21 W (pat) 23/16
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 23/16
_______________________
(Aktenzeichen)
BESCHLUSS In der Beschwerdesache …
betreffend die Patentanmeldung 10 2011 052 470.3 hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 19. Dezember 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek sowie der Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr. Müller, der Richterin Dipl.-Phys. Univ. Zimmerer und des Richters Dr. Himmelmann BPatG 152 08.05 beschlossen:
Der Anmelder wird in die Frist zur Einlegung der Beschwerde wiedereingesetzt.
Gründe I.
Der Anmelder hat am 8. August 2011 für die technische Lehre mit der Bezeichnung „Verfahren und Einrichtung zur Erfassung eines Bewegungsparameters eines Läufers“ die Erteilung eines Patents beantragt und zugleich Prüfungsantrag gestellt.
Die Prüfungsstelle für Klasse A61B des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) hat die Patentanmeldung, die unter dem amtlichen Aktenzeichen 10 2011 052 470.3 geführt wird, in der Anhörung am 4. Mai 2016 zurückgewiesen und ihren Beschluss mit Schreiben vom selben Tag begründet. Dieser Beschluss ist der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders am 23. Mai 2016 zugestellt worden.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders hat gegen den Zurückweisungsbeschluss mit Schreiben vom 4. August 2016, das im DPMA am 5. August 2016 eingegangen ist, Beschwerde eingelegt und in diesem Schreiben die Beschwerde begründet.
Ebenfalls mit Schreiben vom 4. August 2016, das im DPMA ebenfalls am 5. August 2016 eingegangen ist, hat die Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Die Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders hat vorgetragen, nach der mündlichen Anhö- rung zu der Patentanmeldung am 4. Mai 2016 sei der Anmelder über die Entscheidung informiert worden, dass die Patentanmeldung zurückgewiesen worden sei. Ihm sei angekündigt worden, dass ein schriftlicher Beschluss ergehen und an ihn weitergeleitet würde. Dieser Beschluss sei am 23. Mai 2016 bei ihr eingegangen. Am 25. Mai 2016 habe sie ein Schreiben an ihren Mandanten mit einer Kopie des Zurückweisungsbeschlusses zur Post gegeben. Der Briefkasten befinde sich in Sichtweite der Kanzleiräume und werde um 16:30 Uhr gelehrt. Üblicherweise sei die dort eingeworfene Briefpost am anderen Tag bei den Empfängern. Wegen des Feiertags am 26. Mai 2016 hätte der Brief am Freitag, 27. Mai 2016, bei dem Anmelder eingehen sollen. Der Anmelder habe durch eidesstattliche Versicherung bestätigt, dass er den Brief nicht erhalten und erst aufgrund eines Anrufs am 27. Juni 2016 davon erfahren habe, dass der Zurückweisungsbeschluss am 23. Mai 2016 bei ihr eingegangen und per Briefpost am 25. Mai 2016 an ihn verschickt worden sei. Das Versenden von Ausgangspost sei Routinearbeit, so dass für die Hilfspersonen, derer sich der Anmelder bzw. sein Vertreter bediene, Folgendes zu überprüfen sei: a) War die Hilfsperson qualifiziert, die ihr übertragene Aufgabe zu erledigen? b) Wurde die Hilfsperson in ihre Aufgaben unterwiesen und über die Fristen ausreichend belehrt? c) Ist eine Überwachung in vernünftigem Umfang erfolgt? d) Wurde tatsächlich eine Routinearbeit übertragen?
In der dem Schreiben vom 4. August 2016 beigefügten eidesstattlichen Versicherung vom 1. August 2016 erklärt Frau R…, sie sei im Anschluss an die abgeschlossene Berufsausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte seit Juli 2014 bei der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders zunächst als Auszubildende im Ausbildungsberuf Patentanwaltsfachangestellte und seit dem 8. Juli 2016 als Patentanwaltsfachangestellte tätig. Die Prüfung zur Patentanwaltsfachangestellten habe sie am 7. Juli 2016 abgelegt. Ihr Aufgabengebiet umfasse die Administration von Schutzrechten, insbesondere die Fristennotierung sowie die Postbearbeitung mit Handhabung der Eingangspost und der Ausgangspost. Diese Tätigkeiten seien ihr zu Beginn und im Verlauf ihrer Ausbildung im Detail erläutert worden. Regelmäßig hätten mehrmals jährlich Schulungen durch die Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders stattgefunden, in denen die Abläufe in einer Patentanwaltskanzlei, Fristennotierung und Postbearbeitung besprochen worden seien. Darüber hinaus habe sie regelmäßig an einschlägigen Schulungen von externen Anbietern teilgenommen. Gemeinsam mit der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders seien Arbeitsabläufe für verschiedene Vorgänge erarbeitet worden, die dokumentiert seien. Die festgelegten Arbeitsabläufe seien regelmäßig besprochen und von der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders anhand von Einzelfällen auf der Grundlage der Dokumente überprüft worden. Fristen würden elektronisch und in Papierform notiert und zudem von der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders geprüft. Jeden Freitag drucke sie eine Liste mit den Fristen für die kommende Woche aus und lege die betreffenden Akten der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders zur Überprüfung vor. Bei urlaubsbedingter Abwesenheit geschehe dies im Voraus. Neben der Bearbeitung der Eingangspost und insbesondere der Fristenkontrolle gehöre zu ihren Zuständigkeiten die Bearbeitung der Ausgangspost. Briefpost, die nicht mit Kurier versendet werde, werde am Nachmittag in einen Briefkasten in Sichtweite der Kanzleiräume eingeworfen, der um 16:30 Uhr gelehrt würde. Der Zurückweisungsbeschluss des DPMA vom 4. Mai 2016 sei am 23. Mai 2016 eingegangen. Sie habe diesen Beschluss und das Empfangsbekenntnis mit einem Eingangsstempel gestempelt, das Eingangsdatum in die elektronische Akte eingetragen (woraufhin die Beschwerdefrist generiert worden sei), die Beschwerdefrist in dem Papier-Fristenbuch und auf dem Fristenzettel in der Papier-Akte notiert. Die Unterlagen habe sie der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders zusammen mit der Papier-Akte zur Prüfung der Fristen und zur Kenntnisnahme des Inhalts sowie das Empfangsbekenntnis zur Unterschrift vorgelegt. Das unterschriebene Empfangsbekenntnis habe sie unverzüglich an das DPMA per Fax versendet. Am 25. Mai 2016 habe die Vertreterin des Anmelders in der elektronischen Akte eine Kommentierung zu dem Beschluss für den Anmelder vorbereitet. Sie sei beauftragt worden, das Anschreiben mit dem Beschluss per Briefpost an den Anmelder zu versenden. Sie habe den in der elektronischen Akte vorbereiteten Text in einen Formbrief übertragen, diesen auf Kanzlei-Briefpapier ausgedruckt und der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders mit den versandfertigen Unterlagen (Anschreiben und Kopie des Beschlusses) zur Unterschrift vorgelegt. Nach erfolgter Unterschrift habe sie die Unterlagen in einen DIN-A4 Umschlag verpackt und vor dem Leerungszeitpunkt in den besagten Briefkasten eingeworfen. Nach üblicher Erfahrung sei ein so versendeter Brief am Folgetag beim Empfänger. Weil der 26. Mai 2016 ein Feiertag gewesen sei, hätte der Brief am Freitag, 27. Mai 2016, bei dem Anmelder eingehen müssen.
Mit eidesstattlicher Versicherung vom 15. Juli 2016 hat der Anmelder erklärt, seine Verfahrensbevollmächtigte hätte ihm am 4. Mai 2016 per E-Mail mitgeteilt, dass die Patentanmeldung 10 2011 052 470.3 in der Anhörung vom selben Tag zurückgewiesen worden sei. Am 27. Juni 2016 habe er seine Verfahrensbevollmächtigte angerufen, um sich über den aktuellen Stand zu informieren und erst dann erfahren, dass der Zurückweisungsbeschluss am 23. Mai 2016 bei seiner Verfahrensbevollmächtigten eingegangen, die Beschwerdefrist am 23. Juni 2016 abgelaufen und am 25. Mai 2016 eine Kopie des Beschlusses und ein Brief an ihn zur Post gegeben worden sei. Den Brief vom 25. Mai 2016 mit dem Beschluss habe er nicht erhalten. Erst am 27. Juni 2016 habe er eine Kopie des Schreibens und des Beschlusses per E-Mail erhalten.
Das DPMA hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Bundespatentgericht (BPatG) am 8. September 2016 vorgelegt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Wiedereinsetzung Der Anmelder ist nach § 123 Abs. 1 PatG in die Frist zur Einlegung der Beschwerde wiedereinzusetzen.
a) Zulässigkeit Der Anmelder hat am 5. August 2016 schriftlich einen Antrag auf Einsetzung in den vorigen Stand gestellt, § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG.
Der Anmelder war antragsberechtigt nach § 123 Abs. 1 Satz 1 PatG, weil seine Beschwerde vom 5. August 2016 gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A61B des DPMA vom 4. Mai 2016, der ihm am 23. Mai 2016 zugestellt worden ist, nicht innerhalb der Beschwerdefrist des § 73 Abs. 2 Satz 1 PatG eingelegt worden ist, und deshalb der angefochtene Beschluss rechtskräftig würde, wodurch der Anmelder einen Rechtsnachteil erleiden würde.
Der Anmelder hat am 5. August 2016 die Wiedereinsetzung innerhalb der Antragsfrist von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses beantragt, § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG, weil das Hindernis am 27. Juni 2016 durch das Telefonat zwischen dem Anmelder und seiner Verfahrensbevollmächtigten weggefallen ist.
Der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags des Anmelders vom 5. August 2016 steht die Jahresfrist des § 123 Abs. 2 Satz 4 PatG nicht entgegen, weil die versäumte Frist am 23. Juni 2016 ablief und damit die Jahresfrist am 23. Juni 2017 endet.
Der Anmelder hat in seinem Antrag vom 5. August 2016 die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 2 Satz 2 PatG, weil er glaubhaft eidesstattlich versichert hat, dass er erst am 27. Juni 2016 von der Zustellung des Zurückweisungsbeschluss am 23. Mai 2016 erfahren hat.
Der Anmelder hat zudem am 5. August 2016 und damit innerhalb der am 29. August 2016 ablaufenden Antragsfrist die versäumte Handlung, nämlich die Einlegung der Beschwerde nach § 73 Abs. 2 Satz 1 PatG, nachgeholt, § 123 Abs. 2 Satz 3 PatG.
b) Begründetheit Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 PatG begründet, weil der Anmelder ohne Verschulden verhindert war, dem DPMA gegenüber innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses der Prüfungsstelle für Klasse A61B des DPMA Beschwerde nach § 73 PatG einzulegen.
Fahrlässig und damit schuldhaft handelt, wer die verkehrsübliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 Satz 1 BGB. Fristen dienen einerseits dem möglichst effektiven und reibungslosen Ablauf des patentrechtlichen Verfahrens. Andererseits besteht für den Rechtsuchenden ein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und freien Zugang zu den Gerichten. Zwischen diesen widerstreitenden Interessen ist bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 123 PatG abzuwägen (Schulte/Schell, PatG, 9. Aufl. 2014, § 123 Rn. 70).
Ein Verschulden hinsichtlich der Büroorganisation der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders besteht vorliegend nicht.
Ein Anwalt hat sein Büro so zu organisieren, dass Fristversäumnisse bei normalem Ablauf bei Beobachtung seiner Weisungen nicht vorkommen können (Schulte/Schell, a. a. O., § 123 Rn. 93 mit Rechtsprechungsnachweisen). Ein bevollmächtigter Patentanwalt hat die interne Organisation seines Büros oder seiner Kanzlei so anzulegen, dass sie jederzeit den Anforderungen an einen fehlerfreien Ablauf gewachsen ist. Bestandteil einer solchen fehlerfreien Organisation ist vor allem eine effiziente Fristenkontrolle. Für eine mangelhafte Organisation hat der Bevollmächtigte einzustehen wie für eigene persönliche Fehlhandlungen (Benkard/Schäfers, PatG, 11. Aufl. 2015, § 123 Rn. 27; Engels in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl. 2016, § 123 Rn. 35 f. jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen).
Ein Organisationsverschulden der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders besteht nicht, weil diese nach ihrem glaubhaften Vortrag und der eidesstattlichen Versicherung ihrer Mitarbeiterin Frau R… diese namentlich im Hinblick auf die Einhaltung von Fristen sorgfältig ausgewählt, unterwiesen und überwacht sowie ihr geeignete Aufgaben, nämlich insbesondere die Routinearbeit der Ausgangskontrolle ausgehender Post überwiesen hat.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders hat nach ihrem glaubhaften Vortrag ein richtig frankiertes und adressiertes Schriftstück, nämlich eine Kopie des angegriffenen Beschlusses mit einem Schreiben an den Anmelder, so rechtzeitig zur Post gegeben, dass es bei regelmäßiger, auf Erfahrung beruhenden Dauer der Postbeförderung rechtzeitig bei diesem eingegangen wäre und der Anmelder seiner Verfahrensbevollmächtigten rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Beschlusses die Weisung hätte erteilen können, gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A61B des DPMA Beschwerde einzulegen. Die Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders durfte dabei Adressierung und Frankierung als einfache Aufgabe ihrer ausgebildeten Angestellten ohne weitere Überprüfung übertragen (siehe Schulte/Schell, a. a. O., § 123 Rn. 128 mit Rechtsprechungsnachweisen).
Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Anmelders diesem am 25. Mai 2016 eine Kopie des Beschlusses des DPMA vom 4. Mai 2016 und ein von ihr verfasstes Schreiben auf dem Postweg zugesandt hat. Die Patentanwaltsfachangestellte Chiara Rentschler der Verfahrensbevollmächtigten des Anmelders hat dies durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht. Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben spricht nicht, dass die Postsendung bis heute den Anmelder nicht erreicht hat. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Postsendung auf dem Postweg in Verlust geraten ist (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2000, II ZB 16/99, Rn. 5 – juris).
Zwar ist nicht das Schreiben, mit dem gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt worden ist, in Verlust geraten, sondern das Schreiben, mit dem dem Anmelder der angegriffene Beschluss und ein Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten zugesandt werden sollte. Doch ist davon auszugehen, dass der Anmelder dann, wenn er den Beschluss des DPMA vom 4. Mai 2016 und das Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten am 27. Mai 2016 erhalten hätte, er diese rechtzeitig angewiesen hätte, gegen den Beschluss Beschwerde bis spätestens zum 23. Juni 2016 einzulegen.
Insofern war der Anmelder ohne Verschulden verhindert, durch Einlegung der Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses gegen diesen Beschwerde einzulegen, weshalb er nach § 123 Abs. 1 Satz 1 PatG in den vorigen Stand wieder einzusetzen ist.
c) Entscheidung im schriftlichen Verfahren Über die Wiedereinsetzung konnte im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die nachgeholte Handlung (die Einlegung der Beschwerde) keine mündliche Verhandlung verlangt, § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO (siehe Schulte/Schell, a. a O., § 123 Rn. 161; Benkard/Schäfers, a. a. O., § 123 Rn. 64; Engels, a. a. O., § 123 Rn. 94).
d) Unanfechtbarkeit Die Wiedereinsetzung ist nach § 123 Abs. 4 PatG unanfechtbar.
2. Hinweis Über das Gesuch um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird das BPatG gesondert entscheiden.
Dr. Morawek Dr. Müller Zimmerer Dr. Himmelmann prö