VIa ZR 1503/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1503/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:111125UVIAZR1503.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richter Messing, Dr. Katzenstein, Dr. F. Schmidt und Dr. Ostwaldt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Er erwarb im August 2014 von einer dritten Person einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten Mercedes Benz Viano 2.2 CDI, der mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. 3 Mit der Klage hat der Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 24.038,63 € nebst Zinsen sowie wegen des Feststellungsantrags und der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten mit der Maßgabe weiter, dass er im Hinblick auf die weiteren gezogenen Nutzungen in der Berufungsinstanz die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache in Höhe von 623,86 € erklärt hat.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Für einen aus §§ 826, 31 BGB ableitbaren Anspruch des Klägers sei kein Raum. Die Voraussetzungen für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung seien vom Kläger - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet worden, weil es an einem zu berücksichtigenden Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten im Sinne von § 31 BGB fehle. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheiterten bereits daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinn von § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB abgelehnt hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20,
NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer F. Schmidt Messing Ostwaldt Katzenstein Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 21.12.2021 - 10 O 261/21 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 18.10.2022 - 24 U 36/22 - Verkündet am: 11. November 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle