradgetriebe“ nicht so verstehen, dass darunter auch Stirnrad-Schraubgetriebe als mögliche Ausgestaltungen fallen könnten. Auch hat er keinen Anlass, die in Merkmal 1.4 verwendete Bezeichnung „Stirnradgetriebe“ als offensichtlich fehlerhaft anzusehen und durch den Begriff „Stirnrad-Schraubgetriebe“ zu ersetzen.
Damit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Hauptantrags nicht ausführbar, soweit es sich bei dem zweiten Getriebe um ein Stirnradgetriebe handeln kann, weshalb das Streitpatent insoweit bereits aus diesem Grunde nicht bestandsfähig ist.
III.
Darüber hinaus ist Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung wegen Vorliegens des Nichtigkeitsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit (§ 22 Abs. 1 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) insgesamt als nichtig anzusehen.
1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung ist zwar nicht neuheitsschädlich getroffen.
In den von der Klägerin als neuheitsschädlich bezeichneten Offenlegungsschriften D3 (DE 36 16 847 A1), D4 (DE 36 16 900 A1) und D5 (DE 34 12 858 A1) werden allerdings Antriebe mit sämtlichen gegenständlichen Merkmalen von Patentanspruch 1 des Streitpatents gezeigt.
So offenbart die (bezüglich der Getriebeausgestaltung mit den Entgegenhaltungen D4 und D5 im Wesentlichen inhaltsgleiche) Offenlegungsschrift D3 in den Figuren 1 und 2 - eine Aufrollvorrichtung für Sicherheitsgurte mit einem Elektromotor 25, einer Getriebewelle und einem Abtriebselement 26 (Merkmal 1.1); - der Elektromotor 25 treibt die Getriebewelle über ein erstes Schneckengetriebe 23, 22 an (Merkmal 1.2); - die Getriebewelle ihrerseits treibt über ein zweites Getriebe 21, 26a das Abtriebselement 26 an (Merkmal 1.3); - das zweite Getriebe 21, 26a ist ein Schneckengetriebe (Merkmal 1.4); - das erste Getriebe 23, 22 ist ein 90°- Umlenkgetriebe (Merkmal 1.5); - auch das zweite Getriebe 21, 26a ist ein 90°- Umlenkgetriebe (Merkmal 1.6); - das Abtriebselement 26 ist ein Abtriebsrad, dessen Axialrichtung parallel zur Welle des Elektromotors 25 verläuft (Merkmal 1.7).
Der in der Entgegenhaltung D3 (und ebenso in D4, D5) gezeigte Antrieb unterscheidet sich von dem nach Anspruch 1 des Streitpatents lediglich dadurch, dass er nicht der Gurtstraffung (i. S. einer Reduzierung der Gurtlose) dient, sondern dass er umgekehrt eingesetzt wird, um nach dem Anlegen des Gurts eine gewisse Gurtlockerung zu bewirken. Dieser grundsätzlich andere Verwendungszweck ist unabhängig davon vorhanden, dass bei D3 - worauf die Klägerin hingewiesen hat - in einer bestimmten (in D3, Figur 4B mit Beschreibung Seite 18, Zeilen 15 bis 18, als Schritt S21 bezeichneten) Phase die Aufwickelrolle in Einzugsrichtung gedreht wird.
Im Hinblick auf diese vom Streitpatent abweichenden Einsatzzwecke sind die genannten Entgegenhaltungen nicht als neuheitsschädlich anzusehen.
2. Jedoch war der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung dem Fachmann am Anmeldetag durch den damaligen Stand der Technik, ausgehend von der internationalen Anmeldung WO 03/099619 A2 (D2), nahegelegt.
Die Entgegenhaltung D2 betrifft - ebenso wie das Streitpatent - eine Gurtstraffervorrichtung für Sicherheitsgurte und zeigt - insbesondere in Figur 2 einen Elektromotor 16, eine Getriebewelle 18 und ein Abtriebselement 20 (Merkmal 1.1), wobei - der Elektromotor 16 die Getriebewelle 18 über ein erstes als Winkelgetriebe ausgeführtes Getriebe 17 antreibt (Teilmerkmal 1.2) und - die Getriebewelle 18 ihrerseits über ein zweites Getriebe 19, 20 das Abtriebselement 20 antreibt (Merkmal 1.3), wobei - das zweite Getriebe 19, 20 ein Schneckengetriebe ist (Merkmal 1.4) und - das erste Getriebe ein 90°- (Winkel-) Umlenkgetriebe 17 ist (Merkmal 1.6)
und - das Abtriebselement 20 ein Abtriebsrad ist, dessen Axialrichtung
(Achse 12) parallel zur Welle des Elektromotors 16 verläuft (Merkmal 1.7).
Somit unterscheidet sich die aus D2 bekannte Vorrichtung vom Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents dadurch, dass bei ihr nur das zweite Getriebe als Schneckengetriebe ausgeführt ist. Das erste Getriebe ist in D2 allgemein als Winkelgetriebe angegeben, wobei in den Ausführungsbeispielen u. a. ein Kronenradgetriebe wegen fertigungstechnischer Vorteile vorgeschlagen wird.
Wenn nun der Fachmann in Kenntnis der D2 vor die Aufgabe gestellt war, den Gurtstrafferantrieb platzsparend auszuführen und zugleich auftretende Geräusche und Vibrationen zu reduzieren, so lag es für ihn auf der Hand, das erste Getriebe nicht (wie aus D2 bekannt) als Kronenradgetriebe, sondern ebenfalls (wie in D2 für das zweite Getriebe bereits vorgesehen) als Schneckengetriebe auszubilden.
Zwar erhielt der Fachmann aus D2, Seite 5, dritter Absatz, lediglich den Hinweis, dass an Stelle eines Kronenradgetriebes auch die Anordnung eines Kegelradgetriebes denkbar sei; von der Ausführung des ersten Getriebes als Schneckengetriebe ist in D2 hingegen nicht die Rede. Dies hat den Fachmann, dem die Vorund Nachteile der verschiedenen Zahnradgetriebe bekannt sind (etwa das günstige Geräuschverhalten des Schneckengetriebes, vgl. die Literaturstelle D8, G116, rechte Spalte), aber nicht von der Wahl eines Schneckengetriebes als erstes Getriebe abgehalten, zumal - wie bereits erwähnt - diese Ausführung eines Umlenkgetriebes bei D2 bereits für das zweite Getriebe vorgesehen war.
Hinzu kommt, dass dem Fachmann hintereinander geschaltete Schneckengetriebe auch aus den Entgegenhaltungen D3 bis D5 bekannt waren. Unerheblich ist hierbei, dass die dort offenbarten Getriebe nicht der Gurtstraffung, sondern der Gurtlockerung dienen, weil diese unterschiedlichen Verwendungen keine baulichen Veränderungen der jeweils eingesetzten Getriebevorrichtungen erfordern. Die Verringerung bzw. Erhöhung der Gurtlose wird nicht durch unterschiedliche gegenständliche Merkmale bewirkt, sondern durch eine bloße Umpolung des Elektromotors und die dadurch bewirkte Änderung der Drehrichtung der Antriebswelle, wobei die Vorrichtung (Motor-Eingangsgetriebe-Ausgangsgetriebe) identisch bleibt. Im Übrigen ist es bei solchen motorgetriebenen Gurtbetätigungen grundsätzlich möglich, diese in beiden Richtungen zu betreiben, so dass - je nach Ansteuerung - bedarfsweise ein Straffen oder ein Lockern des Gurts erfolgen kann (s. auch die diesbezüglichen Angaben im jeweiligen Anspruch 1 der Entgegenhaltungen D3 und D5).
IV.
Auch in der Fassung des Hilfsantrags 1 ist das Streitpatent nicht patentfähig.
Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich - von lediglich sprachlichen Änderungen abgesehen - von der erteilten Fassung inhaltlich dadurch, dass die Getriebewelle (3) eine in Kunststoff ausgeführte Schnecke (3d) aufweist, die mit dem Abtriebsrad (4) das zweite 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) bildet. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass das erste Getriebe (2d, 3b) und das zweite Getriebe (3d, 4a) derart ausgelegt sind, dass die Selbsthemmung des Antriebs im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt ist.
Diese Anspruchsfassung ist zwar zulässig, obwohl das Merkmal „Selbsthemmung des Antriebs im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung“ im erteilten Streitpatent in dieser Formulierung nicht enthalten ist; insbesondere wird im erteilten Patentanspruch 4 nur eine solche Auslegung der beiden Getriebe beansprucht, bei der die „Selbsthemmung des Antriebs in getriebener Richtung“ unterstützt wird. Jedoch finden sich in der Patentbeschreibung in Absatz [0023] Hinweise, wonach die Begriffe „Selbsthemmung“ und „Schwergängigkeit“ - entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung - nicht als sich gegenseitig ausschließende Alternativen zu verstehen sind. Wenn es dort heißt, dass „der Selbsthemmungseffekt des Getriebes … verstärkt“ werde und dass bei Bedarf „der Selbsthemmungseffekt noch durch eine Gegenbestromung des Motors mit einer geringen Stromstärke unterstützt werden“ könne, so zeigt dies, dass das Streitpatent unter Selbsthemmung nicht nur die völlige (nicht mehr zu verstärkende bzw. zu unterstützende) Blockade des Getriebes versteht, sondern auch dessen bloße Schwergängigkeit im Sinne einer nicht vollständig blockierenden Selbsthemmung.
Der Gegenstand des mit Hilfsantrag 1 beanspruchten Patentanspruchs 1 ist jedoch nicht patentfähig, da er sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
Getriebewellen mit Schnecken aus Kunststoff zu fertigen, stellt eine im Rahmen des fachmännischen Wissens und Könnens liegende Materialauswahl dar, zumal hier vorrangig lediglich Metall oder Kunststoff in Frage kommen.
Auch die Ausbildung von Schneckengetrieben in der Weise, dass diese in getriebener Richtung selbsthemmend sind, ist dem Fachmann geläufig. So ist bei dem in D2 beschriebenen Sicherheitsgurtaufroller das als Schneckengetriebe ausgebildete zweite Getriebe 19, 20 so ausgelegt, dass eine Selbsthemmung des Antriebs im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt wird (vgl. D2, übergreifender Absatz Seiten 3/4).
V.
Ebenso wenig ist das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags 2 patentfähig.
Die Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 baut auf der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 auf und unterscheidet sich von dieser durch vier zusätzliche Merkmale, von denen ebenfalls keines eine erfinderische Tätigkeit zu begründen vermag.
Soweit nunmehr beansprucht wird, dass - der Elektromotor (2) ein Rotorpaket (2a) und einen Kommutator (2b)
aufweisen soll, - das Abtriebsrad mit einer Wickelwelle eines Sicherheitsgurtes (7) eines Kraftfahrzeugs gekuppelt ist, und dass - díe Selbsthemmung des Antriebs in getriebener Richtung bei einem von einem Fahrzeuginsassen beim Bremsen des Kraftfahrzeugs auf den Sicherheitsgurt ausgeübten Druck unterstützt wird, handelt es sich - wie auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat - um dem Fachmann geläufige Elemente.
Das weitere zusätzliche Merkmal, wonach die in Kunststoff ausgeführte, mit dem Abtriebsrad (4) das zweite 90°-Umlenkgetriebe (3d, 4a) bildende Schnecke in die Getriebewelle eingebracht ist, ist dem Absatz [0016] der Streitpatentschrift entnommen. In Zusammenhang mit der dort beschriebenen Figur 1 ist es so zu verstehen, dass die Kunststoffschnecke nicht lediglich auf die Getriebewelle aufge- setzt, sondern in diese (einstückig) eingearbeitet ist. Dies wiederum impliziert, dass nicht nur die Schnecke als solche, sondern die gesamte Welle mitsamt der Schnecke in Kunststoff ausgeführt ist.
Auch zu dieser Ausführung konnte der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit gelangen. Zwar ist bei der den nächstliegenden Stand der Technik repräsentierenden Schrift D2 die Welle nicht in Kunststoff, sondern in Metall ausgeführt. Das ist aus fachmännischer Sicht ersichtlich wegen des Bedürfnisses nach hochwertiger Ausgestaltung und hoher Zuverlässigkeit sowie wegen des dort gewählten Übersetzungsverhältnisses, bei dem relativ hohe Kräfte auf die Welle wirken, der Fall. Gelten jedoch andere Vorgaben, insbesondere in Bezug auf die Auslegung der Umlenkgetriebe mit geringen Spannungen in Welle, Schnecke und Zahnräder, wählt der Fachmann in Fortentwicklung des aus D2 bekannten Getriebes ohne weiteres ein doppeltes Schneckengetriebe gemäß der Entgegenhaltungen D3 bis D5, das ihm die Verwendung einer Kunststoffwelle erlaubt.
Von der Möglichkeit, die Schnecke zusammen mit der Welle (z. B. im Wege des Spritzgießens oder des Einfräsens) einstückig in Kunststoff auszuführen, anstatt die Schnecke - wie z. B. aus D2 bekannt - getrennt von der Welle herzustellen und dann auf die Welle zu applizieren, wird der Fachmann schon aus Gründen des geringeren Produktions- und Kostenaufwandes Gebrauch machen, weshalb das Ergreifen dieser Maßnahme schon aus diesem Grund keine erfinderische Leistung darstellt.
VI.
Die Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von der nach Hilfsantrag 2 zum einen dadurch, dass nunmehr ausdrücklich die Verwendung eines Antriebs als Gurtstrafferantrieb beansprucht wird. Da bereits bei Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung „Gurtstrafferantrieb“ im Sinne einer Verwendungsangabe zu interpretieren ist (s. o. I.3), handelt es sich insoweit lediglich um eine Klarstel- lung, die inhaltlich keine andere Beurteilung erfordert und auf die die Patentfähigkeit des Anspruchs nicht gestützt werden kann.
Dasselbe gilt im Hinblick auf die in der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 3 des Weiteren vorgesehene, dem Fachmann aus dem Stand der Technik (siehe etwa D2, Figur 1, Bezugszeichen 11) bekannte Ergänzung, wonach der Gurtstrafferantrieb ein Getriebegehäuse aufweist.
VII.
In der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 4 wird das Merkmal „Selbsthemmung des Antriebs … im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung“ ersetzt durch das bereits im erteilten Patentanspruch 4 enthaltene Merkmal „Schwergängigkeit“. Auf die Beurteilung, wonach der Anspruchsgegenstand dadurch nicht die erforderliche Erfindungshöhe erlangt (oben IV., letzter Absatz), hat dies jedoch keinen Einfluss.
VIII.
In der Anspruchsfassung des Hilfsantrags 5 werden die gemäß den Hilfsanträgen 3 und 4 vorgesehenen Änderungen („Verwendung eines Antriebs …“ und „Schwergängigkeit“) miteinander kombiniert, was aber aus den genannten Gründen eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen kann, zumal dies nicht über eine Zusammenstellung naheliegender Maßnahmen hinausgeht.
IX.
Da Patentanspruch 1 des Streitpatents weder in seiner erteilten Fassung noch in einer der von der Beklagten mit Hilfsanträgen verteidigten Fassungen Bestand hat und die erteilten Unteransprüche nicht gesondert verteidigt werden, war der Klage stattzugeben und das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären.
Auf die von der Klägerin geltend gemachten Vorbenutzungshandlungen kommt es für dieses Ergebnis nicht an, weshalb auf sie nicht eingegangen zu werden braucht.
X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
XI. Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufungsfrist kann nicht verlängert werden.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Rauch Püschel Hildebrandt Küest Richter Pr