II ZR 80/20
Berichtigt durch Beschluss vom 21. April 2021 Stoll, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF II ZR 80/20 BESCHLUSS vom 23. März 2021 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2021:230321BIIZR80.20.0 Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. März 2021 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Drescher, die Richter Wöstmann, Dr. Bernau, Dr. von Selle und die Richterin Dr. Fischer beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 17. April 2020 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10. Juni 2020 aufgehoben, soweit zum Nachteil des Beklagten entschieden wurde.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 11. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Streitwert: 453.457,06 €
Gründe:
I. Der Beklagte war Gesellschafter und Geschäftsführer bei der Klägerin.
Die Klägerin befand sich seit ihrer Gründung in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und war regelmäßig auf Kapitalzufuhr angewiesen. Kapitalgeber war in erster Linie der inzwischen verstorbene Herr S. , der über die S. AG und die S.
Ltd. mindestens 600.000 € in vielen Einzelbeträgen zur Verfügung stellte. Mit Darlehensverträgen vom 20. März 2006 und vom 9. August 2007 schloss der Beklagte mit der S .
AG bzw.
der S .
Ltd. Darlehensverträge über insgesamt 546.000 € zur Einzahlung in die Kapitalrücklage der Klägerin. Der Beklagte erhielt aus diesen Verträ- gen keine Zahlungen. Mit diesen Darlehensverträgen sollten bereits von Herrn S. an die Klägerin geleistete Zahlungen von Fremd- in Eigenkapital umgewandelt werden, um gegenüber Investoren und Kreditinstituten eine scheinbar stärkere Eigenkapitalbasis darstellen zu können. Mitte 2008 kamen die Gesellschafter der Klägerin überein, dass der Beklagte aus ihr ausscheide und als Geschäftsführer abberufen werden solle. Mit notariellem Vertrag vom
9. Juli 2008 übertrug der Beklagte seine Geschäftsanteile zu einem Kaufpreis,
der dem Nominalwert der Anteile entsprach, an die Mitgesellschafter A. und K.
.Nach dem Ausscheiden des Beklagten stellte der damalige Steuerberater der Klägerin den Jahresabschluss zum 31. Dezember 2007 auf.
Darin waren die Verrechnungskonten der Gesellschafter auf Null gestellt. Er wurde am 26. Februar 2009 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Am
11. Juni 2009 stellte der Steuerberater den Jahresabschluss zum
31. Dezember 2008 auf, in dem das Verrechnungskonto des Beklagten nicht mehr enthalten war. Dieser Jahresabschluss wurde am 19. Juni 2009 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. 2011 stellte die Klägerin die korrigierten Jahresabschlüsse von 2007 und 2008 neu auf.
Der Beklagte hatte in der Zeit, in der er Gesellschafter und Geschäftsführer war, Entnahmen in Höhe von 302.015,81 € getätigt.
Mit der Klage verlangt die Klägerin die Rückzahlung dieser Entnahmen. Widerklagend hat der Beklagte zuletzt die Zahlung von 347.280,08 € nebst Zinsen im Hinblick auf von ihm behaupteter, der Klägerin von ihm zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln aus Darlehensverträgen sowie eine Karenzentschädigung geltend gemacht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage verurteilt, an den Beklagten 70.110,50 € zu zahlen.
Gegen dieses Urteil haben die Klägerin Berufung und der Beklagte Anschlussberufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2020 Beweise zu den Behauptungen der Parteien erhoben. Am Schluss der mündlichen Verhandlung hat es eine Frist zur Stellungnahme zur Beweisaufnahme gewährt und einen Verkündungstermin bestimmt. Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020 hat sich der Beklagte zusätzlich und innerhalb der Schriftsatzfrist auf das Zeugnis seiner Ehefrau für die von ihm vorgetragene Behauptung berufen, aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom 9. August 2007 habe ein an ihn rückzahlbares eigenkapitalersetzendes Darlehen in der Buchhaltung der Klägerin ausgewiesen werden sollen.
Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das landgerichtliche Urteil abgeändert, den Beklagten zur Zahlung von 176.287,48 € zuzüglich Zinsen verurteilt und die Widerklage vollständig abgewiesen. Die weitergehende Klage, die weitergehende Berufung und die Anschlussberufung wurden ab- bzw.
zurückgewiesen. Zur Begründung hat es - soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Bedeutung - ausgeführt, dass der Beklagte sich in Bezug auf einen Teilbetrag von 300.000 € nicht mit Erfolg auf einen Gesellschafterbeschluss vom 9. August 2007 betreffend ein an ihn rückzahlbares eigenkapitalersetzendes Darlehen berufen könne. Er habe nicht beweisen können, dass ein solcher Gesellschafterbeschluss tatsächlich von den Gesellschaftern der Klägerin gefasst worden sei. Das Berufungsgericht habe sich aufgrund der vernommenen Zeugen nicht die Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptung des Beklagten bilden können. Soweit sich der Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020 auf das Zeugnis seiner Ehefrau berufe, sei dieses Verteidigungsmittel nicht zuzulassen (§ 296a Satz 1 ZPO). Zu diesem Zeitpunkt sei die Berufungsverhandlung bereits geschlossen gewesen. Zwar sei der Beweisantritt innerhalb der vom Gericht bewilligten Stellungnahmefrist zur Beweisaufnahme erfolgt. Er sei jedoch nicht erst durch diese Beweisaufnahme veranlasst gewesen, denn bereits erstinstanzlich habe der Beklagte behauptet, er habe dem Zeugen W.
noch am 9. August 2007 den Gesellschafterbeschluss überbracht, und hierzu Beweis angeboten. Folglich habe der Beklagte bis zum Schluss der Berufungsverhandlung ausreichend Gelegenheit gehabt, seine Ehefrau als weitere Zeugin zu benennen, jedenfalls habe er nicht erläutert, warum das nicht der Fall gewesen sein solle. Insoweit habe es keinen Anlass gegeben, die Berufungsverhandlung wieder zu eröffnen.
II. Die Beschwerde des Beklagten hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Rechts des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2020 - VII ZR 577/19, NJW-RR 2021, 58 Rn. 9 mwN).
2. Das Berufungsgericht durfte den Beweisantritt des Beklagten auf Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin nicht nach § 296a ZPO zurückweisen.
a) Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts hat der Beklagte den Beweisantrag nicht nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt. Das Berufungsgericht hat auch dem Beklagten die Möglichkeit eröffnet, zur Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, und hierfür eine Schriftsatzfrist eingeräumt, die der Beklagte gewahrt hat. Durch die Einräumung einer Schriftsatzfrist wird für die betroffene Partei der Schluss der mündlichen Verhandlung hinsichtlich des zulässigen Erwiderungsvorbringens bis zum Ablauf der Frist verlängert (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2015 - II ZR 255/13, NJW-RR 2015, 893 Rn. 12).
b) Die Rechtzeitigkeit des Beweisantrags kann nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil es sich um ein im Hinblick auf die Fristgewährung unzulässiges Vorbringen gehandelt hätte. Das Recht, zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, umfasst auch das Recht, neue Beweisanträge zu stellen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2013 - V ZR 147/12, NJW 2014, 550 Rn. 25 mwN).
c) Unerheblich sind die Erwägungen des Berufungsgerichts, der Beklagte sei gehalten gewesen, seinen Beweisantrag früher zu stellen. Für die Voraussetzungen des § 296a ZPO sind diese Ausführungen ohne Bedeutung. Inwieweit diese Umstände eine Zurückweisung des Beweisantritts aus anderen Präklusionsvorschriften rechtfertigen können (§ 531 Abs. 2, §§ 530, 296 Abs. 1, § 525 Satz 1 i.V.m. §§ 282, 296 Abs. 2 ZPO), bedarf hier keiner Entscheidung, weil dem Bundesgerichtshof als Rechtsmittelgericht versagt ist, die Zurückweisung auf eine andere als von der Vorinstanz angewandte Vorschriften zu stützen (BGH, Versäumnisurteil vom 22. Februar 2006 - IV ZR 56/05, NJW 2006, 1741 Rn. 12; Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 11).
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin zu einer anderen Beweiswürdigung gekommen wäre, beruht die angefochtene Entscheidung auf der rechtswidrigen Zurückweisung des Beweisantritts.
Drescher von Selle Wöstmann C. Fischer Bernau Vorinstanzen: LG Hamburg, Entscheidung vom 25.06.2014 - 404 HKO 194/10 OLG Hamburg, Entscheidung vom 17.04.2020 - 11 U 197/14 - BUNDESGERICHTSHOF II ZR 80/20 BESCHLUSS vom 21. April 2021 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2021:210421BIIZR80.20.0 Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2021 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Drescher, die Richter Wöstmann, Dr. Bernau, Dr. von Selle und die Richterin Dr. C. Fischer beschlossen:
Der Beschluss vom 23. März 2021 wird auf Seite 7 unter Rn. 13 wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 319 Abs. 1 ZPO dahingehend berichtigt, dass es anstatt
"Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin …" richtig
"Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung der Ehefrau des Beklagten als Zeugin …" lauten muss.
Drescher von Selle Wöstmann C. Fischer Bernau Vorinstanzen: LG Hamburg, Entscheidung vom 25.06.2014 - 404 HKO 194/10 OLG Hamburg, Entscheidung vom 17.04.2020 - 11 U 197/14 -