3 StR 557/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 557/24 URTEIL vom 4. September 2025 in der Strafsache gegen
1. 2.
wegen zu 1.: gefährlicher Körperverletzung u.a. zu 2.: Landfriedensbruchs u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:040925U3STR557.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 24. Juli 2025 in der Sitzung am 4. September 2025, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schäfer,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Anstötz, Dr. Kreicker, Dr. Voigt als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verhandlung –, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung –
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Rechtsanwältin
– bei der Verhandlung –, – bei der Verhandlung –
als Verteidiger des Angeklagten D.,
Rechtsanwalt
– bei der Verhandlung –
als Verteidiger des Angeklagten K.,
Justizangestellte Justizangestellte
– bei der Verhandlung –, – bei der Verkündung –
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 6. Juni 2024, soweit es den Angeklagten D. betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie des Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe und von Munition schuldig ist; b) aufgehoben in den Aussprüchen über die Einzelstrafe in dem Fall II. 3. a) aa) der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten D. und des Angeklagten D. werden verworfen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten K. wird verworfen.
Die Staatsanwaltschaft trägt die Kosten ihres Rechtmittels und die dem Angeklagten K. insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch, mit fahrlässiger Körperverletzung und mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe und von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten K. hat es wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe, von Munition sowie zweier Schlagringe eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt.
Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Sie beanstandet hinsichtlich beider Angeklagter die Verneinung eines Tötungsvorsatzes hinsichtlich der versehentlich getroffenen Opfer sowie die Strafzumessung. Hinsichtlich des Angeklagten D. erachtet sie zudem die Annahme eines Notwehrrechts und eines freiwilligen Rücktritts vom Tötungsversuch als rechtsfehlerhaft. Der Angeklagte D. wendet sich mit seiner Revision mit der Sachrüge insbesondere gegen die Verurteilung wegen tateinheitlichen Landfriedensbruchs in dem Fall II. 3. a) aa) der Urteilsgründe.
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt – ebenso wie die Revision des Angeklagten D. – zugunsten des Angeklagten D. zu einer Änderung des Schuldspruchs und der Aufhebung der Einzelstrafe in Fall II. 3. a) aa) der Urteilsgründe sowie der Gesamtstrafe; die weitergehenden Rechtsmittel sind unbegründet. Die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten K. bleibt ohne Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Der Bruder des Angeklagten D., A. D., betrieb gemeinsam mit Ka. ein Restaurant auf der Ha.straße am H.er A. in Du., den sogenannten Dö. Als das Du.er Charter der Hells Angels von der Eröffnung des „Dö.“ erfuhr, meldete es im April 2022 Ansprüche hinsichtlich dessen Betriebes gegenüber A. D. an. So sollte eines ihrer Mitglieder, Ö., offiziell als Partner eingesetzt und ohne Gegenleistungen am Umsatz beteiligt werden. Ohne eine solche Beteiligung könne der „Dö.“ im Gebiet der Hells Angels nicht betrieben werden. A. D. lehnte eine Teilhaberschaft des Ö. ohne finanzielles Engagement jedoch ab.
a) Am Tattag, dem 4. Mai 2022, kam es zu einem Telefonat zwischen A. D. und Ö., in dem beide sich wechselseitig beleidigten. Ö. gab dem A. D. zudem auf, den „Dö.“ nicht mehr aufzusuchen, was Letzterer sich nicht verbieten lassen wollte. Der Angeklagte D. telefonierte sodann mit einem Mitglied der Hells Angels, um sich nach der Situation zu erkundigen. In diesem Telefongespräch wurde ihm verdeutlicht, er solle den „Dö.“ nicht mehr besuchen, was er jedoch ebenfalls ablehnte. Auf Vorschlag des Sa. S. entschlossen sich Mitglieder der Familie D./S. sodann, ein Zeichen zu setzen und Präsenz zu zeigen. Sie beschlossen entsprechend einer in Rockerkreisen beliebten Vorgehensweise, gemeinsam den „Dö.“ aufzusuchen, dort zu essen und ein Foto anzufertigen, welches sie in den sozialen Medien veröffentlichen wollten, um zu verdeutlichen, dass sie vermeintliche Gebietsansprüche und Verbote anderer Gruppierungen ablehnten. Dementsprechend versammelten sich über 30 Personen am Haus der Eltern des Angeklagten D. in O. Von dort fuhren sie in mehreren Fahrzeugen zum „Dö.“.
Das Vorhaben der Familie D./S., eine „Ansage“ machen zu wollen, sprach sich innerhalb kürzester Zeit herum, mit der Folge, dass zahlreiche Anhänger der Hells Angels aus verschiedenen Chartern, insgesamt mindestens 30 Personen, unter denen sich auch der Angeklagte K. befand, den H.er A. aufsuchten.
b) Am „Dö.“ angekommen, wurden die Personen, die der Gruppe der Hells Angels zuzuordnen waren, auf die Familie D./S. aufmerksam. Es fand ein Telefonat statt, in dem man sich darauf verständigte, dass zwei oder drei Personen aus der Familie D./S. zum Marktplatz kommen sollten, um ein Gespräch zu führen. Sa. S. und der Angeklagte D. gingen vor diesem Hintergrund zum Marktplatz, wo kurze Zeit später weitere 20 Personen der Familie D./S. erschienen. Die Gruppe um die Hells Angels stand der Gruppe um die Familie D./S. zunächst in größerem Abstand gegenüber. Zudem befanden sich mehrere unbeteiligte Passanten im Bereich des H.er A.s. Sa. S. suchte allein das Gespräch und ging auf die Clubmitglieder zu, wobei sein Vermittlungsversuch scheiterte. Die Stimmung wurde zunehmend hitziger. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannte der Angeklagte D., dass es über Bedrohungen hinaus zu Gewalttätigkeiten beider Gruppierungen kommen und er selbst dadurch jemanden in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringen könnte, und nahm dies billigend in Kauf. Jedenfalls nun war er – wie weitere Anhänger beider Lager auch – bewaffnet mit einer Pistole Sig Sauer, 9 mm Luger und hielt diese offen in der rechten Hand.
c) Innerhalb kürzester Zeit schaukelte sich die aggressive Grundstimmung zunehmend hoch. Ein hochrangiges Mitglied der Hells Angels, At., versuchte vergeblich, seine Anhänger zu beruhigen und zurückzuhalten, während er der Gruppe um die Familie D./S. verdeutlichte, sich zurückzuziehen. Dem kam diese jedoch nicht sofort nach. Die Anhänger der Hells Angels begannen nunmehr, auf die Gruppe um die Familie D./S. zuzugehen. Dabei erkannte der Angeklagte D. bei einigen Personen aus der gegnerischen Gruppierung Schusswaffen. Durch das Zuschreiten veranlasst, begannen einige Anhänger der Familie D./S., sich zurückzuziehen, wobei sie zunächst gingen und schließlich rannten. Auch der Angeklagte D. begann schließlich wegzurennen und wurde von Mitgliedern und Sympathisanten der Hells Angels verfolgt. Er blickte sich während des Laufens stets um. Die Strafkammer hat weder positiv festgestellt noch ausgeschlossen, dass der Angeklagte D. – für ihn erkennbar – in Höhe einer Apotheke von zwei Personen verfolgt wurde, die ebenfalls bewaffnet waren und Schusswaffen auf ihn richteten. Er schoss sodann in Richtung der Anhänger der Hells Angels, wobei das Landgericht nicht ausgeschlossen hat, dass er seine Schusswaffe einsetzte, um sich zu schützen und einen Angriff auf sich abzuwehren. Dabei erkannte der Angeklagte D., dass er durch den Schuss tödliche Verletzungen hervorrufen könnte, was er zu seinem Schutz billigend in Kauf nahm. Unmittelbar neben dem Angeklagten D. befand sich eine unbekannt gebliebene Person aus seinem Lager, die ebenfalls mit einer Schusswaffe in Richtung der herannahenden Anhänger der Hells Angels schoss. Der sich unter den Verfolgern befindliche Ki. wurde im Rahmen dieser Schussabgaben am linken Ellenbogen getroffen. Auch ein hinter diesem geparkter BMW M 5 wurde in der Fahrertür von einem Projektil getroffen, wobei nicht festgestellt ist, durch wessen Schüsse Ki. und der BMW getroffen wurden.
d) Der Angeklagte D. schoss während des Laufens weiter in rückwärtige Richtung, wo sich der unbewaffnete T. befand, der den Schüssen auszuweichen versuchte. Sodann stellte der Angeklagte D. das Feuer in rückwärtige Richtung ein, drehte sich in Laufrichtung um, zielte nunmehr direkt auf den schräg hinter ihm befindlichen Zeugen T. und schoss noch mindestens einmal, um diesen daran zu hindern, weiter hinter ihm herzulaufen. Er erkannte dabei, dass der Zeuge T. nicht bewaffnet war und durch den Beschuss tödliche Verletzungen erleiden konnte, was er billigend in Kauf nahm. Der Angeklagte D. traf den Zeugen T. mit einem Streifschuss am rechten Bein, so dass dieser stehen blieb und mit beiden Händen das Bein festhielt. Dem Angeklagten D. war in der konkreten Situation – wie er auch erkannte – eine weitere Schussabgabe möglich, auch wenn er von weiteren Anhängern der gegnerischen Gruppierung verfolgt wurde.
e) Der Angeklagte K., der sich während der verbalen Auseinandersetzungen auf dem Marktplatz in einem Schnellrestaurant befunden hatte, lief den Anhängern der Hells Angels hinterher. Er bewaffnete sich vor dem Hintergrund der Bewaffnung der „D.s“ mit einer Schusswaffe des Kalibers 7,65 mm Browning. Er sah, dass der Angeklagte D. in Richtung der Hells Angels-Anhänger schoss und bereits Personen getroffen worden waren. Daraufhin gab der Angeklagte K. seinerseits zwei Schüsse auf den Angeklagten D. ab. Sodann schoss er mindestens weitere zweimal beim Abbiegen um die Ecke an der Apotheke auf den Angeklagten D., wobei er die Schusswaffe stets einsetzte, um weitere Schussabgaben durch diesen auf die Anhänger der Hells Angels – darunter auch T. – zu verhindern und diesen von der Örtlichkeit zu vertreiben. Er nahm dabei billigend in Kauf, dass er tödliche Verletzungen beim Angeklagten D. hervorrufen könnte. Als der Angeklagte K. wahrnahm, dass der Angeklagte D. weiter davonlief und nicht mehr schoss, stellte er den Beschuss ebenfalls sofort ein, obwohl ihm ein solcher – was er erkannte – noch möglich gewesen wäre.
f) Etwa zwei bis drei Sekunden später schoss A. D. auf Y., der sich im Rücken des Angeklagten K. befand. Der Angeklagte K. drehte sich um, und schoss im Gehen auf A. D., um dessen Schüsse auf Y. zu unterbinden. Dabei erkannte er, dass dieser durch die Schüsse tödliche Verletzungen erleiden konnte, was er zum Schutz des Y. billigend in Kauf nahm. Dies nahm der Angeklagte D. wahr, der sich unweit des „Dö.“ auf der Ha.straße befand. Um die Schüsse auf seinen Bruder zu unterbinden, schoss er seinerseits auf den Angeklagten K., wobei er dessen möglichen Tod erkannte und billigend in Kauf nahm. Dabei traf der Angeklagte D. durch einen nicht beabsichtigten Querschläger den unbeteiligten San. per Durchschuss im Oberschenkel links. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte D. die Möglichkeit eines fehlgeleiteten Schusses erkennen und verhindern können. Der Angeklagte K. feuerte daraufhin in Richtung der beiden Brüder D., wobei er deren möglichen Tod erkannte und billigend in Kauf nahm. Diese Schussabgaben erfolgten, um sich selbst und Y. vor den Schüssen der Brüder D. zu schützen. Dabei traf er versehentlich den Al. ins Gesäß, der gerade von der Tatörtlichkeit weglief. Diesen fehlgeleiteten Treffer hätte der Angeklagte K. bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen und vermeiden können.
Y. kam durch den Beschuss durch A. D. zu Fall, wälzte sich auf dem Boden, um den Schüssen auszuweichen, zog sich aber gleichwohl einen Streifschuss am Rücken zu.
Der Angeklagte K. stellte das Feuer auf die Brüder D. ein und ging sodann in Richtung der verbliebenen Anhänger der Hells Angels zurück. Der Angeklagte D. beendete den Beschuss in Richtung des Angeklagten K., als er erkannte, dass dieser nicht mehr in Richtung seines Bruders schoss, und entfernte sich von der Örtlichkeit, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, weitere Schüsse in dessen Richtung abzugeben.
2. Unmittelbar nach den Schussabgaben versammelten sich etwa 20 Anhänger der Hells Angels und begaben sich geschlossen zum „Dö.“, in dem sich Gäste befanden, die von einem Mitarbeiter im Lagerraum in Sicherheit gebracht wurden. Der Angeklagte K. ging in Richtung der Gruppierung und übergab zunächst seine Schusswaffe einer nicht identifizierten männlichen Person. Er fasste den Entschluss, sich an den Gewalttätigkeiten gegenüber dem „Dö.“ zu beteiligen. Er warf sodann mit mehreren Personen eine Sitzbank in das Ladenlokal, wodurch die Schaufensterfront des „Dö.“ vollständig entglast wurde. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 3.500 €. Aufgrund der Wahrnehmung von Martinshörnern der verständigten Polizei beendete die Gruppierung die Ausschreitungen.
3. Bei einer Durchsuchung des Einfamilienhauses des Angeklagten D. am 22. Mai 2023 wurden eine Pistole Beretta, ein Magazin mit sechs Patronen Munition Kaliber 7,65 mm sowie eine Patrone Munition, Kaliber 9 mm aufgefunden, für die er keine waffenrechtliche Erlaubnis hatte.
4. Am 22. Mai 2023 wurde auch die Wohnung des Angeklagten K. durchsucht. Dabei wurden ein Revolver Smith&Wesson, sieben Patronen Vollmantelgeschosse Kaliber 7,62 mm, eine Schrotpatrone, fünf Patronen Munition Revolver Kaliber 38 Special und zwei Schlagringe vorgefunden, für die er keine waffenrechtliche Erlaubnis hatte.
II.
Revision der Staatsanwaltschaft bezüglich des Angeklagten D.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft bezüglich des Angeklagten D. sind – zugunsten dieses Angeklagten (§ 301 StPO) – der Schuldspruch zu ändern und die Einzelstrafe in Fall II. 3. a) aa) der Urteilsgründe sowie der Ausspruch über die Gesamtstrafe aufzuheben.
1. Die zuungunsten des Angeklagten D. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Schuldspruch hinsichtlich Tat II. 3. a) aa) der Urteilsgründe (Schießerei am 4. Mai 2022) und auf den Strafausspruch beschränkt. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung von Nr. 156 RiStBV aus der Revisionsbegründung und dem gestellten Aufhebungsantrag, „soweit diese [Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch] angegriffen werden“.
2. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand, soweit der Angeklagte in dem Fall II. 3. a) aa) der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe verurteilt worden ist.
a) Schussabgaben des Angeklagten D. auf die Verfolger Die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Überzeugung begründet hat, die Schussabgaben des Angeklagten D. auf seine Verfolger seien nicht ausschließbar durch Notwehr gerechtfertigt gewesen, lassen einen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten nicht erkennen.
aa) Das Landgericht hat nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte D. zum Zeitpunkt der ersten Schussabgaben in Höhe der Apotheke von zwei bewaffneten Anhängern der Gruppierung um die Hells Angels verfolgt wurde und diese Schusswaffen auf ihn richteten. Ebenso wenig hat die Strafkammer ausschließen können, dass der Angeklagte seine Schusswaffe einsetzte, um sich zu schützen und einen Angriff auf sich abzuwehren. Sie ist unter Berücksichtigung aller Indizien, insbesondere aufgrund der Umstände, dass einige Anhänger der Hells Angels bewaffnet waren und diese Bewaffnung offen zeigten, die Gruppierung um die Familie D./S. einschließlich des Angeklagten plötzlich weglief sowie im Hinblick auf die wegen Baumbewuchses und abgestellter Fahrzeuge und zwischenzeitlichen Wechsels der Kameraperspektive hinsichtlich der Beweisfrage beschränkte Aussagekraft eines in Augenschein genommenen Videos, zu dem möglichen Schluss gelangt, dass keine eindeutigen Feststellungen zur Tatsituation bei Abgabe der ersten Schüsse des Angeklagten D. bei der Apotheke getroffen werden konnten und deshalb seine Einlassung, zwei Verfolger hätten mit Schusswaffen in seine Richtung gezielt, nicht zu widerlegen sei. Diese Beweiserwägungen sind tragfähig und entgegen der Auffassung der Revision nicht rechtsfehlerhaft.
bb) Das Landgericht ist bei dieser Beweislage unter Anwendung des Zweifelssatzes hinsichtlich der Schussabgaben des Angeklagten D. auf seine Verfolger zu Recht vom Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ausgegangen.
(1) Ein gegenwärtiger Angriff in diesem Sinne liegt nicht erst vor, wenn der Angreifer tatsächlich eine Verletzungshandlung begangen hat. Ein Angriff ist vielmehr bereits dann gegenwärtig, wenn das Verhalten des Angreifers unmittelbar in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben einer Verteidigungshandlung entweder deren Erfolg in Frage gestellt wäre oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2022 ‒ 2 StR 263/21, StV 2023, 312 Rn. 18 mwN). Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der durch den bevorstehenden Angriff geschaffenen bedrohlichen Lage; als Angriff in diesem Sinne ist daher auch ein Verhalten zu werten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlichen nicht hinnehmbaren Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 2022 ‒ 2 StR 263/21, StV 2023, 312 Rn. 18; vom 21. März 2017 ‒ 1 StR 486/16, StV 2018, 727 Rn. 28 mwN; Beschluss vom 7. Juni 2017 ‒ 4 StR 197/17, NStZ-RR 2017, 270). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff an, solange mit einer Wiederholung zu rechnen und ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2016 ‒ 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38, 39).
Für die Prüfung der Notwehrlage in diesem Sinne ist die objektive Sachlage maßgeblich. Es kommt auf die tatsächlichen Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung an, die zugleich das Maß der erforderlichen und gebotenen Abwehrhandlung bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2019 ‒ 2 StR 177/19, NStZ 2020, 147; Urteil vom 21. März 2017 ‒ 1 StR 486/16, StV 2018, 727 Rn. 28). Allein die subjektive Befürchtung, ein Angriff stehe unmittelbar bevor, begründet demgegenüber noch keine Notwehrlage (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 2022 ‒ 2 StR 263/21, StV 2023, 312 Rn. 19; vom 18. April 2002 ‒ 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204).
(2) Ausgehend davon ist die Wertung des Landgerichts nicht zu beanstanden, aufgrund der Verfolgung des wegrennenden Angeklagten D. durch mit Schusswaffen auf ihn zielende Anhänger der Hells Angels nach Scheitern des Vermittlungsversuchs habe ein gegenwärtiger Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten vorgelegen. Dass es in Anwendung des Zweifelssatzes von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit ausgegangen ist, stellt keinen Rechtsfehler dar (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. März 2017 ‒ 1 StR 486/16, StV 2018, 727 Rn. 27; siehe auch BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 ‒ 6 StR 493/21, juris Rn. 12). Das Landgericht ist daher im Rahmen der rechtlichen Würdigung beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte D. sich jeweils nicht ausschließbar in einer objektiven Notwehrlage befand und die Schussabgaben auf seine Verfolger vom Verteidigungswillen dieses Angeklagten getragen waren.
(3) Die weitere rechtliche Würdigung des Landgerichts, die Schussabgaben gegen den drohenden Angriff seien erforderlich und geboten gewesen, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung ist auf der Grundlage einer objektiven ex ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung zu beurteilen. Der Angegriffene ist grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Dies schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. Doch ist der Angegriffene nicht gehalten, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen (vgl. insgesamt BGH, Beschlüsse vom 13. September 2018 − 5 StR 421/18, NStZ 2019, 136 Rn. 8; vom 4. August 2022 – 5 StR 175/22, NStZ 2023, 156 mwN).
Hier hat das Landgericht seiner Prüfung, ob die von Verteidigungswillen getragenen Handlungen zur Abwehr des bevorstehenden Angriffs erforderlich und geboten waren, einen rechtlich zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt (vgl. zur Erforderlichkeit der Notwehrhandlung BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2022 ‒ 5 StR 276/22, NJW 2023, 166; vom 13. September 2018 ‒ 5 StR 421/18, NStZ 2019, 136; vom 22. Juni 2016 ‒ 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593, 594; Urteile vom 25. Oktober 2017 ‒ 2 StR 118/16, NStZ-RR 2018, 69; vom 27. September 2012 ‒ 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139; vom 26. August 2004 ‒ 4 StR 236/04, NStZ 2005, 85, 86; zur Gebotenheit der Verteidigungshandlung vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 ‒ 4 StR 658/19, NStZ 2021, 93, 94; Urteile vom 17. Januar 2019 ‒ 4 StR 456/18, NStZ 2019, 263 f.; vom 15. Mai 1975 ‒ 4 StR 71/75, BGHSt 26, 143, 145).
Es ist auf dieser Grundlage rechtsfehlerfrei zu der Auffassung gelangt, dass die Schussabgaben zur Verteidigung erforderlich waren. Da sich die Stimmung am H.er A. binnen kürzester Zeit hochschaukelte, der Angeklagte D. unmittelbar danach floh und die Schüsse abgab, steht der Erforderlichkeit der Schussabgabe nicht entgegen, dass der Angeklagte D. keine hoheitliche Hilfe bei seiner Verteidigung in Anspruch nahm; vielmehr war eine solche Hilfe wegen des zeitlichen Ablaufs ersichtlich nicht so kurzfristig verfügbar, als dass er von eigenen Verteidigungsbemühungen Abstand nehmen musste (vgl. hierzu LK/Rönnau/Hohn, StGB, 13. Aufl., § 32 Rn. 183). Eine Einschränkung des Notwehrrechts ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Angeklagte D. auf einen erwarteten, aber noch nicht gegenwärtigen Angriff vorbereitete, indem er sich mit einer Schusswaffe ausstattete, um der Gefahr des Angriffs effektiv begegnen zu können. Dass diese „Aufrüstung“ als solche gegen Rechtsvorschriften – hier gegen das Waffengesetz – verstieß, hat keinen Einfluss auf den Umfang der Notwehrbefugnisse (LK/Rönnau/Hohn, StGB, 13. Aufl., § 32 Rn. 189 mwN). So- weit eine Einschränkung angenommen wird, wenn der Notwehrleistende im Hinblick auf den späteren Angriff absichtlich handelt, d.h. die Pistole allein in der Hoffnung einsteckt, in der gefährlichen Situation wegen der Angriffsintensität zu ihrer Verwendung gezwungen zu sein, ist dies nicht festgestellt. Angesichts der konkreten Kampflage musste sich der Angeklagte D. auch nicht durch die nicht sichere Flucht vor den Angreifern oder die Androhung des Schusswaffengebrauchs als mildere Mittel verteidigen.
(4) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen Provokation der Notwehrlage abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
Eine Notwehreinschränkung setzt voraus, dass die tatsächlich bestehende Notwehrlage durch ein rechtswidriges, jedenfalls aber sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen verursacht worden ist und zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332; vom 17. Januar 2019 − 4 StR 456/18, NStZ 2019, 263; Beschluss vom 26. Juni 2018 – 1 StR 208/18, StV 2020, 290 Rn. 11; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 13. Aufl., § 32 Rn. 245 ff.). Erforderlich ist zudem ein motivationaler Zusammenhang, mithin Feststellungen dazu, ob und inwieweit die Pflichtverletzung des Angegriffenen zum Verhalten des Angreifers beigetragen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 5 StR 141/09, NStZ 2009, 626; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139). Fehlt ein solcher Zusammenhang, ist ein pflichtwidriges Vorverhalten des Angegriffenen für die Beurteilung der Notwehrlage ohne Bedeutung.
Ausgehend davon ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Gebotenheit der Schüsse bejaht hat. Dass die Mitglieder der Familie D./S. beschlossen, ein Zeichen gegen das rechtswidrige Verhalten der Hells Angels zu setzen, geschlossen den „Dö.“ am H.er A. aufzusuchen, ein Foto davon zu fertigen und zu veröffentlichen, um dadurch den Hells Angels zu verdeutlichen, dass man deren Gebietsansprüche nicht anerkennt, stellt weder ein rechtswidriges noch ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten des Angeklagten dar. Dass dies mit der Absicht erfolgte, eine gewalttätige Auseinandersetzung zu provozieren, und deshalb Abstriche an den Verteidigungsbefugnissen gerechtfertigt gewesen wären, ist nicht festgestellt.
Allerdings hatte der Angeklagte entweder bereits im Vorfeld oder nach dem Scheitern des Vermittlungsversuchs damit gerechnet, dass es zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen könnte, und war spätestens nach dem gescheiterten Vermittlungsversuch bewaffnet. Dies könnte dafür sprechen, dass der Angeklagte die Notsituation zwar nicht absichtlich, aber als Voraussetzung der von der Rechtsordnung als Ausnahme gedachten Notwehrbefugnisse sehenden Auges herbeigeführt hat (vgl. hierzu LK/Rönnau/Hohn, StGB, 13. Aufl., § 32 Rn. 258). Angesichts der festgestellten sonstigen Umstände rechtfertigte dies allerdings hier eine Einschränkung des Notwehrrechts nicht. Maßgeblich ist insoweit zum einen, dass es sich bei der geplanten „Ansage“ und bei dem Vermittlungsgespräch auf dem Marktplatz nicht um ein rechtswidriges Vorverhalten handelte, das zur Einschränkung von Notwehrbefugnissen führt, zum anderen, dass der „Ansage“ der Familie D./S. eine Provokation aus der Gruppe der Hells Angels vorausgegangen war und das Treffen am „Dö.“ sich nicht als unangemessene oder inadäquate Reaktion auf diese erste Provokation darstellte. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass der Angeklagte D. und Sa. S. versuchten, zunächst ein vermittelndes Gespräch mit den Hells Angels auf dem Marktplatz zu führen, was ebenso scheiterte wie der Versuch des hochrangigen Hells Angels-Mitglieds At., seine Anhänger zu beruhigen und sie zurückzuhalten. Maßgeblich für die Bewertung ist weiterhin, dass es die – teilweise Schusswaffen tragenden – Anhänger der Gruppierung um die Hells Angels waren, die auf die Gruppe um die Familie D./S. zugingen, und alle Anhänger der Familie D./S. einschließlich des Angeklagten flüchteten und wegrannten, wobei sie von Mitgliedern und Sympathisanten der Hells Angels verfolgt wurden.
b) Schüsse des Angeklagten D. auf den Mitangeklagten K.
Soweit von der Revision beanstandet wird, bei der Schussabgabe des Angeklagten D. auf den Mitangeklagten K. habe keine Notwehrlage bestanden, hat das Landgericht eine solche nicht angenommen; vielmehr ist es von einem Rücktritt vom Tötungsversuch ausgegangen.
c) Verletzung des Zeugen San.
Die Rüge, die Schussabgabe in Richtung des Mitangeklagten K. hätte als vorsätzliche gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen San. gewertet werden müssen, weil der Angeklagte gewusst habe, dass er auch Unbeteiligte durch seine Schussabgaben verletzen konnte, und dies hingenommen habe, bleibt ohne Erfolg.
aa) Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich insoweit, als der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde den eintretenden schädlichen Erfolg in der Weise befürwortet, dass er ihn selbst billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände, insbesondere die konkrete Angriffsweise, mit in Betracht zieht (vgl. insgesamt BGH, Beschluss vom 27. März 2024 − 2 StR 531/23, NStZ 2024, 676; Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80 mwN).
Die Beweiswürdigung ist dabei auch in diesem Zusammenhang Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, sich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden (§ 261 StPO). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr ist die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die Schlussfolgerungen des Tatgerichts brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht insbesondere der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 2 StR 275/16, juris Rn. 12). Zudem muss die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einer nachvollziehbaren und tragfähigen Grundlage beruhen (BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9).
bb) Ausgehend davon ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe aufgrund der Gesamtumstände nicht damit gerechnet, sein Schuss auf den Angeklagten K. gehe fehl und treffe den auf der gegenüberliegenden Straße befindlichen Zeugen San., nicht zu beanstanden. Soweit die Staatsanwaltschaft rügt, das Gericht habe in seine Gesamtwürdigung nicht eingestellt, dass sich der Angeklagte der Vielzahl anwesender unbeteiligter Personen bewusst war, lässt dies die Urteilsfeststellungen außer Acht. Festgestellt ist, dass sich während der Zusammenkunft der beiden Gruppierungen im Bereich des H.er A.s zahlreiche unbeteiligte Passanten befanden und während des gesamten Schusswechsels mehrere Passanten zu Fuß und teilweise in ihren Fahrzeugen vom Tatort flüchteten. Bei der Schussabgabe, dessen Querschläger den Zeugen San. traf, hatte sich das Geschehen nach den Urteilsfeststellungen aber insoweit verlagert, als sich der Angeklagte nach seiner Flucht auf Höhe des Parkhauses unweit des „Dö.“ auf der Ha.straße befand. Dass sich auch dort eine Vielzahl unbeteiligter Personen aufhielt, ist nicht festgestellt. Soweit die Staatsanwaltschaft vorbringt, die Strafkammer habe hinsichtlich der auf T. und den Mitangeklagten K. abgegebenen Schüsse festgestellt, es sei dem Angeklagten aufgrund des dynamischen Geschehens nicht möglich gewesen, einen gezielten und kontrollierten Schuss auf beide abzugeben, bezieht sich dies allein auf die Überlegung, ob der Angeklagte in der Lage war, so auf die in seinem unmittelbaren Schussfeld stehenden T. und K. zu schießen, dass die Opfer nicht getötet, sondern nur verletzt werden. Dies ist mit der Situation eines Querschlägers auf ein Opfer, das sich weit hinter dem anvisierten Ziel befindet, nicht vergleichbar. Da auch die Motivlage des Angeklagten, mit der Abgabe der Schüsse die Angreifer von Angriffen auf sich und seine Begleiter abzuhalten, dem Ergebnis der Strafkammer nicht entgegensteht, ist deren Schlussfolgerung, dem Angeklagten sei insoweit nur Fahrlässigkeit zur Last zu legen, nicht zu beanstanden.
cc) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) angenommen, soweit es die Schüsse auf T. und den Mitangeklagten K. betrifft.
Ein unbeendeter Versuch eines Tötungsdelikts, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, liegt vor, wenn der Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich ist. Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht. Maßgeblich ist das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont; vgl. insgesamt BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306).
Nach den Feststellungen traf der Angeklagte D. den unbewaffneten Zeugen T. mit einem Streifschuss am rechten Bein, woraufhin dieser stehenblieb und sich mit beiden Händen an das Bein fasste. Er erkannte, dass T. nicht schwerwiegend verletzt war, wandte sich von T. ab und rannte in Richtung „Dö.“ davon. Anschließend schoss der Angeklagte D. auf den Mitangeklagten K., um dessen Schüsse auf den Bruder des Angeklagten D. zu unterbinden, während der Mitangeklagte K. auf den Angeklagten D. zurückschoss. Als der Angeklagte D. erkannt hatte, dass der Mitangeklagte K. das Feuer eingestellt hatte und zu den Hells Angels-Anhängern zurückging, stellte er ebenfalls das Feuer ein. In beiden Fällen wäre es ihm möglich gewesen, weitere Schüsse auf die Opfer abzugeben.
Aufgrund dieser Feststellungen ist die Annahme eines unbeendeten Versuchs, von dem der Angeklagte freiwillig zurückgetreten ist, nicht zu beanstanden.
Da der Angeklagte D. nach der Schussabgabe auf den ersichtlich nicht tödlich getroffenen T. davonrannte und er im Folgenden Schüsse auf den Mitangeklagten K. abgab, weil dieser auf ihn schoss, um Schüsse des Angeklagten D. auf Y. zu unterbinden, liegt beiden Schussabgaben kein einheitliches Geschehen zugrunde, weshalb es nicht rechtsfehlerhaft ist, dass das Landgericht hinsichtlich des Rücktrittshorizonts bei der Schussabgabe des Angeklagten D. auf T. auf den Zeitpunkt des Davonrennens abgestellt hat.
d) Der Schuldspruch gegen den Angeklagten D. wegen Landfriedensbruchs hingegen hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, was auf die Revision der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen ist (§ 301 StPO).
aa) Beim Tatbestand des Landfriedensbruchs gemäß § 125 Abs. 1 StGB müssen die Gewalttätigkeiten oder Drohungen aus der Menschenmenge, das heißt von Mitgliedern der Menschenmenge gegen außenstehende Personen oder gegen nicht der Menge zuzuordnende, nicht von ihren Mitgliedern mitgeführte Sachen mit vereinten Kräften begangen werden (LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 125 Rn. 49). Es reicht nicht aus, wenn aus einer Menge ein oder mehrere Täter für sich handeln (LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 125 Rn. 49). Notwendig ist vielmehr, dass diejenigen, die Ausschreitungen begehen oder unterstützen, ihre Kräfte faktisch zu den Tathandlungen der § 125 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB vereinen. Das Merkmal ist bei isolierten Aktionen Einzelner sowie Einzelakten ohne inneren und äußeren Bezug zu den Handlungen von Personen aus der Menge nicht erfüllt. Das Handeln eines Einzelnen kann nur genügen, wenn dieser von der zustimmenden Haltung der Menge getragen wird; in diesem Fall ist der Angriff eines Täters, auch wenn dieser sich räumlich von der Gruppe entfernt hat, als Ausdruck des die Menge beherrschenden feindlichen Willens und damit als ein mit vereinten Kräften aus der Menschenmenge heraus begangener Angriff anzusehen (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 – 2 StR 119/13, NStZ 2014, 512; MüKoStGB/Feilcke, 4. Aufl., § 125 Rn. 17).
bb) Davon ausgehend wird ein Handeln des Angeklagten D. aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften von den Feststellungen nicht getragen. Es standen sich zu Beginn zwei Menschenmengen im Sinne von § 125 StGB gegenüber, mithin jeweils eine Ansammlung von Personen, die sich in qualitativer Hinsicht als ein verbundenes Ganzes darstellt, was einen engen räumlichen Zusammenhang der Einzelpersonen voraussetzt, und die in quantitativer Hinsicht nicht sofort überschaubar ist (vgl. LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 125 Rn. 39). Dass es bereits zu diesem Zeitpunkt zu Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen von Menschen mit Gewalttätigkeiten kam, ist nicht festgestellt. Als die Gruppierung um die Hells Angels auf die Gruppe um die Familie D./S. zuging, wobei einige Personen der Gruppierung um die Hells Angels bewaffnet waren, stellte dies allenfalls eine Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit seitens der Mitglieder der Gruppierung Hells Angels dar, lässt aber keine Tathandlungen der Menge um die Familie D./S. erkennen. Anschließende Gewalttätigkeiten seitens des flüchtenden Angeklagten D. gingen von ihm erst bei der Schussabgabe auf zwei Verfolger aus, wobei sich neben ihm nur eine Person aus seinem Lager bewegte, die ebenfalls Schüsse auf die herannahenden Hells Angels abgab. Ungeachtet dessen, dass diese Schussabgaben des Angeklagten D. gerechtfertigt waren, lässt das Urteil nicht erkennen, dass diese aus einer Menge um die Mitglieder der Familie D./S. mit vereinten Kräften erfolgten. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Gewalttätigkeit. Allein die Anwesenheit der sich neben dem Angeklagten bewegenden Person aus seinem Lager reicht für ein Handeln mit vereinten Kräften aus einer Menschenmenge nicht aus.
Auch die Feststellungen zu den anschließenden Schussabgaben des Angeklagten D. und des in seinem Lager stehenden A. D. rechtfertigen nicht die Annahme, diese Gewalttätigkeiten seien mit vereinten Kräften aus einer Menschenmenge heraus begangen worden. Insoweit ist ebenfalls nicht festgestellt, wie sich die Mitglieder der Familie D./S. zu diesen Schussabgaben des Angeklagten verhielten, ob sie davon überhaupt Kenntnis hatten und ob die Schussabgaben von der zustimmenden Haltung der Menge getragen wurden.
cc) Vor dem Hintergrund, dass das Landgericht umfänglich Beweis erhoben und insbesondere die vorhandenen Videoaufzeichnungen ausgewertet hat, sind weitere Feststellungen zu den Umständen der Schussabgaben durch den Angeklagten D. nicht zu erwarten. Demgemäß entfällt der Schuldspruch wegen tateinheitlichen Landfriedensbruchs; der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab.
e) Das Landgericht hat bei der Strafzumessung den Umstand, dass der Angeklagte D. vier Straftatbestände tateinheitlich verwirklichte, ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt. Somit ist die Einzelstrafe in dem Fall II. 3. a) aa) der Urteilsgründe aufzuheben, da nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine niedrigere Strafe verhängt hätte. Dies entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die zugrundeliegenden Feststellungen bleiben aufrechterhalten, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
Ein weiterer Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung liegt nicht vor. Den Aufenthalt zahlreicher unbeteiligter Passanten im Bereich des H.er A.s, das dynamische und emotional aufgeladene Geschehen und die Gefahr, dass durch die Schussabgaben des Angeklagten unbeteiligte Dritte getroffen werden können, hat das Landgericht im Urteil festgestellt. Darauf hat es ersichtlich Bezug genommen, soweit es zulasten des Angeklagten die besondere Intensität der Tat in seine Gesamtwürdigung eingestellt hat.
III.
Revision der Staatsanwaltschaft bezüglich des Angeklagten K.
1. Die zuungunsten des Angeklagten K. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Schuldspruch hinsichtlich Tat II. 3. a) aa) der Urteilsgründe (Schießerei am 4. Mai 2022) und auf den Strafausspruch beschränkt. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung von Nr. 156 RiStBV aus der Rechtfertigungsschrift und dem gestellten Aufhebungsantrag, „soweit diese [Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch] angegriffen werden“.
2. Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil des Al. hält rechtlicher Überprüfung stand.
Die Rechtfertigungslage des Angeklagten K. im Verhältnis zu den anvisierten Opfern, den Brüdern D., vermag die Verletzung des Geschädigten Al. nicht zu rechtfertigen; Rechte unbeteiligter Dritter darf der Angegriffene nicht verletzen (vgl. BGH, Urteile vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374, 380; vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 248; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 13. Aufl., § 32 Rn. 195; TK-StGB/Perron/Eisele, 31. Aufl., § 32 Rn. 31). Damit scheidet eine Rechtfertigung der Verletzung der versehentlich getroffenen Person durch Notwehr aus (vgl. RG, Urteil vom 30. November 1923 – I 878/23, RGSt 58, 27, 28; LK/Bülte, StGB, 13. Aufl., § 16 Rn. 81; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Abschnitt 8 Rn. 80; Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl., S. 313; vgl. zur aberratio ictus BGH, Urteil vom 10. April 1986 –
StR 89/86, BGHSt 34, 53, 55). In Betracht kommt somit hinsichtlich der versehentlich getroffenen Person – abhängig von der konkreten Situation im Einzelfall – insbesondere ein Fahrlässigkeitsvorwurf (vgl. RG, Urteil vom 30. November 1923 – I 878/23, RGSt 58, 27, 28; LK/Bülte, StGB, 13. Aufl., § 16 Rn. 81; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Abschnitt 8 Rn. 80; Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl., S. 313).
Die Darlegungen des Landgerichts zu einer Abgrenzung von (bedingtem) Vorsatz und (bewusster) Fahrlässigkeit bezogen auf die Körperverletzung zum Nachteil des Al. sind ausreichend. In den Feststellungen wird dazu ausgeführt, dass der Angeklagte K. nicht die anvisierten Schützen, A. D. und den Angeklagten D., traf, sondern versehentlich den Al., der gerade von der Tatörtlichkeit weglief. Zudem ist festgestellt, dass der Angeklagte K. den fehlgeleiteten Treffer bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können. Weitere Ausführungen sind aus revisionsrechtlicher Sicht nicht geboten.
3. Da sich der Angeklagte K. zusammen mit weiteren 20 Anhängern der Hells Angels an der Zerstörung des „Dö.“ beteiligte und dadurch ein Schaden in Höhe von 3.500 € angerichtet wurde, ist die Annahme eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1, § 125a Satz 2 Nr. 4 StGB nicht zu beanstanden. Weil der „Dö.“ unmittelbar nach den zahlreichen Schussabgaben zerstört wurde und der Angeklagte K. die Schusswaffe erst am Ort der Gewalttätigkeiten des Landfriedensbruchs an eine dritte Person übergab, bestehen gegen die Annahme von Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe keine durchgreifenden Bedenken.
IV. Revision des Angeklagten D. 59 Die Revision des Angeklagten D. führt aus den bereits bei der Revision der Staatsanwaltschaft dargelegten Gründen zu einer Änderung des Schuldspruchs und der Aufhebung der Einzelstrafe in dem Fall II. 3. a) aa) der Urteilsgründe sowie des Gesamtstrafenausspruchs. Auf die Ausführungen unter II. 2. d) und e) wird insoweit verwiesen.
Schäfer Hohoff Kreicker Voigt Vorinstanz: Landgericht Duisburg, 06.06.2024 - 35 Ks-120 Js 47/22-16/23 Anstötz