4 StR 42/25
BUNDESGERICHTSHOF StR 42/25 BESCHLUSS vom 21. Mai 2025 in der Strafsache gegen wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:210525B4STR42.25.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag und nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. Mai 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 6. Dezember 2024 aufgehoben a) mit den zugehörigen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, soweit der Angeklagte in den Fällen II.2. und II.3. der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und über die Fahrerlaubnissperre.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe: 1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls „im besonders schweren Fall“ in Tateinheit mit Sachbeschädigung, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, unerlaubten Entfernens vom Unfallort, falscher Verdächtigung, Unterschlagung und wegen Computerbetrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Ferner hat es eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestimmt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch im Fall II.3. der Urteilsgründe wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 3 Nr. 2 StGB hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die Vorschrift des § 315c Abs. 1 StGB setzt in allen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen nur BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2024 – 4 StR 73/24 Rn. 6; vom 2. Februar 2023 – 4 StR 293/22 Rn. 5 mwN).
b) Ein derartiger Gefährdungserfolg ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen. Nach diesen entwendete der Angeklagte einen fremden Pkw, indem er den Briefkasten einer Autowerkstatt aufbrach, ihm den darin deponierten Zündschlüssel eines Kunden entnahm und den in der Nähe abgestellten Wagen damit startete (Fall II.2. der Urteilsgründe). Der Angeklagte fuhr „sodann“ – am selben Tag – mit dem Fahrzeug über eine Landstraße, wobei er eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,36 ‰ aufwies. Aufgrund alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit verlor er bei überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug, kam von der Fahrbahn ab und kollidierte mit einer Mauer, wodurch an dem Fahrzeug ein Totalschaden entstand (Fall II.3. der Urteilsgründe).
Ein Beinaheunfall im Sinne des § 315c StGB ergibt sich hieraus nicht, weil das gestohlene Fahrzeug kein taugliches Tatobjekt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2024 – 4 StR 73/24 Rn. 7; vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 435/12 Rn. 5 mwN) und Feststellungen zum Wert der Mauer und zur Höhe des an ihr (beinahe) entstandenen Schadens (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 435/12 Rn. 5 mwN) fehlen.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zieht die Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen des tateinheitlich verwirklichten Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) nach sich.
3. Auch der Schuldspruch wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung im Fall II.2. der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben. Zwar wird er für sich genommen von den Feststellungen getragen. Diese sind allerdings so knapp gehalten, dass der Senat die konkurrenzrechtliche Beurteilung des Landgerichts nicht nachzuvollziehen vermag. Ob die Annahme von Tatmehrheit (§ 53 StGB) zu den im Fall II.3. verwirklichten Straftatbeständen zutrifft, kann unter anderem davon abhängen, ob die Fahrt, die der Angeklagte mit dem entwendeten Fahrzeug antrat, sich unmittelbar an dessen Wegnahme anschloss oder zwar am selben Tag, aber nach einer längeren Unterbrechung und aufgrund eines neuen Willensentschlusses stattfand.
Jedenfalls dann, wenn der Angeklagte seine Fahrt nach Verlassen des Tatorts im Fall II.2. der Urteilsgründe ohne Unterbrechung bis zu dem Unfallort fortgesetzt haben sollte, käme eine Idealkonkurrenz der in den Fällen II.2. und II.3. der Urteilsgründe verwirklichten Straftatbestände dergestalt in Betracht, dass das Dauerdelikt des § 21 StVG die mit ihm in ihren Ausführungshandlungen teilidentischen Delikte des Diebstahls (in Tateinheit mit Sachbeschädigung) einerseits und der Gefährdung des Straßenverkehrs andererseits zur Tateinheit verklammert hat (vgl. zur Klammerwirkung BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2021 – 4 StR 163/21 Rn. 10, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 6). Denn es hätte dann die Fahrt, die mit dem Unfall endete, an ihrem Beginn der Beendigung des Diebstahls von Zündschlüssel und Pkw gedient (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2024 – 4 StR 379/24 Rn. 5).
4. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Es wird hierbei auch Gelegenheit haben, sich mit den Fragen der relativen Fahruntüchtigkeit und ihrer Ursächlichkeit für den Unfall sorgfältiger als bisher geschehen auseinanderzusetzen und hierbei insbesondere auch den von einem die Annahme einer absoluten Fahruntüchtigkeit deutlich entfernten Wert der festgestellten Blutalkoholkonzentration in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2025 – 4 StR 526/24 Rn. 4 ff. mwN). Die von den Rechtsfehlern nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können hingegen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
5. Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.2. und II.3. der Urteilsgründe entzieht der Gesamtstrafe sowie der auf die Regelvermutung nach § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB gestützten Fahrerlaubnismaßregel die Grundlage. Die diesen Aussprüchen zugehörigen Feststellungen, soweit das Landgericht solche überhaupt getroffen hat, haben ebenfalls gemäß § 353 Abs. 2 StPO Bestand.
6. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Quentin Marks Maatsch Momsen-Pflanz Gödicke Vorinstanz: Landgericht Frankenthal (Pfalz), 06.12.2024 - 7 KLs 5210 Js 23150/23